Kontakt: Eigene und fremde Texte 

Text 1: Vertrauen

Zum Thema Vertrauen 1/2021

Text 2: Hans Ruh, bei dem Helmut Kaiser seine Habilitation gemacht hat, ist am 27.9.2021 in seinem 88. Lebensjahr gestorben. 

Rezension Ruh, Hans: Anleitung zur Menschlichkeit, Zürich 2021. In der Zeitschrift für Evangelische Ethik 66 Jg. /Heft 3/Juli bis September 2022, S. 236-238,  habe ich eine Buchbesprechung von Hans Ruhs letztem Buch: Anleitung zur Menschlichkeit geschrieben. 

Text 3: Coronazeit 16.3.–7.4.2020: Dokumentation ethisch–philosophisch

Erhältlich auf Anfrage: helmut@kaiserspiez.ch 


oder:

kindle buch


 


Helmut Kaiser war im Sommer 2002 zum ersten Male mehrere Wochen im Gebiet der Lakotas. Wer etwas spenden will für:

LAKOTA WALDORF SCHOOL

Pine Ridge Indian Reservation, Three Mile Creek Road 

P.O. Box 527 Kyle, South Dakota 57752 USA


Lakota-Stiftung, 6000 Luzern, Tel: +41 (0)33 534 95 93, Spenden-Konto: 60-597406-2

http://www.lakotastiftung.ch



Zur Nachhaltigkeit Videolink

https://youtu.be/4o5B9HgTZuo



Text 4: Gedanken zum Putin-Krieg ab 24.2.22 bis. 10.4.22

 

Erster Text

Meine Gedanken zum Ukraine-Krieg am 25.2.22

 

Zweiter Text

Die Grundhaltung des Pazifismus 2.3.22 – Meine Zerrissenheiten ...

 

Dritter Text

Nochmals wiederholend und ergänzend: Pazifismus selbstkritisch-konstruktiv und das Miterleben eines Krieges in der Ferne am 12.3.22 ...

 

Vierter Text

Pazifismus vierter Teil oder das Verhältnis von militärischem Widerstand und Ergebung als Voraussetzung von Verhandlungen  ... am 29.3.22

 

Fünfter Text

«Zum ewigen Frieden» und der Stellenwert des VERTRAUENS  31.3.22

 

Sechster Text

Pazifismus nach Butscha am 7.4.22

 

Siebter Text

7 Fragen am Palmsonntag 10.4.22

 

Die folgenden Texte wurden auf facebook veröffentlicht und dokumentieren, wie ich einen Tag nach Beginn des Angriffskrieges von Putin gedacht habe. Ich brauchte Zeit, um Geschehenes zu überdenken und auch um die eigene Situation verstehen zu können. Es gab Diskussionen im Freundeskreis oder im DorfHus, dem Begegnungszentrum der Spiezer Agenda 21 in Spiez. Wir in der Schweiz sind eingebettet in eine hohe Normalität und der steigende Benzinpreis ist das einzige, über das wir uns beklagen können. Sonst alles bequem normal und die Aufregung über Aussagen von SVP-Politikern ist fast schon peinlich, weil zu einem demokratisches Luxusdiskurs gehörend. Genau diese bequemliche Normalität macht zu schaffen, auch wenn dies, ehrlich gesagt, oft auch existentiell inszeniert ist und in die Falle der Doppelmoral bereits öfters getappt wurde. Was hilft in dieser verrückten Zeit? Das ist ganz individuell: Spenden. Menschen aus der Ukraine aufnehmen. Benefizgottesdienste besuchen. Dichten und Beten. Diskutieren und schreiben. Ohnmacht und Zerrissenheiten zulassen. Den Alltag in allem mit seinen schönen Augenblicken geniessen. Spielen und ein gutes Essen. So kann es gelingen, dass das Böse und Grausame uns nicht völlig überwältigt, dass vielmehr die Hoffnung auf einen Frieden in allem bestehen bleibt. Das Wissen, dass in diesem Moment des Schreibens Menschen in der Ukraine sterben, verhindert, dass das Böse des Krieges zu einer Banalität wird und lässt sagen: Wir brauchen den Frieden sofort und überall.  


 

Erster Text

Meine Gedanken zum Ukraine-Krieg am 25.2.22 

Ich war mir sicher, dass Putin keine Invasion in diesem Ausmass machen würde. Das hat sich als völliger Irrtum herausgestellt. Es stellt sich für mich die Frage, warum bei mir dieser Irrtum entstanden ist. Habe ich Putin zugetraut, dass er die langfristigen Konsequenzen seines Handelns bedenkt? Habe ich seine genannten/mitgedachten Ziele (Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine. Prorussische Regierung einsetzen. Europäische Ordnung verändernd destabilisieren. Den «Westen» (?) zu spalten) als so skurril wahrgenommen, dass ich deren Ernsthaftigkeit für Putin nicht erkannte? War es mein lebensgeschichtlich bedingtes «Russlandverstehen», das einen solchen Irrtum entstehen liess? Es muss erkannt werden, dass Putin kein demokratisches System neben sich duldet, welches eine systemische Gefahr für sein autokratisches System und für sich selbst werden könnte.

 

Krieg ist immer barbarisch. Der Angriffskrieg von Putin verletzt das Völkerrecht und sämtliche Verträge (Schlussakte von Helsinki 1975: Unverletzbarkeit der Grenzen Europas. Budapester Memorandum, mit dem auch Russland 1994 der Ukraine zusicherte, auf Gewalt zu verzichten, woraufhin die Ukraine ihre Nuklearwaffen abgab. Minsk), die die russische Regierungen unterschrieben haben. Meine Grundhaltung ist pazifistisch. Die Einhaltung des Völkerrechts ist die Voraussetzung für den Frieden, wobei angemerkt werden muss, dass auch die NATO/USA dieses in den letzten Jahren immer wieder – auch mit Lügen ­– verletzt haben. Putin könnte dies als Argument für sein Handeln brauchen. Bei dieser Frage bietet die pazifistische Grundhaltung eine solide ethische Grundhaltung und begegnet auch der Gefahr eines whataboutism.

 

Die lange Vorgeschichte der Konflikts (Osterweiterung NATO etc. ...) rechtfertigt niemals diesen Angriffskrieg. In dieser Sache gibt es Lügen, Mythen, Verdrehungen und auch Wahrheiten. Wenn ich mich als «Russlandversteher» bezeichne, dann besteht bei mir niemals die Gefahr, dass ich damit den Angriffskrieg von Putin rechtfertige. Dieser Krieg ist und bleibt barbarisch und meine Grundhaltung ist pazifistisch. Die Vorgeschichte muss jedoch dazu führen, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu entwerfen, die allen Sicherheitsinteressen gerecht wird. Langfristig denke ich, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit ohne extreme Abhängigkeiten den Frieden sichert. Die aktuellen Boykotte können/dürfen nur den Boden für Verhandlungen vorbereiten. Russland ökonomisch zu zerstören darf kein grundsätzliches Ziel sein, vielmehr muss ein Weg in die Zukunft Russlands mit Wohlfahrt in einem gemeinsamen Europa gestaltet werden. Nach dem Ersten Weltkrieg wollte man Deutschland ökonomisch wie politisch klein machen ...

 

Putin ist für mich kein Irrer oder Wahnsinniger oder paranoid. Auch psychologische Erklärungen wie «kleiner Napoleon» (Macho mit breiter Brust ohne Hemd auf dem Pferd oder beim Fischen) sind ungeeignet, um das Handeln von Putin zu erklären. Putin ist vielmehr ein Geheimdienstmann, ein gewiefter Taktiker mit Lügen- und Geschichtskonstruktionen. Er ist ein machtvoller Autokrat, der bestehende Rahmenbedingungen (schwache NATO: hirntot sagte E. Macron auch mit Blick auf Trump; Probleme in der EU; Flüchtlingskrise; Trump, der internationale Organisationen geschwächt hat) geschickt nutzt, um seine Ziele mit den Mittel des Krieges zu erreichen. Für Putin war die richtige Zeit gekommen, sozusagen der Chairos. Deshalb bewundert D. Trump ihn. Dabei nimmt Putin keine Rücksichten, weder auf die eigene Bevölkerung, noch auf die der Ukraine, noch auf Verträge. Kalkuliert er sogar eine Apokalypse ein: Entweder gewinne ich oder alles wird zerstört?

 

Weil Putin ohne Rücksichten seine Ziele verfolgt, traue ich ihm zu, taktische Atomwaffen einzusetzen. Übrigens kennt auch die NATO/USA theoretisch einen solchen Einsatz und es kann die Gefahr bestehen, dass Europa zum Feld eines solchen Einsatzes werden kann. Diese Möglichkeit einer atomaren Eskalation wird aktuell diskutiert. Es wird mit der Situation gerechnet, dass Putin in einer Situation der Bedrohung/Ausweglosigkeit zu diesem Mittel greifen könnte. Deshalb muss sofort eine Deeskalation durch Verhandlungen in Gang gesetzt werden. Die Chancen dazu stehen makabrerweise (dann) gut, wenn Putin in seinem «Blitzkrieg» seine Ukraine-Ziele erreicht hat. Muss ich mit meiner Grundhaltung nun dem Satz «Der Krieg ist der Vater aller Dinge» (Heraklit) Recht geben? Nein und nie trotz oder wegen Putin!

