Ein Gedicht aus den Sprachstarken 5
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist
und weil mich doch der Kater frisst,
so will ich keine Zeit verlieren,
will noch ein wenig quinquilieren
und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.
Wilhelm Busch
Diktat (31. Aug. 2017)
Die wundersame Vergoldung
(Zeitungsbericht)
Der Schalterbeamte händigte ihm die gewünschte Münzenrolle, versehen mit dem
Stempel einer örtlichen Bank, aus. Frohgemut wollte der Türke darauf seine Wäsche
in Angriff nehmen. Die Maschine spuckte, wollte die eingeworfenen „Zwänzgerli“ nicht
schlucken. Der am Waschen verhinderte Türke witterte einen Schwindel und ging auf
die Post zurück, um sich zu beschweren.
Zwei Gedichte von Friedrich Hebbel
Sommerbild
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könnte, rot;
Da sprach ich schaudernd im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heissen Tag,
Nur leise strich ein weisser Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
Herbstbild
(Friedrich Hebbel, 1813-1863)
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.