Kleine Einführung in die Philosophie

(von Alois Reutterer)

I. Wurzeln und Disziplinen

Definition:

philos (griech.) = Liebhaber, Freund; sophia = Weisheit. Philosophia = Liebe zur Weisheit. Der Philosoph ist ein „Liebhaber der Weisheit“, er behauptet nicht, schon weise zu sein oder alles zu wissen. Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Für den Philosophen ist die Welt – wie für das Kind – rätselhaft und geheimnisvoll.

Ursprung der Philosophie:

Das Staunen, das Sich-Wundern über mein Dasein und die Welt ist die wichtigste Wurzel philosophischen Nachdenkens. Gleich regt sich Zweifel, ob wir diese Welt auch – so wie sie ist – erkennen können, da uns doch die Sinne oft täuschen. Eine dritte Wurzeln des Philosophierens ist die Betroffenheit über Leid, Krankheit, Alter, Tod, Ungerechtigkeit.

Das Staunen über die Welt führt zur Frage nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Ursprung, zum Wirklichkeitsproblem, der Zweifel zum Erkenntnisproblem und das Betroffensein zum Wertproblem. (Nach welchen Werten soll ich mich orientieren? Welchen Sinn hat mein Leben?)

Dem frühen Menschen versprachen Mythen eine (bildhafte) Antwort auf diese Fragen, die Philosophie versucht, sie mit Hilfe des Verstandes (rational) zu lösen. Mythen haben alle Völker, Philosophie im eigentlichen Wortsinn aber ist eine Schöpfung der alten Griechen.

Insgesamt kann die Geschichte der Philosophie als ein Fortschreiten vom Mythos zum Logos (=Vernunft) gesehen werden. Philosophie und Wissenschaft führen zu einer Entmythologisierung der Welt, was oft heftige Gegenreaktionen ausgelöst hat.

Freud sprach von 3 Kränkungen des abendländischen Geistes:

  • der kosmologischen (Kopernikus: Erde und Mensch bilden nicht den Mittelpunkt des Universums);
  • der biologischen (Darwin: der Mensch ist ein Zufallsprodukt der Evolution);
  • der psychologischen (Freud: der Mensch ist nicht nur ein Vernunft-, sondern auch ein Triebwesen).

Aufgaben der Philosophie:

6 Funktionen:

  1. Entwurf von Hypothesen (wissenschaftlichen Annahmen), die über bisherige Erkenntnisse hinausgehen und von Gesellschaftsutopien (Modelle einer besseren Sozialordnung);
  2. Grundlagenforschung (Erkenntnismethoden, Methoden der Wissenschaft);
  3. Philosophie als Gesamtwissenschaft (Synthese der Weltbilder der einzelnen Wissenschaften);
  4. Kritik an philosophischen Lehren, Ideologien, an Technik und Gesellschaft;
  5. Neuordnung der Werte (Normen), die in einer Gesellschaft gelten sollen (normierende Funktion);
  6. Erziehung zu klarem Denken, diszipliniertem Sprechen und zu Kritikfähigkeit.

Kant’s 3 Fragen: *Was kann ich wissen? *Was soll ich tun? *Was darf ich hoffen?

Diese lassen sich zusammenfassen in der einen Frage *„Was ist der Mensch?“

II. Geschichte der Philosophie

Philosophie ist nichts Lebensfremdes, sondern entspringt brennenden menschlichen Fragen des Daseins. Auch war sie immer eine große geistige Macht (Christentum, Marxismus, französische Aufklärung), die den Fortgang der Geschichte wesentlich beeinflusst hat. Die Geschichte der Philosophie ist die Geschichte des menschlichen Denkens. Wenn man die Lehren der großen Denker nicht kennt, bleibt die Geschichte der menschlichen Kultur unverständlich. Niemand, der sich mit Ideologien und Machtverhältnissen auf unserer Erde ernsthaft auseinandersetzen will, kommt ohne Kenntnis der Philosophiegeschichte aus.

Während philosophische Gedanken in vielen Kulturen nur ansatzweise und im Rahmen von Mythen existieren (Ägypten, Babylonien), gibt es 3 philosophiegeschichtliche Bereiche, über die wir genauer Bescheid wissen: die chinesische, die indische und die europäische Philosophie.

Die Philosophie des alten Indiens

ist mystisch-religiös geprägt. Im Mittelpunkt steht der Mensch und die Frage seines Daseins. Dieses wird – zumal von Buddha – voller Leid gesehen, dem es zu entrinnen gilt - durch Meditation und schließlich durch Eingehen ins Nirwana. Es gibt zwar eine Seelenwanderung, aber letztlich keine individuelle Unsterblichkeit.

Die Philosophie des alten China

ist praktisch orientiert und theologiefrei. Einheit von Leben, Kunst und Weisheit. Lao Tse: Maß aller Maße ist das Tao, die Weltvernunft. Yin (weiblich) und Yang (männlich) sind die Naturkräfte, die u.a. auch unsere Gesundheit bestimmen.

Konfuzius: Nächstenliebe soll unser Handeln leiten.

Die Philosophie des Abendlandes

Die ionischen Naturphilosophen (Vorsokratiker) suchten nach dem Urgrund aller Dinge: Metaphysik. Für Thales aus Milet war dies das Wasser, für Anaximander das Unbegrenzte (Apeiron).

Mit den Sophisten trat eine Wende zum Menschen ein: Der Mensch ist das Maß aller Dinge.

Sokrates: Ethik. Tugend ist Wissen. Niemand tut freiwillig Böses.

Platon: Ideenlehre (Unsere Welt ist nur ein Abglanz der ewigen Ideenwelt.)

Aristoteles: Universalgenie, Begründer der Logik. Die Ideen sind in den Dingen.

