Im Sommer 1811 wurde der erste Gipfel der Berner Alpen bestiegen: die Jungfrau. Das tollkühne Unterfangen gelang den Brüdern Meyer aus Aarau. Seither hat sich der alpinistische Rummel auf die Eiger Nordwand verlagert, die leider schon viele Menschenleben gefordert hat. Trotzdem versuchen immer wieder waghalsige Kletterer um der Sensation willen, die Todeswand in immer gewagteren Variationen zu bezwingen. Dabei kann man heute die Wand im gepolsterten Bahnwagen mühelos überwinden. Doch wer hätte dies am 1. April 1886 gedacht, als in der "Neuen Zürcher Zeitung" zu lesen war, in London habe sich eine Gesellschaft gebildet, welche beabsichtige, zur Klubhütte im Rottal eine Eisenbahn zu bauen. Von da aus sei die Anlegung einer Galerietreppe auf den Gipfel der Jungfrau geplant. Auf der Spitze selbst solle dann eine Plattform erbaut werden. Ein Scheinwerfer werde des Nachts weit bis nach Deutschland hinaus leuchten. Ein Aprilscherz also, und doch sollte er, rascher als die Leser der seltsamen Meldung es sich wohl gedacht hatten, Ernst werden. Schon wenige Jahre später wurden dem Bundesrat drei Gesuche um Baubewilligung eingereicht. Alle drei sahen einen einzigen Tunnel vor, der vom Lauterbrunnental bis unter den Gipfel der Jungfrau führen sollte, wobei Dampf, Seilzug oder Pressluft für den Betrieb verwendet werden sollte. Doch keines dieser Projekte kam zur Ausführung.
Die Geburtsstunde der Jungfraubahn fällt in das Jahr 1893. An einem Sommertag bestieg der Zürcher Industrielle Adolf Guyer-Zeller mit seiner Tochter das Schilthorn bei Mürren. Auf dem Rückweg blickte er sinnend zur Kleinen Scheidegg hinüber. Dann schweifte sein Blick zur Jungfrau, ihren Gletschern und Felsabstürzen. Über die Matten der Wengernalp krochen die Wagen der kürzlich eingeweihten Bergbahn. Plötzlich blieb Guyer stehen und rief aus: "Jetzt hab ich's gefunden!" In diesem Augenblick sah er in Gedanken seinen kühnen Plan zum Bau der Jungfraubahn: Ausgangspunkt Kleine Scheidegg mit Anschluss an die bereits bestehende Wengernalpbahn, vom Eigergletscher in einem stetig ansteigenden Tunnel mit enger Schleife im Innern des Eigers sich wendend, unter Mönch und Jungfrau durch, in einer Spirale bis unter den Gipfel der Jungfrau und von dort die letzten 65 Meter hinauf mit Lift.
In der gleichen Nacht zeichnete Guyer-Zeller den ersten Entwurf in sein Taschenbuch. Bereits am 20. Dezember 1893 reichte er das Konzessionsgesuch dem Bundesrat ein, und nach erbitterten Kämpfen im Ratsaal und in der Presse erteilte ihm das Parlament am 21. Dezember 1894 die Bewilligung. Der Kostenvoranschlag lautete auf 7,5 Millionen Franken, und man rechnete mit einer Bauzeit von sieben Jahren.
Zwei Jahre später wurde mit den Arbeiten begonnen.
1898 wurde die erste Teilstrecke bis Eigergletscher eingeweiht und 1903 diejenige bis Eigerwand. 1905 erfolgte der Durchstich zur Station Eismeer. Da die vorgesehene Bau-summe bereits überschritten war, entschloss man sich in Abweichung vom ursprünglichen Plan, die Endstation in den Sattel zwischen Mönch und Jungfrau zu verlegen. Am 1. August 1912, nach 16 Jahren Bauzeit, wehte zum erstenmal die Schweizer Fahne auf dem Firnfeld des Jungfraujochs. Ein gewaltiges Werk war glücklich vollendet. Der Schöpfer aber hat es nicht mehr erlebt. Adolf Guyer war 1899 gestorben.
Von der Kleinen Scheidegg zum Jungfraujoch
Vom Bahnknotenpunkt Kleine Scheidegg führt die Bahn in offener, nur durch einen kurzen Tunnel unterbrochener Linie längs der Wasserscheide zwischen den Tälern von Lauterbrunnen und Grindelwald zur 2 km entfernten Station Eigergletscher. Nach weitern 100 m tritt die Bahnlinie in den grossen 25 % ansteigenden Tunnel ein. Er misst 7,1 km und wird durch die beiden grossen Felsfenster der Stationen Eigerwand und Eismeer unterbrochen. "Eigerwand" bietet einen weiten Ausblick auf das Tal von Grindelwald, auf die Voralpen, das Mittelland und den Thunersee bis zum Jura, den Vogesen und zum Schwarzwald. Von den Gewölben der Station Eismeer aus erblickt man einen der mächtigsten Gletscherkessel der Alpen. Nach kurzer Fahrt erreicht man die Station Jungfraujoch auf 3457 m Höhe, die sich gegen den 25 km langen Aletschgletscher hinaus öffnet. Der Felsklotz der Sphinx, eine Erhebung zwischen Mönch und Jungfrau, ist gleich einem Maulwurfbau von Tunneln, Stollen und Gängen durchzogen. Die Bahnhofanlage liegt ganz im Innern des Berges. Durch Felsgänge gelangt man in das Touristen- und Berghaus, die beide teilweise im Freien an der Felswand der Sphinx kleben. Vom 4. Stockwerk des Berghauses gelangt man zu einer etwa 100 m langen Galerie, die auf das Firnfeld des Jungfraujochs hinausführt. Dort befindet sich 20 m tief im Gletscher eine kühle Eisgrotte, wo Tische, Stühle und andere Gegenstände aus dem Eis gehauen sind. Beim Eingang zum Touristenhaus zweigt der 240 m lange Sphinxstollen ab und führt ostwärts zu jenem Teil des Jungfraufirns, der gegen das obere Mönchsjoch ansteigt. Heute kann der Besucher des Jungfraujochs sogar noch höher hinauf gelangen: vom Sphinxstollen führt ein 112 m hoher Aufzug auf den Felskopf der Sphinx. Ein Skilift dient dem Wintersport, der auf dieser Höhe während des ganzen Jahres möglich ist.
Die wissenschaftliche Höhenstation Jungfraujoch
Wenn auch die Jungfraubahn zur Hauptsache dem Touristenverkehr dient, so ist doch die in der Konzessionsurkunde von 1894 enthaltene Verpflichtung zur Errichtung einer wissenschaftlichen Forschungsstation nicht vergessen geblieben. Neben Berghaus und Touristenhaus ist in den Jahren 1929 - 1931 die Forschungsstation erbaut worden, und im Sommer 1937 endlich wurde, gewissermassen als Krönung des ganzen Werkes, auf dem Gipfel der Sphinx das meteorologische Pavillon errichtet.
Welche wissenschaftlichen Arbeiten werden auf dem Jungfraujoch ausgeführt? Da ist vor allem die Meteorologie: die Geschehnisse in der Lufthülle der Erde, welche das Wetter bestimmen, spielen sich zur Hauptsache in grösseren Höhen ab. Früher waren solche Messungen äusserst schwierig vorzunehmen, weil die Forscher im Freien kampieren mussten. Heute kann alles vom wettergeschützten Pavillon aus zu jeder Tages- und Nachtzeit gemacht werden.