Experiment Malen

aktualisiert 11.08.2018

SCHMETTERLINGSTRAUM

Einst träumte Dschuang Dsi, dass er ein

Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling,

der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von

Dschuang Dsi. Plötzlich wachte er auf: Da war er wieder

wirklich und wahrhaftig Dschuang Dsi. Nun weiß ich nicht,

ob Dschuang Dsi geträumt hat, dass er ein Schmetterling

sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er

Dschuang Dsi sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dsi und

dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist.

So ist es mit der Wandlung der Dinge.

(Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland)

Tanze deinen Traum wach

Tanze deinen Traum wach (2000)

(C) Sundra Kanigowski

Tanze deinen Traum wach!

Mit dem bekannten Traum des großen chinesischen Denkers & Poeten Dschuang Dsi und einigen Bildern und Geschichten im Gepäck möchte ich von meiner Beziehung zur Malerei erzählen, die eng mit der Kunst des Träumens verwoben ist, während ich eine kleine Strecke mit Ihnen gemeinsam in diesem Netz herum spuke.

Seit 1983 ist das Sauerland (NRW) meine Wahlheimat, in der sich mein Lebenstraum entfaltet – nach einer inneren Gesetzmäßigkeit und seinem eigenen Rhythmus. In den Höhlen, an den Quellen, Seen und Talsperren dieser mystischen Landschaft habe ich Wurzeln gefunden, die tiefer als die RaumZeit und das in ihr Geschichtete reichen. Hier tanze ich meinen Traum wach… sporadisch zyklisch schreibend malend singend lachend fragend… dann wieder ernst ratend mahnend auf Träume & Sterne deutend… und jenseits dieser wechselnden Aktivitäten kontemplativ schauend schweigend.

Durch meine Träume lerne ich. Sie führen mich zu Erfahrungen mit archetypischen Kräften, deuten auf energetische Prozesse, Wandlungen und geistig Wahlverwandtes hin, fordern mich auf zu Sprachstudien, zur tiefen Auseinandersetzung mit Wort, Zahl und Zeichen, Geometrie, Mathematik, Alchemie und zyklischen Prozessen vor dem Hintergrund kosmischer Zyklen, der Bewegung von Fixsternen und Planeten. Traumerlebnisse und synchronistische Ereignissen in der Innen- und Außenwelt sorgen dafür, dass meine alte Sicht- und Denkweise in Frage gestellt oder aufgebrochen wird. Für mich sind Träume Tatsachen, von denen ich ausgehe. Sie sind energetisch wirklich, da tief greifend, die Seele umfassend. Sie öffnen mir die Tür zu einer Wirklichkeit jenseits von Kausalität, Vernunft, Zeit und trennendem Ichbewusstsein, zu einer Wirklichkeit, die ich bin – in meiner Ursprünglichkeit, Ganzheit, Reinheit und Freiheit.

Das Experiment Malen

Januar 1993 - Nach einer ausgestandenen Krisenzeit wies mir ein eindeutiger Traum den Weg in meinen neuen Beruf, den der Hure. Es hieß, ich brauche mich nur der schöpferischen männlichen Kraft hinzugeben, so wie ich es in meinem Leben bereits geübt hätte. Dazu wurden mir Bilder gezeigt. Die später gemalte Szene - Mysterium - ist ein Teil dieses Einweihungstraums. Von nun an drängten die Bilder aus mir heraus, und ich war in Sorge, da ich über Maltechniken nicht allzu viel wusste. Learning by doing war die einzige Methode, um mich von dem inneren Bildandrang zu befreien. Freunde luden mich zu einer kleinen Malgruppe ein und ich malte mit selbst hergestellter Eitempera auf großen aufgespannten Maltüchern. Sehr bald packte mich der Dämon der Tuschemalerei und lehrte mich die ersten Lektionen des Stillehaltens nach einem kurzen, energetischen Kreativschub. Die Tuschespuren überraschten mich, denn sie entstanden spontan und wie von selbst in Stunden der Muße und Entspannung (siehe Tuschespuren). Für das spätere Malen mit Ölfarben erhielt ich technische Anleitung vom Erlanger Maler Michael Engelhardt (Wiener Schule), ließ mich von der Technik der Alten Meister inspirieren, experimentierte mit Untermalungen, verschiedenen Bolusgründen, Imprimituren und Mischtechnik (Öl und Eitempera). Die großen Bilder in Mischtechnik sind Werke dieser Zeit.

Sternenreise
Rotes Schloss (Weimar)
Fische-Entelechie oder ie Folgen der Jupiterkette

Sternenreise, 1995

Rotes Schloss, 1996

Fische-Entelechie, 1995

Im Bild Sternenreise sorgen die nass in nass eingesetzten Eitempera-Lasuren für besondere Transparenz und irisierende Farbigkeit. Die sieben Farbtöne des Regenbogens, Symbol kosmischer Verbundenheit und Kommunikation, zeugen wie der siebenzackige Stern von der erhabenen Magie kosmischer Schwingungen, der Harmonie der Sphären. Der unendliche Raum scheint aus Knotenpunkten zu bestehen: Sterne, Planeten, Farben, Töne, Atome. Alles schwingt, bewegt sich, wandelt sich. Durch den umwandelnden Rhythmus der Strahlungsenergie entstehen und verschwinden Lebensformen, um anderen Platz zu machen. Vom Gesetz des Fortschritts und vom Gesetz des Lebens geleitet geht alles Bestehende der Vollendung entgegen. Die wärme- und lebenspendende Sonne erscheint in der Gestalt eines "Gold-Kindes", das seine Arme wie Sonnenstrahlen ausstreckt und zugleich, wie der Regenbogen, alle Strahlen des einen Lichts in sich vereint. Alles ist in allem. Das Ei ist im Vogel wie der junge Vogel im Ei, eine Metapher, die die Dualität in der Einheit veranschaulicht.

