Gesprächskonzert
Albert Schweitzers Welt
Neu erschienen im Mai 2025
Albert Schweitzers Welt
Im „Gesprächskonzert“ werden musikalische Werke mit Impulsen und Reflexionen zu seinem Leben und Denken verbunden. Musikbeispiele, Werkanalysen und theologische Reflexionen schaffen einen lebendigen Zugang zu seinem Wirken.
Erleben Sie, wie Musik als Ausdruck einer ethischen Weltanschauung gehört und interpretiert werden kann.
Ludwig Philipp Albert Schweitzer wurde am 14. Januar 1875 in Kaysersberg, in Elsass-Lothringen, geboren und verstarb am 4. September 1965 in Lambaréné, Gabun. Als deutsch-französischer Forscher, Arzt, Philosoph, evangelischer Theologe, Organist, Musikwissenschaftler und Pazifist zählt er zu den herausragendsten Denkern des 20. Jahrhunderts.
In diesem Jahr feiern wir seinen 150. Geburtstag und gedenken seines 60. Todestages, während gleichzeitig der 275. Todestag Johann Sebastian Bachs begangen wird. Diese zeitlichen Rahmenbedingungen zeichnen bereits ein Bild von Schweitzers Leben: seine tiefe Verbundenheit mit Johann Sebastian Bach und sein Dasein im Spannungsfeld des Sowohl-als-auch. In einer Welt, in der Klarheit fehlt und die sich daher für das Entweder-oder entscheidet, wird deutlich, dass das Leben stets im Dazwischen stattfindet. Schweitzer ist ein strahlendes Beispiel dafür, wie ein Leben in Unklarheit und dazwischen gelingen kann.
Zeitlebens spürte Schweitzer einen inneren Zwiespalt: Bis zu seinem 30. Lebensjahr widmete er sich der Wissenschaft, um anschließend aus Dankbarkeit für sein eigenes Leben den Menschen zu dienen. Er fühlte sich nirgends wirklich zugehörig – weder als Franzose noch als Deutscher, sondern als beides. Diese ambivalente Identität brachte ihm im Ersten Weltkrieg große Schwierigkeiten. Seine bemerkenswerte Leistung bestand darin, in diesem Zwiespalt zu leben und nicht das Entweder-oder zu wählen, sondern das Sowohl-als-auch als eigenständigen Lebensraum zu etablieren. So wird Schweitzer zu einem großen Versöhner, der die Verbindungen betont und Gegensätze überwindet – nicht nur zwischen Afrika und Europa, sondern vor allem zwischen Mensch und Mensch.
Bereits früh legte er kulturell und historisch bedingte Brillen ab und würdigte Altes neu: In Europa alte Orgeln und in Afrika fremde Menschen. Er hob bestehende Traditionen auf eine neue Ebene: Alte Orgeln wurden im Rahmen der Orgelbewegung der 20er Jahre wieder neu geschätzt, während der Humanismus über das Christentum hinaus zu einer umfassenden Ethik gelangte.
In diesem Konzert werden wir stets an diese zwei Seiten erinnern: Texte und Musik, Originalzitate und Erläuterungen, Werkinterpretation und Hörgenuss.
Albert Schweitzers Leben umfasste eine beeindruckende Vielfalt an Bereichen:
· Pfarrer
· Professor für Theologie
· Arzt
· Missionar
· Wissenschaftler
· Konzertorganist
· Philosoph
· Friedensaktivist[1]
Doch stets blieben zwei Grundkonstanten im Vordergrund: Theorie und Umsetzung. Was heute von Schweitzer im kollektiven Gedächtnis bleibt, ist sein Engagement für den Frieden. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, ihn lediglich als Pazifisten zu kennzeichnen und in seinem Namen jegliche Form der Auseinandersetzung zu verurteilen. Schweitzer bezog stets die Details und den Kontext in seine Überlegungen ein und gab uns mit seiner Ethik einen Werkzeugkasten sowie Beispiele aus seinem Leben. Es geht darum, nicht nur zu kopieren, sondern zu verstehen. Nicht kopieren, sondern kapieren. Es gilt diese Werkzeuge zu kennen und angemessen zu benutzen.
„In keiner Weise dürfen wir uns dazu bewegen lassen,
die Stimme der Menschlichkeit in uns
zum Schweigen zu bringen.“[2]
[1] Weitere Berufe unter: „Albert Schweitzer.“ Deutsche Biographie, www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=AvhS_MlBV4gscBgJj4aU9OdCvO9KaWcz8wnbpOhGX6E2RPaqM5ownvt4Yu4BQn497qugkdAjkdZ5X1Yeyz-6xt1wOZcAIM_L&name=albert+Schweitzer – abgerufen am 27. April 2025.
[2] Schweitzer, A. (o. D.). Zitate. Albert-Schweitzer-Gymnasium Erlangen:. https://www.asg-er.de/zitate - abgerufen am 15. März 2025
Das Konzert in G-Dur, BWV 592, von Johann Sebastian Bach basiert auf einem Originalkonzert für Violine, Streicher und Basso Continuo von Johann Ernst Prinz von Sachsen-Weimar. Dieses Werk ist ein herausragendes Beispiel für Bachs Fähigkeit, bestehende musikalische Ideen neu zu interpretieren und auf die Möglichkeiten der Orgel zu übertragen.
Johann Ernst IV. (1696-1715) wurde als der sächsische Vivaldi bezeichnet und war ein begabter Komponist, der leider schon früh verstarb. 1713 unternahm er die für damalige Zeiten typische Kavalierstour. Tragischerweise erkrankte er an einer Geschwulst, die letztlich zu seinem frühen Tod zwei Jahre später im Alter von nur 18 Jahren führte. Trotz seiner kurzen Lebensspanne komponierte Johann Ernst etwa 19 Konzerte.
Bach bearbeitete das Solokonzert während seiner Zeit als Konzertmeister in Weimar und schuf eine Orgelversion, die die lebendige und dynamische Struktur des Violinkonzerts bewahrt, während sie die klanglichen Möglichkeiten der Orgel nutzt. Diese Übertragung ist kein bloßer Klavierauszug; vielmehr zeigt Bach seine Meisterschaft im Umgang mit den instrumentenspezifischen Ausdrucksmöglichkeiten der Orgel.
BWV 592 folgt der typischen Struktur eines Barockkonzerts und besteht aus drei Sätzen:
1. Allegro: Ein lebhafter und dynamischer Satz, der oft mit virtuosen Passagen aufwartet.
2. Largo: Ein gefühlvoller, langsamer Satz, der das expressive Potenzial der Orgel zur Geltung bringt.
3. Allegro: Ein schneller, fröhlicher Schluss, der das Werk energisch beendet.
[1] Weitere Berufe unter: „Albert Schweitzer.“ Deutsche Biographie, www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=AvhS_MlBV4gscBgJj4aU9OdCvO9KaWcz8wnbpOhGX6E2RPaqM5ownvt4Yu4BQn497qugkdAjkdZ5X1Yeyz-6xt1wOZcAIM_L&name=albert+Schweitzer – abgerufen am 27. April 2025.
