Warum M&R ?
Städtische Sozialräume und Milieukonzepte erfahren derzeit eine vierfache Zuordnung: als „gespaltene Stadt“, als ausdifferenzierte Stadt, als „Netzwerkstadt“ und als „amalgame Stadt“. Diese werden im folgenden erläutert und es schließen sich Thesen an, wie innerhalb dieser Konzepte mit kirchlichen Immobilienfragen umzugehen ist.
Die gespaltene Stadt: Sie ist gekennzeichnet durch die Einheit von Milieu und Territorium. Abgrenzungen zwischen Milieus werden territorial vorgenommen. Soziale Beziehungen und soziales Handeln sind so gleichsam territorial verfasst. Soziale Prozesse finden innerhalb des Territoriums statt. Was wir also in der Regel als natürlich gewachsenes Stadtgebiet ansehen ist im Grunde ein soziales Gebilde, das durch Normen, Traditionen und Verhaltensmuster territoriale abgegrenzte Flächen definiert. Die Studie (Anm. 1) führt als Beispiel den Chicagoer Großstadtreporter an: Dieser hatte bestimmte Straßenzüge und abgegrenzte Territorien zu betreuen. Lokalitäten werden in ihren kulturellen Dimensionen als geografisches Gebiet beschrieben, welches ein nachbarschaftliches Milieu beherbergt. Personen von homogenen Status und homogenen Bedürfnissen zieht es so in „dieselben Gegenden“.
Beispiel: Münster-Kinderhaus als gespaltene Stadt
(Rot = soziale Brennpunkte, Harzt IV und konsummaterialistisches Milieu [teils verwahrloste Hochhäuser]; Grün = bürgerliche und traditionell-konservative Mittelschicht-Milieus [Reihenhäuser und kleine Wohnreihen]; Blau = konservativ-etablierte Milieus [bevorzugte Wohngegend]).
Die ausdifferenzierte Stadt: In diesem Konzept wird das Wohn- und Lebensraumquartier ausdifferenziert betrachtet. Es wird deutlich, dass in einem Wohnviertel sehr unterschiedliche Milieus existieren können. Diese Ausdifferenzierung wird m.E. durch moderne Milieus der Performer und Experimentalisten vorangetrieben. Entscheidend ist für diesen Stadtteiltyp, dass keine lokale Kultur oder Gemeinschaft erzeugt wird. Milieus koexistieren also nebeneinander her. Sie können sich an konkreten Plätzen überlagern oder nebeneinander stehenbleiben. Die Einheit des Territoriums wird hier also brüchiger und fragmentierter.
M.E. ist besonders die Beobachtung von Zeitreihen hier hilfreich. Das folgende Beispiel verdeutlicht die „Besetzung“ eines öffentlichen Platzes durch unterschiedliche Milieus.
nebenstehend Beispiel Sprickmannplatz / Münster Kinderhaus
Die „Netzwerkstadt“: In diesem Konzept kommt dem Lebensraumquartier keine eigenständige Bedeutung mehr zu in dem Sinne, dass durch dieses Vergemeinschaftung und kulturelle Kontexte entstehen. Die „Bodenhaftung“ ist verloren gegangen. Stattdessen bilden sich Netzwerkbeziehungen heraus: Personen sind partiell in Interessen identisch, ebenso Orte und Inhalte. Szenen haben ihr Stammpublikum und Erlebnisangebote, die nicht mehr eindeutig lokalisierbar sind. Sie können kurze Zeiten oder jahrelang bestehen.
Die Binnenkommunikation nimmt also ab; es entstehen u.U. milieuneutrale Zonen. Handy, Internet, SMS. Mobile PC, Smartphone befähigen Menschen dazu, sich von räumlichen Lokalitäten zu lösen und Distanzen zu überwinden. Entsprechend wird die „Netzwerkstadt“ auch als „informationelle“ Stadt bezeichnet. Man trifft sich bei Facebook und Twitter und nicht mehr in einer lokalisierbaren Gaststätte oder Kneipe. Imbissen und Kiosken kommt die Funktion zu, solche Netzwerke zumindest etwas zu verknoten. Hierarchische Strukturen gehen verloren.
Beispiel: MS-Kinderhaus als „Netzwerkstadt“
(Blau = bevorzugte Netze konservativ-etablierter Milieus, Grün = bevorzugte Netze der traditionellen und bürgerlich-mittigen Milieus, rot = bevorzugte Netze konsummaterialistischer und experimentell-hedonistischer Milieus, schwarz = nicht mehr lokalisierbare Netze des postmateriellen und Performer-Milieus, Kreis = einer von vielen „fließenden“ Lokalisierungen).
Die „Amalgame“ Stadt: Das Konzept der amalgamen Stadt verknüpft unterschiedliche Elemente der vorherigen Modelle. So wie ein Amalgam in der Chemie aus der Zusammenführung unterschiedlicher Elemente entsteht, die anschließend nicht mehr voneinander trennbar sind, so beschreibt das Konzept der amalgamen Stadt die Irreversibilität der Verknüpfung von räumlichen wie nichträumlichen, zeitlichen wie zeitlosen Dimensionen der Milieus in ursprünglich geographischen Orten. Es werden nicht mehr Grenzen gezogen, sondern wie ein Quecksilbertropfen ist die Stadt beständig im Fluss und um Anpassung (nicht mehr Abgrenzung) bemüht. Der Quecksilbertropfen kann seine Grenze nicht mehr selbst bestimmen; diese wird von außen bestimmt und allenfalls durch seine innere Kohärenz, die bei einer Überspannung dann aber zur Zerteilung und nicht zu einer festen Form führt. Wohn-, Freizeit-, Arbeitsorte sind beständig im Fluss („Loft-Working“).
Dieser Typ bringt nach Meinung von Schulz (Anm. 1) einen neuen Milieutyp hervor: das kreative Milieu, das sich über Nachbarschaftshilfen, Netzwerkbeziehungen und Ortswechsel dieser Stadtform anpasst.