Authoren: J.-E. Navarro-Barrientos, D. Herfert und A. Iwainsky, Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e. V.
Laufzeit: 01.10.2010 - 31.05.2013
Das Wundliegen (lat.: Dekubitus) gehört zu den häufigsten auftretenden und sehr langwierigen Krankheiten von hilfsbedürftigen Menschen. Gemäß der aktuellsten Ergebnisse des MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.) haben 5-10% der Krankenhauspatienten, 30% der Patienten in geriatrischen Kliniken und in Pflegeheimen, sowie 20% der zu Hause betreuten Patienten einen Dekubitus [1]. Die Vermeidung bzw. Prophylaxe von Dekubitalgeschwüren erfolgt in den meisten Fällen durch pflegerische Maßnahmen und stellt nach wie vor eine Herausforderung für die Pflegefachkräfte dar [2].
Im Rahmen eines ZIM-KF Kooperationsprojektes (gefördert durch das BMWi) wurde ein Verfahren zur Prophylaxe bzw. zur Behandlung von Dekubituserkrankungen entwickelt [3]. Das entwickelte System alarmiert die entsprechende Pflegekraft wenn innerhalb eines längeren Zeitraumes keine Bewegungen des Patienten gemessen werden konnten. Zur Detektion dieses Zustandes müssen Drehungen im Bett oder das Aufstehen aus dem Bett erkannt werden. Dafür werden energieautarke nicht-invasive Bettpfosten-Drucksensoren eingesetzt. Im Unterschied zu bildverarbeitenden Verfahren wird mit Hilfe dieser Technik die Privatsphäre stärker geschützt und es ist eine ganztägliche indirekte Analyse möglich.
Als Datengrundlage zur Erkennung des Umdrehens bzw. Aufstehens einer hilfsbedürftigen Person im bzw. aus dem Bett wurden energieautarke Drucksensoren verwendet, die unter den vier Bettpfosten positioniert werden. Die Drucksensoren wurden von der Firma SMI GmbH entwickelt und dienen zur Aufnahme von Druckveränderungen bei Lage-Änderungen der Person im Bett. Es sei darauf hingewiesen, dass die vorgestellten Verfahren auch mit anderen Drucksensor-Systemen anwendbar sind. Zur Erkennung von Drehungen im Bett wurde die zeitliche Veränderung des Masseschwerpunktes auf Basis der Druckrohdaten (Einheit: PSI) verwendet.
Für die Erkennung des Umdrehens bzw. des Aufstehens einer hilfsbedürftigen Person im bzw. aus dem Bett wurde ein Algorithmus basierend auf den zeitlichen Veränderungen des Masseschwerpunktes im Bett implementiert. Das Koordinatensystem wird zweidimensional auf das Bett projiziert und horizontal bedeutet in diesem Zusammenhang seitliche Verschiebung und vertikal die längliche Verschiebung auf dem Bett. Für die Erkennung von Drehungen im Bett wird die Vorwärtsdifferenz von zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Masseschwerpunkten separat für die vertikale (y-Achse) und horizontale (x-Achse) Bewegung berechnet. Die horizontalen und vertikalen Komponenten des Masseschwerpunktes werden mit Hilfe einer Gewichtung unterschiedlich in der Bewegungsanalyse berücksichtigt, da die horizontale Komponente einen größeren Einfluss bei der Erkennung von Drehungen hat. Die zeitlich gewichtete euklidische Vorwärtsdifferenz (VDM) der Masseschwerpunkte ist berechnet [4]. Zur Erkennung einer Drehung wird der VDM-Wert mit einem gegebenen Schwellenwert verglichen. Wenn der VDM größer als der vorgegebene Schwellenwert ist, wird eine Drehung registriert. Um zu erkennen, ob der Patient aufgestanden ist wird am Anfang das Gewicht (Summe der Gewichte aller vier Bettpfosten) des leeren Bettes ermittelt. Um festzustellen ob das Bett leer oder belegt ist, kann ein konstanter Gewichtsschwellenwert (in kg) angegeben werden, ab dem mindestens ein Patient erwartet wird. Wenn das aktuell ermittelte Gewicht (Summe der Gewichte aller vier Bettpfosten) über dem Referenzgewicht des leeren Bettes addiert mit dem Gewichtsschwellenwert ist, kann davon ausgegangen werden das das Bett belegt ist. Korrespondierend dazu wird das Aufstehen aus dem Bett erkannt, wenn das aktuell ermittelte Gewicht unter dem Referenzgewicht addiert mit dem Gewichtsschwellenwert liegt.
Die dargestellte Methodik konnte in einer Testphase innerhalb der Psychatrischen Klinik der Charité im St.Hedwigs-Krankenhaus erprobt werden. In Abbildung 1 wird der Zusammenhang zwischen der Erkennung von Ereignissen durch die Bettpfostensensorik und ihre korrespondierende visuelle Darstellung (grafische Benutzeroberfläche der Firma Akktor GmbH) angezeigt. Über die Erkennung von Drehungen im Bett hinaus, wäre die Erkennung von noch spezifischeren Einzelbewegungen im Bett u.a. für Untersuchungen im Schlaflabor sehr nützlich. Hierfür ist das eingesetzte Schwellenwertverfahren nicht mehr ausreichend, so dass ein Verfahren das mit Hilfe von gelernten Bewegungsmustern und dem Zusatzwissen durch ein Expertensystem ausgestattet ist, entwickelt werden müsste.
Abbildung 1: Visualisierungsoberfläche, Gegenüberstellungen der Bettpfostenanalyse
[1] J. Anders, A. Heinemann, C. Leffmann, M. Leutenegger, F. Pröfener, W. von Renteln-Kruse; Dekubitalgeschwü-re–Pathophysiologie und Primärprävention; Dtsch Arztebl Int 2010; 107(21):371-82; DOI: 10.3238/arztebl.2010.0371
[2] H. Rothgang, R. Müller, R. Unger, C. Weiß, A. Wolter; BARMER GEK Pflegereport, 2012
[3] A. Iwainsky; AMENAMIN: Ein Verbundprojekt im Grenzbereich von AAL und Micro Energy Harvesting; GFaI-Informationen, 3/2012; pp. 3-4.
[4] R. Maurer, R. Qi, V. Raghavan; A Linear Algorithm for Computing Exact Euclidean Distance Transforms of Bina-ry Images in Arbitrary Dimensions; IEEE Transactions on Pattern analysis and Machine Intelligence, S. 265-270