 

Dieser Angriffskrieg stellt also meine pazifistische Grundhaltung auf die Probe, kann diese aber nicht aufheben. Im Wut bestimmten Innersten fordere ich sogar einen Tyrannenmord oder einen gezielten Militärschlag auf Putin. Doch dann denke ich sofort pazifistisch-rational «nur» an Boykottmassnahmen/Sanktionen und im Blick auf die Schweiz: Wenn die Neutralität der CH dazu führt, dass griffige und wirksame Massnahmen nicht unterstützt werden, zudem die CH-Waffenlieferungen bekannt sind, dann ist dies für mich aktuell eine beschämende und strategische Unmöglichkeit. Zu Swift hat Putin gesagt, dass dies eine Kriegserklärung sei und ich habe nun echt Angst, dass Putin strategische Atomwaffen einsetzen könnte. In allem bin ich überzeugt, dass Putin kurzfristig seine Machtziele umsetzen kann, jedoch zugleich das Ende seiner Regierung gestartet hat, die auf Macht, Gewalt, Krieg, Lügen oder Auftragsmorde aufbaut. Ein attraktives Russland kann er damit nicht gestalten. Die Menschen in Russland werden dies wohl ­– hoffentlich in Kürze – einfordern. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich Putin auch militärisch verkalkuliert hat, genau dann, wenn der militärisch-zivile Widerstand in der Ukraine trotz der waffenmässigen Unterlegenheit so gross wird, dass die Verluste dann von Putin nicht mehr gerechtfertigt werden können. Dazu kommt eine zunehmende Isolierung von Putin durch eine NATO, die immer vereinter und stärker wird, genau das, was Putin verhindern wollte. Der von Putin beabsichtigte politische Enthauptungsschlag (neue prorussische Regierung in Kiew) ist noch lange keine militärische Besetzung der ganzen Ukraine und kann mit dem wachsenden Widerstand zu einer Überforderung der russischen Armee führen.

 

Mit Befürchtungen und Hoffnungen, mit Wut und Empörung und mit Solidarität und Anteilnahme verfolge ich in grosser Sicherheit/Bequemlichkeit die aktuelle Situation und denke gerade auch an die leidvoll betroffenen Menschen in der Ukraine. Und was erfahren die Menschen in Russland? Die Soldaten und Soldatinnen auf beiden Seiten, die im Krieg sind und einen Auftrag erfüllen, der ihnen in ihrem Menschsein völlig widerspricht, weil alle in Frieden leben wollen. Meine Szenarien: (1) Die Ukraine und Russland einigen sich auf eine neue prorussische Regierung und der Krieg wird auf Kosten der Unabhängigkeit/des Völkerrechts schnell ohne weitere Opfer beendet. Es entsteht eine völlig neue Ordnung in Europa aufgrund eines Angriffskrieges, bei dem die NATO mehr oder weniger Zuschauer war bzw. sein musste. (2) Es gibt einen heftigen und langen Widerstand, der viele Menschenleben kostet. Der Ausgang dieses Szenarios ist völlig offen und ungewiss: Es kann zu einer verheerenden Niederlage führen oder auch zu Verhandlungen mit Kompromissen. (3) Welches Szenario würde ich wählen, wenn ich Bürger*in der Ukraine wäre. Oder gibt es noch einen dritten Weg?  Es bleibt die Hoffnung und der Wunsch nach Frieden, der unteilbar ist, also für die Menschen in der Ukraine wie in Russland gilt.

 

 

 

Zweiter Text

Die Grundhaltung des Pazifismus 2.3.22 – Meine Zerrissenheiten ...

Am 25.2.22 habe ich Gedanken zum Ukraine-Krieg formuliert, dabei meine Grundhaltung des Pazifismus deklariert und auch ein Szenario dargestellt in dem Sinne, dass die Ukraine keinen militärischen Widerstand leistet, vielmehr sich auf eine prorussische Regierung einigt. Jetzt befürchte ich Schlimmes und meine Frage bringt mich durcheinander: Kann, darf und muss Pazifismus bedeuten, sich temporär einem Unrechtssystem unterzuordnen, um Menschenleben zu retten? In Frankreich ist dies ja in der Zeit des II Weltkrieges geschehen, wo sich dann die Resistance entwickelt hat. Warum haben die USA Selenskyj angeboten, ihn aus der Ukraine wegzuholen? Hatten die USA eventuell eine andere Strategie?  Ist Patriotismus und heroisches Verhalten in einer Situation der militärischen Unterlegenheit eine sinnvolle Strategie? Eine Opferhaltung mag auf den ersten Blick heroisch sein, aber wird bedeuten: Tausende von Familien verlieren den Ehemann oder den Vater. Die Städte und Infrastrukturen sind kaputt und einen Wiederaufbau kann sich das völlig marode Russland nicht leisten. Es gibt keinen russischen Marshallplan. Wenn heute Abend die Kirchenglocken geläutet haben und die Lichter gelöscht wurden, um Putin zu zeigen, dass wir nicht auf seine Energie angewiesen sind, dann stirbt in diesem Moment ein ukrainischer und ein russischer Soldat, der eventuell immer noch meint, sich in einem Manöver zu befinden. Das Licht geht bei uns in der CH problemlos wieder an und ich befinde mich in einer Situation grösster innerer Zerrissenheit.

Immer noch hoffe ich, dass eventuell die 60 km lange Schlange von Militär-Fahrzeugen nördlich von Kiew dazu führen könnte, eine Entwicklung einzuleiten, welches dem obigen Szenario entspricht. Dieses wird wohl aktuell politisch keine Akzeptanz erhalten. Vielmehr werden gewaltige Aufrüstungspläne vorgestellt. Doch was ist die Alternative? Für mich gilt: Pazifismus kann sich den Satz zur Handlungs­anweisung machen: «Seid klug wie die Schlangen ... (Mt 10,16)» Jetzt heisst es klug zu sein wie die Schlangen. Was könnte dazu gehören: Die militärische Widerstandskraft der Ukraine realistisch einschätzen und die akute militärische Übermacht von Putin zu akzeptieren im Wissen darum, dass die Zeit von Putin ihre Grenzen hat und er selbst sein System der barbarischen Gewalt mit Beginn des Krieges erodieren lässt. Patriotismus und Heroismus führen zu vielen Toten ohne dass die Ziele von Putin verhindert werden ­– eher werden diese noch verstärkt. Bei diesem Punkt müssten Militärfachleute der USA/NATO klare und sachliche Aussagen machen können zu den folgenden Fragen: Ist der Aufruf, mit einem Molotowcocktail einen Panzer bekämpfen zu wollen, nur eine Dokumentation des Widerstands­willen oder militärisch sinnvoll/wirkungslos? Kann das ukrainische Militär und der Widerstand der Bevölkerung die russische Armee daran hindern, einen Regierungswechsel herbeizuführen und mit wie vielen Toten muss gerechnet werden?

Die Sanktionen halte ich zeitlich beschränkt für wichtig, doch langfristig schadet ein schwaches Russland nicht nur den Menschen in Russland, es ist auch eine Gefahr für den Frieden in Europa. Und: Die geplante Aufrüstung der «westlichen» Länder entzieht viele Mittel der sozialen und gerechten Gestaltung dieser Länder und führt zu Destabilisierungen, genau das, was Putin will. Wenn in der CH nun dem Kauf von neuen Kampfflugzeugen F-35 von bestimmten Parteien eine prinzipielle und absolute Notwendigkeit eingeräumt wird, so zeigt der Ukrainekrieg für mich Folgendes:  Nur in der Kooperation liegt die Chance, Kriege zu verhindern und Frieden zu schaffen. Die NATO ist deshalb erstarkt, weil sie geeinigt auftritt. Was die Schweiz braucht sind nicht – bloss (?) –  neue Kampfflugzeuge, vielmehr eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Staaten in Europa. Sicherheitspolitik muss gemeinsam erfolgen und die Grenzen der Nationen – konkret die Grenzen der CH – übersteigen und zu meiner Vision gehört, dass es ein gemeinsames Europa geben wird, zu dem auch einmal Russland gehören wird.

Diese meine Gedanken können dahingehend kritisiert werden, dass sie die neue Weltordnung nicht anerkennen, bei dem der Krieg wieder zu einem Mittel der Interessendurchsetzung geworden ist. Es zeichnet den Pazifismus aus, dass er Zumutungen macht und folgende Aussagen z.B. scharf zurückweist: «Den kalten Krieg gewann Ronald Reagan, indem er aufrüstete, nicht Willy Brandt, indem er Verträge schloss. Die Zeit der Realisten ist angebrochen» (Markus Somm, Chefredaktor Nebelspalter CH, Sonntagszeitung 27.2.22, S. 20). Dagegen: Es ist der Pazifismus, der diesen «neuen» Realismus der Aufrüstung radikal überwinden will. Dass dies gelingt, das hoffe ich, dafür setze ich mich ein. Das ist mein Realismus ...

 

 

 

Dritter Text

Nochmals wiederholend und ergänzend: Pazifismus selbstkritisch-konstruktiv und das Miterleben eines Krieges in der Ferne am 12.3.22 ...

Der Angriffskrieg von Putin ist eine zerstörerische Rücksichtslosigkeit und lässt sich durch nichts rechtfertigen. Der Pazifismus stellt Fragen: Warum haben die USA Selenski angeboten, ihn aus der Ukraine zu evakuieren und ein Schattenkabinett zu etablieren? Hatten die USA eventuell die Strategie des Pazifismus? Ist Patriotismus und heroisches Verhalten in einer Situation der grassen militärischen Unterlegenheit und der rücksichtslosen Entschlossenheit von Putin eine sinnvolle Strategie? Eine Opferhaltung mag auf den ersten Blick heldenhaft sein, aber wird bedeuten: Tausende von Familien verlieren den Ehemann oder den Vater. Die Städte und Infrastrukturen sind kaputt und einen Wiederaufbau kann sich das völlig marode Russland nicht leisten. Es gibt keinen russischen Marshallplan.

Pazifismus kann bedeuten, sich temporär einem Unrechtssystem unterzuordnen, um Menschen und das Land zu retten. In Frankreich ist dies ja in der Zeit des II Weltkrieges geschehen, wo sich dann die Resistance entwickelt hat. Die pazifistische Grundhaltung verlangt die konsequente Anwendung von harten Sanktionen gegenüber Russland mit dem Hinweis jedoch, dass langfristig ein schwaches Russland nicht nur den Menschen in Russland schadet, es ist auch eine Gefahr für den Frieden in Europa. Und: Die geplante Aufrüstung der «westlichen» Länder entzieht viele Mittel der sozialen und gerechten und ökologischen Gestaltung dieser Länder und führt zu Destabilisierungen. Genau das will Putin, um sein diktatorisch-autokratisches Gewalt-System erhalten zu können.