[2] Schweitzer, A. (o. D.). Zitate. Albert-Schweitzer-Gymnasium Erlangen:. https://www.asg-er.de/zitate - abgerufen am 15. März 2025
Hier folgt demnächst ein Link zur Musik
Gleich neben der freudigen Einleitung des Concertos soll hier im Kontrast dazu die meditative und ergreifende Choralbearbeitung „O Mensch, bewein' dein Sünde groß“ stehen. Auch hier wieder die zwei Welten: Exaltiertheit im Concerto und Innerlichkeit in der Choralbearbeitung.
BWV 622, „O Mensch, bewein' dein Sünde groß", stammt aus dem Orgelbüchlein, einer Reihe von Chorälen und Choralbearbeitungen. Dieses Werk konzipierte Bach als Lehrmaterial und Sammlung für Gottesdienste und umfasst Choralbearbeitungen aus allen Teilen des Kirchenjahres.
Die langsame, ausdrucksstark verzierte Choralmelodie verleiht dem Werk eine eindringliche Schwere, was am Ende noch besonders durch chromatische Harmonien verstärkt wird.
Dieses Stück wird oft als eines der eindrucksvollsten Werke des Orgelbüchlein angesehen.
Hier folgt demnächst ein Link zur Musik
„So lange ich zurückblicken konnte, habe ich unter dem vielen Elend, das ich in der Welt sah, gelitten. Unbefangene, jugendliche Lebensfreude habe ich eigentlich nie gekannt und glaube, dass es vielen Kindern ebenso ergeht, wenn sie auch äußerlich ganz froh und ganz sorglos scheinen.
Insbesondere litt ich darunter, daß die armen Tiere so viel Schmerz und Not auszustehen haben. Der Anblick eines alten hinkenden Pferdes, das ein Mann hinter sich herzerrte, während ein anderer mit einem Stecken auf es einschlug – es wurde nach Kolmar ins Schlachthaus getrieben –, hat mich wochenlang verfolgt.
Ganz unfaßbar erschien mir – dies war schon, ehe ich in die Schule ging –, daß ich in meinem Abendgebete nur für Menschen beten sollte. Darum, wenn meine Mutter mit mir gebetet und mir den Gutenachtkuß gegeben hatte, bete ich heimlich noch ein von mir selbst verfaßtes Zusatzgebet für alle lebendigen Wesen. Es lautete: ‚Lieber Gott. Schütze und segne alles, was Odem hat, bewahre es vor allem Übel und laß es ruhig schlafen!‘
Einen tiefen Eindruck machte mir ein Erlebnis aus meinem siebenten oder achten Jahre. Heinrich Brätsch und ich hatten uns Schleudern aus Gummischnüren gemacht, mit denen man kleine Steine schleuderte. Es war im Frühjahr, in der Passionszeit. An einem Sonntagmorgen sagte er zu mir: ‚Komm, jetzt gehen wir in den Rebberg und schießen Vögel.‘ Dieser Vorschlag war mir schrecklich, aber ich wagte nicht zu widersprechen, aus Angst, er könnte mich auslachen. So kamen wir in die Nähe eines kahlen Baumes, auf dem die Vögel, ohne sich vor uns zu fürchten, lieblich in den Morgen hinaus sangen. Sich wie ein jagender Indianer duckend, legte mein Begleiter einen Kiesel in das Leder seiner Schleuder und spannte dieselbe. Seinem gebieterischen Blick gehorchend, tat ich unter furchtbaren Gewissenbissen dasselbe, mir fest gelobend, daneben zu schießen. In demselben Augenblicke fingen die Kirchenglocken an, in den Sonnenschein und in den Gesang der Vögel hineinzuläuten. Es war das ‚Zeichenläuten‘, das dem Hauptläuten eine halbe Stunde voranging. Für mich war es eine Stimme des Himmels. Ich tat die Schleuder weg, scheuchte die Vögel auf, daß sie wegflogen und vor der Schleuder meines Begleiters sicher waren, und floh nach Hause.
Und immer wieder, wenn die Glocken der Passionszeit in Sonnenschein und kahle Bäume hinausklingen, denke ich ergriffen und dankbar daran, wie sie mir damals das Gebot: ‚Du sollst nicht töten‘ ins Herz geläutet haben.
Von jenem Tage an habe ich gewagt, mich von der Menschenfurcht zu befreien. Wo meine innerste Überzeugung mit im Spiele war, gab ich jetzt auf die Meinung anderer weniger als vorher. Die Scheu vor dem Ausgelachtwerden durch die Kameraden suchte ich zu verlernen.
Die Art, wie das Gebot, daß wir nicht töten und quälen sollen, an mir arbeitete, ist das große Erlebnis meiner Kindheit und Jugend. Neben ihm verblassen alle anderen.“ [1]
„Die Überzeugung, daß wir im Leben darum zu ringen haben, so denkend und so empfindend zu bleiben, wie wir es in der Jugend waren, hat mich wie ein treuer Berater auf meinem Weg begleitet. Instinktiv habe ich mich dagegen gewehrt, das zu werden, was man gewöhnlich unter einem ‚reifen Menschen‘ versteht. ...
Wir alle müssen darauf vorbereitet sein, daß das Leben uns den Glauben an das Gute und Wahre und die Begeisterung dafür nehmen will. Aber wir brauchen sie ihm nicht preiszugeben. Dass die Ideale, wenn sie sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, gewöhnlich von den Tatsachen erdrückt werden, bedeutet nicht, daß sie von vorneherein vor den Tatsachen zu kapitulieren haben, sondern nur, daß unsere Ideale nicht stark genug sind. Nicht stark genug sind sie, weil sie nicht rein und stark und stetig genug in uns sind.“[2]
Hier weitere Zitate, die aus zeitlichen Gründen nicht im Konzert gelesen wurden:
„Schon vor meiner Schulzeit hatte mein Vater begonnen, mich auf einem alten Tafelklavier in Musik zu unterrichten. Von Noten spielte ich nicht viel ab. Meine Freude war, zu improvisieren und Lieder und Choralmelodien mit selbst erfundener Begleitung wiederzugeben. Als nun in der Gesangstunde die Lehrerin fortgesetzt den Choral Note für Note ohne Begleitung anschlug, empfand ich dies als nicht schön und frug sie in der Pause, warum sie nicht richtig mit Begleitung spiele. Im Eifer setzte ich mich an das Harmonium und spielte ihr ihn schlecht und recht mehrstimmig aus dem Kopfe vor. Da wurde sie sehr freundlich zu mir und schaute mich merkwürdig an. Aber selber tippte sie den Choral auch weiterhin immer nur mit einem Finger. Da ging mir auf, dass ich etwas konnte, was sie nicht konnte, und schämte mich, ihr mein Können, das ich für etwas ganz Selbstverständliches angesehen hatte, vorgemacht zu haben.
