DER HEILIGE ROSENKRANZ

Liebe Brüder und Schwestern,

Sie halten jetzt den Rosenkranz in der Hand, oder genauer gesagt – seine elektronische Version.

Was ist ein Rosenkranz überhaupt?

Die Antwort auf diese Frage mag für Sie überraschend klingen, aber Sie halten jetzt den ganzen christlichen Glauben in der Hand.

Der am 5. Juli 2017 heimgegangene Joachim Kardinal Meissner schreibt:

Unvergesslich ist und bleibt mir ein Ereignis im Jahre 1975. Ich war damals gerade Weihbischof in Erfurt in der DDR geworden. Im Erfurter Dom durfte ich das Pfingst-hochamt zelebrieren. Dabei fiel mir eine Gruppe Menschen auf, die einen fremden Eindruck auf mich machten. Nach der heiligen Messe bin ich sofort vor den Dom gegangen und habe diese Gottesdienstbesucher begrüßt. Dabei stellte sich heraus, dass es Russlanddeutsche waren, die nach dreißig Jahren zum ersten Mal auf einer Touristenreise nach Deutschland kamen und dabei an einer heiligen Messe teilnehmen konnten. Sie sagten mir damals: „Wir haben Heimweh nach der Kirche".

Ein Mann trat vor mich hin und sagte mir: „Herr Bischof, welche Glaubenswahrheiten müssen wir unseren Kindern vermitteln, damit sie am Sinn ihres Lebens nicht vorbeigehen und das Ewige Leben erlangen?". Ich antwortete darauf: „Ich gebe Ihnen allen eine Heilige Schrift und einen katholischen Katechismus mit". Darauf gaben sie mir die Antwort: „Religiöse Literatur in die Sowjetunion mitzunehmen, ist ja schlimmer, als wenn man Waffen mitnimmt. Das können wir nicht tun". Meine Antwort darauf war: „Dann kann jeder von Ihnen einen Rosenkranz mitnehmen". Sie sagten darauf: „Natürlich, den hängen wir uns um den Hals, das ist dann wie ein Schmuckstück. Aber was hat denn das mit meiner Frage nach den Glaubensinhalten zu tun, die unseren Kindern und uns selbst das Ewige Leben garantieren?". Daraufhin nahm ich einen Rosenkranz in die Hand, zeigte ihnen das Kreuz und sagte: „Daran beten wir unser Glaubensbekenntnis. Das ist unsere Glaubenslehre. Mehr braucht man nicht zum Glauben. Dann kommt eine große Perle, daran beten wir das wichtigste Gebet der Christenheit, das wir von Jesus Christus selbst bekommen haben. Dann kommen die nächsten drei kleinen Perlen, an denen wir unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe erneuern. Das ist unsere Lebenslehre. Mehr brauchen wir nicht zum Leben. Und dann kommt - gleichsam in Geheimschrift oder Blindenschrift aufgefädelt - das ganze Evangelium: im Freudenreichen Rosenkranz die Geheimnisse der Menschwerdung; im Schmerzhaften Rosenkranz die Geheimnisse der Passion und im Glorreichen Rosenkranz die Geheimnisse unserer Vollendung". Da nahm der Mann den Rosenkranz in die Hand und hob ihn nach oben: „Wie, dann habe ich den ganzen katholischen Glauben in meiner Hand!". „Ja", sagte ich: „Sie haben den ganzen katholischen Glauben in einer Hand. Mehr brauchen Sie nicht zu glauben, und mehr brauchen Sie nicht zu leben. Das ist unser ganzer Glaube". Daraufhin küsste er den Rosenkranz und steckte ihn in seine Brusttasche[1].

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Eine Krise gibt der anderen die Hand: Corona, der furchtbare Krieg im Osten unseres Kontinents, Teuerung, Energiekrise, Versorgungsengpässe, zunehmender Hunger in vielen Regionen dieser Welt und die damit verbundenen – erwartbar zunehmende soziale Spannung und Konflikte... Man hat den Eindruck, daß wir uns immer mehr in einem Modus der Dauerkrise befinden. Was bedeutet das für uns? Vielleicht bedeutet das für viele Menschen, daß sie sich verstärkt nach Frieden und Geborgenheit in Gott sehnen.  Wo sind sie aber zu finden, wenn selbst der Apostel weiß: Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie und es gibt kein Entrinnen.[2]? Die Antwort auf diese Frage finden wir in der Heiligen Schrift: Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe, von ihm kommt mir Hilfe. Nur er ist mein Fels, meine Hilfe, meine Burg; darum werde ich nicht wanken. Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe; denn von ihm kommt meine Hoffnung. Nur er ist mein Fels, meine Hilfe, meine Burg; darum werde ich nicht wanken. Bei Gott ist mein Heil, meine Ehre; Gott ist mein schützender Fels, meine Zuflucht.[3]  

Vielleicht bedeutet diese wachsende Sehnsucht für viele Menschen auch, daß das Wort Jesu – das die Aufforderung und Zusage zugleich für uns darstellt – noch ernster zu nehmen ist:

Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.[4] 

Das ist einerseits eine Zusage: Unsere Gebete werden von Gott erhört. Andererseits ist das auch eine Aufforderung – betet ohne Unterlass! – fordert uns auch der Apostel Paulus auf[5].

Und das Gebet ist ein Gespräch mit Gott.  

Im zweiten nachchristlichen Jahrtausend sind viele wunderbaren und wundertätigen Gebete entstanden, eines davon ist der Rosenkranz. Auf vielen Darstellungen in Kirchen und anderswo ist der heilige Dominikus zu sehen, wie er aus den Händen der Gottesmutter den Rosenkranz entgegen nimmt. Im Hintergrund sind manchmal auch die heilige Katharina von Siena oder die heilige Rosa von Lima oder andere dominikanischen Heiligen zu sehen. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß gerade der Prediger-Orden, Orden der Dominikaner und Dominikanerinnen dieses wunderbare Gebet ganz kräftig gefördert und verbreitet hat.

 

Das Wort „Rosenkranz“ (vom lateinischen rosārium, „Rosenstrauch“) – erhielt ab dem 13. Jahrhundert die religiöse Bedeutung und bezeichnet die Gebete, die eine „Krone“ bilden, in der lateinischen Bedeutung von corōna (oder Rosenkranz für die heilige Gottesmutter). - ist ein hingebungsvolles und kontemplatives Gebet der gesamten christlichen Kirche ist.
Das Wort „Rosenkranz“ geht auf einen mittelalterlichen Brauch zurück, der darin bestand, den Statuen der Jungfrau eine Krone aus Rosen aufzusetzen; Diese Rosen waren ein Symbol für die schönen und „duftenden“ Gebete[6].

