- Manuela Beck

Manuela Beck

Webstücke: „Sie sollen ihn nicht haben“ - „Nous l'avons eu“ (die Rheinkrise / la Crise du Rhin)

Mehrteilige Arbeit, 2016 Öl auf Leinwand, Digitaldruck auf Transparentpapier und Garn auf Papier verschiedene Formate

„Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“, so begann ein unbedeutender Gerichtsschreiber namens Nikolaus Becker 1840 ein schlichtes Gedicht. Dieses sollte bald im gesamten Deutschen Bund in unzähligen Zeitungen publiziert werden. Es war nach Frankreich, genauer an den Politiker und Schriftsteller Alphonse de Lamartine adressiert. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Adolphe Thiers war dort die Forderung laut geworden, Frankreich solle die in den Revolutionskriegen gewonnenen und durch den Wiener Kongress wieder verlorenen linksrheinischen deutschen Gebiete zurückerobern. Zum angedrohten Krieg kam es nie. Die erhobenen Ansprüche hätten vergessen werden können, doch angestoßen auch durch Beckers volkstümliches Gedicht, das über siebzigmal vertont worden war, kochten im Bund in allen gesellschaftlichen Schichten die patriotischen Gefühle über. Der Rhein wurde überhöht zum deutschen Schicksalsfluss, zum Nationalfluss. Seine Verteidigung (durch die Verteidigung der linksrheinischen deutschen Gebiete) sei Aufgabe ALLER Deutschen. Der im Vormärz langsam aufkeimende gesamtdeutsche Nationalismus schlug vom Rhein aus Wellen in alle Winkel des Flickenteppichs deutscher Klein- und Kleinststaaten und konstituierte sich tragischerweise in Abwehrhaltung gegen das benachbarte Frankreich. In seinem „Lied der Deutschen“ ruft Hoffmann von Fallersleben 1841 die Deutschen zum „brüderlich[en]“ Zusammenhalt „zum Schutz und Trutze“ auf. Das dies der Entstehungskontext des Liedes ist, dessen dritte Strophe die heutige deutsche Nationalshymne ist, ist nur wenig bekannt. Aus französischer Sicht hingegen war und blieb der Rhein die östliche „frontière naturelle“ (natürliche Grenze). Diese galt es seit Mitte des 17. Jahrhunderts zu erobern und zu verteidigen. Auf die französichen Erfolge wies der Schriftsteller Alfed de Musset in seinem spöttelnden, ebenfalls vertonten Antwortsgedicht an Becker „Le Rhin allemand“ 1841 hin: „Nous l'avons eu, votre Rhin allemand“ (Wir haben ihn gehabt, euren deutschen Rhein) und fügt noch hinzu „Où le père a passé, passera bien l'enfant“.

Lamartine, an den Becker sein Gedicht „Der deutsche Rhein“ ja adressiert hatte, antwortete diesem 1841 in der „Revue des deux Mondes“ mit einer „Marseillaise de la Paix “ (Friedensmarseillaise). Er dichtete, dass der Rhein nicht entzweie, sondern verbinde („Ne [… p]our diviser ses fils, mais pour les réunir !“), fährt fort: „Pourquoi nous disputer la montagne ou la plaine ?“ (Warum uns streiten denn um Hügel und um Flächen?). Doch er blieb noch mehr als hundert Jahre ungehört. Max Schneckenburgers Gedicht „Die Wacht am Rhein“, 1840 ebenfalls als Reaktion auf die Rheinkrise entstanden, wurde in der späteren Vertonung durch Carl Wilhelm für die Deutschen zur brutal schmetternden Hymne der folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich.

Der oft symbolisch und mystisch überhöhte Fluss blieb über die Jahrhunderte Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland, bis er schließlich doch verband, ist in die Geschichte beider Länder hineingewoben und hat diese Geschichten verwoben. Die mehrteilige Arbeit „Webstücke“ möchte diese verwobene Geschichte verbildlichen. In ihr sind Hände verwoben, die stellvertretend stehen sollen für beide Seiten, und die auf durchscheinendes Papier gedruckten Texte Nikolaus Beckers und Alfred de Mussets.

Manuela Beck : http://manuela-a-beck.de/