Kolosser 2

Kolosser 2,12-15 – erste So nach Ostern 24.4.

Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet.

Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.

Liebe Gemeinde,

die Kraft Gottes – sie ist es, die Jesus von den Toten auferweckt hat. Hinter der Kraft Gottes steht der Wille des Heiligen Israels und des Herrn der Welt – sein Wille zum Leben. Dafür hat er Jesus in die Welt gesandt, damit das Leben triumphiere – gegen alle Mächte des Todes, der Vernichtung, der Zerstörung. Ich glaube, es ist gut und nötig, an die Macht des Glaubens zu erinnern in einer Zeit, da der Tod alltäglich vor Augen ist. Denn es ist Krieg, nicht weit von uns entfernt – das ist das Neue. In Syrien oder im Jemen war der Krieg weiter weg; diese Kriege haben uns nicht tangiert in unserem Lebensgefühl und Lebensstil. Aber egal, wo Krieg ist; immer werden Menschenleben verletzt und zerstört. Darum ist jeder Krieg ein Verbrechen – und widerspricht dem Willen und Wirken Gottes.

Wir haben als Deutsche keinen Grund, überheblich auf Rußland zu blicken; 1914 und 1939 haben wir es selbst vergessen, dass Krieg nicht nur ein Verbrechen ist, sondern sich auch gegen Gott richtet als Schöpfer und Bewahrer des Lebens. Deswegen ist es nicht richtig, wenn (immer wieder) gesagt (und geschrieben) wird, wir erlebten gerade eine Zeitenwende. Es ist vielmehr das Wiedersehen mit einem uralten Dämon: den von Menschen gewollten und gemachten Tod, die Vernichtung von Menschen durch Menschen. Gott selbst hat diesen Mechanismus der Sünde am eigenen Leib erlebt: mit Jesus am Kreuz. Und er hat diesen Mechanismus aufgehoben und die Dynamik der Vernichtung außer Kraft gesetzt – durch seine eigene göttliche Kraft: „und hat das Leben wiederbracht“. Jesus ist auferstanden. Die Osterlieder reden hier ganz unbefangen von Krieg: „Gott sei gedankt, der uns den Sieg, so herrlich hat nach diesem Krieg, durch Jesus Christ gegeben.“ (113)

Es gibt Kriege, die Menschen wollen und führen; und sie kosten vielen Menschen das Leben, egal wer den Sieg davonträgt. Und es gibt den einen Krieg, den Gott selbst mit Jesus am Kreuz führt – gegen die Mächte des Todes und die gewaltigen Kräfte der Zerstörung. Und dieser Krieg kostet dem Tod die Macht. Gott sei Dank! Deswegen gibt es einen Zusammenhang, den wir nicht deutlich genug bezeugen können: „Ehre sei Gott in der Höhe“ – das ist die Grundlage von allem, die das Leben wollen, - und dann gilt: „Und Friede auf Erden“. – Ausgerechnet das Kreuz Jesu wird zum Zeichen der Zeitenwende: wo bis dahin der Tod geherrscht hat, da wandelt Gott nun den Tod ins Leben. Und wir, die wir getauft sind und mit Christus Jesus verbunden sind, wir werden in diese Verwandlung mit hineingenommen. Die Verwandlung der Welt, die wahrhafte Zeitenwende, sie geschieht von Gott her mit Jesus am Kreuz. Dort wird alles aufgehoben und entfernt, was gegen das Leben spricht: die Sünde und als ihre Folge die Schuld, das Unrecht und der Tod. Wir lesen und hören: Gott „hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet.“ Die Bibel redet hier erschreckend radikal, denn sie weiß, dass alle Menschen schuldig sind – die Bosheit ist Teil des menschlichen Wesens – ist Teil unserer Identität. Das wollen wir (modernen aufgeklärten Menschen) nicht wahrhaben und das ist nicht schön; eine Zeitlang kann man das verdrängen, aber dann kommt ein Krieg und alles wird offenbar: - wie grausam Menschen sein können, wie enthemmt, wie unerträglich. Ausnahmen gibt es nicht; nichts ist unmöglich. Auch das kann man am Kreuz lernen; wir erleben dort keinen einzigen liebenswerten Menschen, sondern nur Schuldige in allen Facetten; - und genau deren Schuld – unsere Sünde – wird am Kreuz aufgehoben und – begraben.

Und nun wird es richtig spannend, denn der Apostel schreibt: Mit Christus seid auch ihr begraben worden“. Solches geschieht in und mit der Taufe. Die Taufe ist das Ende des alten Menschen und seiner von der Bosheit bestimmten und der Sünde geprägten Identität. Denn der alte Mensch ist tot – im Taufwasser ersoffen, - und es taucht ein neuer Mensch auf, eine neue Kreatur, die sich im auferstandenen Christus wiederfindet: „mit ihm seid ihr auch auferweckt“. Gewiß, das ist nichts, was man sehen kann; das kann und muß man „glauben“. Der Glaube schafft die neue Identität - der Glaube, der sich an Gott hält, auf Gott hört und IHM allein die Ehre gibt. Der Glaube versetzte Berge, sagt man, aber viel wichtiger ist: der Glaube versetzt Menschen. Er versetzt den Menschen aus einer gefühlten gottlosen Wirklichkeit in die Wahrheit Gottes hinein, die in Christus Jesus erschienen ist.