Den Ursprung des Rosenkranzes bilden die 150 Psalmen Davids, die in den Klöstern rezitiert wurden. Im späten Mittelalter (850 n. Chr.) schlug ein irischer Mönch vor, 150 Vaterunser anstelle der Psalmen zu rezitieren, um die Schwierigkeiten der Laienmönche zu überwinden, alle Psalmen auswendig zu lernen (es fehlte ihnen oft an Bildung und sie konnten manchmal nicht einmal lesen). Beim Beten mußte man die Gebete auch zählen. So entstand die Idee, eine Perlenkette (die Krone) als Leitfaden für die Meditation zu verwenden. Das Rosenkranzgebet entwickelte sich also aus frühmittelalterlichen Gebeten, bei denen zunächst das Paternoster und ab dem 11. Jahrhundert zunehmend das Ave Maria 150 mal in Zehnergruppen gegliedert wiederholt und mit Glaubensgeheimnissen und biblischen Texten über das Leben und Heilswerk Jesu Christi verbunden wurde.  Die älteste schriftliche Erwähnung einer Schnur mit aufgezogenen Steinen als Zählkette für wiederholt gesprochene Gebete schreibt diese Gebetsschnur der angelsächsischen Adligen Lady Godiva († um 1085) zu.

Im 11. Jahrhundert  schuf Petrus Damiani (um 1006–1072) die Form des Ave Maria, wobei der Engelsgruß aus dem Lukasevangelium im Wortlaut verwendet wurde: „Ave Maria, gratia plena. Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus.”[7] 

Im 12. Jahrhundert kam der Brauch auf, daß in Klöstern die Konversen, die meist kein Latein konnten, statt der lateinischen Psalmen des Stundengebets andere Gebete verrichteten. Neben dem Vaterunser tritt auch das Ave Maria als Ersatzgebet für die Psalmen auf, letzteres insbesondere bei den Zisterziensern und Kartäusern.

Für eine Reihe von 150 Ave Maria kam in Anlehnung an die 150 Psalmen der Bibel der Name Marienpsalter auf.  

Der Zisterzienserabt Stephan von Sallay († 1252) formulierte eine Vorform der fünfzehn Rosenkranzgeheimnisse. Durch den Kartäuser Heinrich von Kalkar (1328–1408) kam die Gewohnheit auf, fünfmal zehn Ave Maria zu beten und jeden Zehnerblock mit einem Vaterunser zu beginnen und mit dem Ehre sei dem Vater zu beenden. Noch im späten Mittelalter gab es den Beruf des Paternostermachers, der aus Knochen und anderen Materialien Perlen für Rosenkränze fertigte. Rosenkränze aus dieser Zeit trugen oft statt eines Kreuzes eine farbige Quaste. Die heute gebräuchliche Form des Rosenkranzes entstand im Advent 1409.

Der Trierer Kartäuser Dominikus von Preußen († 1460) fasste die Ereignisse des irdischen Lebens Jesu in fünfzig Schlusssätzen (Clausulae) zusammen, die sich an den damals üblichen ersten Teil des Ave Maria anschlossen. Adolf von Essen, ebenfalls aus dieser Kartause, verkürzte die Clausulae auf fünfzehn. In seiner Bulle Ea quae vom 9. Mai 1479 empfahl Papst Sixtus IV. das tägliche Beten des Rosenkranzes. Erst 1508 wurde dem Ave Maria die Bitte „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder. Amen.“ hinzugefügt.

In seinem Breve Consueverunt vom 17. September 1569 legte Papst Pius V. den Text des Ave Marias endgültig fest und regelte die Form des Rosenkranzgebets für die ganze Kirche. Am 7. Oktober 1571 besiegte die katholische Seestreitmacht unter Johann von Austria die stark überlegene türkische Mittelmeerflotte in der Seeschlacht von Lepanto vernichtend. Der Sieg wurde dem „Gebetssturm“ zugerechnet, bei dem in ganz Europa im Vorfeld der Seeschlacht das Rosenkranzgebet gebetet wurde. In der Folge stiftete Papst Gregor XIII. 1573 das Rosenkranzfest als Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Sieg und fügte es in den liturgischen Kalender ein.

Leo XIII. gilt mit seinen 12 Enzyklika über den Rosenkranz als der zweite „Papst des Rosenkranzes“.
Ebenfalls im 16. Jahrhundert erfolgt die endgültige Festlegung des letzten Teils des Ave Maria, der im Schlussteil zahlreiche lokale Variationen aufwies.

