One Zins Fits All? Die Taylor-Regel, der natürliche Zins und eine EZB auf Gratwanderung
Dieser Artikel untersucht die Herausforderungen, denen sich die EZB bei der Gestaltung einer einheitlichen Geldpolitik für die heterogene Eurozone gegenübersieht. Mittels der Taylor-Regel wird die Angemessenheit des EZB-Leitzinses für einzelne Mitgliedstaaten analysiert. Die Studie zeigt, dass die Inflationsraten zwischen den Eurostaaten stark variieren - mit einer Spanne von bis zu 18,6 Prozentpunkten in jüngster Zeit. Die Bewertung der EZB-Zinspolitik hängt entscheidend vom angenommenen natürlichen Zins ab, wobei die Ergebnisse nahelegen, dass die EZB-Politik im Durchschnitt einem natürlichen Zins zwischen -1% und 1% entspricht. Die Analyse verdeutlicht das Dilemma der EZB, mit einem einzigen Leitzins divergierende wirtschaftliche Entwicklungen zu steuern, insbesondere während Krisenzeiten wie der globalen Finanzkrise, der europäischen Schuldenkrise, der Pandemie und der jüngsten Energiepreiskrise. Die Ergebnisse unterstreichen die Komplexität der Geldpolitik in einer nicht-optimalen Währungsunion, aber auch die methodologische Schwierigkeit, den nicht beobachtbaren natürlichen Zins als geldpolitische Orientierungsgröße zu nutzen.
article in Wirtschaftdienst (2024), 104(9), 644–650.