Karl Mickel 1935 - 2000 Dichter, Dramatiker, Librettist

Sprache – Grimm – Friedrichshagen – Buchbinder – Unfug

Sommer 1998, Bildrechte: private Aufnahmen von Karl Mickel und Paul-Michael Mickel

Bei Fragen zu Rechten und Veröffentlichungen, für die ausführliche Bibliographie und für den Erwerb von Autorenexemplaren wenden Sie sich bitte an Carla Lehmann!

In diesem Jahr ist alles anders. Die Pandemie hat die Welt fest im Griff und jeder hat andere Sorgen – wer denkt an Mickels Geburtstag? Wir haben in den vergangenen Jahren Veranstaltungen und Lesungen organisiert, Bücher herausgegeben, Studenten bei ihren Arbeiten unterstützt, die Internetseite zu seinem Gedenken erstellt und gestalten sie gerade neu. Das Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof bleibt erhalten und wird um 20 Jahre verlängert. Beim letzten Besuch fand sich im Efeu eine Flasche Freiberger Pils, ungeöffnet aber nun ohne Etikett.

Kurz vor der Beendigung des gesamten gesellschaftlichen Lebens, sprach ich noch über eine kleine Ausstellung zu seinem Gedenken mit dem Leiter der Handschriftenabteilung in Marbach Herrn von Bülow. Dort wird Mickels literarischer Nachlass verwahrt. Kann das in diesen Zeiten realisiert werden? Dann hörte ich, in Dresden wird ein Buch vorbereitet – Michael Wüstefeld versammelt dazu Texte von Freunden in einem SIGNUM Exkurs. Wunderbar. Die Arbeit dazu ist nun fast abgeschlossen und wir freuen uns darauf. Exkurs(ion) zu Mickel – "Am Mickelsee schwamm die Oper in Rotwein" Das Heft wird im Juni erscheinen.

Ein sehr wichtiger Teil des Nachlasses von Mickel ist – Grimms Wörterbuch. Die Bände erzählen, wie wichtig ihm Sprache war. Obwohl aus Dresden gebürtig, sprach er ein sehr ordentliches Hochdeutsch, konnte allerdings absichtlich sofort in das weeche Sächsisch verfallen oder seine Sprache nahm den Tonfall in emotionaler Situation ganz plötzlich an. Wenn er zu einem ihm genehmen Thema dozierte, war jeder unvorbereitete Text meist gleich druckreif. Ende der 70er Jahre begann er die Teile von Grimms Wörterbuch zu sammeln. Einige nicht zusammenhängende Bände konnte er bereits gebunden kaufen. Leider ist nicht mehr bekannt, welcher Antiquar ihm dabei geholfen hat, zur Ergänzung die fehlenden ungebundenen Hefte zu sammeln. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ist in Leipzig im Verlag von S. Hirzel in dünnen Heften oder auch als Bände gebunden, erschienen. Z.B. Zehnten Bandes – Dritte Abtheilung – Erste Lieferung. Stoß – Stoff. Bearbeitet von Dr. B. Crome. Die ältesten Hefte sind von 1888, die Hefte des Quellennachweises von 1971. Er hat lange gesammelt und plante, diese in der Form binden zu lassen, die den bereits vorhandenen Bänden gleicht. 1960 zog Mickel nach Berlin – Friedrichshagen, in der Wohnung am Müggelsee war 40 Jahre der Hauptwohnsitz. Auf der Bölschestrasse Hausnr. 76, in der Nähe des Bahnhofs, gab es lange Jahre eine Buchbinderei. Links zwei große Schaufenster, dann zwei Stufen zur Eingangstür der Wilhelm-Bölsche-Buchhandlung und rechts ein einzelnes Fenster. Durch dieses konnte man einen sehr großen alten Arbeitstisch sehen, an dem der Buchbinder arbeitete.

Anfang der 80er Jahre hatte Mickel dann ausreichend Hefte gesammelt, um die ersten Bücher dort von Siegfried Matthias binden zu lassen. Das war zu dieser Zeit ein sehr aufwendiges und sicher auch teures Unternehmen, aber da er ja noch nicht alle Hefte zusammen hatte, wurde in Etappen gebunden und nach Hause gebracht. Und natürlich weiter gesammelt.

Für ihn ein Schatz in grün und schwarz mit goldener Schrift auf dem Rücken.Vieles hat er dort nachgeschlagen, alte, merkwürdige Wörter entdeckt, Zusammenhänge in der Entstehung geprüft und Schreibweisen verglichen. In der Nähe der damaligen Buchbinderei gab es das Cafe Friedrichshagen (Bölschestr. 77), mit einigen Sitzplätzen daußen und innen einem Gastraum über zwei Etagen.

Hier hat Mickel gelegentlich einen Kaffee getrunken und auf die Abholung seiner fertigen Bücher gewartet, Freunde getroffen – oder mit mir ein Eis gegessen. Die Buchbinderei wurde später eine Apotheke, das Haus saniert und ist heute ein Restaurant. Im Cafe Friedrichshagen sind seit langem wechselnde Optiker.

In den 90er wurde das Wohnhaus am Müggelsee saniert und Mickels Arbeitszimmer war nicht mehr eine dunkle Bärenhöhle, die kalt und schlecht zu heizen war, sondern ein recht freundlicher heller Raum. Der Grimm war in 33 großen Bänden gebunden und bekam einen eigenen Schrank, direkt hinter seinem Schreibstischstuhl. So brauchte er sich nur umdrehen und hatte Zugriff auf unendlich viele Wörter. Neben diesen 33 Bänden finden sich weitere vier Bündel mit ungebundenen Heften. Ob es sich hier um Doppelkäufe handelt? Heute hat Grimms Wörterbuch auch 33 Bände und kann immer noch bezogen werden. Obwohl er sehr viel Wert auf korrekte Sprache, einen großen Sprachschatz und gute Grammatik legte, hatte er Spaß an Wortverdrehungen, Verhohnepiepeln, Unfug. Heißt es Komma, Kommata – was ist mit den Zeichen in einem Satz mit entsetzlich vielen Einschüben – sind das dann Kommatasse??? Und was ist mit dem Lexikon – sicher ein Band oder ein Nachschlagewerk aus mehreren Bänden kann ein Lexikon sein. Aber wenn jemand viele Nachschlagewerke jeweils aus mehreren Bänden besitzt oder nutzt sind das dann nicht Lexiküsse??? Und kennt noch Jemand die Löffelsprache – man findet sie im "Lachmund" auf Seite 220 - ein schöner Unfug. Während ich über diesen Text nachdachte, schickte meine Tochter ein Video aus München mit unseren Enkelkindern, 3 und 5 Jahre. Sie laufen zusammen eine Straße entlang und unterhalten sich kichernd und gestikulierend in einer Phantasiesprache, die sie offensichtlich beide sehr gut beherrschen. Mickel hätte Spaß an seinen Urenkeln gehabt und sich sicher gleich mit ihnen verstanden.

C.L.

Die Bilder aus den 80er Jahren hat mir freundlicherweise Frau Katrin Brandel vom Antiquariat Brandel in Berlin-Friedrichshagen zur Verfügung gestellt. Sie wußte auch sofort, wie der Buchbinder hieß.