Die Dominikaner förderten auch die Bruderschaft des ewigen Rosenkranzes - (auch Ora di Guardia genannt): 1630 von Pater Timoteo de' Ricci gegründet und verpflichtete sich, alle Tages- und Nachtstunden, jeden Tag des Jahres den Rosenkranz zu beten. Nach dem Sieg über die Türken bei Peterwardein am 5. August 1716 erhob Papst Klemens XI. das Fest zu einem Fest der ganzen Kirche, das am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wurde. Papst Pius X. führte diesen Gedenktag mit dem Gedenktag der allerseligsten Jungfrau Maria vom Rosenkranz  (Beatae Mariae Virginis a Rosario) zusammen und legte ihn auf den 7. Oktober fest. Das Fest wird seit 1960 als Fest unserer Lieben Frau vom Rosenkranz begangen. Die am 8. Dezember 1862 von der dominikanischen Tertiärin Pauline-Marie Jaricot gegründete  Bruderschaft vom lebendigen Rosenkranz hat die Aufgabe, das immerwährende Rosenkranzgebet zu verrichten. Weitere Persönlichkeiten, die zur Verbreitung dieses Gebets beigetragen haben, sind der heilige Louis Maria Grignion de Montfort mit seinem Buch „Das bewundernswerte Geheimnis des Heiligen Rosenkranzes“ und der selige Bartolo Longo. Durch Studien in Neapel kam er mit positivistischen Strömungen (Ernest Renan, Bertrando Spaventa) zusammen und wurde schließlich Priester des sogenannten „Spiritismus“, einer Gruppierung, die sich mit der Beschwörung von Geistern befasste. Nach einer schweren Krise und gesundheitlichen Schäden fand Longo auf wunderbare Weise zum Glauben der Kirche zurück; er wurde am 7. Oktober 1871 Mitglied des dritten Ordens der Dominikaner. Durch die Nähe des Ordens zum Rosenkranz entdeckte Longo diesen neu und wählte den Ordensnamen Rosario. 1885 heiratete Longo Gräfin Mariana di Fusco. Die beiden kümmerten sich um Waisen und Kinder von Gefangenen. 1906 übergaben sie das Heiligtum von Pompeji, in dem die „Madonna vom Heiligen Rosenkranz“ verehrt wird, dem Heiligen Stuhl. Longo war Großoffizier des Ritterordens vom Heiligen  Grab zu Jerusalem. 1926 verstarb er im Alter von 85 Jahren. Papst Johannes Paul II. sprach ihn am 26. Oktober 1980 selig. Als „Apostel des Rosenkranzes“ erwähnte Johannes Paul Fratel Rosario in seiner Rosenkranzenzyklika Rosarium Virginis Mariae mehrfach. Der Gedenktag des Seligen ist am 5. Oktober. 
Ein weiterer Aufschwung kam im 19. und 20. Jahrhundert mit den Erscheinungen der heiligen Jungfrau und Gottesmutter Maria in Lourdes und Fatima. Die Visionärin von Fatima, Lucia, bestätigte dies: „Es gibt kein materielles oder spirituelles, nationales oder internationales Problem, das nicht mit dem Heiligen Rosenkranz und unseren Bitten gelöst werden kann.“ Und noch einmal: „Der Untergang der Welt ist zweifellos die Frucht des Verfalls des Gebetsgeistes.“ Im Bewußtsein dieser Orientierungslosigkeit empfahl die Mutter Gottes mit so viel Nachdruck das Rosenkranzgebet.“
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Österreich unter den vier Siegermächten aufgeteilt. Die neuen Herren Österreichs waren die USA, Frankreich, England und das kommunistische Russland.  Der Kapuzinerpater Petrus Pavlicek ging auf Wallfahrt nach Mariazell, dem wichtigsten Marienheiligtum Österreichs. Am 2. Februar 1947, als er vor dem Gnadenbild der Muttergottes betete, das sich auf dem Hochaltar des Heiligtums befindet, vernahm er eine innere Stimme, die ihm sagte: „Tu, was ich dir sage und es wird Friede sein!“ Es sind Worte, die an das Versprechen der
Muttergottes in Fatima erinnern. Der Eingabe der Heiligen Jungfrau folgend, begründete P. Pavlicek 1947 den „Rosenkranz-Sühnekreuzzug“. Dieser verstand sich als Aufforderung an alle Gläubigen Wiens, an einer  Rosenkranzprozession durch die
Straßen der Stadt teilzunehmen. Das Anliegen war, öffentlich für das Ende des
Kommunismus in Österreich und in der Welt zu beten. Um diesen Kreuzzug
voranzutreiben, reiste der Kapuziner mit einer Statue Unserer lieben Frau von
Fatima durch ganz Österreich. Anfangs waren die Prozessionen noch klein, doch
bald wurden sie größer und größer. Es kam soweit, dass sich der Landeshauptmann
und weitere Persönlichkeiten der Landesregierung der Bewegung anschlossen. 1955, nach acht Jahren des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs

durch ganz Österreich, hatten die Prozessionen eine unübersehbare Dimension angenommen. Bis zu einer halben Million Menschen nahm daran teil, fast ein Zehntel der gesamten Bevölkerung.

Am 15. Mai 1955 wurde der sog. Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet, der die Unabhängigkeit des Landes wiederherstellte. Entgegen allen Erwartungen und dank der Heiligen

Jungfrau verließ am 19. September der letzte sowjetische und am 25. Oktober 1955 der letzte britische Soldat österreichischen Boden. Jedes Jahr am 12. September, am Fest Mariä Namen, kommen Tausende Menschen nach Wien, um der Muttergottes für die Befreiung ihres Landes zu danken.

Papst Johannes Paul II. führt mit dem Apostolischen Schreiben Rosarium Virginis Mariae vom 16. Oktober 2002 optional in die leuchtenden Geheimnisse ein, die sich auf das öffentliche Leben Jesu konzentrieren.

Wie es auch immer entstanden ist und wo es auch immer genau herkommt - eins steht fest: Wenn es den Rosenkranz nicht gegeben hätte, dann hätte man ihn erfinden sollen. Und dieses wunderbare und wundertätige  Gebet kann jetzt von jedem Menschen verrichtet werden, um Gnaden und Trost für sich selbst oder andere zu erlangen, um gute Taten in der Welt zu verbreiten, um internationale Konflikte zu lösen, um Bekehrung und spirituelles Wachstum zu erleben. Das Gebet, sowohl in der Gemeinschaft als auch allein, im Zimmer des Hauses oder in der Kirche, zu jeder Tageszeit, ist ein Moment des Friedens und der Gelassenheit, der von den Sorgen des Alltags befreit, es ist ein Moment der Kommunikation mit der Barmherzigkeit Gottes durch die schönsten Gebete. Die sogenannten „Früchte“ der Rosenkranzgeheimnisse sind das Ergebnis der Erfahrung - nicht nur von großen Heiligen, sondern auch von gewöhnlichen Menschen, die öffentliche Zeugnisse der von der Jungfrau Maria erhaltenen und erbetenen Gnaden hinterlassen haben.
Das Rosenkranzgebet besteht derzeit aus 15 (oder optional 20) „Geheimnissen“,  d.h. bedeutenden Ereignissen, Momenten oder Episoden aus dem irdischen Leben Christi und Mariens, gruppiert in „Kronen“. Jede Krone beinhaltet die Meditation über fünf Geheimnisse und die Rezitation von fünfzig Ave Maria, aufgeteilt in Zehnergruppen (Gesätze oder Posten genannt).
Die integrale und klassische Version der Meditation sieht die Betrachtung aller fünfzehn Geheimnisse und die Rezitation unter anderem von einhundertfünfzig „Ave Maria“ vor, mit der sehr alten und gewünschten Analogie zu den einhundertfünfzig Psalmen des Psalters. Die Zählung erfolgt, indem man die Perlen der „Rosenkranzkrone“ oder des „Rosenkranzes“ zwischen den Fingern bewegt. Es wird in der aktuellen Sprache oder in der lateinischen Sprache rezitiert.

