Danach (1971) ging es nach Kierspe in die Gesamtschule. Was für eine Veränderung. Riesenschule, Ganztags, Schulsystem, junge Lehrer und Notenexperimente. Was für Freiheiten haben wir dort genossen, mir wurde es nie langweilig.
Jeden Morgen um 7:00 Uhr ging es mit den Bus nach Kierspe und gegen 16:00 Uhr zurück. So kam man erst um 17:00 Uhr Zuhause an. Hausaufgaben Fehlanzeige. Diese neue Schulform gab einem sehr viele Freiheiten die man auch, jetzt im Nachhinein betrachtet, schamlos als Kind und Jugendlicher ausgenutzt hat. Als Riesenschule mit einem großen Einzugsgebiet lernte man tolle Schulkameraden auch aus Halver, Kierspe, Meinerzhagen, Rönsahl kennen. Das wäre in Lüdenscheid nicht passiert. Dafür wurde der Freundeskreis in Lüdenscheid begrenzt durch das Wohngebiet, Messdiener und ab 1973 kam der Handballsport hinzu.
Das war auch so eine Begegnung. Man musste sich ein Wahlfach aussuchen. In einer Sporthalle sah ich Jungs die um einen Ball kämpften und auf ein Tor warfen. Mal kein Fußball, Hallensport, kein Grund für Mama zu schimpfen, dass man dreckig ist und so richtig raufen konnte man da. Also nichts wie hin. Schnell zeigten die großen Jungs die Grenzen für einen Pimpf auf, aber Respekt hatte man, da ich für mein alter, wohl einen festen Wurf hatte. Dieser Sport hat ab da an mein Leben sehr stark beeinflusst.
Auf dieser Schule wurde alles gelehrt. Lag wohl auch daran, dass diese neue Schulform sehr stark durch die Politik bezuschusst wurde. Dadurch hatte man die ganze Zeit einen sehr großen Vorteil. Alle Fächer wurden gelehrt und Naturwissenschaft und Technik haben es mir besonders angetan. Die Vorliebe für Geschichte wurde in der Bibliothek gestillt. Was für eine riesige Menge an tollen Büchern.
Zuhause gab es ein Modell nach dem nächsten und unser Zimmer glich einem Museum. Von historischen Segelschiffen über Schlachtschiffe, sowie zivile wie militärische Flugzeuge, alles wurde zusammengebastelt und bemalt. Die Hintergrundinformationen kamen aus der Bibliothek. Dazu gehören die Bücher rund um die Geschichte der Schifffahrt von Wolfram zu Mondfeld: „Ruder hart Backbord“, „Der sinkende Halbmond“, „Drachenschiffe gegen England“, „Piraten und Schmuggler von Saint Malo“, „Historische Segelschiffmodelle“, „Der Meister des Siebten Siegels um nur einige zu nennen“.
Durch die aufkommende Pubertät gesellte sich nun auch Musik dazu. Angefangen mit DISCO in der Glotze und Mal Sandock’s Hitparade im Radio. Was hat man sich geärgert wenn der Typ beim aufnehmen mit dem Kassettenrecorder dazwischen quatschte. Es konnte auch schon mal ein bisschen lauter sein. Nix Sweet, Slade, Status Quo & Co. Deep Purple, Pink Floyd, Golden Earring waren da schon mehr angesagt.
Und dann waren ja auch noch die Mädchen. Eine Spezies die von Spielkameradin zu doch interessanten Wesen mutierte. So lebte man eine Zeitlang zwischen LEGO-Steinen, Modellbau, Musik hören, Fernseh gucken, Handball und Mädels hin und her. Also keine Zeit zum Lernen, wann sollte man das denn noch machen?
Da war aber doch wohl noch mehr als nur Freizeit. Irgendwie bekam ich, ab dem 7ten Schuljahr, die Kurve zum Lernen, oder zu mindestens im Unterricht aufpassen, zuhören, mitarbeiten. Die Noten verbesserten sich kontinuierlich und Schule machte immer mehr Spaß. Durch die Gesamtschule machte man seinen Hauptschulabschluss, Realabschluss und durch die Qualifikation zur Oberstufe hatte man die Chance zum Abitur. Ich wollte aber, wie viele meiner Schulkamerden, eine Lehre machen. Angst vor Berufsleben hatte ich nicht, da ich ab meinem 14ten Lebensjahr fast jede Oster- wie Sommerfeien gearbeitet habe. Kohle, Patte, Ocken verdienen war angesagt.
Anekdote am Rande: Mit 14 Jahren, war das letzte Jahr, danach kam das Jugendschutzgesetzt, habe ich 3 Wochen in der Galvanik für 3,65 DM die Stunde gearbeitet. Mensch was habe ich da gekotzt, aber Milch und Kakao so viel wie man wollte, gab es umsonst. Danach Funkfernsteuerung gekauft, Geld „wech“.
Quali für Oberstufe erreicht und meine Eltern meinten, so eine Chance kannst du dir nicht entgehen lassen. Keine Lehrstelle bekommen, also weiter zur Schule. Da gab es leistungsmäßig erst einmal eine Bruchlandung. Nun bekam man die Quittung für das frühere Lotterleben. Also pauken war angesagt.
Zwischendurch Handballverein gewechselt. Hatte ab 1974 beim LHC Handball gespielt. 2x die Woche vom Wehberg zum BGL zum Training gegangen (natürlich zu Fuß). Hatte erfahren das Rot-Weiß direkt am Wehberg trainiert, nur 5 Minuten zu Fuß, also nichts wie hin. War irgendwie alles lockerer.
Großes Highlight damals war die Planung und Umsetzung der 6 wöchigen Sommerurlaubs nach Griechenland, mit meinem Schulkamerad Michael Sammer. Osterferien Geld verdient, Rucksack, Schlafsack gekauft. Ab Lüdenscheider Bahnhof morgens früh um 06:30 Uhr in einem Bus mit vielen Gastarbeitern und nach weiteren 36 Stunden war man dann in Thessaloniki (GR). War das ein Erlebnis. Zug, Bus, trampen usw. über 2.700 km nur in Griechenland absolviert. Randnotiz: Meldung nach Hause Fehlanzeige, nach 3 Tagen eine Poststation gefunden, Telefonat nach Deutschland angemeldet, 4,5 Stunden gewartet um dann 3 Minuten nach Hause zu telefonieren (Kosten 15 DM).