 

Die Einrichtung von humanitären Korridoren ist human für die Betroffenen, die so ihr Leben retten können, führt jedoch zu enormen Flüchtlingsströmen mit grossen Belastungen der Länder wie Polen und zu einem gewaltigen Bevölkerungsverlust in der Ukraine. Die Ukraine verliert ihre Grundlage, die Menschen. Die Ukraine wird so für Putin beherrschbarer. Das Aushandeln von humanitären Korridoren – die Delegationen gaben sich die Hand – kann jedoch auch der Beginn von weitergehenden Verhandlungen sein. Europa kann die geflüchteten Menschen aufnehmen und das von A. Merkel formulierte Diktum «Wir schaffen das» (31.8.2015) wird aktuell akzeptiert und scheint realisierbar zu sein. Persönlich erfüllt mich diese Solidarität mit grosser und tiefer Genugtuung. Sofort denke ich dazu: Voraussetzung dafür ist eine gesamteuropäisch durchorganisierte Migrationspolitik der umfassenden Solidarität mit enormen Kosten. Es muss aufgepasst werden, dass es Putin nicht gelingt, durch die Migration eine Destabilisierung der EU-Länder und deren Demokratien zu erreichen, indem nach einer gewissen Zeit rechtspopulistische Regierungen entstehen und in unseren Gesellschaften grosse Friktionen entstehen. Zudem muss kritisch darüber nachgedacht werden, wenn Zeitungen wie die NZZ nun von «echten» Flüchtlingen schreiben. Die Solidarität scheint abhängig zu werden von Land und Entfernung und Hautfarbe. Für die Ethik ist Solidarität universal. Verlangt diese Migration einen europäischen «Bundesstaat»? Ein solcher ist durch den Ukrainekrieg partiell und faktisch entstanden, wurden doch die Normen der Sanktionen von allen Ländern übernommen. Unheimlich: Dank Putin wurde die NATO und Europa vereint(er). Und die CH wurde willentlich – nach einem gewissen Druck von aussen – ein Teil davon. Festzustellen ist auch, dass das Ziel der Selbstverteidigung der Schweiz durch den Ukrainekrieg nun – leider, weil der Krieg Menschenleben fordert – ein-für-allemal als Mythos bzw. als helvetische Lebenslüge aufgewiesen wurde.

 

Für die pazifistische Strategie ist es noch nicht zu spät, welche verhindert, noch tiefer in die Falle von Putin zu tappen, nämlich die demokratischen Staaten zu destabilisieren. Der Pazifismus verbietet darüber spekulieren, wie Putin eliminiert werden kann. Vielmehr muss es darum gehen, in all dieser grausamen Unmöglichkeit Vertrauen aufzubauen, Putin einen Weg aufzuzeigen, in dem er das Gesicht wahren kann, also einen «Off-ramp»-Weg zu entwickeln. Beginnen sollte man mit «leichten» Fragen (Schutz der Atomanlagen; humanitäre Korridore; Schutz von kulturell wichtigen Gebäuden), wie es der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, formuliert hat. Der Pazifismus liefert keine Munition, jedoch Bausteine für einen Weg aus dem Krieg. Die Idee der beiden Klitschkos, den Papst, die orthodoxen Kirchenoberen, den Dalai Lama ... nach Kiew einzuladen, könnte ein solcher Baustein darstellen. Der Pazifismus will keine «Zeitenwende» der Aufrüstung, eine Zeit, in welcher der Krieg das Völkerrecht ersetzt.

https://www.nzz.ch/international/putin-eliminieren-spitzendiplomat-warnt-vor-westlichen-drohungen-ld.1673016?mktcid=smch&mktcval=fbpost_2022-03-07&fbclid=IwAR1lcAJDoJKYVLR8MuwYsxB7HcU8iQfHO234sInBMfQAPl8xNrsJW2BCbAY

 

Die Denkweise von Putin darf sich nicht durchsetzen. Diese besteht wohl besteht, dass die Welt unter die Grossmächte (Atommächte) aufgeteilt wird und die anderen Länder bloss eine Peripherie zu diesen darstellen. Dieses Denken in einem Vasallenkonstrukt hat unsereins als mittelalterlich und überholt beurteilt, doch dieses scheint Putin geopolitisches Denken zu bestimmen. Zudem hält Putin den «Westen» für total dekadent und bezeichnet Europa als «Gayropa» (Carmen Scheide in: DER BUND 3.12.22, S. 2). Für die Durchsetzung seines Weltbildes setzt er sich mit den Mitteln des Krieges ein. Mit meiner Position des Pazifismus, die ich nicht aufgeben kann, lehne ich das Weltbild von Putin radikal ab und muss zugleich bestimmte Narrative scharf überdenken, dekonstruieren: Inwiefern ist die Nato-Osterweiterung eine geopolitische Ursünde? Steckt dahinter nur ein linker Antiamerikanismus, welcher für einen ehemaligen Kritiker des Vietnamkrieges implizit da ist. Ist der Pazifismus ein dogmatischer Glaubenssatz, welcher verkennt, dass es den Krieg als Mittel der Politik temporär braucht. Was kann der Pazifismus zur Aufrüstung sagen? Gibt es einen Unterschied zwischen Aufrüstung und Ausrüstung? Heisst Pazifismus, die gegenwärtige Situation nüchtern und sachgerecht (Sozialethiker A. Rich) zu betrachten und einen Verteidigungskrieg (Widerstand) zu rechtfertigen? Heisst Pazifismus, eine Strategie der Deeskalierung zu entwerfen, wozu scharfe Sanktionen gehören? Gehört zum Pazifismus eine schlauer Geheimdienst, der auch verhindert, dass die Diskussion über den Einsatz der polnischen MIGs öffentlich ausgetragen wird? Was sagt der Pazifismus über ökonomische Kooperationen als Grundlage für den Frieden? Wie müssen solche ausgestaltet werden, um keine asymmetrischen Abhängigkeiten, sondern allein faire Kooperation zu erzeugen? Fordert der Pazifismus, dass nur ein ökonomisch und wohlfahrtsmässig gesundes Russland einen Beitrag zum Frieden leisten kann?

 

Ist Putin an sich unberechenbar oder ist es eine kalkulierte Unberechenbarkeit? Es gehört zur Unberechenbarkeit von Putin, dass auch diese Frage nicht beantwortet werden kann und weitere Unsicherheit erzeugt. Das macht enorm unsicher und erzeugt Ängste und stellt Fragen: Wie reagiert Putin, wenn er in die Ecke gedrängt wird, wenn er schwach gemacht oder gedemütigt wird, wenn er sich in einer Situation der Ausweglosigkeit befindet? Befreit es sich mit einem Nuklearschlag aus dieser Situation. Gibt es in einem schwachen Russland mit einem schwachen Putin Machtkämpfe in Bezug auf die Atomsprengköpfe.

Fragen, innere Zerrissenheiten. Das Gefühl, dass alle Optionen Elend erzeugen. Ohnmacht, von der sicheren Ferne bequem einen Krieg zu beobachten zu können. Tiefe Widersprüche zwischen den eigenen Grundhaltungen und der Realität. Ferien planen, während andere fliehen müssen. Diskussionen führen über Russlandverstehen. Muss ich meine pazifistische Grundhaltung durch den Ukrainekrieg aufgeben? Ich habe Angst davor.

Dieses Miterleben eines Krieges, der Tod von Menschen mit Namen und Lebensgeschichten auf beiden Seiten und Zerstörung lässt sich fast nicht beschreiben, macht verzweifelt sprachlos, lässt verdrängen – muss aber doch in Worte gefasst werden. Was ist dabei wahr, wenn es Wahrheit überhaupt gibt. Wahr ist, dass der Angriffskrieg von Putin Leben zerstört. Deshalb braucht es den Frieden.

 

https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/herfried-muenkler-die-welt-steht-vor-einer-zeitenwende?id=12156096

Tagesgespräch 9.3.22 Radio DRS 1 ab 13:00 mit Herfried Münkler. Gehört zu den profiliertesten Politikwissenschaftlern Europas. Er sagt, die Welt stehe vor einer Zeitenwende. Persönlich denke ich, dass dieser Begriff der Zeitenwende sehr sorgfältig überdacht werden muss, wie auch andere Begriffe wie «Ende der Geschichte» etc. Gibt es eine Zeitenwende der Aufrüstung oder eine Zeitenwende zum Frieden? Aus dem Angriffskrieg von Putin erfolgt nicht automatisch wie der Donner nach dem Blitz die Aufrüstung.

 

 

Vierter Text

Pazifismus vierter Teil oder das Verhältnis von militärischem Widerstand und Ergebung als Voraussetzung von Verhandlungen  ... am 29.3.22

Am 25.2.22, also einen Tag nach dem Angriff von Putin auf die Ukraine, habe ich erste Gedanken zu diesem Krieg-Putins auf facebook veröffentlicht. Diese Gedanken habe ich am 2.3. und 12.3. weitergeführt und dann geschrieben: «Fragen, innere Zerrissenheiten. Das Gefühl, dass alle Optionen Elend erzeugen. Ohnmacht, von der sicheren Ferne bequem einen Krieg zu beobachten zu können. Tiefe Widersprüche zwischen den eigenen Grundhaltungen und der Realität. Ferien planen, während andere fliehen müssen. Diskussionen führen über Russlandverstehen. Muss ich meine pazifistische Grundhaltung durch den Ukrainekrieg aufgeben? Ich habe Angst davor.»

Diese so formulierte Angst liess mich nicht in Ruhe. Ich habe in meine Lebensgeschichte geschaut, den Pazifismus durchgedacht und habe mich zu den folgenden Gedanken durchgerungen, wohlwissend, aber selbst nicht erfahrend, dass der Ukrainekrieg Leben in einem umfassenden Ausmass zerstört. Der Krieg ist niemals der Vater aller Dinge, vielmehr lebenswidrig und gemeinschaftszerstörend.

