Ein Donnerstag im September. Die Tage sind noch lau, hell wird es gegen halb 8 Uhr und gegen 20 Uhr wird es wieder dunkel.
Vor der Leitergasse 5 hält ein blaues Gipfelimobil. Die Fenster sind bereits schwach erleuchtet. Wagen mit warmen Gipfeli und Kisten mit frisch gebackenem Brot werden in den Laden gerollt – sie kommen aus den beiden anderen Produktionsstandorten der Bäckerei KULT. Im Ladenraum werden hinter dem Verkaufstresen von flinken Händen Pain au Chocolat in Körbchen gelegt, Sauerteigbrote ins Brotregal verräumt, Pizzaschnecken auf Teller drapiert und Törtchen auf Platten zurechtgerückt. Paolo Conte brummelt zufrieden.
Auf dem Arbeitsweg über die Mittlere Brücke macht Samara gerne den kleinen Schlenker in die Leitergasse, um sich hier den Morgencafé und ihr Gipfeli zu holen. Mit den ersten paar Frühaufstehern freut sie sich, wenn das Fenster aufgeht und keine Scheibe sie mehr trennt von der vollen Gebäckauslage, dem Gipfeliduft und der Kaffeemaschine.
Der Gastraum ist noch leer, die Tischlein warten erwartungsvoll auf ihre ersten Gäste. Manu Chao singt leise im Hintergrund.
Die beiden Einmach-Köchinnen beginnen ihre Arbeit in der Einmacherei. Es kommt Schwung in den Laden. Hinter den Fenstern im rechten Teil des Ladens bereiten sie sich auf eine grosse Zwetschgen-Schlacht vor. Heute kommen 150 kg Hochstamm-Zwetschgen an von den Posamentern, die im Tafeljura zu Hause sind. In grossen Töpfen werden sie zu Konfitüre eingekocht, in kleine und grössere Gläser abgefüllt, die man hier im Café und in den beiden anderen KULT-Bäckereien kaufen kann. Auch in grosse Vakuumbeutel füllen sie die Zwetschgen ab, um im Winter unseren Plunder damit zu füllen. Aus der übrigen Menge gibts Chutney, damit füllen wir unsere Sandwichs um Weihnachten herum.
Manuel und Juri sitzen auf der Leitergasse an einem gemütlichen Bistrotischli, füttern ihren Kindern ein Schoggiweggli und trinken heissen Tee. Die Kinder kommen gerne hierher am Morgen, stellen sich auf einen Stuhl vor der Scheibe der Einmacherei und schauen den Köchinnen beim Arbeiten zu: “Soooo viele Zwetschgen und soooo grosse Töpfe!”
Vor dem Fenster an der Take-away-Ausgabe holen sich die Bauarbeiter von gegenüber ihre Wurstweggen und einen hausgemachten Eistee zum Znüni. Auch der Eisteesirup wird hier vor Ort gekocht.
Die Tischlein drinnen sind jetzt besetzt: An Tisch 2 tippt Ina rhythmisch zum Soundtrack in die Tasten ihres Laptops und am Tisch 7 treffen sich zwei Grossmütter mit ihren schlafenden Enkelkindern im Kinderwagen.
Die Brötli-Vitrine wird bereit gemacht, alle Behälter aufgefüllt, die Streichwerkzeuge bereitgelegt. Wir sind parat für den Mittags-Rush!
Das cremige Limettenhummus, ein Karamel-Zwiebel-Apfelchutney, Rosmarin-Bohnenmus und all ihre befreundeten Aufstriche warten darauf, auf runde Scheibchen gestrichen zu werden und in hungrige Mäuler zu wandern. Die Ruhe vor dem Sturm.
Punkt 12 Uhr ist es wie wenn eine Play-Taste gedrückt worden wäre: Vor dem Take-away-Fenster bildet sich eine kleine Schlange. Warme bunt belegte Brötli gehen über den Tresen, hausgemachte Limonaden fliessen durstige Hälse hinunter, es herrscht geschäftiges Treiben in und vor der Leitergasse 5.
Es ist wieder ruhiger hier, gemütliche Nachmittagsstimmung. Auf den Tellern einer kleinen Gruppe japanischer Touristinnen liegen Zitronentörtchen, sie trinken Espresso und Schwarzbier. Nachdem sie die Brötlibar-Vitrine entdeckt haben, entscheiden sie sich noch für einen gemischten Brötli-Teller “Surprise”.
Währenddessen klingelt drinnen das Telefon, das Backwaren Outlet ruft an. Sie haben aus dem Grosshandel 200 kg Zucchini bekommen, die dem Untergang geweiht sind. Kein Problem für uns: Nach kurzer Rücksprache mit den Köchinnen sagen wir der Abnahme zu und planen für den nächsten Tag eine Zucchini-Einmachete.
Die Köchinnen sind fast am Ende ihres Arbeitstages angekommen. Sie verräumen nun noch die Tagesausbeute: Kisten werden bereitgestellt für die beiden Standorte und die zahlreichen Gläser schmücken im Gastraum schon die Regale. Denn: Die meisten Wände der Einmacherei sind mit Aufbewahrungsvorrichtungen gesäumt, auf denen die Produkte aus der Einmachküche aufbewahrt und ausgestellt werden. Eine schöne Art, die Früchte seiner Arbeit sichtbar zu machen! Wortwörtlich.
Yannik, der Barkeeper, kommt schon eine Stunde vor seiner Schicht und bereitet in der Küche ein paar Einmachspirituosen für die nächsten Monate vor. Die Köchinnen trinken ihr Feierabendbier und schauen dabei Yannik durch die Scheibe zu. Auf der Terrasse stehen die ersten Biergläser auf den Tischen und leuchten im Abendlicht. Die Leitergasse und unsere Musik wird etwas lauter.
Die letzten paar Gebäcke und Brote, die heute nicht verkauft wurden, werden von der Ässbar abgeholt. So finden sie morgen zum kleinen Preis noch einen hungrigen Magen. Vom Bäckerei-Tresen ist jetzt nichts mehr zu sehen. Auch das “Bäcker KULT” Schild über dem Fenster ist verschwunden. Um die Abendstimmung an der Leitergasse 5 einzuläuten, singt Vaya con Dios jetzt sehnsüchtig “Puerto Rico”. Freie Bahn für’s Feierabendbier, für Feigen-Rum aus der Einmachküche, Gin Tonic und – Apéro-Brötli!
Draussen ist es kühl geworden, der Innenraum ist voll und angenehm stickig. Vor dem Haus steht eine Traube plaudernder, trinkender Menschen. Aus den Kinos, nach dem Tanzkurs, vom Abendessen strömen Pärchen und kleine Grüppchen hierher. Peter und Alain, immer mit Bier, staunen schon seit ein paar Stunden über die unterschiedlichsten Menschen hier. Im Raum herrscht Stimmengewirr, vor der Bar muss man etwas warten. Langweilig ist das aber nicht.
Lenny, der Brötli-Barista hat alle Hände voll zu tun. Die Brötlibar ist genau das, was der kleine nächtliche Hunger der Nachtschwärmer*innen sich wünscht. Wippend wird gegessen.
Letzte Runde! Um 1 Uhr ist Feierabend. Felicità klingt aus den Boxen. Unsere Stammgäste wissen, was das heisst.