Es gibt sehr viele Menschen, die Rosenkranz täglich beten, manchmal sogar mehrmals am Tag. Da mag es jetzt einen oder anderen geben, der sagt: bei mir ist es nicht so, ich tue mich schwer mit diesem Gebet, ich werde immer müde dabei. Gut, zugegeben: Es gibt auch viele fromme Christen, die schon manchmal beim Rosenkranzgebet eingeschlafen sind. Einige würden sagen, er sei langweilig weil sich die Gebete immer wiederholen. Oder er hindere sie sogar in die Stille zu kommen: Durch die Aneinanderreihung vieler Worte komme man nicht so in die Stille. Manche wenden sogar die Kritik Jesu in der Bergpredigt ein und sagen mit den Worten Jesu: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen.[8]

Aber mit dem Rosenkranz ist es aber ganz anders. Gerade durch das sich oft wiederholende  Gebet Gegrüßet seist du Maria hat man diesen mit unserem Atmen im Einklang stehenden ruhigen Rhythmus, kommt man in die Stille, kommt man zur Ruhe - wie gesagt - so sehr, daß man manchmal sogar einschläft. Ist das nicht ein Zeichen der inneren Ruhe? Ist dann nicht die Seele wirklich bei Gott? Denn – wie die heilige Schrift sagt: Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe[9]. Wenn man aufgekratzt, aufgewühlt, aufgeschreckt ist, die Gedanken irgendwo sind nur nicht bei dem Gebet, die Zentrifugalkräfte sie irgendwo wegtreiben, dann hilft nur noch der Rosenkranz in die Ruhe zu kommen, mich zu sammeln, mich zu konzentrieren. Das gleichmäßige wiederholendes Ave Maria - Gegrüßet seist du Maria - stört die innere Stille nicht, sondern ganz im Gegenteil - fördert sie. Die innere Stille kommt erstaunlicherweise durch die Wiederholung der Worte - weil in diesen Sätzen und Worten, die wir beim Rosenkranz beten, ein tiefer Sinn drin steckt, ja man möchte sogar sagen: der letzte Sinn aller Dinge, den man eigentlich gar nicht aussprechen kann, den auch die Worte des Rosenkranzes nicht wirklich aussprechen können, der aber durch diese Worte dann uns zu Herzen gehen kann. Natürlich müssen wir beim Beten darauf achten, daß es nicht mechanisch abläuft, daß unsere Stimmen nicht die Stimme Gottes übertönen, denn Gott spricht tatsächlich durch die Stille hindurch - wie es bei Elija war – der Herr kam wie ein sanftes leises Säuseln[10]. Und auch wenn viele zusammen in Rosenkranz beten ist er - wenn er richtig gebetet wird - ein kontemplatives Gebet. Ein Gebet, in dem  wir diese Worte, die den tiefsten Sinn unseres Lebens zum Ausdruck bringen innerlich betrachten, diesen tiefsten Sinn unseres Lebens selbst. Und was sind das für Worte?

Das sind jene Worte, mit denen wir da beten! Es sind fast ausschließlich Worte der Heiligen Schrift.

Der Rosenkranz beginnt man mit dem Kreuzzeichen und Im Namen + des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – im Namen des Dreifaltigen Gottes also, auf dessen Namen wir getauft werden[11]. Das ist eine Erneuerung des Taufversprechens und ein Bekenntnis zugleich. Wir bekräftigen dies mit Amen. Wir dürfen ferner bitten:

Herr, öffne meine Lippen.

Damit mein Mund dein Lob verkünde. – Jeden Tag beginnt das erste Gebet der Tagzeitenliturgie mit diesen Worten[12]. Vielleicht sogar dreimal gesprochen. Mit einem kleinen Kreuzzeichen über die Lippen. Wie eine Sache anfängt, wie man selber etwas beginnt, ist nicht gleichgültig. Jede und jeder hat das mit Sicherheit schon oft erlebt. Auch einen Fehlstart in einen neuen Tag. Der Beginn des täglichen liturgischen Gebets ist kein Fehlstart. – Herr, öffne meine Lippen. Damit mein Mund dein Lob verkünde. Die Worte sind stark und alt[13]. Im Psalter werden sie David zugeschrieben. Über dem Psalm steht die Überschrift: „Für den Chormeister. Ein Psalm Davids, als der Prophet Natan zu ihm kam, nachdem sich David mit Batseba vergangen hatte." Es ist einer der Busspsalmen, herkömmlich mit dem ersten Wort nach der Überschrift Miserere genannt. Überschriften setzt man oft erst über einen Text, wenn er geschrieben ist. Die Überschrift von Psalm 51 ist dem Psalm auch erst später zugewachsen – nicht ohne Grund. Im Psalm heisst es[14]: „Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir missfällt." Das klingt zusammen mit einer Stelle aus dem zweiten Buch Samuel. Als Natan zu David kam, sprach David: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt." Natan antwortete ihm: „Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben"[15]. Bevor das große Sündenbekenntnis dieses Psalms anhebt, steht da also David als Identifikations- und Hoffnungsfigur: An ihm soll Israel lernen, daß der, der steht, fallen kann, aber auch umgekehrt:  wer gefallen ist, kann von der Barmherzigkeit Gottes wieder aufgerichtet werden, mehr noch: neu geschaffen werden.[16] 

Dann kann folgen:

O Gott, komm mir zu Hilfe.

Herr, eile mir zu helfen.[17]

Wenn einmal das Wasser bis zum Hals steht, möchte man nicht mehr warten. So geht es auch der Stimme, die aus dem Psalm 70 spricht. Säume nicht! Eile mir zu helfen! So nötigt sie Gott, angesichts leidvoller Erfahrungen nicht untätig zu erscheinen. Sie macht auch keinen Hehl daraus, wer für diese Not geradezustehen hat. In vielen Ländern ist es bis heute so: Wo der Rechtsstaat schwach erscheint, breiten sich Korruption und Machtmissbrauch aus. Die Ruchlosen kommen empor, während die Anständigen ein Schattendasein fristen. Der Psalm 70 mag vielleicht nicht zu den „schönsten“ Psalmen zählen. Man sollte ihn aber als Stimme jener, die sich nicht mehr zu helfen wissen, aushalten und noch besser: ihn stellvertretend für sie beten.

Dann kommt das Apostolische Glaubensbekenntnis, eine fortgebildete Variante des altrömischen Glaubensbekenntnisses[18]. Seine Ursprünge liegen entweder in einer frühen Ausformulierung der Regula fidei[19] oder in einer Weiterentwicklung von Fragen, die man an den erwachsenen Täufling bzw. an die Paten des zu taufenden Kindes stellte.

Wir sind alle angefragt, unser Leben Gott anzuvertrauen; es Gott in die Hände zu geben und Ihn zu fragen: „Was willst Du?“

Diese Frage muss sich stellen, wer an Gott glaubt und wer sagt „Credo“, „ich glaube“. Das lateinische Wort „Credo“ bedeutet „Cor dare“: „Ich gebe mein Herz!“

Und wer sagen kann: „Ich glaube an Gott. Ich gebe IHM mein Herz. Ich übereigne mich IHM“, der ist auf der höchsten Stufe des Glaubens angekommen.

