Entry to the Klaus-Tschira award, Veronika

Durch die Schönheit zu den Sternen

Veronika Chobanova

Wie entstand die Materie, aus der wir bestehen? Ein “schönes” Teilchen, das an Beschleunigern erzeugt wird, könnte das Geheimnis unserer Existenz enthüllen.

Wie existieren wir? Moderne Teilchenphysik kann Ihnen zwar keine Antwort auf den Sinn des Lebens geben, aber Physiker wissen mittlerweile einiges über die Entstehung einer der wichtigsten Voraussetzungen für das Leben: der Materie. Im vergangenen Jahrhundert hat die Urknalltheorie unsere Vorstellung vom Universum drastisch verändert. Unter anderem wurde uns klar, dass wir unsere Existenz einer winzig kleinen Asymmetrie zu verdanken haben. Doch wovon diese Asymmetrie verursacht wurde, ist bis heute ein Mysterium.

Mehr als 400 Forscher aus aller Welt suchen die Antwort auf die Frage nach der Herkunft der Materie am Belle-Experiment in Japan. Darunter ist auch Veronika Chobanova, die ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Physik in München angefertigt hat. Der Name Belle, “schön” auf Französisch, ist nicht zufällig: Am Belle-Experiment werden Teilchen produziert, die einen “schönen” Quark (Beauty) enthalten.

Quarks sind Elementarteilchen, genau so wie das Elektron. Es gibt insgesamt sechs Quark-Arten: Up, Down, Strange, Charm, Beauty und Top. Dabei können nur die ersten zwei stabile Materie bilden, während Teilchen, die die restlichen vier enthalten, in einem Bruchteil einer Sekunde zerfallen. Up- und Down-Quarks sind zum Beispiel Bestandteile des Protons und des Neutrons. Alle Quarks haben einen Anti-Quark-Partner – ein Elementarteilchen mit derselben Masse, aber entgegengesetzter Ladung. Anti-Quarks sind also die so genannten Antiteilchen der Quarks.

Die bei Belle produzierten “schönen” Teilchen heißen B-Mesonen. Neben dem Anti-Beauty-Quark enthalten sie entweder einen Up- oder einen Down-Quark. Am Belle-Experiment werden B-Mesonen in Paaren zusammen mit einem Anti-B-Meson produziert. Das Anti-B-Meson ist das Antiteilchen des B-Mesons. Es hat dieselbe innere Struktur, dieselbe Masse und dieselbe mittlere Lebensdauer wie das B-Meson. Der einzige Unterschied ist, dass bei ihm die Quarks durch ihre Antipartner vertauscht sind, also durch ein Beauty-Quark und durch ein Anti-Up- oder Anti-Down-Quark.

Was B-Mesonen zu interessanten Forschungsobjekten macht, ist die Art und Weise, wie sie zerfallen. Sie besitzen eine riesige Vielfalt an möglichen Zerfällen, die verschiedene Aspekte der Materie beleuchten. Veronika Chobanova hat sich in ihrer Doktorarbeit mit einem dieser Prozesse befasst. Bei diesem Zerfall geht das kurzlebige B-Meson in zwei weitere, deutlich leichtere Teilchen über, in ein ω-Meson und in ein Kaon. Das Besondere dabei ist, dass sowohl B-Mesonen als auch Anti-B-Mesonen auf dieser Art zerfallen können. Gleiche Massen, gleiche Lebensdauer, gleiche Zerfallsprodukte – auf den ersten Blick zwei identische Prozesse. Doch es stellt sich heraus, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden gibt: ihre Zerfallsrate in Abhängigkeit von der Zeit. Nun was genau bedeutet das?

Stellen Sie sich vor, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt gleich viele B- wie Anti-B-Mesonen haben. Unterschiedliche Zerfallsraten in Abhängigkeit von der Zeit bedeutet nichts anderes, als dass nach einer gewissen Zeit mehr B-Mesonen als Anti-B-Mesonen (oder andersrum) in ein ω-Meson und ein Kaon zerfallen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt bleibt also mehr von der einen Art übrig als von der anderen.

Dass Teilchen und Antiteilchen sich im Zerfall unterschiedlich verhalten, ist eine entscheidende Voraussetzung für unsere Existenz. Beim Urknall wurden gleiche Mengen an Teilchen und Antiteilchen erzeugt. Wenn beide aufeinandertreffen, vernichten sie sich gegenseitig und produzieren Licht. Wären Teilchen und Antiteilchen komplett symmetrisch in ihren physikalischen Eigenschaften, würde das Universum heute aus purem Licht bestehen und uns würde es gar nicht geben. Doch wir sind da und überall um uns herum sehen wir Materie, die nur Teilchen und keine Antiteilchen enthält. Das Proton und das Elektron, aus denen die Atome gebaut sind, sind zum Beispiel Teilchen. Atome aus Anti-Protonen und Anti-Elektronen werden in der Natur nicht beobachtet. Die Materie hat also beim Urknall das Rennen gegen die Antimaterie durch eine Asymmetrie in ihrem Zerfall gewonnen. Wie genau das geschah, kann die Wissenschaft heute nur teilweise beantworten. Eines von etwa einer Milliarde Teilchen hat es geschafft, der Annihilierung mit der Antimaterie zu entgehen. Diese Überbleibsel bilden heute alles, was wir im Universum sehen: die Galaxien, die Sonne, unseren Planeten und auch uns.

