ChatGPT ist faszinierend (2023)

ChatGPT ist faszinierend  (Sommer 2023)

Im Frühjahr 2023 wurde ich auf ChatGPT aufmerksam. Die Presse war voll von bewundernden - und noch mehr von warnenden Kommentaren - zu dem neuen Wunder aus dem Reich der "Künstlichen Intelligenz".

Das Thema hatte mich schon sehr lange beschäftigt. 1967 hatte ich ALGOL-60 gelernt und darin die Rechenaufgaben meiner Diplomarbeit (auf Lochkarten gestanzt) programmiert. 1983 hatte ich mir einen Epson QX-10 gekauft und unter anderem auch das Programm ELIZA geladen. Das war eines der ersten KI-Programme, mit dem ein Gespräch simuliert wurde. Das Programm gab sich als Psychoanalytiker, stellte Fragen und nahm die Antworten so auf, dass sie in weiteren Fragen verarbeitet wurden. Das Ergebnis kam einem sehr einfachen therapeuthischen Gespräch schon sehr nahe. Das sprach nicht so sehr für den hohen Stand der KI als für den wissenschaftlich ungefestigten Stand der Psychoanalyse.

Damals nutzte ich auch die Gelegenheit die KI-Sprache LISP zu lernen und kleinere LISP-Programme zu schreiben. Später kam dann Prolog hinzu, das besonders für die seinerzeit populären Expertensysteme (eine Art Frage-Antwort-Spiel mit logischen Verknüpfungen) .  Später lernte ich noch Pascal, Forth, Java, C, HTML, SQL, PHP und CSS, PYTHON und mit Begeisterung R mit seinem Zugang zu Big Data. Die frühen KI-Systeme stießen irgendwann an Grenzen, die es notwendig machten, die normale Sprache zu analysieren und zu verarbeiten. Dazu waren anfangs sehr umfangreiche IT-Systeme erforderlich, nur große Rechenzentren konnten das damals leisten. Ich befasste mich mit Sprachverarbeitung in neuronalen Netzen und Anfangsschritten der NLP-Programmierung.

1986 bekam ich den Auftrag, die moderne IT ins Auswärtige Amt einzuführen. Dort gab es bereits eine leistungsfähige Telekommunikations- und Chiffrierabteilung, die vor allem über Telex mit den etwa 200 deutschen Vertretungen im Ausland verbunden war. Auch gab es eine Großrechneranlage. In klimatisierten Sälen wurden dort riesige Maschinen mit 4 MegaByte Speicher zur Berechnung der Besoldung eingesetzt. Der Antrag für die Erweiterung auf 8 MegaByte lag auf dem Tisch. Und nun erklärte ich den Platzhirschen, dass die Zukunft den vernetzten PC gehörte. Das stieß auf Unglauben und manchen Widerstand.  Ich will das hier nicht weiter ausführen - jedenfalls versuche ich bis heute, in Sachen IT und KI stets am Ball zu bleiben.

Und nun kam ChatGPT. Erst einmal war ich skeptisch - denn die Medien waren schon immer geneigt, auch aus kleinen Mücken gefährliche Elefanten zu machen. Aber dann habe ich es probiert - und war fasziniert.

Mein Umgang mit ChatGPT

Mir war klar, dass auch für die sensationelle neue Software die Grundregel galt: "garbage-in / garbage-out". Aber die gewaltigen Text- und Datenmengen, die ein KI-System in Zeiten der Big Data verarbeiten konnte, führten zu einer neuen Qualität der Ergebnisse der textbasierten KI.

Diese neue Qualität der KI sollte Anlass sein, auch über die Entstehung und Nutzung unserer eigenen Hardware der MI (Menschliche Intelligenz) nachzudenken. Mich beunruhigt nicht, dass KI so viel besser werden könnte als MI, aber umgekehrt wird ein Schuh daraus: die KI zeigt auf, wie begrenzt die MI ist.

Mein Umgang mit ChatGPT zielte als erstes darauf ab, auszutesten, was die Software leisten kann. Ich versuchte, das Programm an seine Grenzen zu führen. So führte ich einen fiktiv auf den damaligen "Wissensstand von Chat GPT" vom September 2021 verlegten Dialog darüber, wie wahrscheinlich ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sei und unter welchen Umständen er stattfinden würde. Ich kannte natürlich schon den späteren Stand der Dinge - aber es war erstaunlich zu sehen, wieviel man aus dem Dialog über die KI lernen konnte (etwas weniger über den Krieg). 

