„Hat die Natur nicht durch unsere Organisation selbst die Grenzen der Bedürfnisse gezogen?
Ja, aber der Mensch ist unersättlich. Die Natur zog jene Grenze, aber die Laster haben seine Leibesbeschaffenheit gefälscht und
verändert und ihm Bedürfnisse geschaffen, die gar keine mehr sind.“
Es war einmal ein mächtiger König, der führte sein Heer über die schneebedeckten Berge, die sein Reich begrenzten, um in das Gebiet seines Nachbarn einzufallen.
Auf der verschneiten Passhöhe sah er einen Eremiten auf einem Felsen sitzen. Er hatte seinen Kopf zwischen die Knie gesteckt, wohl,
um ihn vor dem eisigen Wind zu schützen, der zwischen den Gipfeln pfiff. Er war völlig unbekleidet. Dem König tat der Alte leid, daher
nahm er seinen Mantel ab und bot ihn dem Eremiten an. (Der Eremit war ein Asket, der seine Sinne und sein Gemüt
vollkommen unter Kontrolle hat). Der aber lehnte dankend ab: „Gott hat mich ausreichend gekleidet, um mich vor
Hitze und Kälte zu schützen. Er versorgt mich mit allem was ich brauche!“.
Verwundert fragte ihn der König, wo denn seine Kleidung sei. Er antwortete: „ Gott selbst hat sie für mich gewebt.
Ich trage sie seit meiner Geburt und werde sie bis zu meinem Grabe tragen. Sieh her: Es ist meine Haut!
Gib deinen Mantel irgendeinem Bettler, der auf der Wanderschaft ist oder einem Armen!“
Der König lächelte mitleidig. Wer konnte wohl ärmer sein als dieser hier? Er fragte: „Gibt es denn Arme in der Nähe?
Wo kann ich sie finden?“ Da wollte der Eremit wissen, wohin er zöge und aus welchem Grund.
Er sagte: „Ich ziehe in das Gebiet meines Feindes, um sein reich zu erobern und meines damit zu vergrößern.“
Nun war es der Eremit, der lächelte. Er sagte: „ Wenn du mit einem Königreich nicht zufrieden bist, und wenn du sogar dazu bereit bist,
dein Leben und das Leben Tausender von Männern zu opfern, nur um ein paar Quadratmeilen mehr Land zu bekommen,
bist du wahrlich viel ärmer als ich. So beschenke dich also selbst mit diesem Mantel, denn du brauchst ihn dringender als ich!“.
Da schämte sich der König. Er sah ein, wie sinnlos Ruhm und Überfluss sind, kehrte in seine Hauptstadt zurück und
dankte dem Eremiten, der ihm die Augen für seine innere Armut geöffnet hatte.
Gegangen in der Philosophie des Habens, glaubt der Mensch, dass die existentielle Bedeutung im Erwerb desselben liege.
Aufgrund dieses Glaubenssatzes haben verschiedene Denker seit alten Zeiten in der westlichen Zivilisation Kriterien aufgestellt für ein glückliches Überleben des Wesens angesichts des Abgrundes irdischer Unsicherheiten.
Sie behaupten, dass der Zweck des Lebens, sein eigentlicher essentieller Sinn, der Genuss sei, und dass nur durch den Besitz von Geld und andern Mitteln es möglich werde, diesen Anforderungen zu begegnen, weil, wer hat, vermag, und wer vermag, erwirbt, was ihm gefällt, was er benötigt - die wesentliche Voraussetzung zum Glück.
Im Spiel der sozialen Interessen indessen kann man feststellen, dass gar nicht immer Besitz für die führt. Nicht wenige gut Ausgestattete klammern sich nämlich derart an die Güter, die sie zu besitzen glauben, dass sie schließlich, qualvolle emotionale Dramen erleidend, von ihnen besessen werden.
