Biographische Netzwerkforschung

Bildquelle: Sport und Salon, 6. Jg., Nr. 9, 28.2.1903, S. 6. (ANNO/Österreichische Nationalbibliothek)

Biographische Netzwerkforschung am Beispiel der Mitglieder der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens

Eine Hauptthese des APIS-Projektes ist, dass man Biographien durch die Analyse von im Text wiederkehrenden Angaben zu Personen, Orten und Institutionen, die im Folgenden biographische Bausteine genannt werden, vergleichen kann. Die zweite Annahme ist, und das ist für dieses Teilprojekt von entscheidender Bedeutung, dass Biographien als Datenmaterial für die historische Netzwerkanalyse herangezogen werden können. Von allen im Österreichischen Biographischen Lexikon (ÖBL) enthaltenen Biographien sind für Kunsthistoriker vorrangig jene Personen von Interesse, bei denen sich eine künstlerische Tätigkeit und Wirkung nachweisen lässt. Dazu ist sowohl die Gruppe der Maler, Bildhauer und Architekten als auch jene der selteneren beruflichen Tätigkeiten wie Restaurator, Medailleur und Stadtplaner zu zählen. Um die Stichhaltigkeit dieser Annahmen zu testen, wurde eine repräsentative Stichprobe von 506 Künstlerbiographien aus dem Korpus des ÖBL gezogen. Für die Auswahl einer Biographie war es entscheidend, ob diejenige Person Mitglied in der Künstlervereinigung “Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens” bzw. dem Künstlerhaus war. Die Verbindung zu dieser Institution konnte über die Auswertung von Mitgliederverzeichnissen hergestellt werden. Über die im Zuge des Projekts entwickelte Webapplikation werden die in diesen Biographien befindlichen biographischen Bausteine systematisch erfasst, in eine strukturierte Form gebracht und die Daten für die Erstellung von Statistiken, Karten und Netzwerken verwendet. Teilnetzwerke können entweder anhand der Verbindungsarten (z. B. war Student, war Mitarbeiter, war Mitglied) oder der Verknüpfungen zu den jeweiligen Institutionen (z. B. Akademie der bildenden Künste Wien, Technische Hochschule Wien usw.) gebildet werden. Diese Netzwerke unterscheiden sich je nach Auswahl sehr in ihrer Dimension und Struktur. Manche der Relationen wie z. B. “war Schüler von” ermöglichen es, Stammbäume der für die österreichische Kunstgeschichte wichtigsten Lehrenden darzustellen. Karten wiederum geben Einblick, welche Orte für Künstler im Kontext der Kategorien Studienreise, Ausbildung oder Wirkung von Bedeutung waren und welche nicht. Biographische Netzwerke auf Ebene der Institutionen zeigen, welche Verbindungen sich trotz der oft sehr individuellen Biographien im Laufe einer Künstlerkarriere ergeben können. Ziel ist es einerseits, durch die Auswertung der biographischen Daten einen Einblick zu bekommen, wie Kunsthistoriker in den letzten 70 Jahren Künstlerbiographien geschrieben haben, und andererseits, welche Informationen auf diesem Weg gespeichert wurden. Durch die Datenerhebungen soll außerdem eine Grundlage für zukünftige Forschungen auf dem Gebiet der digitalen Kunstgeschichte geschaffen werden.