Die Wahrheit ist, das die Wirklichkeit der Sünde und des Todes aufgehoben sind – und darum der Mensch, - der in Christus eingesenkte, der in ihn hinein versetzte Mensch – anders und neu leben kann: befreit von den Kräften und Mächten, die das Leben der Ungläubigen bestimmen. Gott hat – so lesen wir zum Schluß – „die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zu Schau gestellt – als erledigt, besiegt, überwunden. Gott hat triumphiert. - Mächte und Mächtige, die ihre Macht verloren haben, das ist die gute Nachricht. Jesus ist Sieger. Damit sind alle Kämpfe, in denen es um Sieg oder Niederlage geht, problematisch geworden. Die Auferweckung Jesu von den Toten, die wahrhafte Zeitenwende – die Zeit nach Christi Geburt, Tod und Auferstehung, hat durchaus politische Konsequenzen und eine geopolitische Komponente. Es gibt keine Macht und keinen Machthaber dieser Welt mehr, der dauerhaft einen Sieg erringen könnte – alle Siege und Niederlagen sind eingefangen und eingefaßt in den Triumpf Gottes. Er hat den Sieg des Lebens über den Tod erkämpft, den Sieg der Wahrheit über die Lüge, den Sieg des Friedens über den Krieg. „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“ – das ist die Formel dafür: die Formel unseres Lebens. „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn“, der die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet hat – sie bloß gestellt und als Pseudomächte überführt hat – öffentlich: Jesus ist und bleibt Sieger. Das Zeichen des Sieges ist das Kreuz, weil sich hier die Verwandlung ereignet hat. Das Kreuz zerstört alle anderen Zeichen, die Identität stiften sollen: die Flaggen und Fahnen zum Beispiel, die für einzelne Nationen stehen. Auch das je eigene Volk gehört zu den Mächten, die Macht verloren haben zugunsten des internationalen Volkes Gottes, das mit Jesus zur Welt gekommen ist. Das Kreuz ist das Zeichen, das Russen und Ukrainer verbindet. Natürlich kann das Kreuz Jesu immer auch von Menschen mißbraucht werden, auch (und gerade) von Kirchenführern. Es kann zur Rechtfertigung imperialer Machtergreifung benutzt werden, (wie Kaiser Wilhelm und die preußischen Kirchenführer das 1914 taten oder) wie der Moskauer Patriarch Kyrill das tut; aber es gibt viele russische Priester, die ihm die Gefolgschaft verweigern – Ukrainer tun das schon länger.

Ich möchte uns zum Schluß in Erinnerung rufen, dass es neben den römisch-katholischen und den protestantischen Christen eben noch die orthodoxe Christenheit gibt: etwas 200 Millionen orthodoxe Christen gibt es weltweit. Die orthodoxen Kirchen sind „auf dem Boden der oströmischen Reichshälfte entstanden; sie haben ihren Ursprung in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Bis zur Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 war der Patriarch von Konstantinopel der bedeutendste; außerdem gab es alte Patriacharte in Alexandria und Antiochien und Jerusalem – sowie später dann in Moskau. Hier nun kommt die Macht der Geschichte ins Spiel als eine Kraft, die Menschen beschwören. Aus der Geschichte nämlich lassen sich große Erzählungen – heute spricht man gern vom „Narrativ“ - entwickeln, die einleuchten und aktuelle Konflikte verstehen lehren und auch rechtfertigen helfen. So gab es in der Antike „Christen auf der byzantinischen Krim“; - und die Taufe Wladimirs im Jahre 988 wird als „Taufe Rußlands“ verherrlicht, - wobei diese Taufe eben in Kiew stattfand. Der „Tag der Taufe der Rus“ wurde auf Betreiben der russ-orthodoxen Kirche in der Ukraine im Jahre 2008 zum Feiertag erklärt, und 2010 in Rußland, auf Betreiben eines gewissen Vladimir Putins hin. Wikepedia erklärt: „Die Kiewer Rus ist das Vorläuferreich Russlands, der Ukraine und Weißrusslands.“ Der Moskauer Patriarch Kyrill I. nannte im Jahr 2008 „Kiew die Mutter aller russischen Städte“; und diese Stadt ist dann eben auch die Wiege der russischen Christenheit; diese Stadt ist älter und historisch bedeutsamer als Moskau. – Kein Mensch weiß, was in Putins Kopf vorgeht; aber wir wissen aus den Medien und von Rußland-Experten, dass Putin und der Patriarch von Moskau eine große Nähe zur Schau stellen und sie sich gemeinsam als Verteidiger des Christentums verstehen gegen einen dekadenten und gottlosen Westen.

Vielleicht wäre es gut, wenn sich das ehemals christliche Abendland, also der so genannte Westen, mit dem eigenen Herkommen und der eigenen Geschichte beschäftigen würde und den christlichen Glauben wiederentdeckte als das, was er ist: Die Kraft der Versöhnung und der Einigung, des Friedens und der Vergebung, des Lebens und der Zukunft – also ein geopolitischer Faktor. Vielleicht hat die evangelische Christenheit in Europa sich zu lange verkrochen, anstatt zu bezeugen, dass die Freiheit keine ist, die durch ewiges Wachstum und wirtschaftlichen Wohlstand das Ende der Geschichte herbeiführt, sondern dass Freiheit immer eine von Gott erstrittene und geschenkte ist, die man annehmen und achten darf. Freiheit durch Kriege und den Einsatz von Gewalt zu verteidigen, ist von Jesus her jedenfalls nicht ganz gedeckt und womöglich zu kurz gedacht. Freiheit gibt es nur, wenn ein Befreier da ist, - und Frieden nur, wenn Gott mit seinem Wort und seinem Werk akzeptiert wird. Die Konsequenz daraus ist orthodox – also übergreifend christlich und im Ursprung jüdisch: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten; Die Rechte des Herrn behält den Sieg“ – „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu von den Toten!“

Die orthodoxe Christenheit feiert heute Ostern, - mitten im Krieg den Sieg des Lebens über den Tod. Gott sei Dank! Amen