Im Übrigen war ich ein stiller und verträumter Schüler, der Lesen und Schreiben nicht ohne Mühe erlernte.“[3]
„... (M)eine Sehnsucht war von jeher auf die Orgel gerichtet. Sie lag mir im Blute. Mein Grossvater mütterlicherseits, Pfarrer Schillinger aus Mühlbach, hatte sich viel mit der Orgel und Orgelbau beschäftigt. Er soll schön improvisiert haben. Auch mein Vater besass diese Gabe. ...
Durch die Freundlichkeit (meines Lehrers) Iltis ... war ich schon als Knabe auf die Orgel der Günsbacher Kirche gekommen. Bereits mit neun Jahren vertrat ich ihn im Gottesdienst. ... Mit sechszehn Jahren durfte ich dann Eugen Münch in den Gottesdiensten vertreten. Bald darauf sass ich zum erstenmal in einem Konzert vor der Orgel. ... Damals kannte ich zum ersten Male die Wonne, die ich seither so oft durchgekostet hatte, die Orgel in den Klang von Orchester und Chor hineinfluten zu lassen.“[4]
„Dem Bach der Gralswächter der reinen Musik setze ich in meinem Buche denjenigen entgegen, der Dichter und Maler in Musik ist. Alles, was in den Worten des Textes liegt, das Gefühlsmäßige wie das Bildliche, will er mir größtmöglicher Lebendigkeit und Deutlichkeit in dem Material der Töne wiedergeben. Vor allem geht er darauf aus, das Bildliche in Tonlinien zu zeichnen. Er ist noch mehr Tonmaler als Tondichter. ... Redet der Text von Nebeln, die auf- und niederwogen, von Winden, die einherbrausen, von Flüssen, die dahinrauschen, ... von dem zuversichtlichen Glauben, der in festen Schritten einherschreitet, und dem schwachen, der in unsicheren einherwankt, von Stolzen, die erniedrigt, und von Demütigen, die erhöht werden, vom Satan, der sich aufbäumt, und von Engeln, die sich auf den Wolken wiegen: so sieht man dies alles in seiner Musik.
Bach verfügt geradezu über eine Tonsprache. Es gibt bei ihm stetig wiederkehrende rhythmische Motive der friedvollen Glückseligkeit, der lebhaften Freude, des heftigen Schmerzes, des erhabenen Schmerzes. ...
Dichterisch und malerisch ist seine Musik, weil ihre Themen dichterischen und malerischen Vorstellungen entsprungen sind. Aus ihnen entfaltet sich dann das Tonstück in vollendeter Tonlinien-Architektur. Was seinem Wesen nach dichterischer und bildlicher Musik ist, stellt sich als Klang gewordene Gotik dar. Das Größte an dieser urlebendigen, wunderbar plastischen, einzigartig formvollendeten Kunst ist der Geist, der von ihr ausgeht. Eine Seele, die sich aus der Unruhe der Welt nach Frieden sehnt und Frieden schon gekostet hat, läßt darin andere an ihrem Erlebnis teilhaben.“[5]
„Was Bach mir ist? Ein Tröster. Er gibt mir den Glauben, daß in der Kunst wie im Leben das wahrhaft Wahre nicht ignoriert und nicht unterdrückt werden kann, auch keiner Menschenhilfe bedarf, sondern sich durch seine eigene Kraft durchsetzt, wenn seine Zeit gekommen.“[6]
(Zusammenstellung der Zitate: Gottfried Schüz)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle einige Stationen hinzufügen, die das Leben von Albert Schweitzer in seiner ganzen Fülle zeigen.
Albert Schweitzer war ein außergewöhnlich vielseitiger Mensch. Bereits in jungen Jahren machte er sich einen Namen als Theologe und Philosoph und widmete sich intensiv der Musikwissenschaft. Besonders die Werke von Johann Sebastian Bach lagen ihm am Herzen, und er galt als einer der großen Bach-Interpreten seiner Zeit. Er studierte Theologie und Philosophie an der Universität Straßburg und erlangte mit seinen Schriften und seinem Orgelspiel internationale Anerkennung.
Dann jedoch kam der Wendepunkt. Schweitzer beschloss, seine wissenschaftliche und künstlerische Karriere aufzugeben und Medizin zu studieren, weil er glaubte, dass er mehr tun konnte – und musste. Diese Entscheidung prägte sein ganzes Leben. 1905, im Alter von 30 Jahren, begann er ein Medizinstudium, um später in Afrika als Arzt arbeiten zu können. Dieser Entschluss führte ihn schließlich 1913 nach Lambaréné, wo er unter einfachsten Bedingungen ein Krankenhaus aufbaute.
Seine Arbeit in Lambaréné war von zahlreichen Herausforderungen geprägt, darunter die Wirren des Ersten Weltkriegs, in dessen Verlauf er interniert wurde. Doch Schweitzer gab nicht auf, und nach dem Krieg kehrte er zurück, um sein Krankenhaus weiter auszubauen und noch mehr Menschen zu helfen.
In den späteren Jahren seines Lebens wurde Schweitzer zunehmend zu einer internationalen Stimme des Friedens. Er setzte sich leidenschaftlich gegen den Einsatz von Atomwaffen ein und erinnerte die Welt daran, wie wichtig es ist, das Leben zu schützen. Für seine Friedensarbeit wurde ihm 1952 der Friedensnobelpreis verliehen.
In seinem Werk „Ehrfurcht vor dem Leben“, das 1948 veröffentlicht wurde, drückt Schweitzer seine Überzeugung aus: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Dieses Zitat ist ein zentraler Teil seines Gedankens, dass jedes Leben Respekt und Schutz verdient.
Albert Schweitzers Leben war geprägt von seinem unerschütterlichen Engagement für die Menschheit und für die Natur. ‚Das einzige Leben, das lebenswert ist, ist das Leben, das im Dienst am Nächsten steht,‘ sagte er. Schweitzer lebte diese Philosophie in allem, was er tat. Selbst im hohen Alter arbeitete er weiter in Lambaréné und bewies, dass ein Leben im Dienst des Lebens ein erfülltes und wahrhaft bedeutungsvolles Leben ist.
Sein Vermächtnis der Ehrfurcht vor dem Leben ist eine zeitlose Mahnung an uns alle. Lassen Sie uns diesen Gedanken in uns tragen und ihn zur Grundlage unserer Handlungen machen.
„Der Zufall ist ein Pseudonym, das der liebe Gott wählt, wenn er inkognito bleiben will.“[7]
[1] Schweitzer, A.: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. München 1985, S. 23-25.
[2] Schweitzer, A.: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. München 1985, S. 57f.
[3] Schweitzer, A.: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. München 1985, S. 13f.
[4] A.a.O., S. 32-34.
[5] Schweitzer, A.: Aus meinem Leben und Denken. Frankfurt/M. 1990, S. 62f.
[6] Zit. n. Harald Steffahn: Albert Schweitzer – Lesebuch, München 1986², S. 85f.
[7] Schweitzer, A., zitiert nach: Gut zitiert: https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_albert_schweitzer_thema_zufall_zitat_3560.html - abgerufen am 16. März 2025
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Das folgende Werk vereint die Lebhaftigkeit des Concertos mit der tiefen Aussagekraft der Choralbearbeitung. Bachs Fantasie und Fuge in g-Moll, BWV 542, zählt zu seinen größten Orgelwerken und spiegelt die Virtuosität und musikalische Tiefe wider, die Bach in seinen Kompositionen für dieses Instrument entfalten konnte.
