2016_srf.ch - eritreer-besser-verstehen_23 Min.
Bevor ich meine Protagonistin darauf ansprechen konnte, trat sie an einer Tagung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe auf. In ihrem Vortrag ermunterte sie die Teilnehmer, auf Eritreer zuzugehen und sich auch nicht von sprachlichen oder kulturellen Barrieren aufhalten zu lassen – etwa, wenn die Fremden beim Händeschütteln den Blick zu Boden richteten. Das sei ein Zeichen des Respekts.
Was ich also schon fast als mangelnde Wertschätzung mir gegenüber gedeutet hatte, entpuppte sich als das pure Gegenteil. Und ich Unwissender hatte den Eritreern immerzu in die Augen schauen wollen, als ich ihre Hand ergriff… Wie unhöflich! Tja, für sie war mein Verhalten wohl genauso falsch gewesen wie das ihrige für mich.
Dort referierte Fana Asefaw zu weiblicher Genitalbeschneidung: das Thema ihrer Doktorarbeit. Die Psychiaterin – die selbst unversehrt ist – verurteilt diese Tradition. Gleichzeitig betont sie, dass Unwissen über die kulturellen Unterschiede erst recht zu psychischen Schäden führen kann.
In Eritrea nehmen sich die Beschnittenen nämlich nicht als abnorm wahr. Vielmehr gelten sie als rein und jungfräulich. Dieses Wertesystem verstört in Westeuropa. Dies entschuldigt aber nicht, dass die Frauen hier teils verletzende Reaktionen bei ärztlichen Untersuchungen erleben müssen, wie Fana Asefaw belegen kann.
Aus Respekt vor den Betroffenen spricht sie daher bewusst nicht von «Genitalverstümmelung», sondern von «Genitalbeschneidung». Die Kenntnis mehrerer Kulturen hilft einem, aufmerksamer durchs Leben zu gehen.