Alles erfaßt nun der schauende Blick in einem: den Altartisch für unsere Mahlfeier und die Teller, die an den Ursprung erinnern, an das Letzte Abendmahl, das zugleich ein erstes war; dazu den Ambo - Tisch des Wortes - und über allem den unvergleichlichen Gastgeber; unvergleichlich, weil er sich im Mahl so unüberbietbar hingeben und mitteilen will. Aufgehängt und schwebend zugleich findet ihn mein Auge - aufgehängt am Kreuz und doch schon über Fesseln und Schmerzen erhöht; schwebend und mit gelösten Händen, die er einladend ausgebreitet hat: kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, zu mir, zum Mahl, das euch bereitet ist hier bei euch, für euch, zu dieser Stunde!
Das holt mich aus dem betrachtenden Verweilen heraus. Es hat ja auch zu leben begonnen um mich herum. Neben mir kommen sie herein und drüben, eine lange Bank weit entfernt. Sie gehen nach vorne und nähern sich einander, je näher sie dem Altar kommen. Und so erhebe ich ich mich und gehe mit ihnen nach vorne und zu ihnen, finde meinen Platz neben ihnen, zwischen ihnen, bei ihnen, wie sie sich - die Ordnung der Bänke ermöglicht es - um den Altar versammeln, ja, zusammen mit Priester und Messdienern auf der Priesterbank um den Altar herum.
Und nun feiern wir, feiern gemeinsam! Jetzt noch wie in einem großen Kreis um den Altar als Mittelpunkt; dann, als der Priester an den Altar herangetreten ist, wie in einer großen Ellipse zusammengehalten, den Altar, Christus als unseren Bruder einbezogen in die elliptische Bahn; einbezogen - mit uns, und doch als Schwebender darüber. Wir feiern so in augenscheinlicher Gemeinschaft, feiern Gemeinschaft miteinander und mit ihm, dem anwesenden Herrn, der uns erst wirklich eins werden läßt. Wir feiern Gemeinschaft, empfangen Gemeinschaft, geben Gemeinschaft - am dichtesten, innigsten dort, wo wir, den Altar umstehend, neben der Schwester, dem Bruder und gemeinsam mit ihr, mit ihm die eucharistische Speise empfangen: Kommunion.
Ehe ich mich umwende, um zurückzukehren in meine Bank, erhebe ich die Augen noch einmal zum Bildnis - und seltsam, die Arme, die ich soeben noch einladend ausgebreitet empfand, sie scheinen anderes zu sagen. Noch erkenne ich nicht, was es sei; ich muß ja zurücktreten für die, die warten. Wieder an meinem Platz, sehe ich sie, die vielen, die mit mir zum Mahl gekommen sind. Teils kenne ich sie, teils nicht; über alle darf ich mich freuen. Indem ich sie zu den Bänken zurückkehren sehe, meine ich nun auch die veränderte Geste des Christus am Kreuz zu verstehen.
Segen und Sendungsruf des "Geher hin in Frieden!" (missa est) bestätigen es vollends: Ich war eingeladen, mich erfüllen und stärken zu lassen in der und durch die Gemeinschaft des Mahles, des Friedens neu gewiß zu werden. Nun soll mein Weg wieder hinausführen, Frieden zu bringen.
Und so mache ich mich auf den Weg. Das Festgefügte im Rücken, wende ich mich dem Offenen zu, das, in seiner Verglasung, nun auch Zerbrechlichkeit und Gebrechlichkeit anzeigt.
Ich erblicke die fünf Säulen. Dem niedrigen Ende zu stützen und tragen sie die Unterzüge. (Am anderen, oberen Ende bedarf es ihrer nicht.) Wer trägt das schützende Dach, das Kirche erst zum bergenden Raum werden läßt, wer trägt es hier unten? Auch ich ein Stück Säule?
Noch einmal halte ich inne und blicke zurück. Die Höhe vorne, die zuvor so leer angemutet hat, sie scheint nun nicht mehr leer zu sein, auch wenn das Auge dort nichts Besonderes gewahrt. Schwingt es nicht wie in weitem Bogen vom Christus nach oben ("Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat", Joh. 12,45) und zurück - und weiter. zu mir her und hinaus. Gehen nicht die Züge, die mich zuvor hinaufgeführt haben, von dem sonnengleichen Rund wie Strahlen aus? Für das Auge enden sie an den die Rückseite begrenzenden Wänden. Wir aber gehen hinaus durch deren Pforten!
Endgültig zum Gehen gewandt, strebe ich dem Ausgang zu - und erblicke das Licht im Gitter der Kapelle: Dem Draußen, dem Alltag zugewandt, laßt ihr mich nicht hinter euch, laßt ihr mich nicht zurück! Geht - ite, missa est - ihr seid gesendet!
Nehmt meinen Frieden mit, tragt ihn hinaus. Und ich werde mit euch sein.
Walter Westermann