Die Spätantike und das Mittelalter waren von der christlichen Lehre geprägt, Augustinus hat Platon in diese aufgenommen (er hat ihn „getauft“), Thomas von Aquin griff auf die Lehren des Aristoteles zurück.

Descartes (Frankreich) gilt als erster Philosoph der Neuzeit und des Rationalismus. Loslösung von der Autorität der Kirche, Vertrauen in die Vernunft.

In England vertraute man mehr der Sinneserfahrung: Empirismus (Locke, Hume).

Kant versuchte eine Synthese: Die Erkenntnis beginnt mit Sinneserfahrung, wird aber durch den erkennenden Verstand geformt (Kritizismus).

Nachfolge Kants: Deutscher Idealismus, z.B. Hegel (Der Mensch als Marionette im Selbstentwicklungsprozess Gottes).

Auf die zum Teil sehr spekulative und unhaltbare Philosophie des Deutschen Idealismus gab es 3 Reaktionen:

Materialismus, Positivismus und Existenzphilosophie.

    • Materialismus: Marx: Zuerst ist nicht der Geist, sondern die Materie. Der Mensch ist v.a. ein arbeitendes Wesen und Produkt seiner Umwelt.
    • Existenzphilosophie: Begründer Kierkegaard: Die Philosophie des Deutschen Idealismus hat den Menschen in seiner Existenz vergessen. Ihn gilt es zu bedenken.
    • Positivismus: Comte: Absage an jede (spekulative) Metaphysik. Von hier ausgehend: Neupositivismus und schließlich die moderne Wissenschaftsphilosophie.

III. Philosophie im 20. Jahrhundert

In der Antike stand die Welt, im Mittelalter Gott, in der Neuzeit der Mensch im Zentrum philosophischen Denkens. Im 20. Jh. wurde insbesondere die Existenz des Menschen zum Thema gemacht. Als Reaktion darauf entstand eine Form der Philosophie, die jeder Spekulation den Kampf ansagte: der Neopositivismus. Aus ihm ging die Analytische Philosophie und schließlich die moderne Wissenschaftsphilosophie hervor. Daneben gibt es eine Reihe anderer Formen von Philosophie, z.B. Phänomenologie, Christliche Metaphysik, Marxismus, Sprachphilosophie.

Die Existenzphilosophie

Sören Kierkegaard (1813-1855): Begründer. Wendet sich v.a. gegen Hegels Wesensphilosophie. Der Mensch ist in eine paradoxe Welt geworfen und in Schuld verstrickt. Erlösung von Angst und Verzweiflung kann nur ein Sprung in den eigentlich absurden Glauben bringen.

Martin Heidegger (1889-1976): Der Mensch ist ins Dasein geworfen. Dieses ist auf das Sein hin zu befragen. Dasein ist „Lichtung des Seins“.

Karl Jaspers (1883-1969): Existenz, das eigentlich Selbstsein des Menschen, kann nur in Kommunikation mit anderen verwirklicht werden. Der Mensch scheitert an Grenzsituationen (Tod, Krankheit). Das Dasein wird fragwürdig. Einen Halt findet der Mensch in Gott, von dem wir nur Gleichnisse kennen.

Jean Paul Sartre (1905-1969): Französischer Existenzialismus. Der ungefragt in die Welt geworfene Mensch ist zur Freiheit verdammt. Er macht aus sich selber, was er ist.

Albert Camus (1913-1960): Der Mensch in der absurden Welt ohne Sinn und Hoffnung hat sein Dasein würdevoll zu ertragen.

Analytische Philosophie

Betrand Russell (1872-1970): Mitbegründer der modernen Logik. Die Welt besteht aus Sinnesdaten, die durch das Denken verbunden werden. Kulturphilosoph, Nobelpreisträger.

Ludwig Wittgenstein (1889-1951): österr. Sprachphilosoph. Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen der erkennbaren Welt. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit, durch welche die Bedeutung von Sätzen klargestellt wird.

Der Logische Empirismus des Wiener Kreises kämpft gegen jede spekulative Metaphysik. Von Wittgenstein beeinflusst. Logik, Sprachkritik und Sinneserfahrung sind die Grundlage einer fortschrittsfähigen, wissenschaftlichen Philosophie.

Vertreter: Moritz Schlick (1882-1936; Hauptbegründer des Wiener Kreises), Rudolf Carnap (1891-1970).

Wissenschaftsphilosophie: untersucht, wie Wissenschaft arbeitet, ihre Voraussetzungen, Begriffe und Methoden. (Was bedeuten Ausdrücke wie »Energie«, »Leben« usw.? Wie entsteht eine Hypothese oder eine Theorie?)

Bedeutender österreichischer Vertreter: Wolfgang Stegmüller (1923-1991)

Bedeutender österreichischer (analytischer) Ethiker: Edgar Morscher (*1941 in Bludenz)

Mit Wittgenstein trat in der Philosophie eine sprachliche Wende ein, heute haben wir eine pragmatische Wende: Das praktische Handeln wird in den Vordergrund gestellt.

Kritischer Rationalismus: begründet von Sir Karl Raimund Popper (1902-1994), dem wohl bekanntesten, aus Österreich stammenden Philosophen. Zentrale These: Die menschliche Vernunft ist stets fehlbar und jegliche Erkenntnis nur hypothetisch. „Wir wissen nicht, wir raten.“ Jede Behauptung (auch jede Theorie) muss prinzipiell kritisierbar (falsifizierbar, widerlegbar) sein. Es gibt keine absolute Wahrheit. Kritik auch an totalitären (und jede Kritik abwehrenden), „geschlossenen“ Gesellschaften (v.a. am Kommunismus), denen Popper die „offene“ (kritisierbare und verbesserungsfähige) Gesellschaft gegenüberstellt.