Article by Merle Grunert (15.05.2025)
Ein paar Tage nach dem 80-jährigen Jubiläum des Kriegsendes am 8. Mai und dem Tod von Margot Friedländer, wird immer wieder betont wie wichtig und selten der Kontakt mit Zeitzeug*innen des Zweiten Weltkrieges ist.
Nachdem man mit Zeitzeug*innen spricht wird einem klar, wie verschiedene Personen und Familien den Krieg wahrgenommen haben. Manche sind im Krieg aufgewachsen und empfanden den Krieg als ihren Alltag, als Normalität, da sie nichts anderes kannten. Andere kannten die Welt vor dem Zweiten Weltkrieg und hatten vielleicht das Ende des Ersten Weltkrieges und den Aufstieg des Faschismus miterlebt.
Meine Großmutter wurde 1929 geboren und starb 2018. Als sie starb, hatte sie mir--damals zehn Jahre alt--wenig bis hin zu nichts von ihrem Leben im Zweiten Weltkrieg erzählt. Sie hat mir einmal von der Situation erzählt, wie sie als Kind immer in den Keller gehen musste, wenn Thüringen bombardiert wurde. Mehr weiß ich aber auch nicht.
Mehr weiß ich von der Zeit der DDR, in der auch mein Vater geboren wurde.
Am 11.05.25 bin ich zu einem offenen Austausch an einem Tisch mit Zeitzeug*innen gegangen, welcher von Kulturprojekten zur Verfügung gestellt wurde.
Die Frau, mit der wir alle am Tisch gesprochen haben, hat den gleichen Namen wie meine Großmutter, was dazu geführt hat, dass ich mich direkt mit der Frau bekannt gefühlt habe. Sie war so viel offener, als ich vorher gedacht hatte. Sie meinte, dass sie ihr Leben nicht veröffentlichen will, weswegen ich auch nicht über ihr Leben berichten werde.
Sie selbst ist keine Jüdin und wurde auch nicht im Krieg verfolgt. Trotzdem prägte der Krieg natürlich in vielen Aspekten ihr Leben.
Und das war für mich auch so wichtig und einleuchtend, dass es eben ihr Leben ist. Man denkt, dass man sich denken kann, wie im Krieg gelebt wurde, aber die Zahlen und Statistiken in Geschichtsbüchern können das Durchleben des Krieges nicht ersetzen und es, meiner Meinung nach, auch nicht in Perspektive bringen. Ihr Leben ist auch wirklich ein eigenes und individuelles Leben, wie wir es auch immer noch leben. Sie erzählte nicht nur vom Krieg, sie erzählte von ihrer Familie, wie sie ihren Ehemann kennenlernte und wie sich ihr Leben über die Zeit veränderte.
Ihre Geschichten waren sehr bewegend, aber der Begriff “Geschichte” hört sich für mich zu fiktiv an, denn das ist ihr Leben auf keinen Fall.
Es fühlte sich wirklich an, als ob ich mit meiner Großmutter sprechen würde. Ich war aber nicht die einzige dort. Erst waren wir sechs oder sieben, die ihr zuhörten. Sie und ihr Ehemann sprachen mit uns, aber sie war auf jeden Fall viel extrovertierter als er. Ihr Enkelsohn hatte die Idee, diese Gesprächsrunde zu organisieren. Seine Mutter saß auch mit uns. Also waren wir sechs Leute, die mit diesen drei Generationen an einem Tisch saßen. Und dann wurden wir immer mehr. Plötzlich waren wir acht, dann zehn, und irgendwann zwölf. Ich bewundere und respektiere die Zeitzeugin, die keine Scheu hatte, vor einer großen Gruppe über ihr Leben zu reden. Sie teilte viel Intimes, aber was ich in der Situation persönlich etwas unangebracht fand, war, dass manche Leute am Tisch und ihre Enkel immer wieder betonten, wie sehr sie es bedauern, dass die Zeitzeugin ihr Leben nicht veröffentlichen will. Ich finde es unglaublich unangemessen, eine Frau, die, obwohl sie es nicht so dargestellt hatte, doch wahrscheinlich traumatisiert ist so dazu zu drängen ihre Geschichte mit der Welt zu teilen. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel in die Situation hinein, aber ich glaube, dass man in dem Moment schätzen muss, dass sie sich dafür bereit erklärt hat, mit einer Menschenmenge zu reden und nicht noch mehr von ihr verlangen.
Ein anderer Aspekt von der Begegnung mit der Frau sollte sein, dass wir ebenfalls von unseren familiären Erlebnissen erzählen und dass es weniger nur zum Ausfragen der Zeitzeugin kommt. Das hat aber nicht genau so funktioniert, wie wahrscheinlich erwartet wurde, da sie dann doch ziemlich ausgefragt wurde, was sie aber nicht störte. Es ist halt auch noch etwas anderes, wenn man Geschichten selbst erlebt, als sie weiter zu erzählen. Und wenn man die Chance hat, mit einer Zeitzeugin zu reden, fokussiert man sich auch eher darauf.
Dass ich mit einer Zeitzeugin sprechen konnte und ihr zuhören konnte (und noch dazu in Person), war sehr einzigartig. Es war eine emotionale Runde, obwohl die Zeitzeugin eifrig berichtet hatte. Es wird eine Erfahrung sein, die mir lange, oder sogar mein ganzes Leben lang im Gedächtnis bleiben wird.
Wenn es die Chance gibt mit Zeitzeug*innen zu reden und sich auszutauschen, sollte diese auch ergriffen werden.
Sources:
tagesschau.de und tagesschau.de. „Margot Friedländer wird am Donnerstag in Berlin beerdigt“. tagesschau.de, 14. Mai 2025, www.tagesschau.de/inland/regional/brandenburg/margot-friedlaender-beerdigung-berlin-100.html.