Die Fantasie beginnt mit einem dramatisch ausschweifenden Rezitativ, das den gesamten Tonraum von g-Moll in schnellen Läufen durchstreift. Dieser freiere Teil wird von einem kontrapunktischen Abschnitt abgelöst, der kammermusikalische Züge aufweist. Wie eine lebendige Rede entfaltet sich die Fantasie in klaren Abschnitten aus Rezitativen und elegischen Zwischenspielen, in denen Bachs dramatisches Gespür und harmonische Komplexität eine kraftvolle, ausdrucksvolle Spannung erzeugen.
Im Gegensatz zur freien Struktur der Fantasie folgt die Fuge einem strengen polyphonen Stil, in dem sich das spielfreudige Thema in allen Stimmen entfaltet und so die kraftvolle Dynamik des Stückes prägt. Das Fugenthema – vermutlich inspiriert von einem alten niederländischen Volkslied – wurde von Bach vielleicht 1720 in Hamburg gespielt, als Hommage an die Herkunft des dortigen Musikers Johann Mattheson. Diese volksliedhafte Anlehnung verleiht der Fuge eine Leichtigkeit, die in reizvollem Kontrast zur raffinierten und dramatischen Fantasie steht.
„Gut ist: Leben erhalten und fördern;
schlecht ist: Leben hemmen und zerstören.“[1]
[1] Schweitzer, A.: Die Erste öffentliche Darlegung über die Ehrfurcht vor dem Leben, gehalten am 23. Februar 1919 in Straßburg, zitiert nach: https://www.velkd.de/schwerpunkte/theologie/150-jahre-albert-schweitzer - abgerufen am 15. März 2025
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Das ethische Nachdenken „muß von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewußtseins ausgehen. Diese lautet: ‚Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will‘ … Ethik besteht also darin, daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen ...
Wahrhaft ethisch ist der Mensch nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgendetwas Lebendigem Schaden zu tun. Er fragt nicht, inwiefern dieses oder jenes Leben als wertvoll Anteilnahme verdient, auch nicht, ob und inwieweit es empfindungsfähig ist. Das Leben als solches ist ihm heilig. Er reißt kein Blatt vom Baume ab, bricht keine Blume und hat acht, daß er kein Insekt zertritt. Wenn er im Sommer nachts bei der Lampe arbeitet, hält er lieber das Fenster geschlossen und atmet dumpfe Luft, als daß er Insekt um Insekt mit versengtem Flügel auf seinen Tisch fallen sieht.“[1]
„Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niederem Leben. Sie lehnt eine solche Unterscheidung ab. Denn der Wunsch, allgemeingültige Wertunterschiede zwischen den Lebewesen anzunehmen, läuft im Grunde darauf hinaus, sie danach zu beurteilen, ob sie uns Menschen nach unserem Empfinden näher oder ferner zu stehen scheinen. Das ist aber ein ganz subjektiver Maßstab. Wer von uns weiß denn, welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat? Die Konsequenz dieser Unterscheidung ist dann die Ansicht, daß es wertloses Leben gäbe, dessen Vernichtung oder Beeinträchtigung erlaubt sei. Je nach den Umständen werden dann unter wertlosem Leben Insekten oder primitive Völker verstanden“.[2]
„(Fürchte dich) nicht, als sentimental belächelt zu werden. Es ist das Schicksal jeder Wahrheit, vor ihrer Anerkennung ein Gegenstand des Lächelns zu sein. Einst galt es als eine Torheit, anzunehmen, daß die farbigen Menschen wahrhaft Menschen seien und menschlich behandelt werden müßten. Die Torheit ist zur Wahrheit geworden. Heute gilt es als übertrieben, die stete Rücksichtnahme auf alles Lebendige bis zu seinen niedrigsten Erscheinungen herab als Forderung einer vernunftgemäßen Ethik auszugeben. Es kommt aber die Zeit, wo man staunen wird, daß die Menschheit so lange brauchte, um gedankenlose Schädigung von Leben als mit Ethik unvereinbar einzusehen.
Ethik ist ins Grenzenlose erweitere Verantwortung gegen alles, was lebt“.[3]
„Die Not aber, in der wir heute leben, ist die Gefährdung des Friedens ...
Die Theorie, man könne den Frieden dadurch erhalten, daß man den Gegner durch atomare Aufrüstung abschreckt, kann für die heutige Zeit ... nicht mehr gelten.
Das Ziel, auf das von jetzt bis in alle Zukunft der Blick gerichtet sein muß, ist, daß völkerentzweiende Fragen nicht mehr durch Kriege entschieden werden können. Die Entscheidung muß friedlich gefunden werden.
Ich bekenne mich zu der Überzeugung, daß wir das Problem des Friedens nur dann lösen werden, wenn wir den Krieg aus einem ethischen Grund verwerfen, nämlich weil er uns der Unmenschlichkeit schuldig werden läßt.“[4]
„Alle gewöhnliche Gewalt in dieser Welt schafft sich selber eine Grenze, denn sie erzeugt eine Gegengewalt, die ihr früher oder später ebenbürtig oder überlegen sein wird. Die Gütigkeit aber wirkt einfach und stetig. Sie erzeugt keine Spannungen, durch die sie sich selbst aufhebt, sondern entspannt die bestehenden Spannungen, sie beseitigt Mißtrauen und Mißverständnisse. ...
Eine unermeßlich tiefe Wahrheit liegt in dem Wort Jesu: ‚Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.‘“[5]
„Die Tatsachen führen uns zur Besinnung, wie die Bewegung des kenternden Fahrzeugs die Mannschaft auf Deck und in die Segel jagen. Schon ist uns der Glaube an den geistigen Fortschritt der Menschen und der Menschheit etwas fast Unmögliches geworden. Mit dem Mute der Verzweiflung müssen wir uns zwingen. Alle miteinander wieder den geistigen Fortschritt des Menschen und der Menschheit wollen und wieder auf ihn hoffen: dies ist das Herumwerfen des Steuers, das uns gelingen muß, wenn unser Fahrzeug im letzten Augenblick noch vor den Wind gebracht werden soll.
Fähig zu dieser Leistung werden wir nur in denkender Ehrfurcht vor dem Leben. Fängt Ehrfurcht vor dem Leben an, irgendwo im Denken und an der Gesinnung zu arbeiten, dann ist das Wunder möglich.“[6]
(Textzusammenstellung: Gottfried Schüz)
Albert Schweitzer war nicht nur ein bedeutender Arzt und Musiker, sondern auch ein einflussreicher Philosoph und Theologe. In seinem theologischen Werk setzt er sich intensiv mit der Beziehung zwischen Mensch und Gott sowie mit der historischen Figur Jesu auseinander.
