Üble Nachrede oder Böse Zunge sind zu leichtfertige Begriffe für eine der größten Geißeln der Menschheit. Schlimmer als eine physische Aggression, denn sie verletzen mehr als den Körper, sie verletzen die menschliche Würde, schmähen, diffamieren und zerstören Leben.
Sie sind ansteckender als eine Epidemie. Sie fangen ganz einfach an: „Ich habe es gehört“ , und verbreiten sich unglaublich schnell.
Es kann eine bloße Bemerkung sein, wie z.B.:
„Er bezahlt seine Schulden mit Verspätung“ oder „Sie geht oft aus“, die sich zu bösen Behauptungen entwickeln: „ Er ist unehrlich“ oder „Sie betrügt ihren Ehemann“.
Eine gefährliche Waffe, die für jeden, in jedem Alter, erreichbar ist und deren Benutzung sehr einfach ist; es reicht ein bisschen Bosheit im Herzen zu haben.
Ähnlich jenem absurden Gericht, wo der Angeklagte immer abwesend ist. Er wird angeklagt, beurteilt und verurteilt, ohne Recht auf Verteidigung, ohne Widerspruch, ohne Gnade...
Obwohl diese schlechte Gewohnheit so verheerend ist, ist sie meistens nicht kompromittierend für ihre Anwender. Man wird fast nie den Initiator solcher bösen Gerüchte finden. Einer „verkauft“ das, was er „gekauft“ hat, und davon wird eine lange Kette gebildet.
Keiner ist davor geschützt, Opfer solcher bösen Zungen zu werden. Sogar diejenigen, die durch ihre guten Eigenschaften und Taten hervortreten, werden von ihnen im Auge gehalten. Es gibt für die bösen Zungen nichts erfreulicheres als zu zeigen, dass jemand nicht so gut ist, wie er aussieht.
Es gibt leider keine Menschengruppe, die so was nicht erlebt. Solche negativen Dinge sind sogar dort, wo sie niemals sein sollten: bei religiösen Institutionen. Es ist mehr als bedauerlich, denn dadurch werden viele frommen Menschen in ihrem Glauben, in ihrer Hoffnung, ihrem Vertrauen geschwächt.
Sogar Jesus wurde das nicht erspart. Ein gutes Beispiel der höllischen Macht der üblen Nachrede ist das Verhalten der Menge, die Jesus am Tor Jerusalem verehrt hat, und nach einigen Tagen, durch die Verleumdungen der Pharisäer angestiftet, seine Kreuzigung gefeiert haben.
Die üble Nachrede hat seinen Ursprung, ohne Zweifel, in der rückständigen moralischen Entwicklung des Menschen. Intellektuell hat die Menschheit Höhepunkte erreicht. Wir sind auf den Mond gelandet. Wir konnten das Atom zertrümmern. Wir sind, jedoch, moralisch unterentwickelt, ähnlich aggressiv und inkonsequent wie die Höhlenbewohner.
Da der Lack der Sittsamkeit uns daran hindert, die Keule zu benutzen, benutzen wir die Zunge, um unsere Ziele wie Selbstbestätigung, Vergeltung, Rechtfertigung usw. zu erreichen.
Wer das tut, bemerkt nicht, dass solches Verhalten eine Art Autophagie (das Tier, das seine eigene Substanz frisst) ist. Diese Person praktiziert die moralische Autophagie. Denn das üble Wort gegen jemanden, erzeugt in seinem Autor, eine innere Störung, die seine psychischen Kräfte zerfrisst und ihn dazu führt, sich selbst moralisch zu zerstören. Er wird durch sein eigenes Gift vergiftet. Deswegen sind die Menschen, die an solchen schlechten Gewohnheiten Vergnügen finden, sehr unruhig und unglücklich.
Jesus ließ klar, dass niemand das Recht hat, andere zu be- und verurteilen, und er empfiehlt uns zuerst den Balken von unseren Augen entfernen, bevor wir den Splitter in Augen unseres Nächsten suchen.
Wenn es noch so viel Schwäche in unserem Charakter gibt, wenn es noch so viele niedrigen Neigungen in unserer Persönlichkeit gibt, warum sollten wir es wagen, das Verhalten anderer zu kritisieren?
Die neue Psychologie bietet heutzutage eine noch weitere Dimension für diese Lektion Jesu an.
Sie behauptet, dass wir oft in anderen Menschen Schwächen finden, die auch uns eigen sind. Das Böse, das wir in anderen identifizieren, lebt auch in unserem Innern. Deshalb sind tugendhafte Menschen unfähig, das Böse in ihrem Nächsten zu sehen.
Man muss die Fähigkeit, das Gute in den Menschen zu entdecken, üben, damit das Gute in uns wachsen kann. Der erste Schritt, schwer aber unerlässlich, ist die üble Nachrede in unserem Verhalten zu bekämpfen.
Eine gute Methode ist es, die „drei Siebe“ zu benutzen. Es gibt eine alte Legende, deren Ursprung eigentlich unbekannt ist. Gemäß einiger Autoren ist diese Legende ein wahres Ereignis des Lebens Sokrates.
„Eines Tages kam ein atemloser Mann zu Sokrates und flüsterte ihm ins Ohr:
- Hör zu Sokrates, als dein Freund komme ich um dir etwas Ernstes zu erzählen...
- Warte mal! – sagte der vorsichtige Weise – Hast du schon das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe geschüttet?
- Welche Siebe – fragte der Besucher verblüfft.
- Ja, mein Lieber, es gibt drei Siebe! Prüfen wir, ob das, was du mir anvertrauen wirst, schon durch sie hindurch ging: Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Bist du sicher, daß es wahr ist ?.
- Das kann ich dir nicht versichern... aber ich habe es gehört...
- Genau. Aber vielleicht hast du das zweite Sieb benutzt, das Sieb der Güte. Wenn es nicht wahr ist, ist es mindestens gut?
- Das nicht! Ganz im Gegenteil! - antwortete der Mann.
- Ah! – sagte der Philosoph – dann nehmen wir das dritte Sieb, das Sieb der Nützlichkeit. Was für einen Nutzen hat ein solches Geheimnis?
- Nutzen? Nein, es ist überhaupt nicht von Nutzen.
- Nun denn! – beendete der Weise – Wenn das, was du mir erzählen willst, nicht wahr, nicht gut und nicht nützlich ist, vergessen wir diese Angelegenheit, und du mache dir keine Gedanken mehr darum, denn solche Fälle stellen keinen Wert für unsere Erbauung dar.“
Literaturverzeichnis:
Richard Simonetti – Die Stimme des Berges (aus dem Brasilianischem “A voz do monte“)