Erlebnisbericht von Katharina Hoffarth

Umsiedlung vom Schwarzen Meer nach Würzburg

(Eine Erzählung von Katharina Hoffart, geb. Kosolowski – im Juni 2011)

Colelia – unsere alte Heimat in der Dobrudscha (Rumänien)

Colelia war ein rein deutsches Dorf (Kolonie), 50 Kilometer nördlich von Konstanza gelegen, der Hauptstadt der Dobrudscha, in Rumänien (Abb. 1; aus „Ostdeutsches Schicksal am Schwarzen Meer“, S. 15).

Unser Vater Josef war der einzige Sohn unseres Großvaters Hypolit und unserer Großmutter Magdalena Kosolowski, geb. Kuckert.

Er war ein sehr frommer und angesehener Mann im Dorf und half immer wo er konnte; auch in der Kirche (Abb. 2, Kirche von Colelia) und bei den Leuten im Dorf, z. B. mit Getreide, wenn es eine schlechte Ernte gab. Die Oma war die gute Seele.Wir hatten einen sehr großen Hof von ca. 100 Hektar Landwirtschaft und 1 ha Weinberge, mit 8 Pferden und viel Vieh (Kühe, Schweine und auch Gänse und Hühner). Da gab es Arbeit genug, aber Sili und Poldi – meine beiden älteren Brüder - und unser Knecht standen ihm bei.

In der Erntezeit waren es viel mehr Helfer vom Dorf, denn unser Vater hatte ja nicht nur unseren Hof und die Felder, sondern noch einen Teil von unserem Opa und unserer Oma. Denen war ihr Grund zu groß und deshalb verpachtete Opa auch einen Teil an Bulgaren (ca. 50%). Die Bulgaren waren in dem Teil der (rumänischen) Dobrudscha, wie die Deutschen, eine Minderheit.

Mutter machte den Haushalt und kümmerte sich um uns Kinder: Sili, Poldi, Kathi und Otti. Alles was sie tat, besprach sie mit unserem Vater. Beide gingen sehr liebevoll miteinander um (Abb. 3, unsere Eltern und Großeltern mit Sili und Poldi – 1 Jahr alt).

Wir Kinder verbrachten eine schöne Zeit (Abb. 4, von links: Otti, Kathi, Poldi, Sili) und hatten alles was wir brauchten. Oma half tüchtig mit, damit es uns allen gut ging.Sili und Poldi waren sehr stolz auf die Pferde. Jeder von ihnen hatte einen bestimmten Liebling, den sie besonders pflegten. Wir beiden Mädchen spielten am liebsten mit kleinen Kätzchen, Hündchen und Hühnchen (Abb. 5, Bild zusammen mit der Familie unseres Großvaters Melchior Jahner - hintere Reihe: Regina, Benedikt, Ottilie (Sr. Oktavia), Anna Tuchscherer??; mittlere Reihe: Katharina und Melchior Jahner (Großeltern), Hans, Mama mit Poldi, Papa mit Sili; vordere Reihe: Berta, Matthias, Anna).

Umsiedlung im Herbst 1940

Eines Tages kamen Männer in Uniform in unser Dorf, um die Umsiedlung vorzubereiten und nisteten sich bei uns auf dem Hof ein. Wir hatten im Hof noch ein Sommerhaus, dort mussten die Frauen vom Dorf für sie kochen. Es wurden viele Gänse, Enten und Hühner geschlachtet, es war ja alles da, und im Keller waren schon die Fässer voll Wein für den Winter gelagert.

Unser Vater wollte auf keinen Fall nach Deutschland, obwohl kein Weg daran vorbei führte und unsere Mutter musste deswegen alleine unsere Sachen in die Kisten einpacken. Die Männer in Uniform halfen ihr dann beim Zunageln der Kisten.

Mutter wollte nicht alleine mit Vater und den Kindern zurückbleiben, denn sie hatte Angst vor den – in absehbarer Zeit kommenden - Russen und alle ihre Geschwister und Eltern gingen ja auch fort.

Nach ein paar Tagen kamen dann Lastwagen. Die Kisten wurden aufgeladen und weggefahren, denn das große Gepäck ging voraus. Wir fuhren nach und es ging zur Hafenstadt Cerna Voda an der Donau, zum Schiff.

