Opinion Piece by Benjamin Lonicer (30.01.2025)
Der einstige „Tabubruch“ ist Realität geworden - und welche Chancen dies mit sich bringt.
Ein Kommentar von Benjamin Lonicer, Q2
Es ist also passiert. Die so oft zitierte Brandmauer ist zerbrochen. Die CDU hat am Mittwoch (29.01.2025), mithilfe von AfD-Stimmen, einen Antrag zur Politik in den Bundestag gestellt. Es ist ein „Tabubruch“, wie Bundeskanzler Scholz sagte. Ein Tabubruch, der verheerende Konsequenzen für die Demokratie Deutschlands haben könnte oder ein Weckruf für eine Demokratie wünschende Gesellschaft sein kann.
Die von Friedrich Merz angeführte CDU stimmte für einen Antrag zur Änderung der Migrationspolitik, dank Stimmen der AfD. Bild: dpa / Michael Kappeler via mdr
Noch im November hatte Friedrich Merz getönt, mit ihm würde es keine Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen AfD geben. Nun jedoch spricht er davon, dass der Brand hinter der Mauer kein Flächenbrand werden solle. Es ist jedoch ein Brand, den er selber angelegt hat, mit dem Antrag, der die deutsche Migrationspolitik betrifft. Dessen Grundlage er selber schuf, indem er jahrelang die antidemokratische und menschenverachtende Rhetorik der AfD aufgriff und sie akzeptabel machte. Und jetzt hat der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler auch noch den Mut zu behaupten, es sei die Schuld von den Regierungsparteien, dass sie nicht für den Antrag gestimmt hätten. Ein Antrag, der gegen EU-Recht und Grundgesetz verstößt, der von beiden Kirchengruppen (katholisch und evangelisch) nicht unterstützt wird und der von Wirtschaftsexperten*innen als Gefährdung für den deutschen Wirtschaftsstandort gesehen wird. Jedoch ist diese Entscheidung des CDU-Chefs in Linie mit den populistischen Methoden, welche sich schon des Öfteren bei ihm gezeigt haben. Er scheint sich nicht zu schade, einen eklatanten Rechtsrutsch in Kauf zu nehmen, um Wähler zu gewinnen.
An dieser Stelle gebührt Dank an die in der CDU Fraktion, die nicht mitgegangen sind. Die acht Mitglieder des Bundestags, die gar nicht abgestimmt haben. An Christian Günther, der sich gegen den ausbreitenden Populismus in der Union stellt. Und vor allem an Monika Grütters, die als Einzige in der Union gegen den Antrag und die damit entstehende Nähe zur AfD gestellt hat und damit das Risiko eingeht, in Ungunsten der Parteispitze zu geraten. An diesen, vor allem Frau Grütters, müssen wir uns in diesen Zeiten ein Vorbild nehmen, um am Ende des Tages mit gutem Gewissen in den Spiegel gucken zu können.
Monika Grütters war die einzige aus der CDU Fraktion, die gegen den Antrag stimmte. Bild: dpa / Maurizio Gambarini via Deutschlandfunk
Enttäuschend sind auch die Politiker wie Philipp Amthor, die sich in zahlreichen Bundestagsdebatten so stark für das Grundgesetz gemacht haben und gegen Antidemokraten. Wo ist diese Empörung und dieser Mut jetzt, wo es endlich um etwas geht? Es scheint so, als könne oder wolle die alte und aktuelle Auswahl von Politiker*innen diesen Rechtsrutsch und die Gefahren für das Grundgesetz, die damit einhergehen, nicht stoppen. Es bedarf neuer Stimmen, um den Fortschritt zu bewahren, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht wurde.
Vor wenigen Jahren wurde die neueste Generation noch gelobt, dass sie so politisch sei. Die „Fridays for Future“ Demonstrationen gaben Hoffnung, dass sich eine nächste Garde von Hoffnungsträgern formt. Doch ein paar Jahre später, als die AfD massive Erfolge bei den Erst- und Jungwählern in der Wahl des Europäischen Parlaments feiern konnte, schien diese Euphorie einzudämmen.
Junge Menschen sind aber immer noch politisch interessiert und haben klare Moral und Überzeugungen. Es ist also Zeit, Interessen zu vereinen. Zu agieren. Den Faschisten in diesem Land zeigen, dass wir den größten Fehler in der Geschichte unseres Landes nicht wiederholen werden. Sänger und Vorbilder, die eine solche Bewegung leiten können, gibt es genug. Wir als Zukunft von Deutschland müssen uns nur aufraffen und die Freiheiten, die wir dank einer starken demokratischen Grundordnung schätzen dürfen, schützen.
Wir müssen jetzt handeln.
Quellenangabe
Bundestag live: Empörung nach unions-mehrheit mit AFD-Stimmen. ZDFheute. (2025a, January 29). https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/liveblog-bundestag-migration-debatte-brandmauer-100.html
Merz NIMMT Zustimmung der AFD bei migration in Kauf. ZDFheute. (2025b, January 24). https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/merz-cdu-afd-zusammenarbeit-aschaffenburg-migration-brandmauer-100.html
„Ich kann ihm nicht mehr trauen“: Scholz warnt vor Koalition mit AFD unter merz. Tagesspiegel. (2025, January 29).
Bilderquellen