Schweitzer verstand sich als Philosoph, stark beeinflusst von seinem Lehrer Heinrich Holtzmann. Er betrachtete die Bibel nicht nur historisch, sondern suchte auch ihre tiefere spirituelle Bedeutung. Seine Kritik an der Leben-Jesu-Forschung, die zu seiner Zeit weit verbreitet war, ist zentral: Er sieht in den Entwürfen oft nur Projektionen der Forscher und glaubt, dass keine Rekonstruktion, außer der von Johannes Weiß, wirklich gelungen ist. Für ihn bleibt Jesus in seiner eigenen Zeit verankert und seine Botschaft ist stark von der Erwartung eines kommenden Gottesreiches geprägt, was sich nicht direkt auf die moderne Welt übertragen lässt.
Ein zentrales Konzept in Schweitzers Theologie ist die Jesusmystik. Er erklärt, dass unser Verhältnis zu Jesus nicht einfach ein Kult oder eine formale Verehrung ist, sondern eine tiefere, mystische Verbindung. In dieser Beziehung erleben wir ein gemeinsames Wollen – das bedeutet, dass wir mit Jesus in Einklang kommen und unsere eigenen Ziele und Wünsche besser verstehen. Dadurch wird Jesus für Schweitzer zu einer Art Unbekannten, der uns dazu einlädt, ihm zu folgen und unseren eigenen Weg im Leben zu finden. Diese mystische Beziehung zu Jesus ist für ihn von großer Bedeutung und spiegelt sich in seiner Überzeugung wider, dass die nachfolgende Generation von Gläubigen ihren eigenen Willen im Einklang mit dem Willen Jesu klären sollte.
Schweitzers kritische Auseinandersetzung mit der Leben-Jesu-Forschung führt ihn zu der Erkenntnis, dass die moralischen Werte, die wir aus der Nachfolge Jesu ableiten, in einem tiefen Respekt vor dem Leben verankert sind. Diese Einsicht überträgt sich in seine ethischen Überlegungen, die die Grundlage seiner Ethik bilden. Er erkennt, dass das Handeln Jesu von einer radikalen Liebe und einem tiefen Mitleid geprägt ist, und diese Eigenschaften bilden die Grundlage seiner Ethik.
Seine Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ zeichnet sich durch einige zentrale Merkmale aus, die sie von anderen ethischen Systemen unterscheidet. Zunächst basiert sie auf der Überzeugung von der Unantastbarkeit und dem Wert allen Lebens. Schweitzer erweitert das klassische biblische Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ auf alle lebenden Wesen, einschließlich Tiere und Pflanzen. Diese universelle Sichtweise fördert eine umfassende Verantwortung gegenüber der gesamten Schöpfung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt seiner Ethik ist die Betonung der wechselseitigen Solidarität. Schweitzer argumentiert, dass alle Menschen in einer tiefen Verbindung zueinander stehen und dass die Achtung des Lebens auch bedeutet, für das Wohlergehen anderer einzutreten. In diesem Zusammenhang ist Mitleid ein zentraler moralischer Wert, der in Schweitzers Ethik eine wichtige Rolle spielt, da er die Fähigkeit betont, das Leiden anderer zu empfinden und darauf zu reagieren.
Im Gegensatz zu utilitaristischen Ansätzen, die darauf abzielen, das größtmögliche Glück für die meisten Menschen zu erreichen, oder zu deontologischen Theorien, die sich strikt an festgelegte Regeln und Pflichten halten, betont Schweitzer die Bedeutung einer umfassenden und einfühlsamen Beziehung zu allen Lebewesen.
Seine Ethik ermutigt uns, unsere Handlungen zu überdenken und deren Einfluss auf das Leben anderer zu berücksichtigen. Sie betont die Verbindung zwischen Spiritualität und ethischem Verhalten, die uns auffordert, das Leben in all seinen Formen zu respektieren und zu schützen.
Obwohl viele von Schweitzers Ansichten zu seiner Zeit abgelehnt wurden, zeigt sein theologisches Werk eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Sein Erbe lädt uns ein, über unsere Werte und ethischen Verpflichtungen nachzudenken. In einer konfliktbeladenen Welt bleibt sein Ansatz eine wichtige Aufforderung zur Reflexion über unsere Verantwortung gegenüber anderen und zur Ehrfurcht vor dem Leben.
Der folgende Text konnte aus Zeitgründen nicht im Konzert vorgetragen wird, ist aber DAS Zeugnis für die gelebte Ethik Albert Schweitzers: Lambaréné
„Es kam mir unfaßlich vor, daß ich so viele Menschen um mich herum mit Leid und Sorge ringen sah, ein glückliches Leben führen durfte. ... auf der Universität mußte ich in meinem Glücke, studieren zu dürfen und in Wissenschaft und Kunst etwas leisten zu können, immer an die denken, denen materielle Umstände oder die Gesundheit solches nicht erlaubten. An einem strahlenden Sommermorgen, als ich – es war im Jahre 1896 – in den Pfingstferien zu Günsbach erwachte, überfiel mich der Gedanke, daß ich dieses Glück nicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen dürfe, sondern etwas dafür geben müsse. Indem ich mich mit ihm auseinandersetzte ... wurde ich ... mit mir selber dahin eins, daß ich mich bis zu meinem dreißigsten Lebensjahre für berechtigt halten wollte, der Wissenschaft und der Kunst zu leben, um mich von da an einem unmittelbaren menschlichen Dienen zu weihen. Gar viel hatte mich beschäftigt, welche Bedeutung dem Worte Jesu, ‚Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, der wird es behalten‘, für mich zukomme. Jetzt war sie gefunden.“[7]
„Daß jeder in der Lage, in der er sich befindet, darum ringt, wahres Menschentum an Menschen zu betätigen: davon hängt die Zukunft der Menschheit ab.“
„Arzt wollte ich werden, um ohne irgendein Reden wirken zu können. Jahrelang hatte ich mich in Worten ausgegeben. Mit Freudigkeit hatte ich im Beruf des theologischen Lehrers und des Predigers gestanden. Das neue Tun aber konnte ich mir nicht als ein Reden von der Religion der Liebe, sondern nur als ein reines Verwirklichen derselben vorstellen.“[8]
„Am Karfreitagnachmittag 1913 verließen meine Frau und ich Günsbach; am Abend des 26. März schifften wir uns in Bordeaux ein.
In Lambaréné bereiteten uns die Missionare einen sehr herzlichen Empfang. Leider war es ihnen nicht möglich, die kleine Wellblechbaracke, in der ich meine ärztliche Tätigkeit beginnen sollte, zu erstellen. Sie hatten die nötigen Arbeiter nicht zusammengebracht. ... So mußte ich als Konsultationsraum vorerst einen alten Hühnerstall neben unserem Wohnhaus benützen. Im Spätherbst konnte ich dann die 8 Meter lange und 4 Meter breite, mit einem Blätterdach gedeckte Wellblechbaracke unten am Fluß beziehen, die einen kleinen Konsultationsraum, einen ebensolchen Operationssaal und eine noch kleinere Apotheke enthielt. Um diesen Bau herum entstanden dann nach und nach eine Reihe von großen Bambushütten zur Unterbringung der eingeborenen Kranken.“[9]
„Im Durchschnitt habe ich jeden Tag etwa dreißig bis vierzig Kranke zu behandeln.