“B-Mesonen sind die perfekten Testobjekte für die Materie-Antimaterie-Asymmetrie, weil bei ihnen die davon verursachten Effekte besonders stark ausgeprägt sind”, sagt Veronika Chobanova. Asymmetrien in B-Mesonen-Zerfällen wurden am Anfang des Millenniums zum ersten Mal beobachtet und zwar am Belle-Experiment und am Konkurrenzexperiment BaBar in den USA. Die Ergebnisse dieser beiden Experimente waren ein entscheidender Beitrag zum Physiknobelpreis im Jahr 2008, den die Japaner Makoto Kobayashi und Toshihilde Maskawa erhalten haben. Ihre Theorie, die diese Effekte erklärt, ist mittlerweile ein etablierter Bestandteil der Teilchenphysik.

Auch im Zerfall, den Veronika Chobanova untersucht hat, fand sie Evidenz von Materie-Antimaterie-Asymmetrie. So war es in der Theorie erwartet und in diesem Sinne ist nichts Überraschendes dabei. “Das Faszinierende an diesem Zerfall ist allerdings ein anderer Aspekt: Er erlaubt uns einen Blick ins Unbekannte”, sagt Veronika Chobanova. “Wir wissen, dass es möglicherweise unbekannte Teilchen gibt, auf die der Zerfall sensitiv ist.”

Die Materie-Antimaterie-Asymmetrie, die bis jetzt beobachtet wurde und die von der weitgehend anerkannten Teilchenphysiktheorie (auch Standardmodell der Teilchenphysik genannt) erwartet wird, reicht bei weitem nicht aus, um den Materieüberschuss heutzutage zu erklären. Man ist also auf der Suche nach Asymmetrieeffekten, die über das Standardmodell hinausgehen. Es gibt auch viele experimentelle Hinweise darauf, dass das Standardmodell unvollständig ist. Zum Beispiel wissen wir aus astronomischen Beobachtungen, dass die uns bekannte Materie nur 15 % der im Universum vorhandenen Masse ausmacht. Der Rest bleibt bis heute komplett unerforscht. Deswegen suchen viele Wissenschaftler nach neuen Arten von Materie.

Allgemein gibt es in dieser Forschung zwei Herangehensweisen: den direkten und den indirekten Nachweis. Beim direkten Nachweis versucht man, die Teilchen an Beschleunigern direkt zu produzieren. Auf dieser Art hat man zum Beispiel das schwerste Quark, das Top-Quark, nachgewiesen. Diese Methode hat allerdings den Nachteil, dass aus technischen Gründen nur begrenzt hohe Teilchenmassen erreicht werden können. Wenn also ein unbekanntes Teilchen sehr schwer ist, kann es sein, dass wir technisch nie in der Lage sein werden, es an einem Beschleuniger zu produzieren. Bei der indirekten Methode hingegen misst man die Effekte, die neue Teilchen auf physikalische Messgrößen haben, ohne die Teilchen direkt zu beobachten. Zum Beispiel könnte ein neues Teilchen zum Zerfallsprozess beitragen und damit die beobachtete Zerfallsrate erhöhen oder verringern. Der Zerfall, den Veronika Chobanova untersucht hat, ist aufgrund seiner internen Struktur besonders sensitiv auf solche Effekte und wird mithilfe der indirekten Methode studiert.

Veronika Chobanova hat Belle-Daten analysiert und hat gemessen, wie viele B- und wie viele Anti-B-Mesonen sich in Abhängigkeit von der Zeit in ein Kaon-ω-Meson-Paar verwandeln. “Es ist wie eine Nadel in einem Heuhaufen zu suchen”, erklärt sie. “Nur circa fünf von einer Million (Anti-)B-Mesonen zerfallen auf dieser Art”. Dabei war es wichtig herauszufinden, ob die Zerfallsrate in Abhängigkeit von der Zeit sich von den theoretischen Vorhersagen unterscheiden. Die Ergebnisse der Studie sind präziser als frühere Belle-Messungen, und zwar vor allem dank der von Veronika Chobanova und ihren Kollegen verbesserten Untersuchungsmethode. Aufgrund der limitierten Daten aber ist die statistische Unsicherheit der Messgrößen noch signifikant, also lässt sich erst mal nichts über die Existenz von neuen Teilchen oder Antiteilchen schließen.

Limitierte Datensätze halten Teilchenphysiker allerdings nicht auf. Während Sie diesen Artikel lesen, arbeiten Veronika Chobanovas Kollegen am Münchener Max-Planck-Institut zusammen mit einem verstärkten Team aus mehr als 600 Wissenschaftlern aus Forschungseinrichtungen in 23 Ländern an einer Verbesserung des Belle-Experiments. Im Jahr 2018 soll das neue Experiment, Belle II, anlaufen und fünfzigmal so viele Daten wie sein Vorgänger sammeln. Am Großen Hadronen-Speicherring am CERN läuft momentan ein weiteres Experiment, das B-Mesonen untersucht – LHCb. An diesem ist Veronika Chobanova momentan beschäftigt. Belle II und LHCb werden gemeinsam eine neue Ära der Teilchenphysik starten. Die erwarteten Datensätze werden eine Einsicht in die Geheimnisse des Universums ermöglichen. Bleiben Sie dabei, der Spannende Teil fängt gerade erst an!