Manche fürchten internationale Geschehnisse, die die Bewertung von Geld, Unternehmungen, Zinsen und Wechseln verändern, was in ihnen, infolge der Drohung, wegen schwankender Börsen hohe Summen zu verlieren, Angst auslöst. Andere investieren große Summen, die sie reich, aber auch unruhig machen.
Allmählich vergessen sie ihre eigene Identität. Sie glauben, nicht mehr fähig zu sein, Sympathie und Liebe, Kameradschaft und Zärtlichkeit zu wecken, weil diejenige, die sie umschwärmen, oft nur an ihrem Besitz interessiert sind, nicht an ihren Gefühlen. Trifft der absurde Glaube, Glück, Liebe, Gesundheit und Frieden könne man kaufen. Gewiss ist in bestimmten Augenblicken Geld nützlich zum Erwerb von Mitteln, Kameradschaft gewährleisten. Doch täuschen sich in klammern, weil ihre berühmten Namen und ihre Schätze von allen Seiten Abenteurer anlocken, die an ihrer Seite gesehen werden möchten, die mit ihnen sexuelle Verbindungen eingehen wollen, um sie dann ausbeuten zu können. Während dessen liefern sich solche Nutznießer andern Betrügern aus, die sie ruinieren und nach Gebrauch verlassen...
Wenn es einerseits Sklaven ihres Besitzes gibt, erproben auf der Erde andere Sonderlinge die Abhängigkeit vom Nicht-Besitz. Ihr Leben erhielte eine Bedeutung, wenn sie etwas besäßen. Je mehr sie haben, umso mehr hoffen sie zu sammeln, doch sie verlegen ihr Streben in die Zukunft und leben von dem, was fehlt, in schrecklichen, neurotischen Umständen.
Die wahre Befreiung vom Haben ermöglicht auch jene vom Nicht-Haben. Was man nicht hat, erzeugt - wenn man es gut bedenkt - kein Fehlen, weil es möglich ist, mit dem zu leben, was man erlangen kann, sobald man es erstrebt, entsprechend dem Standard, in dem man sich findet.
Wer Geld und Macht hat, leidet manchmal an fehlender Gesundheit und Friedlosigkeit, oder de zu tun, was ihn interessiert, nicht nur tun zu müssen, was ihm die Umstände abfordern. Desgleichen kann, wer nicht hat, Freude erleben und Vertrauen auf bessere Tage, oder aber sich im Klima der Resignation verlieren, einen Mangel erfahren, der ihn den Überfluss zu verwalten lehrt, sollte er ihm jemals zuhallen.
Die Frage von Haben und nicht Haben überschreitend, überkam es einige Philosophierende, dass die Existenz eigentlich immer von Schmerz gezeichnet ist, um angesichts dieser Feststellung die stoische These aufzustellen, der gemäß die Welt nur von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu betrachten sei.
Folglich müsste die Bedeutung des Lebens darin bestehen, den Kampf zur Überwindung des Leidens aufzunehmen, naturgemäß zu leben und vor den Zwängen des Schicksals zu resignieren, d.h. vor der Gerechtigkeit, da ja die Welt, nach rationalem Denken folgerichtig, gerecht sei. Gemäss dem Eudämonismus, in stoischer Sicht, besteht das Seins-Ziel in der Übung der eigenen Tugend, vor allem aber im Erreichen des Glückes. Abgesehen vom eudämonistischen Vorschlag setzen sich die Stoiker mit strenger sozialer und politischer Kritik auch zugunsten von Veränderungen der bestehenden Strukturen ein.
Zenao de Cítio legt dar, dass der Stoizismus in verschiedenen Phasen de kulturellen und zeitlichen Entwicklung von bemerkenswerten Denkern der ferneren oder näheren Vergangenheit gelebt wurde. Sie brachten ihn nach Rom, von wo aus er sich über ganz Europa verbreitete. Bei den Römern läutete er eine neue Zeitperiode ein mit Spekulationen religiösen und moralischen Charakters. Aus der Reihe hervorragender Vertreter ragen unter anderem Seneca, Marc Aurel und Epiktet hervor, die bemerkenswerte Beiträge beisteuerten.