Die ersten drei Jahrhunderte nach Christus war klar, dass es beim Glauben um das ganze Leben geht. Der Glaube bedeutete nicht nur Benachteiligung, er konnte sogar das irdische Leben kosten! Mit der Konstantinischen Wende, als das Christentum Staatsreligion wurde, war es vorteilhaft Christ zu sein. Es war geradezu geboten und selbstverständlich, was nicht gerade förderlich für den Glauben war und er wurde jetzt nicht mehr so ernst genommen! Jetzt kam es wieder zu einer Wende und heute ist es weder hilfreich noch förderlich oder nachteilig ein Christ zu sein! Umso wichtiger ist es heute, dass wer glaubt, und Gott sein Herz gibt, selbst zum Zeichen für Gott wird: zum Sakrament! Es muss sich an meinem Leben zeigen und ablesen lassen, dass ich fest an Gott glaube. So kannst du ein Sakrament für Gott sein. Ein Zeichen für Gottes Nähe und Gegenwart – durch das Gebet. Doch wie können wir zu einem solchen Glauben kommen?

Ein Glaubensbekenntnis wie das apostolische Glaubensbekenntnis benennt die wichtigsten Glaubensinhalte zum Zwecke des liturgischen Betens und Bekennens. Das apostolische Glaubensbekenntnis wird in der Kirche an Sonn- und Feiertagen in der heiligen Messe gebetet,  zudem ist es das Taufbekenntnis (in Frage- und Antwortform, auch bei der Tauferneuerung).


Inhaltlich besteht das Glaubensbekenntnis aus drei Artikeln, die die Dreieinigkeit (Trinität) Gottes verdeutlichen. In jedem Artikel wird eine Person der Trinität betrachtet und angebetet: im ersten Artikel Gott der Vater, der Schöpfer der Welt, dann Jesus Christus, der Sohn und Weltenrichter, dann der Heilige Geist, der besonders die Gemeinschaft in der Kirche wirkt.

Dann wird das Gloria Patri[20] gebetet - eine trinitarische Bekenntnisformel, die in der christlichen Liturgie in Form eines Gebets (Doxologie) die göttliche Dreifaltigkeit preist. Die Bezeichnung leitet sich von ihren Eingangsworten ab. Das Gloria Patri stammt aus dem 4. Jahrhundert. Der Text lautet:

Ehre sei dem Vater und dem Sohn(e) und dem Heiligen Geist(e),
wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen[21].


Der erste Halbvers Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto ist eine Aussage, die die Wesensgleichheit der drei göttlichen Personen kurz und prägnant zum Ausdruck bringt. Sie entspricht der Taufformel von Mt 28,19. Eine ursprünglich vom Mittlergedanken geprägte altchristliche Doxologie Gloria Patri per Filium in Spritu Sancto, „Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist“ wurde aufgegeben, da sie im Sinne der Arianer subordinatorisch missgedeutet werden konnte, indem die Gottheit allein des Vaters ausgesagt wurde.[22] [23]

Der zweite Halbvers („Ewigkeitsnachsatz“) bekräftigt die dogmatische Aussage über die Dreifaltigkeit auf der Zeitebene. Er wurde von der Synode in Vaison (529) vorgeschrieben.

Danach kommt das Vaterunser - das am weitesten verbreitete Gebet der Christenheit und das einzige, das nach dem Neuen Testament Jesus Christus selbst seine Jünger gelehrt hat. Es wird von allen Christen gebetet, sowohl als privates Gebet des Einzelnen, als auch im Gottesdienst.

Die bekanntere, dem heutigen liturgischen Gebrauch zugrundeliegende Version richtet sich nach dem Text des Matthäusevangeliums. Dort steht das Vaterunser in der Mitte der Bergpredigt, die als Lehre Jesu seinem heilvollen Handeln vorangestellt ist[24]. Die Formulierung des Vaterunsers lässt Jesu Lehre vom Beten[25] konkret werden. Das Beten der Nachfolger soll sich von einer öffentlichen, wortreichen, auf Außenwirkung bedachten Art des Betens bei Pharisäern und Heiden unterscheiden. Seine Grundlage ist die allem Beten vorlaufende Zusage: Euer Vater weiß, was ihr braucht, ehe ihr darum bittet[26].

Bei Matthäus ist die Anrede Gottes feierlich ausgestaltet: Nicht nur „Vater“ (wie bei Lukas), sondern „Unser Vater in den Himmeln“. Auch die beiden Bittenreihen werden ergänzt: Die erste Reihe durch den Hinweis „Dein Wille geschehe“, die zweite Reihe durch die Bitte „sondern erlöse uns von dem Übel (Bösen).
Nur bei Matthäus steht ein Kommentar Jesu, eine der Bitten betreffend, nämlich die Bitte um Vergebung: Der Kommentar bezieht sich auf die Aussage des Beters, seinerseits anderen Menschen vergeben zu haben. Jesus erklärt dieses zwischenmenschliche Vergeben für äußerst wichtig; er sieht es als Voraussetzung dafür, von Gott Vergebung zu empfangen[27]. Dieser Kommentar ist übrigens halb so lang wie der Text des Vaterunsers. Nur die matthäische Version beschließt die Bittenreihe mit einer Doxologie („rühmendes Wort“), die auf die Anfangsbitte um das Kommen des Reiches Gottes zurückkommt und die vorausgegangene Zusage Gottes im Munde Jesu gleichsam appellativ an Gott zurückgibt: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Dieser Schluss ist allerdings in den ältesten Handschriften nicht überliefert, fehlte somit vermutlich im ursprünglichen Matthäusevangelium.[28] 

Im Evangelium nach Lukas gibt es eine kürzere Version mit fünf Bitten. Dank der häufigen Verwendung ist das Vaterunser einer der bekanntesten Texte der Bibel überhaupt. Zusammen mit dem Glaubensbekenntnis und den Zehn Geboten gilt es als eine der Grundlagen, die jeder getaufte Christ lernen und wissen sollte.

Dann wird das Ave Maria = Gegrüßet seist du Maria gebetet, das aus drei Teilen besteht.

