Im Februar 2011 nahm ich an einer ungewöhnlichen Beisetzung teil. Auf dem Friedhof von Fuencaliente, einem kleinen Ort an der Südspitze La Palmas, wurden sieben Urnen zu Grabe getragen. - geschmückt mit den Farben der spanischen Republik - rot, gelb, purpur.
In den Urnen befanden sich die Überreste von erschossenen Franco-Gegnern. Seit langem sprach man von den ”dreizehn von Fuencaliente”, die im Januar 1937 im Wald oberhalb der Ortschaft hingerichtet worden waren. Verwandte der Opfer griffen schließlich selbst zu Hacke und Schaufel und konnten sieben Skelette bergen.
In ganz Spanien hatte bereits kurz nach dem Tod des faschistischen Diktators Francisco Franco 1975 eine Bewegung eingesetzt, die nach den Massengräbern der Opfer des Regimes suchte und damit das lange Schweigen brach, das fast 40 Jahre über Spanien lag.
Doch beginnen wir von vorn:
Spanien war in den 1920er Jahren noch Monarchie. Der Bourbone Alfonso XIII. regierte in engem Verbund mit dem Katholizismus ein rückständiges Land, - seit Jahrhunderten verhaftet in halbfeudalen Strukturen mit Hungerkatastrophen und Analphabetismus. Daran änderte auch die Militärdiktatur unter General Miguel Primo de Rivera nichts. Sie diente lediglich dazu, das Land in den 1920er Jahren unter dem König Alfonso XIII. fest im Griff der Reaktion zu behalten.
Noch rückständiger als das Festland waren abgelegene Inseln wie La Palma, wo seit Jahrhunderten einige wenige vermögende Familien die Politik bestimmten. Die sozialen Verhältnisse waren katastrophal. Die meist kinderreichen Landarbeiterfamilien hausten in Elendsquartieren, zum Teil in den Höhlen von El Time. Noch 1928 brach im Westen La Palmas die Pest aus. Die Bevölkerung wusste um die Ursachen der Seuche. Der Ausgangspunkt der Epidemie waren die von Ratten bewohnten verrotteten Lagergebäude ”El Secadero” des Großgrundbesitzers Sotomayor. Die Leute von El Paso, Los Llanos und Tazacorte sannen auf Abhilfe und legten in einer Selbsthilfeaktion schließlich Feuer an den verseuchtem Gebäudekomplex. Einige Jahre später, Spanien war inzwischen Republik geworden, wurde das Gelände enteignet, um dort eine Schule zu errichten.
Aufklärerische, emanzipatorische Ideen gelangen auch zu den abgelegensten Regionen. Arbeiter begannen sich zu organisieren, das Volk muckte auf und schüttelte 1931 die Monarchie ab: Spanien wurde Republik, Alfonso XIII. ging ins Exil. Fünf Jahre später, bei den Nationalwahlen im Februar 1936 siegte die Frente Popular, die Volksfront aus Sozialisten, Kommunisten und Bürgerlich - Liberalen. Die Wahlbeteiligung war mit fast 73 Prozent sehr hoch. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung war die Entfernung von politisch unzuverlässigen Offizieren aus hohen Positionen. Auch der spätere Putschist Franco wurde als Generalstabschef abgesetzt und an den Rand des Landes, fern vom Machtzentrum Madrid, auf die Kanaren versetzt. Wie sich einige Monate später zeigte, reichte das bei weitem nicht aus.
Der Arzt Don Manuel Morales beobachtete die politischen Verhältnisse seiner Heimatinsel La Palma nach den Februar-Wahlen 1936 und notierte in seinem Tagebuch: ”Die Wahlen haben der Revolution einen vollständigen ... Triumph beschert ... die wahre Revolution... vollständiger und dauerhafter Einzug eines neuen Volkes in die Führungsebene. ... Sowohl die klassische monarchische Rechte als auch die republikanische Rechte... sind zusammen in den Papierkorb gewandert. Ich glaube nicht, dass sie sich jemals wieder erholen werden...”
Aber es kam anders.
Schon vorher hatte der kommunistische Vorsitzende von Tazacorte Leoncio Pérez Lorenzo erklärt, dass es nicht reiche, die Faschisten zu verbieten; vor allem müsse man ihnen ihre einflussreichen Ämter und ihre materielle Grundlage, ihr Geld nehmen.
Das Programm der Frente Popular sah eine Bodenreform vor. Der Großgrundbesitz sollte an arme Campesinos verteilt, die Güter der Kirche sollten enteignet und die Armee sollte gesäubert werden.
Ein Höhepunkt linker Machtdemonstration war der Erste Mai 1936. Auf der Avenida von Tazacorte - damals hatte das Städtchen etwa 3000 Einwohner - marschierten mehr Menschen unter roten Fahnen als dort wohnten. An verschiedenen Orten der Insel gab es Mai-Demonstrationen, an denen viele junge Arbeiter teilnahmen, - gut organisiert, diszipliniert, einheitlich in rote Hemden gekleidet, unter den Fahnen mit Hammer und Sichel marschierend und der kommunistischen Revolution zujubelnd.
