Themen & Ergebnisse

Themen und Ergebnisse (2): Linguistische Modellierung und Analyse

Einen zentralen Fokus der Arbeit im Netzwerk und in den angegliederten Projekten bildeten Fragen der linguistischen Modellierung sprachlicher und kommunikativer Besonderheiten von IBK-Genres. Dabei wurden die folgenden Forschungsperspektiven unterschieden:

  • Perspektive „Linguistische Beschreibung“: Entwicklung von Analysekategorien für die sprachlichen und strukturellen Besonderheiten in IBK-Genres. Die Ergebnisse der zugehörigen Kategoriendiskussion, die im Rahmen verschiedener Netzwerktagungen geführt wurde, waren u.a. auch grundlegend für die Entwicklung von Phänomentypologien und Tagsets für die automatische linguistische Annotation sowie für die Entwicklung von Annotationsschemata für IBK-Korpora.
  • Perspektive „Kontaktphänomene I (Gattungskontakte und Genese digitaler Kommunikationsformen)“: Modellierung der Herausbildung neuer kommunikativer Genres unter den Bedingungen von IBK, ihrer Beziehungen zu traditionellen Text-/Diskursformen und der charakteristischen sprachlichen und kommunikativen Muster, die sich durch die medialen Rahmenbedingungen und die Kontexte ihrer Nutzung ergeben. Die Frage der Beziehungen und Unterschiede von IBK-Genres zu traditionellen Textmustern und Diskursformen erwiesen sich als unmittelbar relevant auch für Fragen der texttechnologischen Modellierung von IBK-Strukturen.
  • Perspektive „Kontaktphänomene II (Sprachkontakte)“: Modellierung der Wechselwirkungen zwischen der gesellschaftlichen Diversität der Kommunikationspartner in IBK-Umgebungen und der Verwendung der ihnen verfügbaren sprachlichen Ressourcen, mit Schwerpunkt auf Prozessen der Auswahl und Verhandlung von Sprachen, Varietäten und Schreibstilen.
  • Perspektive „Wandelphänomene“: Modellierung des Wandels von digitalen Genres und der für sie charakteristischen Sprachgebrauchsmuster sowie des Wandels von Sprachverwendungsweisen durch den Einfluss internetbasierter Kommunikation.

Für alle Perspektiven ergaben sich durch die Diskussionen im Rahmen der Arbeitstagungen und des vom Netzwerk ausgerichteten DGfS-Workshops wichtige Impulse. Als besonders fruchtbar erwies sich die Frage, welche Varietät(en), Textsorten und kommunikativen Gattungen die Folie bilden, vor der die sprachlichen und strukturellen Besonderheiten von IBK-Genres sinnvoll als Phänomene ‚nichtstandardisierter‘ Schriftlichkeit modelliert werden können. Je nachdem, was als Standard konstituiert wird (die redigierte Schriftlichkeit oder die mündliche Sprachproduktion im Gespräch), ergeben sich für die Analyse und Bewertung der Sprachlichkeit von IBK-Genres – nicht zuletzt auch unter sprachdidaktischem Aspekt – höchst unterschiedliche Konsequenzen (Storrer 2014). Je nachdem, ob Chat-Logfiles, Twitter- und WhatsApp-Verläufe oder Threads in Online-Foren, auf Wiki-Diskussionsseiten und in sozialen Netzwerken mit Kategorien für die Analyse von Textstrukturen oder für die dialogische Sprecherabfolge in mündlichen Gesprächen modelliert werden, ergeben sich unterschiedliche Arten von Schwierigkeiten bei der Darstellung der charakteristischen Besonderheiten von IBK-Strukturen; entsprechende Modellierungsentscheidungen haben Konsequenzen auch für die Frage der texttechnologischen Repräsentation von IBK-Genres anhand von Formaten (z. B. TEI), die noch keine spezifischen Modelle für die Repräsentation von IBK-Strukturen umfassen.

Eine Herausforderung stellt nach wie vor die Arbeit mit Daten aus multimodalen Kommunikationsumgebungen dar; insbesondere mit Blick auf die Repräsentation und Analyse verschiedener, parallel genutzter IBK-Modalitäten (Chat, Texteditor, Whiteboard, Audioverbindung, Manipulation von Grafikobjekten) besteht weiterhin großer Forschungsbedarf (Stertkamp & Schüler 2014, Wigham & Chanier 2013). Fragen der Repräsentation und Analyse von multimodalen Daten stellen sich darüber hinaus in Kontexten, in denen Beobachtungsdaten zu Nutzeraktivitäten am und vor dem Bildschirm in den Forschungsprozess einbezogen werden (zu den Herausforderungen: Beißwenger 2009). Fortschritte für die Erhebung solcher Daten lieferte das INKA-Projekt, Fortschritte für die linguistische Beschreibung der Kommunikation in multimodalen Spielumgebungen die Dissertation von Wolf Stertkamp:

  • Im Projekt INKA wurde in enger Abstimmung mit den Bedürfnissen der IBK-Forschung ein innovatives Toolkit für die Erhebung und Analyse von Eye-Tracking-, Key-Logging-, Webcam- und Logfiledaten entwickelt (Kienle et al. 2013a, 2013b) und im Rahmen einer Laborstudie getestet. Im DFG-Projekt Ebiss wird dieses Toolkit gegenwärtig für die EyeTracking-basierte Weiterentwicklung von Chat-Systemen eingesetzt (Kienle et al. 2016 i.Dr.).
  • Die Dissertation von Wolf Stertkamp (2016) deren Vorarbeiten wiederholt im Netzwerk diskutiert wurden, entwirft am Beispiel datengestützter Analysen zu ausgewählten Typen von Interkationskontexten im MMORPG „World of Warcraft“ einen Beschreibungsrahmen für multimodale interntbasierte Kommunikation, der auf Ansätzen der Multimodalitätsforschung und der IBK-Forschung aufbaut.