Der erste Teil sind die Worte des Erzengels Gabriel, der gewissermaßen stellvertretend für den ganzen Himmel die komplette Freude, den Jubel des Himmels über Maria, die Auserwählte zum Ausdruck bringt, die dann ihr großes „Ja, mir geschehe nach deinem Wort“ ausspricht und damit die wird die Tür geöffnet, durch die Gott in diese Welt eintreten und sein Heil wirken kann. Die Antwort von Maria, die sie mehr oder weniger stellvertretend für die ganze Christenheit gab, möchte uns ein Beispiel des absoluten Gehorsams und Gottverrauens sein. Daß Maria von dem Heilsplan Gottes nicht die geringste Ahnung hatte, ist ganz klar, denn sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß (des Engels) zu bedeuten habe[29] und nach der Ankündigung der Geburt des Herrn sagte Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?[30]

Offensichtlich versteht die heilige Gottesmutter nicht, wie diese Geburt geschehen wird und dennoch sagt sie voll Vertrauen:  Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.[31]

Der zweite Teil des Gebetes – das sind die Worte der Cousine von Maria - der Elisabeth, die gewissermaßen stellvertretend für die ganze Welt über Maria staunt und jubelt, sie lobend: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.[32] 

Und dann kommt die Antwort der Kirche: Heilige Maria, Mutter Gottes - das ist die Antwort der Kirche, die Maria als ihre Mutter jetzt hat. Jesus hat dem Jünger, den er besonders liebte - und damit auch uns - Maria zur Mutter gegeben, als er vom Kreuze her sagte: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter![33] 

In dem Lieblingssjünger Jesu sieht die Kirche von Anfang an sich selbst. Die Kirche hat fortan eine liebende Mutter und in diesem dritten Teil bittet die Kirche ihre Mutter so, wie auch eine liebende Tochter ihre Mutter hätte bitten können - daß sie für uns eintritt in der wichtigsten aber auch schwersten Stunde unseres Lebens - nämlich in unserer Sterbestunde.

Im Zentrum dieser drei Teile steht ein Name und auf den kommt es an. Es ist der heiligste Name - Jesus. Dieser Name ist zugleich ein Programm: er bedeutet übersetzt: „Gott Jahwe rettet“. Und in diesem Namen bringt Gott Heil, Erlösung und Rettung. In Jesus hat uns Gott sein liebendes, mildes Gesicht gezeigt, seine allumfassende Liebe erwiesen[34]: Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung schließt uns Jesus den Himmel auf. Und im Kolosserbrief[35] heißt es sogar: Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden,  das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. 

Christus ist also die Mitte unseres Lebens, sein Name ist der Fokus dieses Rosenkranzgebietes, das ein zutiefst christologisches Gebet ist. Der bereits erwähnte heimgegangene Erzbischof von Köln Joachim Kardinal Meisner hat einmal gesagt: Im Rosenkranz haben wir eine Zusammenfassung des Evangeliums, ein Kompendium der Heiligen Schrift, wir dürfen mit den Augen Mariens Jesus anschauen.  Und die Augen Mariens sind die Augen der liebenden Mutter und die Liebe sieht bekanntlich viel mehr. Mit den Augen Mariens Jesus anschauen, sein Antlitz betrachten - das freudenreiche. das lichtreiche, das schmerzhafte und das glorreiche. Und wer das tut - der macht's wie Maria. Er nimmt die Geheimnisse Jesu  in sein Herz auf und verkostet sie im Inneren seiner Seele. Das Rosenkranzgebet erlaubt es uns, diese Geheimnisse Jesu und sein Leben gewissermaßen geistlich einzuatmen und dadurch sich formen zu lassen und zu wachsen. Wer den Rosenkranz regelmäßig betet, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich verändert. Der Rosenkranz kann die Betenden formen, er ist dazu geeignet, die Betenden zu befähigen, jenes große Ziel zu erreichen, das der heilige Apostel Jakobus nennt: vollendet und untadelig sein, so daß ihnen nichts mehr fehlen wird[36].

Wir haben gesehen - immer wenn es in der Geschichte der Christenheit Krisen gab, hat der Rosenkranz eine besondere Beliebtheit erfahren - als wirklich kostbares geistliches Mittel, man möchte sogar sagen als geistliche Waffe.  Der Rosenkranz ist ein kostbares starkes geistliches Mittel in unserem geistlichen Ringen und man möchte auch sagen im Bemühen und Eintreten für den Frieden - erstens allein schon deswegen, weil wir mit Maria sozusagen an der Tür des Herzens Jesu - des Herzens Gottes - anklopfen. Auf der Hochzeit zu Kana sagt Maria: Herr, sie haben keinen Wein mehr[37]. Damit macht sie sich zur Fürsprecherin unserer menschlichen Anliegen - und zwar für immer. Mit ihr gehen wir an die Tür des Herzens Jesu.

Der Rosenkranz ist sehr gut dazu geeignet,  mit ihm für den Frieden einzutreten. Er läßt uns ruhiger, stiller, geordneter, gesammelter, mehr vom Frieden erfüllt sein. Vielleicht wird das auch Ihre Erfahrung beim Rosenkranzbeten sein?

In der Mitte des Rosenkranzgebetes steht der Name Jesu. Und Jesus verehren wir als den Friedensfürsten. Er sagt[38]: Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. Darum bitten wir im Rosenkranz und dieser Frieden - der geht richtig in die Tiefe, er ist nicht aufgrund der faulen Kompromissen entstanden, sondern beruht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Er ist unser Friede – schreibt auch der heilige Apostel Paulus[39]. Und die Gabe des auferstandenen Herrn ist ebenfalls Friede[40]: Der Friede sei mit euch! 

Dieser Gruß zu Beginn der Messe ist der Gruß des Auferstandenen an die Jünger, an die Kirche für alle Zeiten, es ist zugleich eine kostbare Gabe. Und schließlich wenn wir Jesus in den Blick nehmen und verschiedene Geheimnisse des Rosenkranzes betrachten, dann führt das unweigerlich dazu, daß wir auch all jene in den Blick nehmen, mit denen sich Jesus identifiziert - wenn er sagt[41]: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Wenn Sie in der Mitte der freudenreichen Geheimnisse das Kind Jesus in der Krippe betend betrachten, dann ist es ein Grund auch an die vielen Kinder zu denken, die weltweit Not leiden, sowie an die vielen Kinder im Mutterleib, die noch keine Stimme haben und die zu den Schwächsten unserer Welt gehören. Wenn Sie die lichtreichen Geheimnisse betrachten und das mittlere Gesätz beten, der uns das Reich Gottes verkündigt hat, kommen Ihnen sofort die Seligpreisungen in den Sinn: Selig die Friedenstifter, selig sind die Sanftmütigen, selig sind die Barmherzigen und die, die arm vor Gott sind und sich um seines willen auch Verfolgung auf sich nehmen. In der Mitte der schmerzhaften Geheimnisse steht  das Kreuz und das Kreuztragen durch Simon von Kyrene[42], der uns zum Vorbild werden kann, wenn es darum geht – durch  das Rosenkranzgebet angeregt – Kreuze und Lasten anderer Menschen mitzutragen[43], Mitleid zu haben, und dadurch ihr Leid zu mindern und Trost zu spenden[44]. Warum sollen wir nicht immer wieder hier und dort in die Rolle des Simon von Kyrene hineinschlüpfen?