Wer einen Vater hatte, der den Stellungskrieg an der finnisch-russischen Grenzen vor Murmansk überlebt hat, der «dank» eines Lungenschusses bei Colmar gegen Ende des Krieges den Kriege schwerverwundet wieder nach Hause kam, der nimmt kein Gewehr in die Hand. Ich durfte als junger Bub den Granatsplitter im Rücken des Vaters spüren, der schön eingewachsen war. Ja, das klingt nach einer traumatischen Erfahrung. Aber das war es nicht, vielmehr gab dieses Spüren des Granatsplitters dem Vater die Gelegenheit, mir und uns seine Kriegserfahrungen zu berichten. Jetzt muss ich erkennen, dass Millionen von Menschen traumatisiert werden und das mindestens über eine Generation. Solche Erfahrungen haben sicher auch dazu geführt, dass ich mich ethisch dem Pazifismus zuwandte, den ich existenziell in mir trug.

Aktuell beschäftige ich mich wieder mit D. Bonhoeffer, ohne den ich nicht Theologie studiert hätte. D. Bonhoeffers Weg im 2. Weltkrieg wird oftmals folgendermassen zusammengefasst: Vom Pazifismus zum Widerstand. (s. dazu Huber, Wolfgang: Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Portrait, München 2019, S. 129 ff.) Mit dieser Formel wird zugleich gesagt, dass D. Bonhoeffer den Pazifismus mit seiner Gewaltlosigkeit aufgegeben habe. Auch wenn W. Huber dies für D. Bonhoeffer widerlegt, so frage ich mich persönlich in der aktuellen Situation, ob der Pazifismus (pax: Frieden; facere: machen) nicht bedeutet: Frieden machen durch enorme Waffenlieferungen an die Ukraine. Frieden machen durch Heroismus und totalen Einsatz des Lebens. Früher hiess es: «Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg.» (si vis pacem, para bellum). Der Pazifismus sagt: «Wenn du keinen Krieg willst, dann sorge für den Frieden.» (si non vis bellum, para pacem)

Gestern wurde ich im DorfHus – Ort der Begegnung CH-3700 Spiez – konkret gefragt, was ich denn denke jetzt und beim gemütlichen Kaffee war meine Antwort: Putin darf nicht gewinnen, aber er darf auf keinen Fall verlieren. Er darf deshalb nicht verlieren, weil ihm zugetraut werden muss, dass wenn er in die Enge getrieben, er Massen­vernichtungswaffen (chemisch, biologisch, atomar) einsetzen wird. Deshalb darf sich die Nato nicht in den Krieg hineinziehen lassen und die Waffenlieferungen der Nato müssen die Balance vom «Nicht gewinnen  ­– nicht verlieren» herstellen. Eine ver-rückte Sache. Politisch könnte «weder gewinnen noch verlieren» eine Teilkapitulation – ist auch eine Teilung der Ukraine – von Donbass und der Hafenstadt Mariupol bedeuten und mit diesem «Angebot/Anreiz» könnte getestet werden, ob Verhandlungen mit Putin möglich sind. Eine solche Teilkapitulation widerspricht natürlich dem Satz  «Wir werden bis zum Ende kämpfen». Doch genau hier sollte der Sozialpsychologe Harald Welzer aufgenommen werden, der darauf hinwies, dass durch den Ukrainekrieg längst überholt geglaubte und lebensfeindliche Ansichten wieder relevant werden. Welzer warnt vor einer «Ästhetik und Rhetorik des Krieges", die sich breit macht.

https://www.stern.de/plus/gesellschaft/ukraine-krieg---harald-welzer---nirgends-hoert-man--moment-mal---31701534.html?fbclid=IwAR3EIiv_Ju5GhGbX5lEKTnjVMK52FhP_mjtTxxLAabEARlV7VK-rz4LKC9w

 

Im DH-Gespräch wurde auch kritisch hingewiesen, dass der Krieg in der Ukraine – von Selenskyj medial umfassend und wirksam gestaltet –  in jedem Augenblick Menschenleben kostet und dass Selenskyj selbst ja nicht an der Front ist. Aus einem sicheren Bunker ist es einfach, Durchhalteaufrufe zu formulieren, während die Soldaten an der Front in jedem Augenblick damit rechnen müssen, dass sie sterben. Und die geflüchteten Frauen, nun an einem sicheren Ort, bangen um den Mann und Vater. Mein Vater sagte: Wenn die «Oberen» an die Front müssten, dann gäbe es keinen Krieg. Doch diese vertreten ja übergeordnete Interessen und der/die Soldat*in muss sich diesen unterordnen und sich opfern. Muss er/sie das wirklich? Sicherlich werde ich niemandem sagen dürfen, ob er kämpfen soll, darf oder nicht. Das ist auch für D. Bonhoeffer ein Gewissensentscheid (Huber, W.: S. 151). Es herrscht in der Ukraine ganz sicher keine Kriegsbegeisterung. Aber es ist und bleibt die Aufgabe des Pazifismus, den Krieg radikal zu verachten und zu ächten.

In den sozialen Medien gab es eine harte und giftige Diskussion über den Satz des Philosophen Richard Precht: «Natürlich hat die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung, aber auch die Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss.» Dazu habe ich auf facebook am 23.3.22 geschrieben: «Die einen sind zustimmend, die anderen sind wütend, dritte reagieren mit einem wow. Ich habe bei diesem Satz von R. Precht den folgenden Gedanken von Reinhold Niebuhr (1943) assoziiert: ‘Gott, schenke mir Gelassenheit, das hinzunehmen, was ich nicht ändern kann. Mut, das zu ändern, was ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.’ Bei Precht wird von Klugheit gesprochen, bei Niebuhr von Weisheit. Dies sind Grundhaltungen des Pazifismus, der  –  ich weiss es – zur Zeit keine Rolle spielt. Trotzdem: In all dem muss/darf aber gefordert werden, auch an die Klugheit und Weisheit zu denken. Nur Klugheit und Weisheit schaffen Frieden, Abwehrraketen, Panzerfäuste, Bomben und Superraketen führen zur Zerstörung.»

Also: Bedeutet Pazifismus auch einen Weg, bei dem bei einem Angriffskrieg mit einer militärischen Selbstverteidigung reagiert wird, bei der Folgen mit einer hohen Ungewissheit «fest» einkalkuliert werden: hohe Verluste an Menschenleben, Zerstörung von Städten? Als konsequenter Pazifist, der auf den Einsatz von lebenszerstörenden Massnahmen verzichtet, ist dies eine unheimlich schreckliche Fragestellung, weil ja gesagt werden muss, ab wann man sich ergeben muss und will. Im Nachhinein kann ich auch nicht mehr sagen, wie der pazifistische Weg (Kapitulation; Krim und Donbass abgeben; neutrale Ukraine, ziviler Widerstand) gewesen wäre. Mit D. Bonhoeffer kann von einer vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit gesprochen werden, wobei es bei Ausnahmesituationen (Verletzung Recht) erlaubt ist, zur Waffe zu greifen. So bewegt sich D. Bonhoeffer zwischen einem Militarismus und einem doktrinären Pazifismus, der in einer konkreten Situation gefährlich naiv wird (Huber, W.: S. 151). Und eines ist klar: Putin kann niemals das Konzept des gerechten Krieges in Anspruch nehmen, auch wenn er dies mit «Entnazifizierung» und «Entmilitarisierung» der Ukraine sowie über die Vorgeschichte (Osterweiterung NATO) mit Lügen zu konstruieren versucht. Persönlich lehne ich die Lehre des gerechten grundsätzlich Krieges ab, weil im Pazifismus das Völkerrecht, Gewaltfreiheit und Verhandlungen die Basis darstellen.

Heute stellt sich für mich die konkret politische Frage: Wie, wann und inwieweit sollte/müsste/könnte sich der Staat Ukraine ergeben?

Persönlich bin ich zusammengezuckt, als ich meine tiefe innere Zufriedenheit spürte bei Nachrichten wie: Geländegewinne der ukrainischen Armee, russische Panzer zerstört, hohe Zahl der getöteten russischen Soldaten ... war das das Ende des/meines Pazifismus, meiner Humanität, die auch auf der Ehrfurcht vor allem Leben (Albert Schweitzer) basiert? Habe ich den Pazifismus als Gewaltlosigkeit aufgegeben? Nein: Ich verabscheue den Krieg. Mehr Helden bedeuten mehr Tote. Das Lob für die Helden ist tödlich und tote Helden*innen fehlen den Familien. Darf ich als Pazifist hoffen, dass die Ukraine ihren Verteidigungskrieg gewinnt? Muss ich als Pazifist hoffen, dass Putin möglichst schnell seine neu definierten Ziele (Donbass, Krim, Mariupol) erreicht. Muss ich auf ein Patt hoffen, das noch Tausende an Menschenleben kosten wird? Eine solche Kosten-Nutzen-Kalkulation ist eine ethische Unmöglichkeit. Bin ich wütend, weil ich überzeugt war, dass es eine andere Lösung des Konflikt hätte geben können? Ich war überzeugt, dass es Alternativen zum Krieg gab und der Pazifismus überwindet jegliche Alternativlosigkeit. Wird durch diese Wut mein Verhältnis zu den geflüchteten Menschen beeinträchtigt? Nein, sagen mein ethischer Verstand und mein Herz! Hilfe ist bedingungslos und gilt für alle! Aber meine Wut ist immer noch vorhanden. Es war auch A. Schweitzer, der von Situationen der inneren Zerrissenheit spricht. Jeder und jede, welche den Pazifismus als ethische Grundlage hat, befindet sich jetzt in dieser Situation. Diese schmerzhafte Zerrissenheit bedeutet aktuell für mich, dass ich diese nicht verdrängen kann, diese vielmehr überdenken muss. Gehört dazu die temporäre Infragestellung eines prinzipiellen Pazifismus, der auf jegliche Gewaltanwendung verzichtet? Diese Fragestellung ist mir zutiefst zuwider, aber ich darf diese nicht als irrelevant abwehren. Weil ich besonders über D. Bonhoeffer zum Theologiestudium gekommen bin, also in der Tradition der Bekennenden Kirche (Barmer Erklärung 1934) stehe, erfahre ich, wie der Pazifismus durch den Ukrainekrieg mit der Realität zusammenstösst. Zur Zeit bin ich ohne Gewissheiten, stehe in Widersprüchen und Zerrissenheiten, zucke zufrieden zusammen bei den Erfolgen der ukrainischen Arme, denke an die Toten auf beiden Seiten und bin in allem überzeugt von der vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit. In einem DorfHus-Gespräch wurde gesagt: «Man müsste Putin mal richtig umarmen.» Gesagt aus einem ganz «säkularen» Mund – doch genau dies ist der Sinn der Bergpredigt, von Max Weber als Gesinnungsethik verspottet, doch als Vision, nicht als Utopie, immer und ewig gültig. Der Ukrainekrieg brachte mich in ein pazifistisches Zweifeln, doch die Gewaltfreiheit ist und bleibt vorrangig. Die vielen Toten auf beiden Seiten fordern dies.

