Carl Bruns
1885-1945
Carl Bruns
1885 - 1945
Mein Großonkel Carl Bruns wurde am 10. Februar 1885 als Sohn des Landwirts Johann Heinrich Bruns (1851–1920) und seiner Frau Katharina Bruns, geb. Willers (1858-1955) in Hollerdeich im damaligen Amt Freiburg/Elbe, (heute Gemeinde Oederquart, Kreis Stade), geboren. Von den 12 Kindern der Familie starben 5 schon sehr früh an Kinderkrankheiten. Auf dem Foto die Eltern mit einem jüngeren Bruder.
In Oederquart besuchte Carl acht Jahre lang die Dorfschule, bis 1899. Danach machte er eine kaufmännische Lehre, arbeitete seitdem in der Textilbranche als Kaufmann und zog später in die nahegelegene Großstadt Hamburg.
(> Kaiserreich)
„Meine homosexuelle Veranlagung hat sich erst während des Weltkrieges richtig entwickelt. (...) Nach meiner Militärzeit habe ich mich nicht wieder Frauen genähert.“ (aus Carl Bruns’ Aussagen bei seiner Festnahme im April 1942.)
Am Ersten Weltkrieg nahm er von 1915 bis 1918 teil, zuletzt als Kanonier im Feldartillerie-Regiment 45, Altona, und empfing das „EK II, Verwundetenabzeichen und Frontkämpferehrenzeichen“.
Das Geschäft „Tuchlager Welzien & Co.“ befand sich erst am Graskeller 3, dann am Neuen Wall 103 (Foto). Beide Gebäude wurden durch Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört. Otto Schildt wurde im Dezember 1942, nachdem Carl erneut inhaftiert worden war, Alleininhaber der Firma.
Vielleicht hat Carl seinen späteren Geschäfts- und Lebenspartner Otto Schildt (1882–1943) im Ersten Weltkrieg kennengelernt, denn bereits im September 1919, kurz nach Gründung der Weimarer Republik, wurden sie in Hamburg Geschäftsführer, ab 1927 Inhaber des „Tuchlagers Welzien & Co.“. Eigentümerin der Tuchhandlung war bis Dezember 1927 Emma Margaretha Welzien.
Auf dem Foto v.l.n.r.: Otto, Carl, Carls Mutter (meine Urgroßmutter).
Fotograf: Wahrscheinlich Heinrich Roth
Am 1. April 1933, kurz nach Beginn der NS-Diktatur, bezogen Carl und Otto gemeinsam mit Carls Mutter Katharina Bruns (meiner Urgroßmutter) eine großbürgerliche 8-Zimmer-Wohnung in der Papenhuder Straße 32, 2. Stock, gegenüber der vorherigen Wohnung.
v.l.n.r.: Heinz, Otto, Julius, Käthe. Fotograf (wahrscheinlich) Carl Bruns.
Mit 43 Jahren hatte Carl 1929 den über zwanzig Jahre jüngeren Fotografen Heinrich (Heinz) Roth (1907–1945) in einer schwulen Kneipe (Die Goldene 13 in Hamburg - St. Pauli) kennengelernt. Bis zu Beginn der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime im Jahre 1936 hatten Carl und Heinz eine Liebesbeziehung. Heinz hielt sich meistens auch in der Papenhuder Straße bei Carl und Otto auf. Am Steindamm 91 in Hamburg - St. Georg hatte er sein Fotostudio und seine Wohnung.
Wie die Fotos bezeugen, besuchten Carl, Otto und Heinz gemeinsam Familienangehörige Carls (hier seine Schwester Käthe und ihren Mann Julius Strauch).
Tante Käthe habe ich übrigens als Kind in den 1960er Jahren noch kennengelernt!
Carl Bruns war nicht politisch aktiv und kein Mitglied der NSDAP, was in den Gestapo-Akten verzeichnet wurde.
Kaffee und Kuchen, Anfang der 1930er Jahre,
v.l.n.r.: Käthe, Otto, Mary Neffke, Cousine meiner Urgroßmutter, Emmy Neffke, Heinrich (Heinz), Carl.
Fotograf: vielleicht Julius, Käthes Mann.
Julius, Urla, Carl, Anna Tiemann geb. Bruns (Schwester), Käthe, Georg Tiemann
Otto, Katharina, Mary, Carl
Urla, Otto, Carl, Katharina
Cuxhaven
1937, Urlaub in Westerland, Sylt
v.l.n.r. Mutter, Käthe, Urla
Carl und seine Nichte Urla
Tipp: „Schwule Lieder“ Historische Aufnahmen aus den Jahren 1908 bis 1933 - Perlen der Kleinkunst - mit Künstlern wie Otto Reutter, Gustaf Gründgens, Claire Waldoff und Marlene Dietrich.
Dieser Film auf Netflix beleuchtet das Leben queerer Menschen in einem glitzernden Nachtclub im Berlin der 1920er Jahre und die Freiheiten, die sie nach Hitlers Aufstieg zur Macht verloren haben.
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Im April 1936 wurde Heinrich wegen seiner Beziehung mit Carl zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt.
Carl wurde zum ersten Mal im Juni 1936 verurteilt und verbrachte 4 Monate und 2 Wochen im Gefängnis.
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