Bevor wir abfuhren ging Vater noch ein letztes Mal durch den Hof und die Ställe. Er war sehr traurig. Mutter, Vater, Oma und Opa nahmen sich alle in die Arme und weinten. Es war ein sehr trauriges Bild. Alles was sie sich Jahre lang aufgebaut hatten mussten sie stehen und liegen lassen. Es war so trostlos, die Hunde bellten, die Pferde wieherten und die Viecher bekamen kein Fressen mehr.

Wir Kinder verstanden das alles noch nicht und ahnten auch nicht die Tragweite von dem was noch alles auf uns zukommen sollte. Aber später haben wir uns oft über diese Situation unterhalten und wussten dann auch wie schwer das unserem Vater zu schaffen machte.

Wir wurden alle (das ganze Dorf) eingeschifft. Auf dem Schiff gab es ein großes Durcheinander, denn einer fehlte immer und jeder wollte seine Familie beisammen halten.

Es ging langsam die Donau aufwärts, durch das „Eiserne Tor“; da mussten wir alle in das Schiff hinein weil es dort so gefährlich sein sollte.

Für uns Kinder war es eine lange Zeit bis wir in Semlin bei Belgrad angekommen sind.

Im Sammellager Semlin waren wir nur ein paar Tage. Dort war das Essen gut und die Leute meinten, wenn wir erst in Deutschland sind, wird alles noch besser.

In Deutschland

Wir wurden von Belgrad mit der Bahn nach Deutschland gebracht.

Unsere Dorfbewohner wurden auf zwei Lager verteilt, ein Teil ins Kloster St. Ludwig bei Schweinfurt (gegenüber Wipfeld) und der andere Teil ins Kloster nach Lülsfeld bei Gerolzhofen. Unsere Familie kam nach Lülsfeld. Das Kloster Maria Schnee in Lülsfeld war auch eine Mädchenschule. Dort wurden wir in drei Stockwerken untergebracht, etwa fünfzig Leute in einem Raum. Es gab dort noch eine Kinderkrippe für die Säuglinge und für die Burschen ein extra Zimmer.

Wir waren im Untergeschoß. Dort war es nicht schön, weil da die älteren Leute waren und noch etwa acht bis zehn Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren.

Es gab viel Streit, auch weil die Leute sehr nervös waren und wir Kinder natürlich nicht immer nur ruhig sein konnten. Es gab auch viele Auseinandersetzungen wegen dem Essen. Von Rumänien her waren alle an Fleisch und Mehlspeisen gewöhnt und nicht wie hier an Gemüse, Kartoffeln und Blutwurst (Blut wurde daheim weggeschüttet).

Zuhause wurde viel Geflügel, Schweine- und Lammfleisch gekocht und gebraten.

Opa hatte ja viele Schafe, die der Schafhirte im Frühjahr auf die Weide holte, mit den anderen Schafen vom Dorf, und im Winter hat er sie wieder gebracht und sie kamen in den Stall.

So ging das Lagerleben weiter (s. Abb. 6, die Lagerinsassen von Lülsfeld).

Die Männer haben bei der Reichsbahn und in Fabriken gearbeitet, unser Vater jedoch musste bei einem Bauern arbeiten. Warum genau wusste keiner. Für ihn als Großbauer war es nicht so einfach dort als Knecht zu arbeiten. Es war eine reine Schikane.

Am 22. September 1941 wurden wir in Volkach am Main eingebürgert und bekamen dort die deutsche Staatsbürgerschaft.

Am 12. Oktober 1941 haben wir dann ein kleines Brüderchen, unseren Linus, bekommen.Die Freude war sehr groß, da hatten wir dann auch was zum Spielen.

Nach Polen!

1942 wurden wir mit dem Zug nach Litzmannstadt (Lodz, Polen) ins Lager Kirschberg [Anm. v. SK: das heutige Wiśniowa Góra] zur vorgesehenen Ansiedlung gebracht. Unser ganzes Dorf wurde angesiedelt, nur unsere Familie nicht, denn sie hatten dort keinen Grundbesitz oder ein Gut in der Größe von 100 Hektar, wie es uns zugestanden hätte (Das Schriftstück befindet sich noch in unserem Besitz).

Dort wurden die Polen enteignet und mussten dann als Knechte für die Deutschen arbeiten, deshalb gab es natürlich auch viel Feindschaft.