Zu sehen bekomme ich hauptsächlich: Hautgeschwüre verschiedener Art, Malaria, Schlafkrankheit, Elephantiasis, Herzkrankheiten, Knocheneiterungen und tropische Dysenterie.“
„An Operationen unternimmt man im Urwald natürlich nur die, die dringend sind und sicheren Erfolg versprechen. Am häufigsten habe ich es mit Brüchen (Hernien) zu tun. Die Neger[10] Zentralafrikas sind viel mehr mit Brüchen behaftet als die Weißen. Woher dies kommt, wissen wir nicht. Eingeklemmte Brüche ... sind bei ihnen also auch viel häufiger als bei den Weißen. In dem eingeklemmten Bruch wird der Darm undurchgänglich. ... Nach einer Reihe qualvoller Tage tritt, wenn es nicht gelingt, den Darm aus dem Bruch in den Leib zurückzubringen, der Tod ein. Unsere Voreltern kannten dieses furchtbare Sterben. Heute bekommen wir es in Europa nicht mehr zu sehen, weil bei uns jede inkarzerierte Hernie, kaum daß der Arzt sie festgestellt hat, sogleich operiert wird. ... In Afrika ist dieses grausige Sterben aber etwas Gewöhnliches. Schon als Knabe war der Neger dabei, wenn ein Mann sich tagelang heulend im Sande der Hütte wälzte, bis der Tod als Erlöser kam. Kaum fühlt also ein Mann, daß sein Bruch eingeklemmt ist – Hernien bei Frauen sind viel seltener als bei Männern –, so fleht er die Seinen an, ihn ins Kanoe zu legen und zu mir zu führen.
Wie meine Gefühle beschreiben, wenn solch ein Armer gebracht wird! Ich bin ja der einzige, der hier helfen kann, auf Hunderte von Kilometern. Weil ich hier bin, weil meine Freunde mir Mittel geben, ist er wie die, die in demselben Falle vor ihm kamen und nach ihm kommen werden, zu retten, während er anders der Qual verfallen wäre. Ich rede nicht davon, daß ich ihm das Leben retten kann. Sterben müssen wir alle. Aber daß ich die Tage der Qual von ihm nehmen darf, das ist es, was ich als große, immer neue Gnade empfinde.“[11]
„Bisher verliefen alle Operationen glücklich. Dies steigert das Zutrauen der Eingeborenen in einer für mich erschreckenden Weise.
Am meisten imponiert ihnen die Narkose. Sie unterhalten sich viel darüber. Die Mädchen der Schule stehen mit einer europäischen Sonntagsschule in Korrespondenz. In einem dieser Briefe ist zu lesen: ‚Seit der Doktor hier ist, erleben wir merkwürdige Sachen. Zuerst tötet er die Kranken, dann heilt er sie; nachher weckt er sie wieder auf.“[12]
(Textzusammenstellung: Gottfried Schüz)
[1] Schweitzer, A.: Kulturphilosophie. Band I: Verfall und Wiederaufbau der Kultur, Band II: Kultur und Ethik, München 2007, S. 308f.
[2] Schweitzer, A.: Menschlichkeit und Friede. Kleine philosophisch-ethische Texte, Berlin 1991, S. 198.
[3] Schweitzer, A.: Kulturphilosophie. Band I: Verfall und Wiederaufbau der Kultur, Band II: Kultur und Ethik, München 2007, S. 309.
[4] Schweitzer, A.: Menschlichkeit und Friede. Kleine philosophisch-ethische Texte, Berlin 1991, S. 200.
[5] Schweitzer, A.: Menschlichkeit und Friede. Kleine philosophisch-ethische Texte, Berlin 1991, S. 199.
[6] Schweitzer, A.: Kulturphilosophie. Band I: Verfall und Wiederaufbau der Kultur, Band II: Kultur und Ethik, München 2007, S. 336.
[7] Schweitzer, A.: Aus meinem Leben und Denken. Frankfurt/M. 1990, S. 78.
[8] Schweitzer, A.: Aus meinem Leben und Denken. Frankfurt/M. 1990, S. 87 f.
[9] Schweitzer, A.: Aus meinem Leben und Denken. Frankfurt/M. 1990, S. 127.
[10] Das in diesem Zitat verwendete Wort „Neger“ war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine gängige Bezeichnung für Menschen afrikanischer Herkunft, wird heute jedoch als veraltet und rassistisch betrachtet.
[11] Schweitzer, A.: Zwischen Wasser und Urwald. Erlebnisse und Beobachtungen eines Arztes im Urwalde Äquatorialafrikas, München 1995 (1963), S. 84.
[12] A.a.O., S. 62.
Felix Mendelssohn Bartholdy zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts und war nicht nur ein herausragender Komponist, sondern auch ein virtuoser Organist. Sein Einfluss auf die Orgelmusik seiner Zeit und insbesondere auf den Orgelbau in England war prägend. Das Präludium und Fuge in G-Dur, Op. 37, Nr. 2, komponiert zwischen 1837 und 1838, illustriert seine meisterhafte Beherrschung der Kontrapunkttechnik sowie sein tiefes Verständnis für die Orgel als Instrument.
Das Werk besteht aus zwei Teilen: einem lyrischen und melodischen Präludium, gefolgt von einer komplexen Fuge, die reich an kontrapunktischen Elementen ist. Mendelssohns Stil zeigt eine deutliche Inspiration durch die Barockmusik, insbesondere durch Komponisten wie Johann Sebastian Bach. Die Verwendung von Kontrapunkt und die klare Struktur der Fuge spiegeln diese Tradition wider.
Die Wahl der Tonart G-Dur verleiht dem Stück eine Helligkeit und Lebhaftigkeit, die perfekt zur ruhigen, gelassenen Stimmung des Präludiums passt. Vom Interpreten verlangt das Stück technisches Geschick als auch gutes Klangempfinden.
„Die Werte der Liebe und Wahrheit sind mächtiger als jede Gewalt und werden letztendlich siegen.“[1]
[1] Zitiert nach: Albert Schweitzer Heute: https://albert-schweitzer-heute.de/friedensaufruf-zum-20-juli/ - abgerufen am 15. März 2025
Hier folgt demnächst ein Link zur Musik
Zum Schicksal der Menschheit gehört leider nach wie vor die deprimierende wie harte Realität, dass es Völker gibt, die dem anderen ihr selbstbestimmtes Lebensrecht streitig machen. Ganz konkret sind wir nun schon im dritten Jahr auf europäischem Boden Zeuge eines Angriffskrieges, den Russland in Gestalt der Putin-Diktatur gegen die Ukraine führt. Ein Beitrag, der sich mit Schweitzers Friedensdenken auseinandersetzt, sollte daher der folgenden naheliegenden Frage nicht ausweichen:
Wie ist die von Beginn des Krieges an virulente Problematik militärischer Hilfeleistung im Lichte der Friedensethik Schweitzers zu beurteilen?
Ist es für uns europäische Nachbarstaaten im Einklang mit den Vereinigten Staaten ethisch vertretbar, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen? Oder ist es ethisch geboten, militärische Verteidigungshilfe grundsätzlich zu unterlassen?