Und schließlich die glorreichen Geheimnisse, die die ganze Freude über die Auferstehung zum Ausdruck bringen und verbreiten. Unser Anliegen kann es immer sein, andere und uns selbst zu  motivieren, die glorreichen Geheimnisse mit  dieser Freude unserer Umgebung beizubringen - so gut wir es vermögen - durch unser Glaubenszeugnis, Weitergabe des Evangeliums aber auch dadurch, daß wir versuchen diese Freude, diese Hoffnung, diese Zuversicht, die wir Christen zu recht haben dürfen, auch anderen Menschen mitzuteilen - also alles Gelegenheiten, die uns darauf bringen können, wie wir ganz konkret im Dienst an unserem Mitmenschen - in der Kirche und in der Welt - den Frieden mit aufbauen können. Der Rosenkranz ist ein starkes Gebet, wenn es darum geht, für den Frieden einzutreten und dafür zu arbeiten. Angesichts des furchtbaren Krieges in der Ukraine und im heiligen Land scheint dies ein sehr wichtiges Ziel und ein guter Grund zu sein, diese Perlenkette in die Hand zu nehmen oder von dieser App Gebrauch zu machen und den Rosenkranz zu beten bedeutet auch sich mit dem dreifaltigen Gott zu verbinden und mit dem Gekreuzigten Herrn, denn an der obersten Stelle steht das Kreuz, sowie schließlich auch mit Maria, die für uns eintritt, die uns zu Jesus hinführt und uns ein Gebet beten lässt, das zur Ruhe, zur Sammlung bringt und das Geheimnis der Erlösung betrachten lässt.

Der Rosenkranz ist zwar keine Reliquie unseres Herrn, aber wie wir sehen konnten, ist er in der durch die Jahrhunderte hindurch betenden Kirche entstanden. Ganze Generationen haben daran mitgebetet.

Vor Jahren konnte man im Vatikanischen Museum in Rom eine Ausstellung von Rosenkränzen aus vielen Jahrhunderten besichtigen. Man konnte viele Rosenkränze von Kaisern und Königen sehen, aber auch von Bauern und Arbeitern, von ganz schlichten Menschen. Sehr beeindruckt hatte mich der Rosenkranz der Kaiserin Maria Theresia. An ihrem Rosenkranz hingen sechszehn goldene Herzen, und in jedem Herzen war die Locke eines ihrer 16 Kinder enthalten. Die Kaiserin hatte den Rosenkranz immer bei sich und damit ihre Kinder, wenn sie ihren vielfältigen Regierungsgeschäften nachging. In dieser Rosenkranzausstellung war für mich eine ganz schlichte, unansehnliche Rosenkranzkette besonders ergreifend. Sie waren aus ganz billigem Material. Die Perlen waren aus Brotkrumen geformt, die Kette, oder die Schnur, war aus Stofffäden, die KL-Häftlinge aus ihrer Häftlingskleidung hergestellt hatten. Was sie bis in die Hölle des Konzentrationslagers begleitet hatte, war der Rosenkranz, der ihnen damals sogar wichtiger als Brot war!

Was ist das für ein kostbares Gebet! Der Rosenkranz mit seinen fünf Glaubensgeheimnissen ist wie die Hand der Muttergottes mit ihren fünf Fingern, die uns hält und trägt durch dick und dünn oder wie ein Rettungsring, der die Menschen vor dem Ertrinken rettet und sie ans sichere Ufer bringt. Es ist wirklich ein Geschenk des Himmels. Aber dieses Geschenk werden wir besonders zu schätzen wissen, wenn wie seine Geheimnisse nicht mit den Augen, sondern mit den betenden Herzen und den tastenden Fingern als zu entschlüsselnde Evangelium Jesu Christi betrachten. Und auf diese Weise prägt sich das Leben Jesu tiefer in unser Herz, in unser Leben ein, als wenn wir nur die Heilige Schrift lesen würden. Hier ist es dem Beter möglich, wie damals den Saum seines Gewandes zu berühren, und wenn es nur von hinten war. „Denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte"[45].

Wenn wir zum Rosenkranz greifen, werden wir dieser Berührung teilhaftig. Wir sehen den Herrn nicht nur, wir hören nicht nur seine Stimme, sondern wir kommen mit ihm in Berührung. Der Tastsinn wird oft von uns unterschätzt. Aber blinde Menschen entwickeln ihn und wissen ihn besonders zu schätzen, denn sie mit ihren Händen Orientierung erfahren, indem sie berühren, indem sie tasten, indem sie anfassen, was sie umgibt.

Von dem kaiserlichen Feldherrn Tilly im Dreißigjährigen Krieg wird uns sein tägliches Gebet überliefert:

Den Rosenkranz in meinen Händen,

auf das Kreuz den letzten Blick,

so möchte ich mein Leben enden,

Mutter, gib mir dieses Glück.

Ich denke, das können wir alle unterschreiben. Der Rosenkranz ist die Garantie, daß es uns auch tatsächlich geschenkt wird. Und wenn das Herz im Gebet voll Zuversicht nach der Hand Gottes greift, so möchte auch unsere Hand nicht ins Leere greifen. Wenn diese Hand die Perlen des Rosenkranzes fasst, spürt der betende Mensch, daß Gott bereit zum Hören und zum Helfen ist. Der Rosenkranz ist für den gläubigen Christen die Schnur, die über seinem Krankenbett hängt. Er richtet sich daran auf. Der Rosenkranz ist wie das Seil, das dem Bergsteiger den schweren Pfad erleichtert. Er hält sich daran, wenn rechts und links vom Weg sich die Abgründe auftun. Der Rosenkranz ist wie eine Leiter mit vielen Stufen, die gegangen werden müssen, wenn Glaube, Hoffnung und Liebe keine leeren Worte, sondern lockende Ziele und wirkende Kräfte bleiben sollen. Der Rosenkranz - mit einem Wort gesagt - ist das Band, das Gott und Mensch fester zusammenschließt.