Insofern muss die stoische Haltung nicht als Ziel von existentieller Bedeutung angesehen werden, als ja nicht selten mit der Annahme weltlicher Gegebenheiten moralische und emotionale Situationen entstehen, die nicht kontrollierbar sind und zu Verzweiflung und Verlust innerer Ausgewogenheit führen... auch wenn, dann und wann das Gegenteil geschehen kann.
Die Suche nach der Bedeutung des Lebens ging weiter und fand im Idealismus den Vorrang der transzendenten Welt oder der Ideen vor dem Stofflichen, Organischen, Einzigartigen. Das Konzept ist weit gespannt und situiert alle Dinge, ja die Erde selbst im Bewusstsein und lädt damit den Menschen zur Wahrnahme dieser Realität ein. In der Schule zu Eleia in Griechenland aufgestellt, verbreitete sich der Idealismus durch die Zeiten und fand zu Descartes, dem Vater des modernen Idealismus, der für die Suche nach der genuinen Wahrheit eintrat, die nie in den Dingen selbst gefunden werden können, wie gewohnt sie einem auch erscheinen mögen. Nachdem sich der Idealismus später in eine empirische und eine absolute Richtung geteilt hatte, wurde er von einigen außergewöhnlichen Philosophen bereichert, die versuchten, die Notwendigkeit darzulegen, das relevante Innere zu erfassen. Hegel z.B. erklärte, dass die Wahrheit dem Wesen vorausgehe und es erzeuge.
Nach diesem Vorschlag taucht Platons Gedanke wieder auf, dem zufolge das Sein das Wirkliche, sowohl Überlebende als auch das dem nicht-Sein Vorausgehende sei und dass der Geist der Welt der Ideen entstamme, zu der er zurückkehre. Damit stellte er eine ausgesprochene ethisch-moralische Lebensführung und das Engagement für edle Daseinsziele als wesentlich hin.
Die psychologische Suche nach der existentiellen Bedeutung muss demnach auf einer idealistischen Weltschau gründen, ohne die materielle Welt zu verteufeln und zu verachten, aber auch ohne sich an diese zu hängen, in der Meinung, sich für die Zukunft absichern zu müssen, wohin diese auch führe.
Die emotionale und organische Gesundheit ergibt sich nach dieser These aus Faktoren, die die Angst zerstreuen und die Erbschaften der Vergangenheit verändern. Angeboten werden neu zu bearbeitende Archetypen, die den auftauchenden Bedürfnissen und den Bestrebungen entsprechen, die das persönliche Unbewusste freigibt, in dem sich die Vorschläge für das menschliche Glück gespeichert finden.
Seiner natürlich Grenzen bewusst, die vom nicht sein, dem sich dauernd verwandelnden Körper, auferlegt wurden, gibt sich das Individuum Rechenschaft, dass es notwendig ist, die leibliche Klausur zu überwinden, das Selbst zu erlangen und ihm den Vorrang des Verhaltens auf eine Weise zuzuhalten, dass die psychischen Inhalte sich mit dem Ego identifizieren können, derart Streben und Sehnen harmonisierend und miteinander verbindend.
Das bewusste Sein erreichen und dabei die wesentlichen Ziele der Existenz entdecken wird zu einer vorbeugenden, durch die Selbsterkenntnis oder von der heilenden Natur ausgearbeiteten Psychotherapie, um den Herausforderungen und Konflikten zu begegnen, die das Ergebnis einer irregeführten Suche nach Haben oder nicht Haben waren, fälschlich als wesentliches Ziel des Individuums verstanden.
Quelle:
Das Buch der Geister – Allan Kardec
Sai Baba erzählt – Chinna Katha
Persönlicher Triumph – Joanna de Ângelis – Médium:Divaldo P. Franco