Ist der einzig gangbare Weg, Frieden zu schaffen ohne Waffen oder ist es in der gegebenen Situation für eine Wiedererlangung der vollen Souveränität des Angegriffenen unverzichtbar, Waffenhilfe zu leisten?
In dieser Polarität bewegt sich von Anfang an die aufgeheizte Debatte. Wir stehen vor einem Dilemma, aus dem sich keine Partei, welcher Position sie auch zuneigt, mit gutem Gewissen herausstehlen kann.
in seiner Nobelpreis-Rede, die eingangs dieses Rundbriefes abgedruckt ist, hatte sich Schweitzer unter anderem auch zum Selbstverteidigungsrecht geäußert:
„Noch aber leben wir in der Zeit der Friedlosigkeit. Noch müssen sich die einen Völker durch die anderen bedroht fühlen. Noch muß jedem das Recht zugestanden werden, sich mit den furchtbaren Mitteln, über die wir verfügen, zu seiner Selbstverteidigung bereit zu halten.“[1]
Schweitzers Position ist eindeutig: Nicht nur ist jedem Volk das unverbrüchliche Völkerrecht auf Selbstverteidigung zuzubilligen. Ihm ist es ebenso wenig abzusprechen, dies mit „furchtbaren Mitteln“ zu tun, will heißen, von dem verfügbaren militärischen Waffenarsenal Gebrauch zu machen.
Wie aber ist eine solche Einstellung mit seiner „Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“ vereinbar? Gebietet sie nicht, alles Leben, wo immer es möglich ist, zu erhalten und auf eine Schädigung oder gar Vernichtung von Leben zu verzichten?
Zweifellos. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille dieser Ethik. Die andere Seite besteht darin, dass wir immer wieder in die Situation kommen, anderes Leben schädigen oder vernichten zu müssen, um eigenes oder anderes Leben zu erhalten. Dieser Konflikt ist unausweichlich. Schweitzers Ethik zeichnet sich geradezu dadurch aus, dass sie solche Dilemmata widerstreitender Lebensinteressen nicht etwa negiert, sondern diese ins Zentrum unseres verantwortlichen Entscheidens und Handelns stellt. Wir werden auf Schritt und Tritt mit widerstreitenden Lebensinteressen und -bedürfnissen konfrontiert, die sich wechselseitig ausschließen. Ist damit das Scheitern der Ehrfurchtsethik besiegelt? Ganz und gar nicht. Vielmehr kommt durch sie unsere humane Verantwortung überhaupt erst voll zu Tragen. Denn sie erlaubt es nicht „nach ein für alle Mal festgelegten Prinzipien“ zu entscheiden. Stattdessen fordert sie von uns, in jedem Einzelfall verantwortlich abzuwägen, für welche Lebenserhaltung wir uns einsetzen bzw. welche Lebensansprüche wir zurückweisen oder beschneiden müssen. Dafür lässt sie nur eines gelten: Das Kriterium der „unabdingbaren Notwendigkeit“. In solchen Konflikten gibt es keine glatten Lösungen. Wir können uns hier nicht auf objektive Maßstäbe berufen, sondern müssen, ob wir wollen oder nicht, nach eigenem Ermessen entscheiden und handeln.
Und ein weiteres macht Schweitzer unmissverständlich klar: Insofern wir notgedrungen anderes Leben beeinträchtigen oder zerstören, werden wir „schuldig“. Es ist uns verwehrt, uns „guten Gewissens“ aus solchen Entscheidungsnotständen herauszuretten. „Das gute Gewissen ist eine Erfindung des Teufels“, betont Schweitzer.
Aber gerade darin bewährt sich die Ehrfurcht vor allem Leben als Richtschnur für unser Tun und Lassen: Dass wir uns nicht mit „Zwangsläufigkeiten“ oder „Notständen“ herausreden, sondern von Fall zu Fall immer wieder prüfen, zu welchem Wohl oder Wehe unser Tun und Lassen führt.
Ein solches verantwortliches Abwägen kann also nicht immer zu konfliktfreien Lösungen führen; aber es ist der entscheidenden Voraussetzung unterworfen, möglichst viele situative Gegebenheiten in die Überlegungen einzubeziehen. Dies gilt im Kleinen wie im Großen.
In der Frage, ob wir das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine mit Waffengewalt zulasten des Aggressors unterstützen dürfen, stehen wir vor genau solch einem Dilemma.
Sind hier die radikalen Pazifisten moralisch aus dem Schneider, die eine Aufheizung des Krieges durch fortgesetzten militärischen Widerstand als Grundhindernis für einen Waffenstillstand und Frieden anprangern?
Soll die demokratisch und freiheitlich verfasste westliche Welt tatenlos mit ansehen, wie der russische Machthaber dem Nachbarland Ukraine sein Existenzrecht streitig macht, es okkupiert mit dem Ziel, seine territoriale und kulturelle Identität zu vernichten?
Auf der allgemein abstrakten Ebene lässt sich trefflich argumentieren. Wer von uns ist nicht für eine schnellstmögliche Beendigung der grauenhaften Kriegsgräuel, wer nicht für Frieden und militärische Abrüstung?
Aber hier stehen wir vor einer geschichtlich ganz konkreten Situation eines vom russischen Boden aus geführtem Angriffs- und Vernichtungskrieg, in der täglich Millionen von Menschen von Leid, Elend und Tod betroffen sind.
Wir und unsere europäischen Partner machen es sich nicht leicht, immer wieder abzuwägen, welches Ausmaß an militärischer Hilfe geboten ist. Die verantwortlichen Regierungen müssen sich deshalb von Anfang des Krieges an viel und zum Teil harsche Kritik gefallen lassen. Dass gleichwohl und begleitend alles getan werden muss, um auf diplomatischem Wege und auch Mittels verschärfter Sanktionen den Aggressor dazu zu bewegen, den Krieg zu beenden, steht nicht weniger außer Frage.
Auf welche Seite man sich letztlich auch stellen mag, ob auf die Seite der Gegner oder Befürworter von militärischer Hilfe. Keine Partei kann sich in dieser Lage schuldlos aus der Affaire ziehen.
Aber eines darf im Sinne Schweitzers nicht abdanken: die Stimme der Vernunft und der Menschlichkeit –, auch wenn diese auf Putins Seite angesichts seiner ‚Lügen-Diplomatie‘ zu vermissen ist. Wir dürfen in allem nicht müde werden, Wege zu suchen, die auf eine befriedete Koexistenz der Völker hinwirken; dass der Geist des Friedens und der Verständigung Einzug halte, der – und auch das betont Schweitzer immer wieder – nur auf der Basis gegenseitigen Vertrauens möglich ist.