So hoffe ich in diesem Augenblick, dass die aktuellen Verhandlungen zu einem Waffenstillstand führen mit dem Ergebnis: Abtretung des Ostteils der Ukraine. Kiew bleibt verschont. Neutralität der gesamten Ukraine. Sicherheitsgarantien für die Ukraine wie für Russland.

 

 


Ergänzend zu R. Niebuhr

[In einem «Briefwechsel» habe ich einen Aufsatz über R. Niebuhr aufgenommen, den ich oben zitiert habe.]

Am 08.05.2022 um 11:18 schrieb Helmut Kaiser:

Helmut Kaiser

Sodmattweg 19

CH-3700 Spiez

079 410 440 7

helmut@kaiserspiez.ch

 

 

Guten Tag Herr Hofheinz

 

Gerade habe ich ihren Artikel ZEE 2/21 (S. 87-101) über das Gelassenheitsgebet von R. Niebuhr gelesen und möchte ihnen die folgenden Gedanken schreiben:

 

Immer wieder habe ich in meiner fast 25jährigen pfarramtlichen Arbeit und universitären Tätigkeit als Sozial- und Wirtschaftsethiker in Zürich R. Niebuhr aufgenommen – aber ihn nie so richtig reflektiert .... So danke ich ihnen vielmals für ihre Studie. Die Kohärenz der drei Tugenden im Spannungsfeld von Liebe und Gerechtigkeit fand ich besonders hilfreich, zu dem dann der folgende Spitzensatz gehört (S. 100): «Der Mut ist primär der Liebe und die Weisheit der Gerechtigkeit zugeordnet, wobei zu berücksichtigen ist, dass Liebe und Gerechtigkeit in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen und sich nicht ausschließen.» Dabei wohl wissend, wie unscharf die Begriff «zugeordnet», «dialektisch» und «sich nicht ausschliessen» sein können und welche wissenschaftstheoretischen Probleme diese in sich tragen. Als Grundlage der Diskussion über das Gebet ist dieser Satz wirklich wertvoll. DANKE!

Weiterdenken will ich jedoch im Blick auf die aktuelle Situation. Ganz zu Beginn des Krieges von Putin habe ich dieses Gebet in einem Post auf facebook zitiert, ohne damit die  Aufforderung zu einer Kapitulation zu formulieren. Dieses Gebet hat mich jedoch fragen lassen, welche Dinge/Geschehnisse ich wann mit Gelassenheit hinnehmen kann, muss oder darf.

Mit meinem Jahrgang 1949 und in Deutschland in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, habe ich mit guten Gründen das Credo der Gewaltlosigkeit internalisiert. Mein Vater war bei Murmansk im Krieg, wurde dann in der Endphase des Krieges bei Colmar schwer verletzt und hat so den Krieg überlebt: "Niemals wieder Krieg" hat sich aus dieser lebensgeschichtlichen Erfahrung ergeben. Meine Mutter – von Graz herkommend – war in Avignon als Verwaltungsbeamte des Deutschen Reiches tätig.

 

Meine Anregung oder mein Wunsch. R. Niebuhr hat sein Gebet ja ziemlich sicher 1943 auf dem Höhepunkt des Krieges gegen Deutschland geschrieben (S. 88). Könnten sie irgendwie eine Fortsetzung ihrer Studie schreiben aufgrund der Frage: Was bedeutet das Gelassenheitsgebet im Kontext des Ukrainekrieges?

Dabei hoffe ich, dass das Krieg bald vorbei ist und sie diese Fortsetzung nicht mehr schreiben müssen, wobei die Angemessenheit dieser Frage sich für mich eben daraus ergibt, dass ich dieses im Kontext des Ukrainekrieges zitiert habe. 

 

Mit den besten Grüssen von Spiez nach Hannover in der Hoffnung auf baldigem Frieden

Helmut Kaiser

 

 

 

Am 09.05.2022 um 20:21 schrieb Prof. Dr. Marco Hofheinz <marco.hofheinz@theo.uni-hannover.de>:

 

Lieber Herr Kaiser,

wie lieb von Ihnen, dass Sie mir diese nette Rückmeldung gegeben haben. Ich freue mich sehr darüber. Wir sind uns in meiner Berner Zeit nie bewusst begegnet - oder? Ich war von 2006-2010 Assistent bei Wolfgang Lienemann und habe in Bern promoviert und habilitiert. Ich sitze gerade an Thesen zum Ukraine-Krieg, um die mich der Reformierte Bund in Deutschland gebeten hat. Sobald ich damit fertig bin, schicke ich Sie Ihnen gerne zu. Haben Sie nochmals ganz herzlichen Dank für Ihre ermutigende Rückmeldung.

Herzliche Grüsse,

Marco Hofheinz

 

 

Prof. Dr. Marco Hofheinz

Professur für Systematische Theologie

Institut für Theologie

Leibniz Universität Hannover

Appelstraße 11A

30167 Hannover

 

Tel. +49 511 762 19401

Mail: marco.hofheinz@theo.uni-hannover.de

 

 

Guten Morgen Herr Hofheinz 10.5.22

Ja, ich denke, dass wir uns in Bern nie bewusst begegnet sind, wohin „es" mich 1973 von Tübingen ausgeführt hat …

Gerne warte ich auf ihre Thesen zum Ukraine Krieg. Danke vielmals schon jetzt.

Mit den besten Grüssen aus Spiez, wo der Sommer kräftig im Kommen ist!  Helmut Kaiser

 

  

 

Fünfter Text

«Zum ewigen Frieden» und der Stellenwert des VERTRAUENS  22.3.31.

Der Bezug zu I. Kant und seinem Buch «Zum ewigen Frieden» (1795) ist eine echte Herausforderung in der aktuellen Situation. Drei Präliminarartikel von 6 will ich aufnehmen, oftmals wörtlich zitiert oder mit direkten Zitaten. Für den ganzen Text gibt es ein pdf:

https://homepage.univie.ac.at/benjamin.opratko/ip2010/kant.pdf:

 

1. „Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“

Ein blosser Waffenstillstand ist nur ein Aufschub der Feindseligkeiten, aber noch kein Friede. Ursachen für den bestehenden Krieg wie auch für einen künftigen müssen erkannt und durch den Friedensschluss «vernichtet» werden. Alle Ansprüche der Konfliktparteien müssen durch den Frieden «erledigt» werden. Jeder Gedanke an einen zukünftigen Krieg muss ausgeschlossen werden. Alles soll offen und ehrlich auf den Tisch kommen, das heisst verhandelt werden. Kant fordert eine radikale Offenheit und keine Versteckspiele mit bösen Absichten und nennt Begriffe wie Klugheit und «Ehre des Staates». Im Kontext von Machtausübung und Krieg klingt dies übersteigert ideal, doch ohne dies ist für Kant der ewige Frieden nicht zu haben.

 

3. „Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“

Kant fordert die Abschaffung stehender Heere, weil durch die Bereitschaft, immer gerüstet zu sein, ein Wettrüsten zwischen den Staaten erfolgt, «die keine Grenzen kennt» und mit letzter Konsequenz zu einem Angriffskrieg führen muss. Die Menschen als Soldaten werden zu «bloßen Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats)» und verlieren dadurch ihre Würde. Nur eine Armee der Staatbürger mit dem Ziel der Verteidigung ist für Kant erlaubt. Kant wendet sich gegen eine Aufrüstungsspirale, eine Forderung, die aktuell völlig unzeitgemäss ist. Doch denke ich, dass gerade das Unzeitgemässe zeitgemäss für die Zukunft – für den ewigen Frieden – ist. Kant gibt zu bedenken: Die Logik der Aufrüstung ist der Krieg. Die Logik der Abrüstung ist der Frieden. Deshalb sind Abrüstungsgespräche die Voraussetzung für den Frieden.

 

6. „Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind, Anstellung der Meuchelmörder (percussores), Giftmischer (venefici), Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats (perduellio) in dem bekriegten Staat etc.“

Dieser letzte Präliminarartikel ist für mich mit meiner pazifistischen Grundhaltung von zentraler Bedeutung. Auch in einem Krieg, und mag dieser noch so grausam sein wie der Putin-Krieg, muss an Bedingungen gedacht werden, die das Vertrauen zwischen den Konfliktpartnern nicht völlig zerstören. Bei der aktuellen Verhandlungsrunde zwischen den Vertretern der Ukraine und von Russland wurde immer wieder gefragt, inwiefern z.B. der Rückzug der russischen Armee bei Kiew eine wirkliche Deeskalation ist oder eine hinterhältige Strategie, um sich neu aufstellen zu können. Kant: «Denn irgend ein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes muss mitten im Krieg noch übrig bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschlossen werden könnte, und die Feindseligkeit in einen Ausrottungskrieg ... ausschlagen würde ...»