Rotes Schloss: Inspiriert durch Träume von einem roten Licht, das die Begrenzungen des Raumes durchdringt, sowie durch einen Artikel über die Arbeit des Malers Mark Rothko schuf ich mehrere Rot-Studien mit Harzölfarbe, bis ich mit der Technik des Lasierens vertraut war. Ein Foto von der Innenansicht des Weimarer Schlosses lieferte mir den Innenraum für die Darstellung des geheimnisvollen Lichts, das alles Trennende und Begrenzende aufzulösen scheint und das trotz seiner Farbdichte den Eindruck von Transparenz und Schwerelosigkeit vermittelt.

Fische-Entelechie: Mit dem philosophischen Begriff Entelechie (das Ziel bzw. die Vollendung in sich habend) deute ich auf den innewohnenden Geist, der von Anfang an im Wesen des Menschen vorhanden ist, sein apriorisches Ganzheitspotential, das Entwicklung und Vollendung bewirkt und Ziel des Individuationsprozesses ist. Die Fische – Energie (letztes Zeichen des Tierkreises) verkörpert astroenergetisch die Vollendung der Einzelseele, wie sie in einem größeren Ganzen, dem Menschheits-Bewusstsein und schließlich dem kosmischen Bewusstsein aufgeht. Unser Leben im Zeit-Raum-Gefüge entspricht dem Leben der Fische im Wasser. So wie es die Bestimmung eines Fisches ist, von einem größeren Fisch verspeist zu werden, ist es Bestimmung und Vollendung des Menschen, in das Bewusstsein einen größeren Menschen einzugehen. ‚Größer’ meint hier ursprünglich oder archetypisch, das kosmische Urbild des Menschen. Alle Menschen sind Glieder eines großen kosmischen Menschen. Dies symbolisiert der Fisch im Bild wie auch der Fisch in der biblischen Jonah-Erzählung, der am Ende der Zeiten von dem großen Ur-Fisch, dem Leviathan, verspeist wird, der seinerseits wieder für das letzte Ma(h)l geopfert wird. Das Verzehren und Aufessen steht für den letztendlichen Akt der Integration. In den Mythen und Religionen vieler Kulturen symbolisiert der Fisch den erlösenden, heilenden Aspekt im Sinne ganzheitlicher Vollendung. Der Ibis – ein Symbol für den ägyptischen Gott Thot – nimmt das zyklische Geschehen wahr. Er blickt zurück und erkennt den Wechsel der Zeiten im Großen Weltenjahr – hier das Verabschieden des Fische-Zeitalters.

Ein weiteres kreatives Zeugnis eines Traumgeschenks ist das Bild Tanze deinen Traum wach (siehe oben). Das gespachtelte Bild entsteht tanzend! Ein großer Traum endet damit, dass eine uralte Frau zu meinen Füßen sitzt und sagt: „Wenn auch die Züge im Moment so vorbeidonnern, dass die Füße vibrieren, so schenkt uns dies doch große Träume!“ Und ich sehe, wie die Frau sich groß neben und über mir aufrichtet und wächst… ihr Kopf ragt immer weiter nach oben an der verlängerten Halswirbelsäule, die wie ein Stab hoch in den Himmel ragt. Mit der Entfernung wird der Kopf immer kleiner, bis er oben am Himmel als Stern aufleuchtet. Beim Erwachen und Bewusstwerden des ganzen Traums werde ich gleichzeitig von einem Lichtregen an Glückseligkeitsenergie überschüttet, der mich einhüllt in seinen gnadenreichen Mantel, der mich trägt, nährt und hält. Der Energiestrom hält ein paar Tage an. Ich schreibe spontan ein Dankgebet an den Geist der Göttlichen Ur-Mutter auf die weiße Leinwand… und es beginnt dann wie von selbst zu tanzen und zu malen, manifestiert sich durch mich als Bild – ein getanztes und gemaltes Dankgebet.

Tage später erzähle ich den Engelhardts von diesem Ereignis und erfahre, dass Rudolf Hausner bereits 1948 das Bild Ich bin Es“ gemalt hat (Historisches Museum der Stadt Wien), auf dem unter Anderem eine Frau mit verlängerter Wirbelsäule auf der Erde liegt, ihr Kopf ragt hoch hinauf in den Himmel, erscheint als Stern, über dem geschrieben steht ‚Ich bin es’. Ein phantastisches geheimnisvolles Bild! Auch Hausner hat es also gesehen, geträumt, erlebt und gemalt – vor 150 Jahren!

In der Höhle Trois Frères

1993

Stele der Schlangenpriesterin

1994

Balance of Independence

1994