Das etablierte Bürgertum bekam Angst; es war alarmiert.
Und wie so oft in ähnlichen historischen Situationen, wenn sich die herrschende Klasse durch Linke, Gewerkschaften und Demokratiebewegungen bedroht fühlt, greift sie zum Faschismus, zum Terror, zur Diktatur. So war es 1973 in Chile, so war es 1933 in Deutschland und so war es auch 1936 in Spanien.
Welche herrschende Klasse tritt schon freiwillig von der Bühne der Geschichte ab? Im Juli 1936 putschten die reaktionären spanischen Generale im Bündnis mit Großgrundbesitzern, Klerus und Monarchisten gegen die demokratisch gewählte Regierung. es ging allerdings nicht so problemlos, wie man sich das gedacht hatte. Denn das Volk verteidigte seine Republik. und leistete erbitterten Widerstand. Auf La Palma ist dieser Kampf unter der Bezeichnung ”Semana Roja”, also ”Rote Woche” in die Geschichte eingegangen.
Am 18. Juli 1936 erreichen erste Nachrichten vom faschistischen Putsch die Insel La Palma. Die Frente Popular organisiert den Widerstand: Sie reaktiviert die Volksmilizen, setzt die örtliche Polizei, die Guardia Civil, sicherheitshalber im Gefängnis von Santa Cruz fest und ruft zum Generalstreik auf. Am 22. Juli erreicht das Kriegsschiff Galatea La Palma, fährt jedoch unverrichteter Dinge nach Teneriffa weiter. Am nächsten Tag schickt der Oberbefehlshaber von Gran Canaria zwei Telegramme an die republikanischen Behörden der Insel mit dem Befehl, die Staatsgewalt an die Armee abzutreten. Aber es geschieht nichts.
Zwei Tage später, am 25. Juli 1936 wird das Kanonenboot Canalejas, von Gran Canarias kommend, vor Santa Cruz gesichtet. Es beschießt die Insel und legt im Hafen der Hauptstadt an. Francos Interventionstruppen besetzen die Stadt und übernehmen Befehlsgewalt. Die Linken ziehen sich in die Berge zurück.
Dann beginnt die Jagd auf alle, die den Putschisten verdächtig sind: lokale Politiker der Republik, soweit man ihrer habhaft werden kann, werden erschossen, - darunter auch der sozialistische Bürgermeister von Los Llanos Francisco Rodríguez Betancor. Viele werden verhaftet und in Gefängnisse und Folterkammern verbracht. Auf den Nachbarinseln Teneriffa und Gran Canaria werden Konzentrationslager mit Hinrichtungsstätten errichtet.
Etwa 400 direkte und indirekte Opfer forderte der spanische Krieg auf La Palma. Viele Palmeros wurden verschleppt oder verschwanden einfach.
Gute Vorarbeit für die Verfolgung der Linken auf La Palma hatte die katholische Kirche geleistet: Schon 1934 hatte ein Priester in der Hauptstadt Santa Cruz in seinem Haus eine Gruppe der faschistischen Falange gegründet. Sie bekam jetzt ihre große Stunde.
Einige Arbeiter, die die Republik auf La Palma verteidigt hatten, landeten in deutschen KZs - so die Brüder Nacianceno Mata und Orencio Mata Rodríguez aus Las Tricias, die von Francos Militär eingezogen worden waren, dann desertierten, auf dem spanischen Festland auf der republikanische Seite kämpften und 1939 schließlich über die Pyrenän nach Frankreich flohen. Als Hitlers Wehrmacht das Land besetzte, wurden die in Frankreich internierten ”Rotspanier” an deutsche KZs ausgeliefert. Nur Naciancen überlebte fast viereinhalb Jahre in Mauthausen; sein Bruder starb 1941 in Gusen.
Franco konnte mit Hitlers und Mussolinis Hilfe den Bürgerkrieg gewinnen und im Sinne der alten Mächte das Land annähernd 40 Jahre unter seiner Knute halten.
Für seine Nachfolge hatte Franco die Wiedereinführung der Monarchie vorgesehen. Ein Bourbone wurde wieder auf den Thron gehievt.
Nach der spanischen Verfassung ist die Verfolgung alter, franquistischer Verbrechen verboten. Das war die Bedingung der nutznießenden Oberschichten und Franco-Anhänger, sich auf einen friedlichen Übergang zur Demokratie einzulassen. Darum wurde in Spanien so lange geschwiegen. Im Gegensatz zu Deutschland hatte Spanien keinen Krieg verloren; hier gab es keine von den Siegermächten erzwungene ”Entnazifizierung”.
In Deutschland wie in Spanien wurde schließlich der große Frieden mit den Tätern vollzogen. Die Gerechtigkeit blieb auf der Strecke.
Literatur:
Alfredo Mederos: La conspiración contra la república en La Palma 2007
José M. López Mederos: Por el derecho a la memoria, 2006
Nacianceno Mata, un canario en Mauthausen, (Hg.Ricardo Guerra Palmero / Oliver Quintero Sánchez) 2006
Salvador González Vàzquez: La Semana Roja 2004
Salvador González Vázquez: Historia de Tazacorte, 2000.