Kant stellt die Frage, inwiefern in aller Grausamkeit des Krieges ein Vertrauen gebildet werden kann. Putin hat alles Vertrauen durch den Angriffskrieg und Lügen etc. zerstört. Präsidenten/Kanzler kamen nach Moskau an den langen «Coronatisch» und er hat diese ins Leere laufen lassen. In dieser Situation muss jetzt Vertrauen ausgebildet werden. Es muss gerade jetzt immer wieder neu Verhandlungen geben. Auf den ersten Blick eine schiere Unmöglichkeit und doch muss dies geduldig und hartnäckig versucht werden, weil nicht nur ein Waffenstillstand, sondern ein Frieden hergestellt werden muss. Bei Bildern der Zerstörung fast nicht denkbar, doch es muss machbar sein: Der Friede fällt nicht vom Himmel, er ist kein Naturzustand, er muss gemacht und gestiftet werden. «Der Friedenszustand unter den Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturzustand ... Er muss also gestiftet werden.» (Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, Zweiter Abschnitt).  Putin hat «ehrlose Stratagemen» [List; Tricks; Manipulationen; 36 Strategien des chinesischen Generals Tan Daoji]; 6.) gebraucht und diese Niederträchtigkeiten muss ein zukünftiger Friedensvertrag überwinden. Dies kann und muss auf der Basis des Völkerrechts als einer übergeordneten Instanz erfolgen.

 

Die Gedanken von I. Kant zeigen, dass der Frieden ein höchst anspruchsvolles Projekt ist, grundgelegt durch Vertrauen. Ohne ein solches ist kein Frieden möglich. In einer Situation, in welcher das Vertrauen zerstört wurde, fast unmöglich. Doch es muss um des Friedens willen gelingen.

 

 

Sechster Text

Pazifismus nach Butscha am 7.4.22

Am 25.2., 2.3., 12.3., 29.3.; 31.3. habe ich versucht, mit meinen Gedanken auf facebook Unmögliches unter dem Stichwort «Pazifismus» zu verarbeiten. Am 31.3. habe ich geschrieben:

«Die Gedanken von I. Kant zeigen, dass der Frieden ein höchst anspruchsvolles Projekt ist, grundgelegt durch Vertrauen. Ohne ein solches ist kein Frieden möglich. In einer Situation, in welcher das Vertrauen zerstört wurde, fast unmöglich. Doch es muss um des Friedens willen gelingen.»

Nach Butscha heisst die Realität: Grausame Kriegsverbrechen, ein Ermorden von Zivilisten, Massaker an Hunderten von Zivilisten. Und Fakt ist, dass es sich bei diesen Gräueltaten nicht um Zufälligkeiten oder um Taten von in Panik geratenen russischen Soldaten handelt, vielmehr ist ein Muster festzustellen. Es liegt ein systematisches grausames Morden vor an Kindern, Frauen, Männern. Es wurde gefoltert, verstümmelt und der Aussenminister von Russland bezeichnet dies als Inszenierung. So wird das abgrundtief Böse, die Lebenszerstörung, eine grausame Realität. Systematisch auch deshalb, weil die Rede Putins von der Entnazifizierung es erlaubt, dass jeder russische Soldat davon ausgehen kann, dass alle BürgerInnen der Ukraine Nazis sind. Der nationalistische Wahnsinn von Putin wird so zu einem umfassenden Verbrechen mit System. Mögen Hinweise von Völkerrechtlern es nicht zulassen, von einem Genozid zu sprechen, so ist das Weltbild von Putin von einem geplanten Genozid an der ukrainischen Bevölkerung getragen.

Auf die Sprachregelungen in der Schweiz, also wie Putins-Krieg von CH-Politikern/Innen definiert worden ist (Ukraine-Konflikt statt Krieg/M. Martullo Blocher; Geschehnis/I. Cassis zu Beginn), will ich hier nicht eingehen. Die Frage, ob die grausamen Bilder von Butscha gezeigt werden sollen oder nicht, ist wichtig geworden. Wohl wissend, dass Bilder immer auch konstruiert sein können, werden diese Bilder ähnlich wie das Bild aus dem Vietnamkrieg

(https://www.spiegel.de/geschichte/vietnamkrieg-foto-toedlicher-kopfschuss-in-saigon-a-1190819.html) ­– das einen Wendepunkt im Vietnamkrieg markierte – den Krieg mit seinen Kriegsverbrechen in der Ukraine verändern. Reporter, die vor Ort in Butscha waren, mussten sich erbrechen. Das Böse wird durch die Bilder nicht banalisiert – «normalisiert» – (s. Hannah Arendt dazu), vielmehr fordern diese Bilder eine radikale Überwindung des Bösen mit der Hoffnung, dass auch Russland ohne Putin dieses Böse überwinden kann.

In allen inneren Zerrissenheiten, Zweifeln, Unsicherheiten will ich im folgenden Gedanken zusammenstellen, die zu einer Friedensethik aktuell gemacht werden, in einer Zeit, in welcher der Frieden durch die Gräueltaten begraben wird, weil Menschen, die ermordet wurden, begraben werden müssen. Ich werde dazu 3 Thesen formulieren (so Anselm, Reiner/Bruns, Katja/Mielke, Roger: Starke Zeichen. Überlegungen zu einer neuen evangelischen Friedensethik, in: zeitzeichen 4/22, S. 8-11):

 

1. Der jüdisch-christliche Pazifismus fordert die Perspektive der Gewaltfreiheit. Persönlich habe ich schon in Gesprächen ausgeführt, dass kirchliche Ethik vom Frieden her denkt, von einer Zukunft des Friedens. Nicht die Gegenwart der Gräueltaten und Grausamkeiten darf die Zukunft bestimmten, vielmehr muss der Friede vorweggenommen werden. Dieser Ansatz, der von der Zukunft des Friedens her denkt, verkrallt sich nicht in das Böse eines Putin, antizipiert vielmehr den Frieden und glaubt an dessen Machbarkeit. So entsteht eine Hoffnung wider alle Hoffnung. Diese Denkweise wünsche ich mir, auf diese Grundhaltung hoffe ich, allein diese Grundhaltung kann zum Frieden führen.

2. Mit Bezug auf D. Bonhoeffer braucht es eine «unverstellte Wahrnehmung des Wirklichen», braucht es einen Realismus, der das aktuell Geschehene nicht verdrängt, sondern eine «illusionslose Wahrnehmung des Faktisches» bedeutet. Ausgehend von diesem Realismus im Kontext des jüdisch-christlichen Pazifismus hat «geordnete politische und im Grenzfall militärische ‘Gewalt’ einen legitimen Ort». (zeitzeichen a.a.O., S. 11) Oder: «Dietrich Bonhoeffers Theologie lehrt, immer wieder die prekäre Balance zwischen einer unverstellten Wahrnehmung des Wirklichen und der öffnenden Perspektive des Evangeliums zu suchen.» (zeitzeichen a.a.O., S. 10). Die Perspektive des Evangeliums ist: Die Bergpredigt oder der Satz «Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem» (Römerbrief 12,21). Mit diesem Gedanken der «prekären Balance» kann der Verteidigungskrieg oder der Rückereroberungskrieg als gerecht legitimiert werden, wobei gilt: «Gleichzeitig gilt es aber auch, die Grenzen und den Preis der Selbstverteidigung abzuwägen.» (zeitzeichen a.a.O., S. 10) Genau bei diesem Abwägen entstehen völlig unterschiedliche Positionen. Persönlich habe ich kurz nach dem 24.2.22 an eine Kapitulation gedacht. Mit dieser Position wird man in die Nähe eines Putinverstehers gerückt. Es gibt die Position einer Journalistin/Historikerin (Anne Applebaum in: Der BUND 5.4.22, S. 2f.), die ausführt, dass eine Kapitulation Gräueltaten des russischen Militärs nicht verhindert hätten. Grundsätzlich bedeutet die Anerkennung von «rechtserhaltender Gewalt» (für das Völkerrecht) und das Recht auf Selbstverteidigung die Notwendigkeit einer funktionsfähigen Armee (zeitzeichen S. 11).


 

3. Mir  geht es auch um die folgende Frage: Ist der Mensch friedensfähig oder nicht? Bei dieser Frage kann/will ich davon ausgehen, dass der Mensch an sich friedensfähig ist. Dies kann dazu führen, dass ich das Böse verharmlose und den Krieg grundsätzlich ablehne. Das Böse wird bei dieser Position unterschätzt und die Friedensfähigkeit überschätzt. Ich kann aber auch sagen, dass der Mensch an sich böse ist und dass es für die Bekämpfung des Bösen den Krieg braucht. Bei dieser Position wird die Friedensfähigkeit des Menschen unterschätzt und das Böse überschätzt. Jüdisch-christliche Friedensethik konzipiert sich im Kontext dieser beiden Extreme und so wird formuliert: In der Gewissheit und im Glauben an die in Jesus Christus überwundene Gewalt des Bösen darf/muss es die Kirche wagen, ein Handeln zu gestalten, welches dem ewigen Frieden Gottes entspricht (so Hofheinz, Marco: «Er ist unser Friede». Karl Barths christologische Grundlegung der Friedensethik im Gespräch mit John Howard Yoder, Göttingen 2014, S. 584).

 

Mit diesen Überlegungen bin ich nicht fertig mit dem Krieg in der Ukraine. Vielmehr stehe ich inmitten von Widersprüchen und Betroffenheiten. Was hoffe ich? Dass alle Menschen aus den Städten im Osten der Ukraine in Sicherheit gebracht werden können. Dass es der ukrainischen Armee gelingen möge, den Vormarsch der russischen Armee dort zu stoppen. Hoffe ich auf eine Rückeroberung? Hoffe ich auf eine Kapitulation? In der aktuellen ZEIT vom 7.4.22 wird gefragt: «Ist dieser Wahnsinn zu stoppen? Was kann jetzt noch Schlimmeres verhindern: Schärfere Sanktionen, mehr Waffen. Diplomatie oder gar die Kapitulation der Ukraine?»

 

 

 

 

BUND 7.4.22, S. 2

 

Siebter Text

7 Fragen zum Putin-Krieg am Palmsonntag 10.4.22

Die folgenden Fragen habe ich mit Bezug auf meine bisherigen Gedanken meiner Facebookbeiträge formuliert. Ergänzt mit Bezug auf Beiträge von Mitgliedern des Deutschen Netzwerkes für Wirtschaftsethik und aktuellen Meldungen:

 

Erste Frage

«Putin darf nicht gewinnen, aber er darf auf keinen Fall verlieren. Er darf deshalb nicht verlieren, weil ihm zugetraut werden muss, dass wenn er in die Enge getrieben, er Massen­vernichtungswaffen (chemisch, biologisch, atomar) einsetzen wird.» [29.3.22]

Ist diese Einschätzung richtig, das heisst, besteht die Gefahr einer atomaren Eskalation?

