Autorschaft zwischen Intention, Inszenierung und Gesellschaft

Positionsbestimmungen nach der "Rückkehr des Autors"

31.03.-02.04.2011, HU-Berlin,

Dorotheenstr. 24 // HegelplatzRaum 1.301

Tagungsband: Theorien und Praktiken der Autorschaft (hgg. mit Matthias Schaffrick). Berlin 2014.


Mehr als zehn Jahre nach der „Rückkehr des Autors“ (Jannidis et. al. 1999) sind Autorschaftskonzeptionen ein ungebrochen reizvolles wie polarisierendes Thema der Literaturwissenschaft. Autorpoetiken, Lesungen, Plagiate, Buchpreise und andere medial verhandelte Resultate und Residuen literarischer Produktion sind Phänomene, die das Verhältnis von Autor und Text zwischen Intention und Inszenierung zur Disposition stellen. Autorschaft ist dabei stets in Abhängigkeit von den institutionellen Bedingungen und historischen Kontexten zu denken, wie sich nicht nur an literarischer, sondern ebenso wissenschaftlicher Autorschaft zeigen lässt. Die Tagung wird theoretisch und historisch – vom frühen 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart – verschiedene Spielarten von Autorschaft, ihre Manifestationen und Auswirkungen aus interdisziplinärer literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive diskutieren und systematisch reflektieren.

Programm

Donnerstag, 31. März 2011

13:30h meet & greet / Willkommen

14:00h Begrüßung und Einführung – Matthias Schaffrick & Marcus Willand


Sektion I: Intentionen und Inszenierungen

(Moderation: N.N.)

14:30h Keynote: Moritz Baßler (Münster): Mythos Intention. Zur Naturalisierung von Textbefunden

15:30h Gero Guttzeit (Gießen): Writing Backwards? Ursprünge der Autorpoetik bei Godwin, De Quincey und Poe

16:05h Clemens Götze (Potsdam): „Die Ursache bin ich!“ Inszenierung von Autorschaft am Beispiel von Thomas Bernhards Film-Interviews

16:40h Pause

17:10h Julia Ebeling (Berlin): Autor-Inszenierungen auf der Bühne der Migrationsliteratur: Feridun Zaimoğlu

17:45h Gerrit Lembke (Kiel): Vielstimmiges Schweigen. Auktoriale Inszenierung bei Walter Moers

20:00h Gemeinsames Abendessen


Freitag, 1. April 2011

Sektion II: Selbstautorschaft: Poetiken

(Moderation: N.N.)

9:15h Keynote: Uwe Wirth (Gießen): Der Autor als Herausgeber. E.T.A. Hoffmanns Kater Murr

10:15h Seán Williams (Oxford): C. F. Gellert untermauern: Das Autor-Konstrukt als rhetorisches Argument

10:50h Marcel Schmid (Zürich): Auto(r)referentialität am Beispiel einer Collage Kurt Schwitters

10:20h Pause

10:55h Nina-Maria Glauser (Lausanne): „Wer bin schon ich?“ Annäherungen an Paul Nizons Poetik der Autofiktion

11:30h Innokentij Kreknin (Münster): Autorschaft. Subjektivation. Medialität. Drei Aspekte der Beobachtung und Beobachtbarkeit, ihr Zusammenspiel und ihre Paradoxien am Beispiel von Rainald Goetz

12:30h Mittagessen


Sektion III: Autorschaft: Institutionalisierungen

(Moderation: N.N.)

Institutionalisierung als Form und Gattung

14:15h Keynote: Ralf Klausnitzer (Berlin): Autorschaft und Gattungswissen. Wie literarisch-soziale Regelkreise funktionieren

15:15h Evelyn Dueck (Zürich): Diener zweier Herren. Der Übersetzer zwischen ‚Fergendienst‘ und Autorschaft

15:50h Eva-Maria Bertschy / Daniel Rothenbühler (Bern): Der Autor ist anwesend! Zur poetologischen Bedeutung des leiblichen Autors im Kontext der Autorenlesung

16:25h Pause

Institutionalisierung in der Wissenschaft

16:45h Keynote: Felix Steiner (Zürich): Wissenschaftliche Autorschaft und Erkenntniskonsistenz: Überlegungen zu einer Poetologie des Wissenstransfers

17:45h Philipp Pabst (Münster): Wie hört man auf ein Autor zu sein? Zur Autorschaft in Gilles Deleuzes und Claire ParnetsDialogen

18:20h Christina Riesenweber (Göttingen / Münster): Reputation und Wahrheit. Anonymisierung von wissenschaftlicher Autorschaft als Qualitätssicherungsstandard

20:00h Gemeinsames Abendessen


Samstag, 2. April 2011

Sektion IV: Autorschaft: Konzeptionen

(Moderation: N.N.)

9:15h Keynote: Fotis Jannidis (Würzburg): Der Autor ganz nah, aber desto ferner sieht er zurück.

