Zwischen den Feiertagen

Co-Abhängigkeit, sie brachte mich dazu, dieses Wort nachzuschauen und es war ein Volltreffer. Kurz bevor ich ein ähnliches Wort erfunden hätte, um meine letzten Texte wie ein Schneeball im Weihnachtstauwetter zusammenzupressen. Einen Moment denke ich nun darüber nach, ob sie dieses Wort in seiner eigentlichen Bedeutung kannte oder gar am eigenen Leib erfahren musste. Aber dann verstreicht der Moment und das treffende neue Wort sucht sich einen sicheren Platz in meinem Kopf. Es ist ein primitiver aber doppelter Trost, zum einem mein eigenes Verhalten als höchst menschlich zu wissen und ihr zum anderen Mitschuld zu geben. Entzückend einfach.


Entzückend ist auch, wie sie beinah Angst hat nochmal zu skypen, weil doch alles nach unserem ersten, einzigen und einzigartigen Gespräch enttäuschend sein muss. Wie viel Disziplin und Weitsichtigkeit dazu gehört, eine angefangene Weinflasche einfach stehen zu lassen, anstatt sie auszutrinken und wegzuwerfen. Das Stadium des Kennenlernens einfach einzufrieren ist eine schützende Idee. Ein Tropfen Blut im Ozean wird eben nur selten einen Hai anbeißen lassen. Meist ist er vergebens. Nur einmal haben mir die Wogen des Internets eine Perle angespült. Nein, eigentlich eine verschlossene Muschel, deren vielfarbig schimmernde Perle ich nur erahnen kann und die beim gewaltsamen Aufklappen zerbrechen würde. 


Ich komme mir ein bisschen wiederholend vor, wenn ich jetzt das aufschreibe, was schon in mindestens einer Nachricht an meine Liebsten steht. Es war eine bereuenswerte Idee mein Leben anzuhalten und zu schauen, ob jemand auf mich wartet. Festzustellen, dass das verständlicherweise niemand tut gehört wohl einfach zu dieser Erfahrung dazu. Letztes Jahr so ziemlich um die gleiche Zeit war ich recht glücklich, obwohl ich damals viel weniger Freunde hatte als jetzt. Heute bin ich enttäuscht.


Ist es nicht möglich, die Erwartungen an Gesellschaft zu reduzieren? Geht das immer nur in die andere Richtung oder braucht es einfach mehr Zeit? Ich bilde mir das nicht nur ein, es waren wirklich signifikant zu viele frustrierende Erlebnisse in letzter Zeit. Gestern schrieb mir meine Zwischenmieterin, dass sie die Wohnung doch nicht mehr will. Drei Tage bevor ich ausziehe. Die übrigen E-Mails betrafen nur „Ihre Bestellung bei Amazon.de“. Das brachte mich seit langem mal wieder dazu, abends in Dunkelheit und Kälte rauszugehen, um das kleine aber ungebundene Glück meines neuen mp3-Players zu zelebrieren. Mit dieser alten aber zeitlosen CD von Robert Miles, deren Wirkung sich besonders stark beim nächtlichen Gang durch fremde Großstädte entfaltet. Diesmal war es nur der Blick auf eine Großstadt, eigentlich nur Lobeda, jedenfalls genügend Lichter, die mich depressiv gemacht haben. Zum ersten Mal überkam mich Fernweh. Bisher war ich immer so örtlich bescheiden, dass Reisestress Reisen kaum wert war. Nun aber bin ich an dem Tiefpunkt angekommen, Ungewisses Eintönigkeit vorzuziehen. Überraschend war in diesem Zusammenhang auch der ablenkende Effekt meiner letzten Dienstreise, obwohl ich mir immer bewusst bin, dass Rastlosigkeit zumindest für mich ein armseliger Kompromiss zwischen Glück und Langeweile ist. Wegstehlen, dieses passende Wort fällt mir gerade aus einem Grönemeyerlied ein. Dabei heimlich lunzen wollen, wie man ohne mich klar kommt. „Lunzen“ steht übrigens nicht im Duden und ich frage mich, ob „heimlich“ an dieser Stelle überflüssig ist. 


Spätestens seit dem zweiten Absatz, den ich eigentlich nach dem dritten geschrieben habe, schwebt mir mein erster Blogeintrag vor Augen. Unsinnigerweise gerichtet in erster Linie an die, die den Inhalt ohnehin schon Leid sind, die Liebsten. Bin gerade zu schwach (keine Kraft fürs Subjekt), um zu überlegen, wer das genau ist. Vielleicht ist das so, wie Gott nur für die existiert, die an ihn glauben. Ja, so wird es sein, und ich glaube an euch! Lunzen möchte ich, zum Beispiel was das Tier gerade macht, dessen weiße Haare am Grund meiner blauen Schuhe filzen, nachdem die Strümpfe sie in der Wohnung eingesammelt haben. Der erste will ich sein, der die Muschel sich von selbst öffnen sieht. Und ich will gespannt hören, ob sich die treffende \href{http://weknowmemes.com/wp-content/uploads/2011/12/nice-guy-sweet-girl-jerk.jpg}{Karikatur} von nice guy, sweet girl und jerk mal wieder bewahrheitet. Vor allem nicht mehr traurig sein, wenn sie es tut. Die Uhr auf dem Ernst-Abbe-Platz nicht mehr vermissen, und aufhören rote Jacken in der Straßenbahn zu entdecken. Nicht mehr beim schwächsten Sonnenstrahl den Kopf aus dem zu kleinen Fenster recken und nicht mehr die Kamera bei jedem Regenbogenansatz zücken, sondern California Sun mir auf den Wanst brennen lassen, während der zweite Schöpfer allen Lebens kalt und laut über mir zusammen schlägt. Wer jetzt nicht nachdenken will: Vielleicht hab ich dann ja Halt in Form eines Surfbretts unter mir (auch das hat eine weniger offensichtliche Bedeutung). 


Mehr Spaß am Geben haben als Nehmen einfordern. Mehr Saat säen, wissend, dass nicht jeder Kontakt keimt. Den Rest bereitwillig den Raben überlassen. Währenddessen die mittlerweile bestimmt verstörten Gesichter meiner Leser ausblenden. Ja und schließlich will ich einfach mal wieder lachen. Und zwar über mich und meine Vorsichtigkeit. Überhaupt ist doch das ganze Leben Lachen: herzlich in Gesellschaft, dümmlich und unecht, wenn mans allein tut und erschreckend leer, sobald man nach dem Grund zu fragen beginnt.

(Dezmeber 2011, erster Eintrag meines Santa-Cruz-Blogs)