Unsere Familie blieb dann in Kirschberg im Lager Nr. 9 (s. Abb. 7, Oma und Linus).Wir hatten einen sehr jungen, verwundeten SS-Mann als Lagerverwalter. Er war sehr nett und sorgte auch gut für uns.

Vater arbeitete im Lager, Sili in der Lagerküche und Poldi im Kleider- und Hauswaren-Lager (N.S.V.). Unser Vater und die Brüder verstanden sich sehr gut mit dem Verwalter.

Wieder zurück nach Deutschland

Im Januar 1945 mussten wir dann vor den Russen zurück nach Deutschland flüchten. Es war ein sehr kalter Winter. Wir wurden alle auf Planwagen geladen.

Vater fuhr mit uns und Oma und Opa. Sili und Poldi fuhren jeder einen eigenen Wagen, weil die polnischen Fahrer in der Nacht abgehauen sind.

Wir hatten eine gute Führung, unseren Lagerverwalter. Er war bis Lübben (Spreewald) bei uns. Er sorgte auch dafür, dass alle Wagen zusammen blieben. Nur die russischen Tiefflieger machten uns zu schaffen. Wir mussten öfters vom Wagen in den Straßengraben, weil sie gezielt auf die Wagen geschossen haben. Es sah manchmal schlimm aus.

Mutter und Schwester von unserem Opa Hypolit sind auf der Flucht nach Deutschland verloren gegangen. Bis heute weiß keiner etwas von den Beiden (Manche meinen, sie wären von polnischen Partisanen umgebracht worden – und das bei unserem Namen!).

Abends machte unsere Wagenkolonne Pause und wir übernachteten in Höfen wo die Leute schon geflüchtet waren, denn die Russen kamen immer näher.

Wir hatten einen Wagen dabei, der nur mit Lebensmitteln beladen war. Da wurde abends gekocht, denn am Tag gab es nichts. Manchmal fanden wir in den Kellern auch Obst, da haben wir uns bedient, es war ja keiner mehr da.

https://www.google.de/maps/place/Wiśniowa+Góra
mögliche Fluchtrouten

(Abb.: mögliche Fluchtrouten)

So ging es weiter zur Grenze nach Deutschland. Wir fuhren zum Sammellager Lübben bei Cottbus (am Spreewald). Da wurden wir registriert aber blieben nicht lange, nur ein paar Tage. Sili und Poldi mussten noch dort bleiben, um die Wagen und Pferde zu übergeben.

Wir wurden in Züge verladen und nach Frauenaurach bei Nürnberg gebracht, in ein Lager in dem viele russische Zwangsarbeiter waren, die alle auf die Amerikaner warteten. Sie wollten alle heim nach Russland zu ihren Angehörigen.

Sili und Poldi sind dann endlich ein paar Tage später nachgekommen.Mutter und Vater hatten große Angst um sie, es waren ja jeden Tag Fliegerangriffe. Jetzt waren es aber nicht die Russen, sondern die Engländer und Amerikaner. Wir mussten jeden Tag in den Keller oder Schützengraben.

Beide Brüder waren voller Läuse und mussten deshalb ein paar Tage im Waschraum bleiben, bis sie entlaust waren. Mutter hatte viel Arbeit bis sie die Läuse bei ihnen wegbekommen hat.

Sili wurde ein paar Tage vor Kriegsende zur Wehrmacht nach Erlangen eingezogen. Er hatte ja keine Ausbildung als Soldat und die Amerikaner waren schon vor Erlangen. Vater gab ihm den Rat, er soll, wenn er kann, wieder heimkommen.

Die Kaserne wurde aufgelöst und so kam er wieder zu uns nach Frauenaurach. Er musste noch ein paar Tage bei einem guten Bauern versteckt bleiben, bis der Krieg zu Ende war. Vater wollte nicht, dass er nochmals von der deutschen Wehrmacht eingezogen wird und in Gefangenschaft kommt.

Dann kamen die Amerikaner und die Freude war groß, weil der Krieg zu Ende ging. Die russischen Zwangsarbeiter freuten sich auch sehr, weil sie wieder nachhause konnten.

Die Leute im Lager waren ein paar Tage nicht ansprechbar weil sie so betrunken waren. Nicht weit vom Lager gab es nämlich einen Weinbunker. Er gehörte einem großen SS-Mann. Die Zwangsarbeiter brachen den Bunker auf und dann holten sie den Wein mit Eimern ins Lager. Alle schleppten so viel Wein nach Hause wie sie konnten.