10:15h Birgitta Krumrey (Kiel): Spielformen von Autorschaft in der fiktionalen Autobiographie am Beispiel von Klaus Modicks Bestseller

10:50h Maik Neumann (Bonn): Der Autor als Schreibender – poststrukturalistische Akzentuierungen einer prekär arrangierten Autor-Konzeption

11:25h Pause

11:45h Karin Peters (Mainz): Der gespenstische Souverän. Autorschaft als Poetik des Opfers

12:20h Mirjam Horn (Gießen): “Radical Mimesis is Original Sin”: Aesthetic Practices of Appropiating Text and Authorship

13:00h Ausblick und Verabschiedung – Matthias Schaffrick & Marcus Willand


Die Tagung wird unterstützt von

_der Studienstiftung des deutschen Volkes

_dem PhD.-Net Das Wissen der Literatur (Humboldt-Universität zu Berlin)

_der Graduate School Practices of Literature (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)


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Call for Papers (Bewerbungsfrist abgelaufen)

Mehr als zehn Jahre nach der „Rückkehr des Autors“ (Jannidis et. al. 1999) ist die Kategorie des ‚Autors‘ ein ungebrochen beliebtes Thema der literaturwissenschaftlichen Forschung. Autobiografien, Briefwechsel und Skandale wecken die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser. Vor allem junge literarische Autorinnen und Autoren nutzen veränderte mediale Möglichkeiten der Inszenierung in social networks, über twitter und auf youtube, um Authentizität ebenso zu beanspruchen wie zu negieren. Institutionen wie Literaturhäuser und Lesungen, Literaturpreise und Buchpräsentationen inszenieren Autorinnen und Autoren auf rituelle Weise, schaffen Orientierung im Literaturbetrieb und den Bedarf an neuen Formen der öffentlichen Darstellung von Autorschaft. Retrospektive Ausstellungen oder Literaturmuseen generieren Autorschaft aus dem Archiv.

Die dergestalt ungebrochene Präsenz von Autorschaft ergibt eine Fülle ungelöster, aber dringend zu klärender Fragestellungen und Problemfelder für die Literatur- und Kulturwissenschaft. Die Tagung lädt dazu ein, sich mit folgenden Themenfeldern auseinanderzusetzen:

1. Methodische Grundlagenreflexion

Der mit dem methodischen Konstrukt ‚Autor‘ verbundene Erklärungswert für den interpretativen Umgang mit literarischen Texten ist seit jeher umstritten, wenngleich das Konstrukt in der Methodologie als das distinguierende Moment theoretischer Positionierung fungiert. Diese Problematik wird durch die zunehmende Medialisierung der Autorschaft und das Phänomen verstärkt, dass jeder Text selbst auf spezifische Weise das Verhältnis seiner narrativen Instanzen wie Figuren und Erzähler zu seinem Autor bestimmt. Daher stellt sich die Frage, welchen Zugewinn eine allgemeine Theoretisierung des Paradigmas ‚Autorschaft‘ verspricht? Welche Grenzbegriffe bieten sich an? Welche Forschungsperspektiven eröffnen Hermeneutik, Narratologie, Kommunikationstheorie, Literatursoziologie und Performanztheorien beim gegenwärtigen Stand der Forschung?

2. Selbstautorschaft

Das Wortspiel ‚Auto(r)’ kombiniert mit Kategorien wie ‚Inszenierung‘, ‚Legitimation‘, ‚Autorisierung‘, ‚Fiktion‘, ‚Narration‘ etc. zu „Selbstautorschaft“ ist beliebt. Aber welche Annahmen und Konzepte stecken hinter der Doublette von ‚selbst-‘ und ‚auctor‘? Insbesondere Autonarration und Autofiktion tragen zur gesellschaftlichen Konstruktion von Autorschaft bei. Erschließen sich durch diese sich selbstbegründende Zirkularität Zugänge zur Medialität von Autorschaft im Internet oder zu alternativen Selbstentwürfen (Avataren) in virtuellen Räumen wie in second life?

3. Institution(alisierte) Autorschaft

Autorschaft konstituiert sich in Abhängigkeit von Institutionen. Es stellt sich die Frage, welche Funktion der Autor in persona als verkaufsförderndes Image oder als leserkonstruierte Imagination für literaturbezogene Institutionen (Literaturhäuser, -preise, -messen, etc.) übernimmt? Welche Funktion haben diese Institutionen für ihn? Autorschaft ist längst nicht nur eine Kategorie der Literatur, sondern – das zeigen aktuelle Publikationen – auch der Institution Wissenschaft. Welche epistemologischen Zusammenhänge bestehen zwischen Autor und Wissen? Wie stellen wissenschaftliche Autorinnen und Autoren Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit dar und her – und wie unterscheiden sie sich darin von literarischen Autorinnen und Autoren?

4. Intention

Keine Literatur ohne Autoren. Keine Literatur ohne Leser! Kognitionswissenschaft, kognitive Psychologie, Bewusstsseinsphilosophie und cognitive literary studies setzen neue Akzente in Bezug auf die psychologische, aber auch gesellschaftliche Bedeutung von Autorschaft. Welche neuen Einsichten werden hier formuliert, welchen praktischen Vorteil haben sie gegenüber älteren Modellen und in welchem methodologischen Verhältnis stehen sie zu ihnen? Wie lassen sich diese Fragen für historisierende Ansätze vernünftig stellen, bzw. gar beantworten?

Die Tagung setzt sich das Ziel auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung neue Perspektiven, neue Quellen und neue Ergebnisse zum Phänomen ‚Autorschaft‘ vorzustellen und zu diskutieren. Dabei steht vor allem die gesellschaftspolitische Bedeutung veränderter medialer Rahmenbedingungen und neuer wissenschaftlicher Ansätze im Vordergrund. Das Kolloquium dient dazu, an Autorschaft orientierte und interessierte Forschungsprojekte – möglichst über die Philologien hinaus – interdisziplinär zu vernetzen.