Maximilian Kaiser


Die Mitglieder der Genossenschaft im ÖBL und als Datensatz

Ausgehend von den Mitgliederverzeichnissen des Künstlerhauses wurde eine erste Collection von 506 Personen der ordentlichen Mitglieder erstellt. Die Annotation von in den ÖBL-Biographien vorkommenden Personen-, Orts- und Institutionsnamen stellt die Basis für die Datenanalyse mittels quantitativer Methoden (Diagramme, Statistiken, Netzwerke und Karten) dar. Neben den biographischen Netzwerken, die sich aus den Annotationen ergeben, wurden innerhalb dieser Collection außerdem noch zwei Teilnetzwerke unter dem Gesichtspunkt der Künstlereliten untersucht: a) das der Lehrenden an der Akademie der bildenden Künste Wien und b) das der Präsidenten der drei großen Wiener Künstlervereine Genossenschaft bildender Künstler Wiens, Secession und Hagenbund. Eine eigene Collection wurde zusätzlich noch für die außerordentlichen Mitglieder und Teilnehmer aus den Mitgliederverzeichnissen angelegt. Beide Kategorien waren für Personen geschaffen worden, die als kunstinteressierter Ausstellungsbesucher galten und dadurch in weiterer Folge als potenzieller Kunstsammler eingestuft wurden. Dadurch können auch die Verbindungen zwischen der Gruppe der Sammler und jener der Künstler untersucht werden. In Summe ergibt das einen Gesamtdatensatz bestehend aus 861 Biographien mit 8.151 Annotationen.

CC-BY 4.0, M. Kaiser

Wie Biographien für die historische Netzwerkforschung genutzt werden können

Die Folien stammen von einer Präsentation im Rahmen des Workshops für Historische Netzwerkforschung in Augsburg 2017.

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Stammbaum der Wiener Schule

Der Graph stellt den Stammbaum der Schule Kupelwieser–Rahl–Griepenkerl dar. Die Knoten der Lehrer sind hier als Quadrate dargestellt.

(c), M. Kaiser

Das Institutionsnetzwerk der Künstlerhaus-Collection

Der Graph zeigt das Institutionsnetzwerk der Künstlerhaus-Collection auf Basis der Person-Institution-Relationen. Die Knotengröße entspricht dem jeweiligen Degree. Die Top-10 sind gerankt und lauten in absteigender Reihenfolge: (1) Akademie der bildenden Künste Wien, (2) Genossenschaft bildender Künstler Wiens (Künstlerhaus), (3) Technische Hochschule Wien, (4) Kaiserlich-Königliche Kunstgewerbeschule, (5) Akademie der Bildenden Künste München, (6) Franz Joseph-Orden, (7) Kaiserlich-Königliches Polytechnisches Institut (Wien), (8) Wiener Secession, (9) Theophil Frh. von Hansen und (10) Österreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein sowie der Orden der Eisernen Krone. Der Ringstraßenarchitekt Hansen sticht aufgrund der Nennung seiner zahlreichen Karrierestationen in der Biographie aus dieser Reihe als einzige Person hervor.

(c), M. Kaiser

CC-BY 4.0, M. Kaiser

Künstler- und Sammlernetzwerke

Das Teilnetzwerk zeigt die Personen in Verbindung mit den als Schulen kategorisierten Institutionen. Künstler sind hier als Dreiecke, Kunstsammler als Kreise und Schulen als Quadrate dargestellt. An Stelle der Personennamen wurden als Label die im ÖBL vergebenen Berufsbezeichnungen der Personen gewählt. Das soll verdeutlichen, welche Tätigkeitsbereiche an den einzelnen Institutionen zusammentrafen. Die wichtigsten Schulen sind in absteigender Reihenfolge die Staatsgewerbeschule Wien I, die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt Wien, das Akademische Gymnasium, das Schottengymnasium und die Theresianische Akademie.

(c), M. Kaiser

Künstlermigration im 19. & 20. Jahrhundert

Die Migration von Künstlern ist im Kontext der Räumlichen Kunstgeschichte (Spatial Art History), der Erforschung transnationaler Lebenswege und der Künstlersozialgeschichte von Interesse. Diese Karte zeigt Wirkungsorte von Mitgliedern der Genossenschaft der bildende Künstler Wiens (Künstlerhaus), wie sie in den jeweiligen Biographietexten des ÖBL genannt werden. Der Knotengrad (degree) wurde anhand des Netzwerks der Person-Ort-Relationen in visone berechnet. Die Marker sind entsprechend dieser Gewichtung eingefärbt.


CC-BY 4.0, M. Kaiser