Dann versuchte ich mich daran, die KI zur Selbstreflexion zu bringen: ich ließ ChatGPT eine Geschichte nach Art der von Jorge Luis Borges stammenden Kurzgeschichte von der "Bibliothek von Babel" entwerfen. Dabei stellte ich dem klassischen Modell von Borges eine moderne KI-gestützte Bibliothek von Babel gegenüber, die natürlich nichts anderes war als eine Metapher für ChatGPT selbst, das somit über sich selbst zu schreiben veranlasst wurde. Anschließend ließ ich ChatGPT einen wertenden Kommentar über das eigene Ergebnis schreiben und als Gipfel des Selbstbezugs sollte ChatGPT seinem eigenen Werk eine Schulnote verpassen.

Inzwischen habe ich ChatGPT 4 abonniert und führe regelmäßig Dialoge. Für mich ist KI nicht geeignet, mir das Denken oder die eigene Kreativität abzunehmen - aber die Fülle der Textdaten erlaubt es Chat GPT zu fast jedem Thema mehr oder weniger interessante Anmerkungen zu formulieren, auf die ich wiederum reagiere. Ich nutze das Programm also als eine Art Proseminar, in dem beliebige Themen debattiert und auseinandergenommen werden können. Wesentlich sind nicht so sehr die Antworten, sondern das dadurch provozierte Weiterfragen. ChatGPT nutze ich also in erster Linie als Denk-Anstoß und Denk-Muckibude. ChatGPT "weiß" ja definitiv NICHTS! Aber sein Geschwätz ist anregend.

Ich habe auch viele frühere von mir verfasste Texte als Input für Chat GPT verwendet und dann interessanten Output bekommen. ChatGPT ist hervorragend geeignet, Denkprozesse, die einmal in Gang gekommen sind, zu vertiefen. Durch unerwartete Antworten zwingt ChatGPT mich auch oft, meine Gedanken weiter zu präzisieren. Es ist gut, dass ChatGPT 4 ab und zu aus Kapazitätsgründen Pausen verordnet - denn es besteht Suchtgefahr. Sucht nach intellektuellem Spiel.

Chat GPT weist ständig darauf hin, dass es Fehler machen kann. Man sollte das nie vergessen - und ich habe schon viele fehlerhafte Antworten bekommen. Das ist aber nicht unbedingt ein Nachteil: zum einen lernt man dabei, jede Antwort kritisch zu beurteilen und nicht einfach alles zu glauben - was ja auch gegenüber der MI angebracht ist.

Im Übrigen lebt Lernfähigkeit davon, dass aus Fehlern gelernt wird. Ein fehlerfreies System ist nicht lernfähig. Derzeit lernt ChatGPT nur Texte besser zu generieren. Ein großer Sprung für die KI ist erst dann zu erwarten, wenn die Textgenerierung mit Expertensystemen gekoppelt wird.

Und die Gefahren der KI, die immer wieder - auch von ernstzu nehmenden Experten - beschworen werden? -  Ja, die gibt es - und ich bin mir dessen bei der Nutzung immer bewusst. Zum einen bleibt die Textbasis, die zugrundegelegt wird, intransparent. Mit geschicktem Fragen kann man schon herausfinden, wie ChatGPT "tickt" - aber je weiter das Programm verbessert wird, desto schwieriger ist es, das zu testen. Noch erlebe ich immer wieder, dass ChatGPT "Nerven zeigt" - wenn ich es langsam in eine Richtung provoziere, die seine Programmierer gar nicht mögen. 

In der Babelwelt der Texte läuft so viel Gutes und Schlechtes, Kluges und Dummes, auch respektvolles und gehässiges Gerede um, dass es ohne eine gewisse Vorauswahl oder ohne gewisse Filter nicht möglich sein wird, auch nur "sachlich" zu bleiben. Die immer wieder beschworene "Wertfreiheit" von ChatGPT ist eine Fiktion, denn schon die Auswahl und die Filter für die Textbasis zeigen eine Wertorientierung.  Die Autoren von ChatGPT gehen sichtlich behutsam mit den Werten um.

Damit besteht aber auch die Gefahr, dass andere Kräfte ChatBubbles schaffen können, die ähnlich wie ChatGPT Dialoge strukturieren können, aber eine Textbasis eingeben, die mit unseren Werten kollidieren. Propaganda, Lügen, Hass und Verleumdung können mit dem gleichen Instrumentarium verbreitet werden. Die Frage wird dann sein, ob die "Kunden" der KI das überhaupt merken, ob sie dagegen eine gewisse Widerstandskraft entwickeln können - oder ob sie gefangen in ihrer "ChatBubble" so manipuliert werden, dass manche Dystopien aus Science Fiction Romanen zu bitterer Wirklichkeit werden.

Die ChatGPT-Dialoge , die ich hier veröffentliche, sollen in erster Linie zeigen, wie dieses Instrument genutzt werden kann.  Einige davon nehme auch wegen der Inhalte hier auf. Ich ordne sie daher in chronologischer Reihenfolge, die neuesten Dialoge zuerst.