 

Zweite Frage

«Es gibt die Position einer Journalistin/Historikerin (Anne Applebaum in: Der BUND 5.4.22, S. 2f.), die ausführt, dass eine Kapitulation Gräueltaten des russischen Militärs nicht verhindert hätten.» [7.4.22]. Vielmehr: Buschta und die Ereignisse um Tschernobyl können/müssen als Bestätigung betrachtet werden dafür, dass nach einer Niederlage der Ukraine Russland ein Terrorregime in der Ukraine errichtet. Falls die folgende Frage mit einem Ja beantwortet werden muss, dann gilt: Die Verteidigung mit Rückeroberungszielen ist notwendig, effiziente Waffen sind kurzfristig wirksamer als Sanktionen. Der Gasstop hat eine hohe langfristige Wirksamkeit, im aktuellen Kalkül stehen die Waffen an erster Stelle.

Ist diese Aussage richtig, dass das russische Militär auf jeden Fall auch bei einer Kapitulation Gräueltaten gemacht hätte oder machen würde und dass nach einer Niederlage der Ukraine Russland ein Terrorsystem etabliert?

 

Dritte Frage

«Mit diesem Gedanken der ‘prekären Balance’ [Wahrnehmung der Realität – Gewaltlosigkeit] kann der Verteidigungskrieg oder der Rückereroberungskrieg als gerecht legitimiert werden, wobei gilt: «Gleichzeitig gilt es aber auch, die Grenzen und den Preis der Selbstverteidigung abzuwägen.» (zeitzeichen 4/2022, S. 10) [Pazifismus nach Butscha am 7.4.22]

Inwiefern gibt es diese Frage nach den Grenzen und dem Preis der Selbstverteidigung? Wer bringt Opfer zu welchem Preis und sind diese wie und für wen tragbar?

 

Vierte Frage

Das FORUM WIRTSCHAFTSETHIK von Deutschen Netzwerk für Wirtschaftsethik hat sich mit verschiedenen Beiträgen zum Krieg gegen die Ukraine geäussert. Im Vorspann heisst es: «Russland führt einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Neben fassungslosem Entsetzen, grenzenloser Empörung aber auch geschlossener Solidarität für die ukrainische Bevölkerung hat dies auch eine wirtschaftsethische Debatte ausgelöst. Lesen Sie hier ausgewählte wirtschaftsethische Statements zum Urkraine-Krieg von Mitgliedern des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik.» (7. April 2022, Butscha noch nicht erwähnt in den Artikeln) Für die Formulierung der vierten Frage werde ich auf einen Artikel hinweisen, der Widerspruch auslösen wird, der aber gerade deshalb mich zwingt, in meiner Wut und Empörung [meine Gedanken auf facebook vom 7.4.22] auch konsequent sachlich zu bleiben versuchen. Zu dieser Sachlichkeit gehört, Russland in den Friedenprozess einzubinden, Brücken zu Russland zu bauen und das eventuell noch mit Putin!

Ist es möglich, nach Buschta sachlich zu bleiben und inwiefern braucht es diese Sachlichkeit, um diesen grauenhaften Krieg zu überwinden? Ist ein metaethischer Diskurs der Überwindung des Bösen angemessen oder bloss makaber zynisch und abstossend?

 

Artikel link 24.3.22

https://www.forum-wirtschaftsethik.de/angst-ist-kein-guter-ratgeber-wut-auch-nicht-ordonomische-reflexionen-zum-ukraine-krieg/

 

Zugang zu allen Stellungnahmen

https://www.dnwe.de/statements-zum-krieg-gegen-die-ukraine/

 

 

Fünfte Frage

«Europa kann die geflüchteten Menschen aufnehmen und das von A. Merkel formulierte Diktum «Wir schaffen das» (31.8.2015) wird aktuell akzeptiert und scheint realisierbar zu sein. Persönlich erfüllt mich diese Solidarität mit grosser und tiefer Genugtuung. Sofort denke ich dazu: Voraussetzung dafür ist eine gesamteuropäisch durchorganisierte Migrationspolitik der umfassenden Solidarität mit enormen Kosten. Es muss aufgepasst werden, dass es Putin nicht gelingt, durch die Migration eine Destabilisierung der EU-Länder und deren Demokratien zu erreichen ...“ [ 12.3.22] Der Putin-Krieg destabilisiert die Wirtschaften Europas, es gibt grosse Versorgungsprobleme in Afrika (Weizen aus der Ukraine fehlt), die Energiepreise steigen, ein Gasstopp können Deutschland u.a. Länder nicht verkraften, das Verhältnis zu China wird belastet und ist mit grossen Unsicherheiten behaftet. In Ungarn hat sich eine autokratische und putinfreundliche Orbánregierung weiter etabliert. Polen wird die hohe Zahl der geflüchteten Menschen nicht alleine bewältigen können. Die Aufrüstungspläne in Milliardenhöhe stellen die Umverteilungsfrage. Aus all diesen Hinweisen die Frage:

Inwiefern hat Putin sein Ziel, die Destabilisierung der westlichen Gesellschaften, bereits umfassend erreicht oder gibt es eine Umkehr zur Geschlossenheit auf der Grundlage von Freiheit und Solidarität und was ist es dem «Westen» wert, konkret auf das Gas aus Russland zu verzichten?

 

 

 

Sechste Frage

In meinen Gedanken habe ich die Strategie der Kapitulation aufgenommen. «Politisch könnte «weder gewinnen noch verlieren» eine Teilkapitulation – ist auch eine Teilung der Ukraine – von Donbass und der Hafenstadt Mariupol bedeuten und mit diesem «Angebot/Anreiz» könnte getestet werden, ob Verhandlungen mit Putin möglich sind. Eine solche Teilkapitulation widerspricht natürlich dem Satz  «Wir werden bis zum Ende kämpfen».» [29.3.22] Auch die ZEIT hat dies unter der Überschrift «Die Ukraine gibt auf» als eine von vier möglichen Strategien zum Thema gemacht (ZEIT vom 7.4.2, S. 2). Es wird am Schluss mit den Worten des Politikwissenschaftlers Johannes Varwick – der den Gedanken einer Exilregierung begrüsste ­– ­ von der Universität Halle-Wittenberg festgehalten: «Entscheiden, was sie tut, kann natürlich nur die Ukraine, die ukrainische Regierung, und sonst niemand.» (S. 2). Die Hauptargumentation bei dieser Strategie ist, dass nur mit einem Deal mit Russland das sinnlose Sterben beendet werden könne (so Arthur Rutishauser in der Sonntagszeitung CH SZ 3.4.22, S. 2). Die Argumentation dagegen in einem Leserbrief lautet: «Rutishauser [Chefredaktor Sonntagszeitung CH] verkennt vollkommen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer lieber sterben, als unter dem menschenverachtenden Regime des Despoten Putin zu leben.“ (SZ 10.4.22, S, 19). Tatsache ist, dass die umfangreichen Waffenlieferungen des Westens dieses «Lieber sterben» faktisch ermöglichen bzw. bedingen. Die Grundhaltung darf nicht sein: Hauptsache Waffenstillstand. Vielmehr muss es darum gehen, ein Terrorsystem von Putin-Russland zu verhindern. Daraus ergibt sich die sechste Frage:

Ist es wirklich richtig, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer lieber sterben, als unter dem menschenverachtenden Regime des Despoten Putin zu leben?

 

Siebte Frage

Die 6. Frage kann, darf und muss allein die Ukraine beantworten. Der Wunsch der ukrainischen Regierung nach immer noch mehr effizienten Waffen ist eine Bestätigung dafür, dass die Frage 6 mit einem klaren Ja beantwortet wird. Das heisst für mich: Ich muss ein Sterben akzeptieren, was mich persönlich durcheinanderbringt, einen Entscheid, den ich tolerieren muss. Dieses Sterben wird von den UkrainerInnen jedoch nicht als sinnlos betrachtet, weil sie bei einer Niederlage ein russisches Terrorsystem mit guten Gründen befürchten und fürchten (Frage 2 oben).

Zugleich habe ich in meiner pazifistischen Position die Pflicht und das Recht darauf hinzuweisen, dass eine Eskalation, welche zu einer Ausweitung des Konflikts über die Ukraine hinausführt, mit allen Mitteln verhindert werden muss. Mit aller Deutlichkeit mache ich auf die Eskalationsfalle aufmerksam, weil ich persönlich die Grundhaltung des «lieber Sterbens» nicht teile. Diese meine Position ist dem Vorwurf der Feigheit ausgesetzt, persönlich habe ich diese Haltung mit den Worten «Weisheit» und «Klugheit» (29.3.22) – seid klug wie die Schlangen –  beschrieben. Die Frage heute am Palmsonntag 2022  heisst:

Wie kann eine Eskalation über die Ukraine hinaus wirksam verhindert werden und wie ist ein Waffenstillstand möglich mit der Bedingung, dass Putin kein Terrosystem in der Ukraine errichten kann?

 

Es ist einfach, aus einer sicheren Position Fragen zu stellen. Vor Ort geht es um Leben und Tod. Trotzdem braucht es solche Fragen, unbequeme, eventuell als fehl erscheinende, um dem Frieden näher zu kommen. Friedensethik muss sich den Raum geben, um solche Fragen zu stellen und sich diesen zu stellen. Werden keine Fragen gestellt, dann bedeutet dies einen Absturz in die Grausamkeit des Krieges. Dies trifft für den Putin-Krieg zu. In allem will ich einen Schlüsselsatz bei Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, München 2018, S. 404, zitieren: «Wenn Sie also die Wahrheit über das Universum, über den Sinn des Lebens und über ihre eigene Identität erfahren wollen, so beginnen sie am besten damit, Leid wahrzunehmen und zu erkunden, was Leid wirklich ist.» Wer Leid wahrnimmt, der führt keinen Krieg, weil jeder Krieg zu un-menschlichem Leid und Leiden führt.







