Fundsachen

Eine Seite für das, was in Frankreich oft déformation professionnelle genannt wird: Gedanken und eben Fundsachen zu allem Möglichen, immer auf Sprache bezogen und nicht immer ernst gemeint. Wenn es einen Bezug zu linguistischen Begriffen gibt, verweise ich ganz unbescheiden auf mein Einführungsbuch. Vielleicht hilft es Studienanfängern, zu sehen, wie man linguistisch denkt (oder zumindest, wie ein Linguist denkt). Oder einfach sich zu entspannen. Kommentare sind willkommen!

Viel besser macht das übrigens meine Kollegin Roberta D'Alessandro aus Utrecht mit ihrem italienischen Blog Linguistica in pillole (auf Facebook). Oder zum Französischen Monté mit seinem Youtube-Kanal Linguisticae.

Es wird gelesen, gegessen, gestorben, sich geärgert, ...

Lesen und essen gehören zu den angenehmeren Beschäftigungen. Auch grammatikalisch ist Es wird gelesen oder Es wird gegessen gut verdaulich. Bei Es wird gestorben sind vielleicht nicht alle einverstanden, und Es wird sich geärgert ist für die meisten Deutschlehrer sicher ein Auslöser für "Es wird der Rotstift gezückt" (was sich wiederum nicht ungrammatisch anhört). Zwei Bemerkungen dazu:

Erstens scheinst sich noch nicht lange geärgert zu werden, sagt das Internet. Zwischen 2000 und 2015 findet die Suchmaschine keinen einzigen Beleg (für diesen genauen Ausdruck). Danach sind es fünf, von denen vier mit Fußballberichterstattung zu tun haben, vor allem zu Schalke 04, aber das nur am Rande. Gelsenkirchener Grammatik? Aber ärgern ist ja nur eines von vielen reflexiven Verben. Die linguistischen Grenzen von Internet-Suchen werden leider schnell sichtbar, wenn man alle reflexiven Verben in dieser Konstruktion suchen will.

Zweitens kann man auch in anderen Sprachen sehen, dass es Unsicherheiten im Sprachgebrauch (Linguisten sagen eher "grammatische Variation") gibt, wenn es um Reflexivität geht. Französisch und Italienisch haben keine äquivalente unpersönliche Konstruktion, aber in Infinitvsätzen fragt man sich schon, ob man das Reflexivpronomen nun braucht oder nicht oder es gar ungrammatisch ist. Nehmen wir mal langweilige französische Musik: Elle fait endormir les gens oder Elle fait s'endormir les gens? Für beide Varianten finden sich (das geht wieder:-) Beispiele, die erste scheint aber häufiger zu sein. Oder italienisch "Fa vergognare di essere un..." bzw. "Fa vergognarsi di essere un..."

Für eine Analyse ist hier kein Platz, aber die Frage sollte sich mal im Auge behalten werden.

"Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft!" – Und warum nicht gleich verschwunden?

Das Zitat ist der Titel einer Science Fiction-Komödie von 1989. Das zweite ein…Fehler? Aber für uns (deskriptive) Linguisten gibt es ja keine Fehler. Also schön langsam, ganz von vorne. Dinge können schrumpfen, zum Beispiel Socken, wenn sie zu heiß gewaschen werden. "Meine Socken sind geschrumpft!" Einverstanden? Ist der Satz "grammatisch"? Und wie sieht es mit der transitiven Konstruktion aus: "Papa hat schon wieder seine Socken in der Maschine geschrumpft!". [Ich sehe einige Leser zögern.] Und schließlich: "Ich habe meine Socken in der Maschine verschwunden." Niemand mehr dafür? Ungrammatisch? Aber sicher nicht unverständlich.

Ich gestehe, dass das nicht meine Fundsache ist: ich habe sie in einem Vortrag von Eva Fernandez (CUNY) gehört, und sie hat es vom Language Log der UPenn. Dort geht es darum, dass man in den USA Leute nicht (transitiv) verschwinden kann, obwohl man das Verb im Englischen wohl mal so benutzen konnte. Inspiriert wiederum durch den Cartoon von Tom the Dancing Bug, wo es heißt: "Have I been disappeared?" – "People aren't disappeared in America!".

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Kann man ebenso unbekümmert "I walked the dog around the corner" sagen wie "Honey, I shrunk the kids!"?. Aber uns geht es natürlich um die Sprache. Ist Englisch also transitiver als Deutsch? Warum ist es einfacher, die Kinder zu schrumpfen als den Hund um die Ecke zu laufen oder zu gehen?

Genau diesen Unterschied sieht man übrigens bei der Übersetzung des Filmtitels in Frankreich und Italien. Zeigen beide den gleichen Sprachwitz?

[Werbung: s. Stein 2014, Kap. 4.2.1]

Stell ich Verb vor Subjekt.

Eine Aufgabe zum syntaktischen Wandel, ausgelöst durch die Sendereihe "Denk ich an Deutschland" des Deutschlandfunks. Nachdem "Denk ich an Deutschland" keine Frage ist, ist die Frage, warum es nicht "Ich denk an Deutschland" heißt. Das hat einen völlig anderen Grund (aber welchen?) als die Vorstellung des Verbs im eher coolen Umgangsdeutsch, über die es eine Reihe von Hypothesen gibt. Diese syntaktische Besonderheit wird sehr ausführlich im Deutschkurs für Türken erklärt. Inwiefern sind die beiden Fälle unterschiedlich? Und gibt es - außer Fragen - noch andere Fälle, in denen im Deutschen das Verb vor dem Subjekt steht?