Reinkarnation


Wie kann die Seele, die während ihres Leibeslebens die Vollkommenheit noch nicht erreichte, ihre Reinigung vollenden?

Dadurch, dass sie sich der Prüfung einer neuen Existenz im Körper unterzieht.

(Das Buch der Geister- Frage 166)


Die Reinkarnation oder das Gesetz der Wiedergeburten klärt und ergänzt das Prinzip der Unsterblichkeit.

Die Entwicklung des Menschen gehorcht einem Plan und hat ein Ziel. Dieses Ziel ist die Vollkommenheit. Aber der Mensch kann diese nicht in einem einzigen Dasein, wenn es auch noch so lange andauert, erreichen.

Wir müssen in der Vielzahl der Existenzen unserer Seele die Voraussetzung sehen, um uns moralisch weiterzubilden und fortzuschreiten. Durch ihre Anstrengung erlittenes Leid zu überwinden und durch Bekämpfung ihrer Schwächen tritt sie langsam aus ihrer Unwissenheit und Minderwertigkeit heraus. Sie steigt von Stufe zu Stufe dem Ziel entgegen.

Nachdem die Seele sich eine Zeit im All aufhält, taucht sie wieder ins menschliche Fleisch ein und birgt alle ihre Eigenschaften aus der Vergangenheit in sich, die guten und die schlechten. Als Baby erscheint sie auf der Weltenbühne um ein neues Drama in ihrem Leben zu inszenieren, um Schulden abzuzahlen, sich neue Befähigungen anzueignen, welche ihr den Aufstieg erleichtern und ihren Marsch nach oben beschleunigen werden.

Die Annahme, dass der Mensch nur einmal zur Welt kommt, lässt uns zwangsläufig den Widerspruch und die Einseitigkeit erkennen, die in der Verteilung von gut und schlecht, von Veranlagungen und Fähigkeiten, von angeborenen Eigenschaften und Süchten zu finden sind.

Warum Reichtum und ständiges Glück für einige, und für die anderen sind Misere und Unglück unabwendbar?

Manche strotzen vor Gesundheit, Kraft und Schönheit, während viele schwach, krank und hässlich sind?

Dieser ist intelligent, ein Genie und jener dumm?

Warum finden wir soviel bewundernswerte moralische gute Qualitäten an der Seite von Süchten und Mängeln?

Warum die verschiedenen Rassen, einige noch unzivilisiert, den Tieren ähnlich, andere mit allen Gaben ausgestattet, die ihnen ihre Überlegenheit zugestehen?

Und die angeborenen Krankheiten wie Blindheit, Idiotie, Missbildungen und all die Missgeschicke, welche Krankenhäuser, nächtliche Unterkünfte und Verbesserungsanstalten anfüllen?

Die Vererbungstheorie kann dies nicht alles erklären und in den meisten Fällen kann man es nicht als Resultat gegenwärtiger Ursachen darlegen.

Umsonst versucht man diese intensive Mannigfaltigkeit von Zuständen, die schrecklichen Anomalien zu enträtseln und noch weniger kann man sie mit der Existenz eines weisen, fürsorglichen und gerechten Gottes vereinbaren, wenn man nicht die Reinkarnation in Betracht zieht.

Ein jeder von uns nimmt den Samen seiner Eigenschaften mit hinüber und, bei der Wiedergeburt trägt er ihn in sich. Dieser Samen wird Früchte, sei es zu unserem Glück oder Unglück, gemäß unseren Anlagen, in unserem neuen Leben ausbreiten und, wenn eine einzige Existenz nicht ausreicht, um die üblen Auswirkungen aus unseren früheren Leben wiedergutzumachen, werden wir immer wiedergeboren. In jedem neuen Leben gesellen sich unsere täglichen Aktionen, zu den früheren als Ursachen und lösen neue Wirkungen aus, die, je nach unseren Handlungen, milder oder schlimmer sind. Alle unsere Handlungen zusammen formen eine Verbindung von Gutem oder Schlechtem und die Gesamtheit bildet das Resultat, das Resultat ist das, was wir unser Schicksal nennen.

Nur die Reinkarnation kann die unendliche Vielfalt der Fähigkeiten, der Charaktereigenschaften erklären. Die Seelen sind nicht alle gleich alt, nicht alle gehen im Gleichschritt ihrer Vollkommenheit entgegen.

Im Buch der Geister steht die folgende Frage (Nr.132):

Was ist der Zweck der Inkarnation der Geister?

Gott will die Geister dadurch zur Vollendung führen. Für die einen ist sie Sendung, für die andern wieder Sühne. Um aber zur Vollendung zu gelangen, müssen sie alle Wechselfälle der leiblichen Existenz durchmachen. Hierin liegt die Sühne. Durch die Inkarnation soll der Geist auch befähigt werden, für seinen Teil am Schöpfungswerke beizutragen. Zu diesem Zweck nimmt er auf jeder Welt eine zum Stoff derselben stimmende Ausrüstung an, um dort die Befehle Gottes auszuführen. So schreitet er selbst fort, während er zum allgemeinen Fortschritt beiträgt.

Mit der Verkettung unserer weltlichen Erfahrungen vollzieht sich laufend das große Werk unserer moralischen Bildung, der langsame Aufbau unserer spirituellen Persönlichkeit. Deswegen muss die Seele nacheinander in den verschiedenartigsten Umgebungen und in jeder Form von sozialen Bedingungen inkarnieren; sie muss durch die Prüfungen von Armut und Reichtum gehen; sie muss lernen, zu gehorchen, um später zu befehlen. Es ist notwendig, dass sie durch die Schatten des Lebens geht, voller Arbeit, Mühe und Entbehrungen, um sich daran zu gewöhnen, auf materielle Eitelkeiten zu verzichten, sich von den Leichtfertigkeiten loszulösen. Sie muss lernen, Geduld zu haben, sie muss sich Disziplin aneignen. Ferner benötigt sie eine Existenz des Studiums, Missionen, in denen sie sich für ihre Mitmenschen einsetzt, Missionen der Wohltätigkeit, durch die sie ihr geistiges Wissen kundgibt; und durch den Erwerb neuer edler Qualitäten bereichert sich das Herz. Hinzukommt ein Leben für die Familie, voller Entsagungen, für die Heimat, für die Menschheit. Unumgänglich sind die Prüfungen, in denen Stolz und Egoismus ausgemerzt werden; und die schmerzhaften Erlebnisse! Sie sind die Einlösung von in der Vergangenheit begangenen Fehlern. So ist das Prinzip, das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit.

Kampf und Leid stärken die Seele und reinigen sie, bringen sie der Vervollkommnung näher. Sie büßt ihre begangenen Fehler in Form von Prüfungen in der gleichen Umgebung ab, in der sie sie begangen hat. Dies sind Schicksalsschläge und ein wahrer Leidensweg, aber ein Weg, der in die glücklichen Welten führt.

Obwohl der Schein trügt, hängt unser Glück direkt von unserer Fähigkeit ab, Gutes zu tun. Dies ist ein Gesetz Gottes und findet seine Anwendung in den Reinkarnationen der Seele. Es ist sie, die die Voraussetzungen jeder neuen Geburt festlegt und ihr Schicksal aufbaut. Aus diesem Grunde gibt es schlechte Menschen, die glücklich zu sein scheinen, während die Gerechten allzu sehr leiden; denn für sie hat die Stunde der Sühne geschlagen, bald wird das Missgeschick auch Erstere heimsuchen.


Quelle:

Allan Kardec – Das Buch der Geister

Leon Denis – Die Fragen des Wesen, des Schicksals und des Leidens.