Die Russen fühlten sich - und führten sich auf - wie Sieger, keiner konnte ihnen etwas verbieten. Es ging drunter und drüber. Sie waren sehr gewalttätig gegen die Deutschen.

Nach ein paar Wochen wurden die Russen nach Wildflecken in leerstehende Kasernen gebracht. Diese Kasernen waren dann voll mit Zwangsarbeitern.

Weil wir im Lager waren, wurden wir ebenfalls nach Wildflecken gebracht. Wir waren noch nicht richtig ausgestiegen schon nahmen die Russen Sili und Poldi ihre Fahrräder weg und sogar dem kleinen Linus sein Rädchen.

Sie benahmen sich wie die Wilden und wir hatten große Angst vor ihnen. Weil wir jedoch deutsche Staatsbürger waren, half uns der zustehende Lagerleiter, so schnell wie möglich wieder aus Wildflecken wegzukommen.

Die Amerikaner fuhren uns nach Würzburg und suchten uns dort eine Bleibe. Es muss inzwischen Juni 1945 gewesen sein.

Weil in Würzburg alles zerbombt war (16. März 1945), kamen wir in die Baracken in der Randersackerer Straße (Hs.Nr. 68a). Wir waren die Ersten dort, es sind dann aber noch andere Leute aus Rumänien gekommen, auch aus Malcoci.

Sili musste auch unsere Tante Berta von Regensburg holen, die hat uns durch das Rote-Kreuz suchen lassen. Er hatte es dabei sehr schwer, fuhr teils mit der Bahn (Kohlenwaggons), teils mit dem Fahrrad. Wir waren froh Tante Berta dann endlich bei uns zu haben. Ihr Mann, unser Onkel Florian, war noch in russischer Gefangenschaft.

Später sind dann Onkel Hans, aus der amerikanischen Gefangenschaft, sowie Onkel Matthias, Mutters Brüder, und Onkel Florian (Dezember 1949), Tante Bertas Mann, aus der russischen Gefangenschaft zu uns gekommen.

Alle in einem Zimmer von ungefähr 30 qm, aber glücklich beisammen zu sein.

Am 16. August 1946 haben wir dann noch ein kleines Brüderchen bekommen, unseren Hansi. Eigentlich wurde er Johannes getauft, aber es blieb immer beim Hansi. Mutter war froh, dass es ein Junge war. Sie sagte ein Junge wäre leichter zu erziehen.

Vaters Wunsch von einer großen Familie erfüllte sich langsam, wir waren jetzt immerhin schon 6 Kinder (s. Abb. 8, Juni 1947). Aber seine Krankheit kam dazwischen – er hat die Umstände einfach nicht verkraftet. Dadurch konnte er sich nur zehn Monate an dem Kleinen erfreuen. Am 24. Juni 1947 (an Johannis) ist er verstorben, 14 Tage nach Aufnahme des Bildes Nr. 8..

Für unsere Mutter brach eine Welt zusammen. Sechs Kinder und kein Mann der uns versorgte. Aber wir halfen alle zusammen und so ging das Leben weiter (Abb. 9, Kommunion von Linus 1951).

Wir bekamen alle nach und nach eine Lehrstelle und das bisschen was wir verdienten gaben wir zu Hause ab. Und als wir Großen unsere eigene Familie gegründet hatten, halfen wir immer noch mit.

Sili zog mit seiner Familie nach Mainaschaff bei Aschaffenburg und Poldi mit seiner Familie nach Bühlenhausen bei Blaubeuren, später nach Ulm und Herrenberg, dem Tor zum Schwarzwald (Abb.10, Sili und Poldi).Wir zwei Mädchen blieben mit unseren Familien in Würzburg. Linus und Hansi ebenfalls.

Unsere Mutter ist am 23. März 1986 in Würzburg verstorben.

Unsere zwei ältesten Brüder sind ebenfalls schon beide verstorben:

Sili am 25. Februar 2000 in Mainaschaff und

Poldi am 20. Februar 2007 in Bad Waldsee.

Alles was ich hier aufgeschrieben habe ist aus meiner Erinnerung und von den Erzählungen meiner Mutter.

Katharina Hoffart