Text 6: 5 Punkte zum Putin-Angriffskrieg gegen die Ukraine So 23/4/23

Der Ukrainekrieg hat für viele eine erstaunlich-erschreckende Normalität erhalten. Wohl gibt es regelmässig Informationen, die westlichen Korrespondenten in Russland stehen in der Gefahr, verurteilt zu werden wegen ihren Berichten über den «Krieg». Frontberichte über Bachmut werden bedrückt gelesen und bei den Angaben über die Verstorbenen Soldaten wissen wir, dass diese Zahlen immer auch mit strategischen Interessen formuliert werden. Das unermessliche Leiden wird instrumentalisiert auf beiden Seiten. Eine humane Unmöglichkeit. Wo und wie werden die Soldaten eigentlich beerdigt? Eigentlich müsste es neue Soldatenfriedhöfe geben? Wie kann ich mir also ein Urteil bilden über das, was in der Ukraine passiert. Mit den folgenden 5 Punkten habe ich für mich mit vielen Fragen einen Versuch gemacht:

 

1. «Wir müssen in unserer Hilfe für die Ukraine aufs Ganze gehen.«

SPIEGEL 17.04.2023, 05.17 Uhr

https://www.spiegel.de/ausland/news-zum-russland-ukraine-krieg-das-geschah-in-der-nacht-zu-montag-17-april-a-bc8a75fd-207d-4e17-aabe-e8ef8752a45e?dicbo=v2-6kzBMdD

 

«Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, fordert mehr Anstrengungen des Westens für die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffs. In einem Gastbeitrag für den »Tagesspiegel« warnte der frühere außenpolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Verkünden unerschütterlicher Unterstützung allein reiche nicht aus – und die Taten entsprächen noch nicht den Worten. ‘Das gegenwärtige Niveau schrittweiser und zögerlicher militärischer Unterstützung wird nur ein Patt auf dem Schlachtfeld bewirken.’

Den Beitrag verfasste Heusgen gemeinsam mit vier weiteren früheren sicherheitspolitischen Beratern der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens. In dem Text heißt es, Putin habe alle Aspekte des Kriegs falsch eingeschätzt, als er im vergangenen Jahr die Invasion der Ukraine einleitete. »Er glaubte, seine Armee sei stark, China zu hundert Prozent hinter ihm, die Ukraine schwach und der Westen gespalten. Er hätte sich nicht mehr täuschen können.« Außerdem fordern die Verfasser: ‘Wir müssen in unserer Hilfe für die Ukraine aufs Ganze gehen.’«

Was bedeutet dieser Satz? Schnelle Aufnahme der Ukraine in die NATO? Lieferung von Kampfjets? Schrittweise Eskalation?

 

 

2. USA bilden bald Ukrainer im Umgang mit Abrams-Panzern aus

Blue news 21.4.23

https://www.bluewin.ch/de/news/international/russischer-kampfjet-verliert-bombe-ueber-belgorod-xxxx-1710320.html

 

«USA bilden bald Ukrainer im Umgang mit Abrams-Panzern aus.

Die USA werden nach Angaben aus Regierungskreisen in den kommenden Wochen mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten im Umgang mit Abrams-Panzern beginnen. Eine offizielle Bekanntgabe wurde noch am (heutigen) Freitag erwartet.

Nach Angaben aus US-Kreisen sollen Ende Mai 31 Panzer auf dem Übungsplatz Grafenwöhr in Deutschland eintreffen. Die Ausbildung der Soldaten soll ein paar Wochen später beginnen. Sie soll rund zehn Wochen dauern. Ausgebildet werden sollen etwa 250 ukrainische Soldaten. Davon sollen einige lernen, wie die Panzer betrieben werden, andere, wie sie gewartet werden.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte im Januar bekanntgegeben, dass die Ukraine Abrams-Panzer von den USA erhält. Zuvor hatten die USA monatelang argumentiert, die Panzer seien zu schwer zu warten und zu reparieren. Auf US-Boden werden derzeit 31 Exemplare neu ausgestattet, die an die Front geschickt werden sollen.»

Was bedeutet diese Ausbildung?  Der Krieg wird noch einige Zeit dauern? Biden glaubt wohl, dass ein guter Zeitpunkt der Geschichte gekommen ist, um Russland nachhaltig zu schwächen? Ist dies möglich bei der Partnerschaft mit China?

 

 

3. «Normal, dass Angegriffener ins gegnerische Territorium vorgeht»

https://www.bluewin.ch/de/news/international/russischer-kampfjet-verliert-bombe-ueber-belgorod-xxxx-1710320.html

Blue news 21.4.23

 

«Pistorius: ‘Normal, dass Angegriffener ins gegnerische Territorium vorgeht’

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hält begrenzte Angriffe der Ukraine auf russisches Territorium im Kampf gegen die Invasion für akzeptabel. Es sei ‘völlig normal’ in so einer militärischen Auseinandersetzung, ‘dass auch der Angegriffene ins gegnerische Territorium vorgeht, um beispielsweise Nachschubwege zu unterbinden’, sagte der SPD-Politiker in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». ‘Solange keine Städte, keine Zivilisten, keine zivilen Bereiche attackiert werden, wird man das notgedrungen akzeptieren müssen. Nicht gern, aber es gehört dazu, um Nachschubwege beispielsweise zu unterbinden.’

Mit Blick auf den Zustand der russischen Armee sagte Pistorius: ‘Wir wissen, dass das, was an Material jetzt nachgeschoben wird aus den Depots, teilweise in erbärmlichem Zustand ist. Teilweise buchstäblich steinalt - Panzer aus den 50er und 60er Jahren.’»

Was bedeuten diese Aussagen des BRD-Verteidigungsministers? Unter den genannten Bedingungen sind Angriffe auf das russische Territorium legitim? Inwiefern wird damit der von Putin angedrohte Atomschlag bei Gefährdung der eigenen territorialen Integrität beachtet oder abgeblendet?

 

4. Die BRISC-Staaten oder das nachhaltig verlorene Vertrauen in den Westen

https://www.nzz.ch/international/lulas-brueskiert-die-usa-europa-und-die-ukraine-um-sich-als-sprecher-des-globalen-suedens-zu-qualifizieren-ld.1734144?reduced=true

NZZ 18.4.23

«Lawrow bedankt sich bei Brasilien – Lula brüskiert die USA, Europa und die Ukraine.

Nach der Staatsvisite in China empfängt die brasilianische Regierung den russischen Aussenminister Sergei Lawrow. Lula droht im Westen seinen aussenpolitischen Bonus zu verspielen.»

Was bedeutet dies? Durch die NZZ als Zeitung der Neoliberalität (nach der Wende 89) wird Lula wie von den USA scharf kritisiert. Diese Kritik muss jedoch folgendermassen eingeordnet werden:

Lula bekräftigt erstens seine Kritik an Russlands Ukraine Invasion. Zeitens: Sein «Lavieren» hat jedoch Strategie und einen Grund: Die Staaten in Afrika oder Südamerika, welche wie Brasilien «lavieren», haben den Kolonialismus des Westens nicht vergessen. Das Erbe (Armut, Kriege, fehlende Ausbildung von rechtsstaatlichen Systemen) dieses Kolonialismus besteht darin, dass dem «Westen» nicht vertraut wird. Auch deshalb, weil die Ausbeutung weitergeht. Der Westen ist nicht bereit, Opfer zu bringen (wiederherstellende Gerechtigkeit). Lula stellt mit seinem Verhalten dem Westen die systemzentrale Frage, inwiefern der Westen bereit ist, nach dem Prinzip der wiederherstellenden Gerechtigkeit zu handeln (so Mamphela Ramphele, Co-Präsidentin des Club of Rome, Zeitung wochentaz)

https://taz.de/Co-Chefin-des-Club-of-Rome-ueber-Europa/!5910575/

Erst wenn die wiederherstellende Gerechtigkeit realisiert wird, wird langsam das nachhaltig zerstörte Vertrauen zwischen dem «Westen» und dem «Süden» aufgebaut werden können. Solange der Wohlstand und das Wachstum des Westens weiterhin auf dem Muster des Kolonialismus beruht, wird das Vertrauen ausbleiben.

 

5. «Ein Jahr Krieg gegen die Ukraine: So realistisch ist Frieden in diesem Jahr»

https://www1.wdr.de/nachrichten/ukraine-krieg-frieden-verhandlungen-100.html

Stand: 24.02.2023, 13:51 Uhr

«Wann gibt es endlich Frieden für die Ukraine? Und wie? Mit mehr Waffen? Mit sofortigen Verhandlungen? Ideen für den Frieden - ein Jahr nach Kriegsbeginn.

Kein Wunder also, dass das "Manifest für den Frieden", in dem Prominente wie die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer Verhandlungen mit Russland fordern, auf viel Zustimmung stößt. Gleichzeitig ist aber auch die Ablehnung groß, wenngleich die Kritiker genauso auf einen schnellen Frieden hoffen. Wie also lässt er sich schnellstmöglich erreichen?»

Was bedeuten diese Fragen? Wohl wird die Frage nach dem Frieden schon lange gestellt und immer wieder neu. Doch die Fragen deuten es an: Frieden schaffen ohne Waffen mit Verhandlungen? Unmöglich mit einem Kriegsverbrecher wie Putin! Frieden schaffen also mit effizienten Waffen! Wir müssen mit unserer Hilfe auf Ganze gehen (s. oben)! Ein Patt wird damit ausgeschlossen. Ist die Frühjahrsoffensive der Ukraine (wann, wo, wie, mit welchen Waffen) der Weg zum Frieden? Welche Interessen hat China? Sind China, die Türkei und Brasilien (BRISC-Staaten) eventuell die Treiber für einen Frieden, auch wenn diese Staaten wie das Beispiel Lula zeigt, vom Westen stark kritisiert werden? Die Unsicherheiten sind enorm gross, ebenso die Hoffnungen auf einen Frieden.

 

 

Wie ich das immer ausführe: Putin darf seine Ziele, die Ukraine zu unterwerfen, nie erreichen. Dazu braucht die Ukraine die notwendigen wirksamen Waffen. In allem gilt der Vorrang des Friedens.