Neben der Diskussion von Modellierungsvorschlägen zu den o.a. Perspektiven entstanden im Zusammenhang mit dem Netzwerk eine Reihe empirisch fundierter Arbeiten zu sprachlichen, kommunikativen und strukturellen Phänomenen von IBK: zu kommunikativen Praktiken (Androutsopoulos 2013, Beißwenger 2016) und zur sprachlichen Variation in sozialen Netzwerken (Storrer 2013), zu Formen des normabweichenden Schreibens (Imo 2012), zur Partikelverwendung (Imo 2013), zu Emoticons (Imo 2015), zur Deixis (Beißwenger 2013), zu medienspezifischen Schreibkompetenzen (Beißwenger 2012) und zu Hypertext-Genres (Jakobs 2011).

Publikationen zum Themenschwerpunkt:

  • Androutsopoulos, Jannis (2013): Networked multilingualism: Some language practices on Facebook and their implications. International Journal of Bilingualism. DOI:10.1177/1367006913489198.
  • Beißwenger, Michael (2009): Multimodale Analyse von Chat-Kommunikation. In: Karin Birkner & Anja Stukenbrock (Hrsg.): Die Arbeit mit Transkripten in Fortbildung, Lehre und Forschung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 117−143.
  • Beißwenger, Michael (2012): Kompetenzen für das Schreiben mit webbasierten Schreibtechnologien. In: Helmuth Feilke, Juliane Köster & Michael Steinmetz (Hrsg.): Textkompetenzen in der Sekundarstufe II. Freiburg: Fillibach, 233-267.
  • Beißwenger, Michael (2013): Space in computer-mediated communication: Corpus-based investigations on the use of local deictics in chats. In: Peter Auer, Martin Hilpert, Anja Stukenbrock & Benedikt Szmrecsanyi (Eds.): Linguistic Perspectives on Space: Geography, Interaction, and Cognition. Berlin. New York: de Gruyter (Linguae & Litterae 25), 494−528.
  • Beißwenger, Michael (2016): Praktiken in der internetbasierten Kommunikation. In: Sprachliche und kommunikative Praktiken. Jahrbuch 2015 des Instituts für Deutsche Sprache. Hrsg. v. Arnulf Deppermann, Helmuth Feilke & Angelika Linke. Berlin/New York: de Gruyter, 279-310.
  • Imo, Wolfgang (2013): Sprache-in-Interaktion: Analysemethoden und Untersuchungsfelder. Berlin: de Gruyter (Linguistik – Impulse & Tendenzen 49). [Darin Kap 7.1: „Sprache-in-Interaktion im Anwendungsfeld Computervermittelte Kommunikation“].
  • Imo, Wolfgang (2015): Vom ikonischen über einen indexikalischen zu einem symbolischen Ausdruck? Eine konstruktionsgrammatische Analyse des Emoticons :-) In: Fischer, Kerstin; Stefanowitsch, Anatol; Lasch, Alexander; Bücker, Jörg (Hrsg.): Konstruktionsgrammatik 5. Konstruktionen im Spannungsfeld von sequenziellen Mustern, kommunikativen Gattungen und Textsorten. Tübingen: Stauffenburg-Verlag (Stauffenburg Linguistik 77), 133–162.
  • Jakobs, Eva-Maria (2011): Hypertextuelle Kommunikate. In: Sandro M. Moraldo (Hrsg.): Neue Sprach- und Kommunikationsformen im WorldWideWeb. Bd. 2. Medialität, Hypertext, digitale Literatur, Rom: Aracne, 57−79.
  • Kienle, Andrea; Schlieker-Steens, Philipp; Schlösser, Christian (2013a): INKA-SUITE: An integrated test-environment for analyzing chat communication. In: Proceedings of the international Conference on Computer Supported Collaborative Learning (CSCL) Vol. 2, 315−316.
  • Kienle, Andrea; Schlösser, Christian; Schlieker-Steens, Philipp (2013b): Experiences from eye tracking chat-communication using the INKA-SUITE. In: Thies Pfeiffer & Kai Essig (Eds.): Proceedings of the First Int. Workshop on Solutions for Automatic Gaze Data Analysis 2013 (SAGA 2013), Bd. 1.15−18.
  • Stertkamp, Wolf (2016): Spiel, Satz, Sieg: Sprache und Kommunikation in Online-Computerspielen. Eine qualitative Analyse multimodaler Kommunikation in Massively Multiplayer Online Role-Playing Games am Beispiel von Word of Warcraft. Diss., Justus-Liebig-Universität Gießen.
  • Stertkamp, Wolf; Schüler, Lisa (2014): Transkription Multimodaler Gefüge: Herausforderungen bei der Untersuchung interaktiver Prozesse am PC. In: Christine Moritz (Hrsg.): Transkription von Video- und Filmdaten in der Qualitativen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer, 311−358.
  • Storrer, Angelika (2013): Sprachstil und Sprachvariation in sozialen Netzwerken. In: Barbara Frank-Job, Alexander Mehler & Tilmann Sutter (Hrsg.): Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 329−364.
  • Storrer, Angelika (2014): Sprachverfall durch internetbasierte Kommunikation? Linguistische Erklärungsansätze – empirische Befunde. In: Albrecht Plewina & Andreas Witt (Hrsg.): Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2013. Berlin. Boston: de Gruyter, 171−196.
  • Wigham, Ciara R.; Chanier, Thierry (2013). A study of verbal and nonverbal communication in Second Life – the ARCHI21 experience. In: Journal of the European Association for Computer Assisted Language Learning (ReCALL) 25(1), DOI: 10.1017/S0958344012000250, 63−84.