„Dem Geiste sind alle Dinge möglich. Der kann machen, daß es einmal heißt: ‚das Alte ist vergangen.‘ Dies wird sein, wenn ihm das Schwerste, das er zu vollbringen hat, gelungen ist: daß die Völker miteinander über den Haß hinausgekommen sind, der aus den Unmenschlichkeiten, die sie gegeneinander begangen haben, entstanden ist. Vermögen werden sie dies, wenn sie … miteinander, in neuer Gesinnung geeint, nicht mehr eines mit dem andern rechten, sondern einzig von dem Gedanken beseelt sind, aus dem grausigen Bann, in dem das Vergangene sie gefangen hält, herauszutreten und miteinander einer neuen Zeit entgegenzugehen.“[2]
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)
Krieg & Dilemma: Russland verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine. Ethische Frage: Waffenhilfe oder Pazifismus?
Schweitzers Position: Selbstverteidigung ist legitim, auch mit Waffen („furchtbare Mittel“).
Ethik der Ehrfurcht: Leben schützen, aber in Konflikten unvermeidbare Abwägung. Keine absoluten Prinzipien, sondern Einzelfallentscheidungen.
Schuldfrage: Jede Entscheidung macht schuldig – kein moralisches Entkommen.
Frieden & Verantwortung: Waffenhilfe nötig? Oder verschärft sie nur den Krieg? Diplomatie und Vertrauen bleiben entscheidend.
Schweitzers Hoffnung: Überwindung des Hasses als Grundlage für dauerhaften Frieden.
[1] Schweitzer, A. (1952). Rede zur Entgegennahme des Friedensnobelpreises.
[2] Schweitzer, A.: Die Weltanschauung der Ehrfurcht vor dem Leben. Kulturphilosophie III, dritter u. vierter Teil, Claus Günzler, Johann Zürcher, (Hrsg.), München 2000, S. 229.
Engagement heute
Albert Schweitzer, der 1875 geboren wurde, war nicht nur ein bedeutender Arzt, sondern auch ein außergewöhnlicher Musiker, Organist und Orgelbautheoretiker. Sein umfassendes Werk und seine ethischen Überzeugungen hinterlassen bis heute einen bleibenden Eindruck in vielen Bereichen unseres Lebens.
1. Musikalisches Erbe und Orgelreform
Schweitzer gilt als stilbildender Organist und hat sich vor allem durch seine herausragende Interpretation der Musik von Johann Sebastian Bach einen Namen gemacht. Seine Monographie über Bach ist ein Standardwerk, die in musikästhetischen Fragen weiterhin relevant ist.
Er setzte sich zudem für den Erhalt bzw. die Restaurierung alter Orgeln ein. Heute etwas Selbstverständliches – zu seiner Zeit etwas Neues. Er sah die Orgel als Medium, das eine Verbindung zum Ewigen schafft, selbst in profanen Räumen.
2. Engagement gegen atomare Rüstung und Krieg
Schweitzers Engagement für den Frieden wurde durch die geopolitischen Spannungen des 20. Jahrhunderts stark geprägt. Zunächst hielt er sich von politischen Konflikten fern, doch die Gefahren der atomaren Rüstung konnten ihn nicht länger inaktiv lassen. Sein Engagement begann 1954 mit einem Leserbrief im Daily Herald, in dem er die Gefahren der Wasserstoffbomben-Explosion anprangerte.
In seiner Nobelpreisrede im selben Jahr thematisierte er die Bedrohungen durch Atomwaffen und appellierte an die Menschheit, sich für den Frieden einzusetzen. Dabei wurde er maßgeblich von Freunden wie Albert Einstein und Norman Cousins beeinflusst. Seine Friedensbotschaften fanden weltweit Gehör; so wurde sein „Appell an die Menschheit“ 1957 über Radio Oslo in 140 Sendern übertragen. Trotz heftiger Kritik blieb er ein unermüdlicher Mahner für den Frieden.
Schweitzers Friedensbotschaft betont die ethische Notwendigkeit, Krieg abzulehnen, um der Unmenschlichkeit zu entkommen. Er forderte, dass völkerentzweiende Fragen nicht mehr durch Kriege entschieden werden sollten, sondern friedlich gelöst werden müssen.
3. Vermächtnis und heutige Relevanz
In einer Zeit, in der die Menschheit vor großen Herausforderungen steht, sind Schweitzers Prinzipien der Ehrfurcht vor dem Leben und das Streben nach Frieden nach wie vor relevant und inspirierend. Durch sein vielseitiges Engagement hat Schweitzer einen Weg geebnet, der uns lehrt, Verantwortung für unsere Welt zu übernehmen.
Sein Lebenswerk erinnert uns daran, dass jeder von uns eine Stimme hat und dass wir durch unsere Taten einen positiven Einfluss auf die Welt ausüben können.
„Das gute Beispiel ist die einzige Möglichkeit andere zu beeinflussen.“[1]
[1] Zitiert nach: Franziskanische Gemeinschaft Pace-e-Bene: https://www.pace-e-bene.de/n/category/wort-des-leiters-bruder-wolfgang/page/2/ - abgerufen am 15. März 2025
Felix Mendelssohn Bartholdy gilt als der erste internationale Komponist nach Johann Sebastian Bach, der sich ernsthaft mit der Orgel auseinandersetzte, etwa 100 Jahre nach Bachs Tod. Seine Orgelsonaten, darunter die c-Moll Sonate, erschienen acht Jahre nach den drei Präludien und Fugen, Op. 37. Diese Werke markieren das Ende seines Lebenswerks und stehen am Höhepunkt seines Ruhms. Mendelssohn ist maßgeblich dafür verantwortlich, die Trennung zwischen Klavier- und Orgelmusik zu begründen, und wird als Schöpfer der romantischen Orgelsonate angesehen.
Ein zentrales Konzept, das Mendelssohns Schaffen prägt, ist die poetische Form, ein Begriff, der von Robert Schumann geprägt wurde. Diese Form versteht sich nicht als vorgefertigtes Gefäß für musikalische Ideen, sondern als eine individuelle Struktur, die neu aus der jeweiligen musikalischen Idee heraus entsteht.
In der Orgelsonate in c-Moll thematisiert Mendelssohn den per-aspera-ad-astra-Topos und geht über den klassischen Moll-Dur-Wandel hinaus. Die Sonate folgt einem zweisätzigen Formkonzept: Das Grave dient als Einführung für das Adagio, das durch seinen marcato-Charakter wie eine Einleitung wirkt und als „elegisch“ wahrgenommen wird, ähnlich einem „Lied ohne Worte“. Diese beiden Teile sind als Einheit miteinander verbunden.
Gegen Ende des Adagios wechselt Mendelssohn die Satztechnik und bringt leise Anklänge des Bach-Liedes „Komm, süßer Tod“, was den emotionalen Gehalt der Musik verstärkt.
Im großen und kleinen Maßstab verdeutlicht die Sonate einen ständigen Wechsel von Dunkelheit zu Helligkeit: Im ersten Satz erleben wir den Übergang von Grave zu Adagio, während der zweite Satz, das Allegro maestoso e vivace, als extrovertierter Kontrast zum Adagio fungiert. Die Fuge, die mit der Anweisung „attacca“ verbunden ist, gehört somit noch zum zweiten Satz und unterstreicht die innere Verbindung der Sätze. Mit choralartigen Klängen endet das Werk in triumphalem C-Dur.
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