Darum hat ja Gott uns auch die Sakramente gegeben, diese heiligen Zeichen, die man hören und sehen kann und die – man denke an die heilige Eucharistie – man essen und trinken kann. In diese sakramentale Ordnung gehört der Rosenkranz, der zwar kein Sakrament ist, aber ein sakramentales Zeichen, das uns hilft, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Hand nach der Wirklichkeit des lebendigen Gottes zu greifen.

Maria war und ist gleichsam die erste Rosenkranzbeterin. Sie wird nie einen Rosenkranz in der Hand gehabt haben, aber sie hat mit Jesus liebévoll hantiert, als sie ihn in Bethlehem in die Krippe als Säugling legte. Sie hat ihn umsorgt, genährt, gewaschen und getragen, als er als Kind heranwuchs. Sie hat ihn also nicht nur angeschaut, sondern sie hat ihm auch gedient, und sie ist bei seinem öffentlichen Leben immer gleichsam als „Krisenmanagerin" dabei gewesen. Sie stellte sich nicht vor Ihn, sondern immer hinter Ihn. Und wo es nötig und gefährlich für ihn wurde, sprang sie ein: bei der Flucht nach Ägypten; bei ihrer Suche nach ihm im Tempel von Jerusalem; bei ihrem Beistand, als ihn die Bewohner von Nazareth den Berg hinunter stießen wollten; bei seinem Kreuzweg in Jerusalem und unter dem Kreuz auf Golgotha. Sie fehlte dort nie, wo sie nötig war. Sie war immer dabei mit Kopf, Herz, Hand, Auge und Ohr. Dass auch wir leibhaftig mit Jesus leben, sprechen, gehen und verkehren können, ermöglicht uns der Rosenkranz, an dem uns das „Ave Maria" zum „Ave Jesus" und zum „Gloria patri et filio et spiritui sancto" führt, das „Gegrüßet seist du Maria" zum „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus", zum „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist". Wer weiß – vielleicht erschien der Bernadette in Lourdes und der Lucia in Fatime Jesus Christus selbst durch seine Mutter Maria, denn sie war nicht nur Mutter Jesu, sondern - weil sie bis zum Kreuz ausharrte und zu ihm hielt, die erste Zeugin Jesu Christi – und damit die Mutter der Kirche.
Als Brahms sein Deutsches Requiem das erste Mal in Deutschland in Bremen aufführen wollte, gab es heftigen Widerstand der Evangelischen, weil der Text nicht genügend Christi Erlösungstat und das Jüngste Gericht beinhalte; die Aufführung wurde nur genehmigt mit der Auflage, zwischen den Nummern die Arie "Ich weiß, daß mein Erlöser lebet"[46] aus dem Messias singen zu lassen. Musikalisch sehr problematisch, aber Brahms merkte, daß eine Sopranarie fehlte und ergänzte das Werk durch die Nummer fünf, in der der Chor zum Sopransolo singt "Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet". Die Mutterliebe, die wir in der Kindheit erfahren und die uns prägt, finden wir vor allem bei Maria wieder und Liebe ist etwas, was weder der Verstand noch die Augen, sondern das Herz sieht. Und das möchte Gott den Menschen unbedingt lassen, auch wenn es in der Volksfrömmigkeit zu manchen Übertreibungen kommt. Aber Übertreibungen sind auch ein Merkmal derselben Liebe!

P. Dietrich von Bülow-Sternbeck


[1]        Joachim Kardinal Meissner: Predigt bei der Wallfahrt der Russlanddeutschen in St. Antonius in Kevelaer am 22. Septebmer 2012. Zitiert in: "Rosenkranz" hrsg. von der Seelsorgestelle der Deutschen Bischofskonferenz für katholische Deutsche aus der GUS. Bonn 2014.

[2]        1. Thess 5,3

[3]        Ps 60,2-3.6-8

[4]        Mt.7,7

[5]        1. Thess.5,17

[6]        Mein Gebet steige wie Weihrauch vor Dein Angesicht auf (Ps.141,2)

[7]        Lk.1,28: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.

[8]        Mt 6,7

[9]        Ps 62,2

[10]        1.Kön.19,12

[11]        Mt.28,19

[12]        "Das Invitatorium steht immer am Beginn des täglichen Stundengebets, entweder vor den Laudes oder vor der Lesehore, je nachdem, mit welcher der beiden Horen man den Tag beginnt." Allgemeine Einführung ins Stundenbuch Nr. 35

[13]        Ps 51,17

[14]        Ps 51, 6

[15]        2.Sam.12,13

[16]        vgl.Ps 51,12: Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist!

[17]        Ps.70,2.6

[18]        Genannt „Credo romanum“

[19]        Regel des Glaubens

[20]        Lateinisch für „Ehre sei dem Vater.

[21]        Das eingeklammerte (e) lebt beim gesungenen Vollzug auf.

[22]        Markus Eham: Gloria patri. In: Walter Kasper  (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 4. Herder, Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 752 f.

[23]        Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia, Band 1, 5. Auflage, Herder, Freiburg im Breisgau 1962, S. 423. 

[24]        Mt.5,1ff.

[25]        Mt 6,5–15

[26]        Mt.6,8

[27]        Mt.6,14

[28]        Mt.6,8

[29]        Lk 1,29

[30]        Lk 1,34.

[31]        Lk.1,38

[32]        Lk 1,42

[33]        Joh 19,26-27

[34]        Joh 3,16

[35]        Kol 1,16.18

[36]        Jak 1,4

[37]        Joh 2,3

[38]        Joh 14,27

[39]        Eph 2,14

[40]        Joh 20,19.21

[41]        Mt.25,40

[42]        Mt.27,32; Mk.15,21; Lk.23,26

[43]        Gal.6,2

[44]        2.Kor 1,4

[45]        Lk.6,19

[46] Der Messias, KV 572, ist eine Bearbeitung, die Wolfgang Amadeus Mozart 1789 von Händels Oratorium Messiah anfertigte. Seine Version beruht auf einem deutschen Text und benutzt ein Orchester, in dem Blasinstrumente anders eingesetzt werden als in Händels barockem Werk, das 1742 in Dublin uraufgeführt wurde. Mozart schrieb die Fassung auf Initiative von Gottfried van Swieten für mehrere Aufführungen vor geladenen Gästen in Wiener Adelshäusern. Obwohl seine Fassung nur für diese Aufführungen gedacht war, wurde sie 1803, zwölf Jahre nach Mozarts Tod, veröffentlicht. Sie erschien in einer kritischen Ausgabe 1961 in der Neuen Mozart-Ausgabe und wird bis heute gespielt.