2. Arbeitstagung (Uni Münster, 2011)

2. Arbeitstagung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 05.-07.10.2011

Die 2. Arbeitstagung wurde von Wolfganhg Imo und Jörg Bücker an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ausgerichtet.

Den thematischen Schwerpunkt bildete die Wikipedia, die in mehrfacher Hinsicht eine attraktive Ressource für die linguistische Forschung darstellt: Unter variationslinguistischem Aspekt lassen sich an ihr die charakteristischen Unterschiede zwischen monologischer und dialogischer (bzw. ‚textorientierter‘ und ‚interaktionsorientierter‘) Schriftlichkeit analysieren. Da die Beiträge auf Artikel- und auf Diskussionsseiten im Wesentlichen von denselben Nutzern verfasst werden, können am Beispiel der Wikipedia die funktionalen Unterschiede zwischen den beiden Schreibhaltungen dargestellt werden (Storrer 2013). Aus der Perspektive der linguistischen Schreibforschung stellt die Wikipedia das aktuell umfangreichste und prominenteste Beispiel für ein offenes, kooperatives Schreibprojekt dar. Auch für die linguistische und sozialwissenschaftliche Forschung zu sozialen Netzwerken ist die Wikipedia ein einschlägiges Forschungsobjekt. Aufgrund ihrer Größe erlaubt sie neben qualitativen auch quantitative Analysen. Aufgrund ihrer Lizenzierung unter der Lizenz „Creative Commons Attribution Share Alike“ (CC-BY-SA), die die Nutzung, Bearbeitung und Wiederbereitstellung der Daten explizit erlaubt, ist die Nutzung der Wikipedia für Forschungszwecke auch unter rechtlichem Aspekt unbedenklich. Entsprechend wird sie in den vergangenen Jahren nicht nur in der Linguistik und Sozialwissenschaft verstärkt beforscht, sondern auch vermehrt als Ressource in sprachtechnologischen Projekten genutzt.

Als Gastvortragende zum Thema waren Christian Stegbauer (Soziologie) und Alexander Mehler (Informatik/Texttechnologie) von der Universität Frankfurt eingeladen, die sich beide aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Modellierung sowie der qualitativen wie quantitativen Analyse von Wikipedia beschäftigen und die auch bereits zum Thema kooperiert haben (Stegbauer & Mehler 2011) und damit, passend zur Zusammensetzung des Netzwerks, ein hervorragendes Beispiel für die Integration unterschiedlicher Expertisen bei der empirischen Erforschung internetbasierter Kommunikation darstellen. Stegbauer präsentierte Befunde sozialer Netzwerkanalysen zur Kooperation sowie zur Funktion und Bedeutung sozialer Positionen in der Wikipedia. Mehler präsentierte Beispiele für die Nutzung von Wikipedias in unterschiedlichen Sprachen, die mit sprach- und texttechnologischen Verfahren linguistisch aufbereitet wurden, als Ressourcen für quantitative lexikalische Untersuchungen. Beide Beiträge boten interessante Anknüpfungspunkte für linguistische Untersuchungen zu kooperativen Schreibprozessen (Versionengeschichten von Artikelseiten) sowie zur Kommunikation über Schreibprozesse und über Textqualitäten (Diskussionsseiten); für diese Zwecke müssten, wie sich in der Diskussion zeigte, in Wikipedia-Korpora allerdings noch stärker auch die Diskussionsseiten (Namensraum „Talk/Diskussion“) mit ihren IBK-spezifischen Besonderheiten modelliert und für linguistische Analysezwecke aufbereitet werden.

Die beiden Gastvorträge wurden ergänzt durch zwei Beiträge aus dem Netzwerk zur Modellierung von Wikipedia-Daten: Torsten Zesch präsentierte Arbeiten am Darmstädter UKP Lab zur Annotation von Diskursstrukturen in Wikipedia-Diskussionsseiten. Michael Beißwenger, Maria Ermakova, Alexander Geyken, Lothar Lemnitzer und Angelika Storrer stellten in Anknüpfung an den TEI-Themenblock der Auftakttagung einen Entwurf für ein TEI-konformes Annotationsschema zur Repräsentation der strukturellen und sprachlichen Besonderheiten von Wikipedia-Diskussionsseiten vor. Über das Thema Wikipedia hinausgehend präsentierten Sebastian Bopp und Stephan Elspaß innovative Werkzeuge für die Bereinigung von IBK-Daten zu Zwecken linguistischer Analysen. Andrea Kienle, Torsten Holmer und Martin Wessner gaben einen Überblick über Möglichkeiten der Nutzung von Eye-Tracking-Verfahren für die Analyse synchroner internetbasierter Kommunikation und sammelten Vorschläge aus dem Netzwerk, welche Funktionen aus Sicht der empirischen IBK-Forschung eine (zu entwickelnde) Erhebungs- und Analyseumgebung für Eye-Tracking-Daten aufweisen sollte. Die Vorschläge flossen in Vorarbeiten zum DFG-Projekt Ebiss ein, das als Ergebnis der Kooperation im Netzwerk linguistische Befunde zur Sprachhandlungskoordination in synchroner Schriftkommunikation für die Eyetracking-basierte Weiterentwicklung von Kommunikationssystemen fruchtbar macht (Projektlaufzeit 2015-2017).

Tagungsprogramm