1. Teil HOMUNCULUS
Lichtbild-Bühne, Nr. 18, 6.5.1916
Wie wird ein künstlicher Mensch hergestellt? Ein Problem, dessen Lösung die Gelehrten schon seit langem beschäftigt. Man will die Frucht der Liebe durch ein chemisch-physikalisches Surrogat ersetzen. In der jetzigen Epoche der Hilfsmittel und des Menschenmangels taucht die Frage von neuem auf, und was Altmeister Goethe im "Faust" als Homunculus ersann, soll nun Wirklichkeit werden – im Film. Da kann der kühnste Gedanke in die Tat umgesetzt werden, "Homunculus" wird Gestalt erhalten, wenn auch keine greifbare, aber eine sichtbare, erklärliche, verständliche.
Robert Reinert ist der moderne Literat, der den Film in den Dienst dieser grandiosen Aufgabe nimmt. Um so schwieriger, denn er hat dabei mit den Grenzen technischer Möglichkeiten zu rechnen. Allein der Geist, der Großes schafft, weiß sich den Anforderungen der Phototechnik anzupassen, er vermochte in diesem Falle noch mehr, er wurde ihrer Herr, bezwang sie, und so schuf er die Kunstart, die dem Filmbande so lange streitig gemacht wurde. Wieder ist es die deutsche Industrie, die einen solchen Erfolg zu verzeichnen hat, und so wird denn das Werk Reinerts bahnbrechend wirken.
Wie uns soeben mitgeteilt wird, ist es der Deutschen Bioscop-Gesellschaft gelungen, den berühmten und beliebten Star der Nordischen Film Co. in Kopenhagen Olaf Fönss für die Hauptrolle der Homunculus-Serie zu verpflichten. Der Stoff des äußerst interessanten Werkes wird durch die einzigartige Darstellungskunst Olaf Fönss' noch eine gewaltigere Wirkung ausüben. Wie wir hören, erhält der berühmte Filmschauspieler für die Darstellung dieser Rolle eine Gage, deren Höhe in Deutschland bisher noch nicht erreicht wurde; also auch in dieser Beziehung wieder ein Schritt vorwärts. Die deutsche Bioscop-Gesellschaft,, deren "Golem"erfolg noch unvergessen ist, hat die Aussichten eines weiteren großen Erfolges für ihre Homunculus-Serie durch das Engagement Olaf Fönss' noch bedeutend erhöht.
Drei Namen also: Robert Reinert, Olaf Fönss, Deutsche Bioskop-Gesellschaft werden hier ein Filmschauspiel schaffen, das man als das gewaltigste Kunstwerk aller Zeiten ansprechen wird. Und jene Leute werden verstummen, die im Film keine Kunst anerkennen wollen, die Wörter, wie Kitsch und Schund nicht aus ihrem kargen Sprachschatz ausmerzen können. Und das wird der größte Erfolg der Homunculusserie sein.
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Lichtbild-Bühne, Nr. 25, 24.6.1916
Altmeister Goethe hat im Faust mit dem Homunculus die Menschheitsidee auf das Gebiet der Technik verwiesen, Geister der Welt grübeln über das Problem der Fortpflanzung und wollen erkunden, ob die Natur nicht durch eine Gestaltung von Technik und Wissenschaft ersetzt werden kann. Robert Reinert glaubt der Chemie die Kraft beimessen zu dürfen, an Stelle der Naturgewalten ein menschliches Dasein in die Welt setzen zu können. Er versteigt sich zu der dichterischen Freiheit, daß es einem Professor in seinem Laboratorium gelingt, aus Retorten heraus einen Säugling zu gewinnen. Diese Idee des Autors würde leicht zu Irrwegen der Erfindung, des Ersinnens führen, bei Reinert ist die konsequente Folge der Geburt des Homunculus, daß aus ihm während eines Vierteljahrhunderts ein Mensch geworden, so wie die anderen, nur mit einem Fehler. Wie er sein Dasein nicht der allgewaltigen Liebe verdankt, so muß er, Mann geworden, die Gewalt und die Seligkeit der Liebe missen. (...)
Der Roman wurde verfilmt. Wie profan das klingt! Der erste Teil beweist, daß diese alltägliche Phrase hier wirklich eine Tat bedeutet. Der Autor Robert Reinert hat mit Hilfe von Otto Rippert nicht nur den Beweis geliefert, daß ein Film literarisch wertvoll sein kann, sondern in geradezu epochemachender Weise bekundet, daß der vielgeschmähte Begriff Film mehr Leben bringt und bietet, wie das gemeißelte und formvollendete Wort des Dichters, mehr zu bieten vermag, wie jede Gattung bildender Kunst oder Schaustellungen von Gemälden und Skulpturen. Der Stoff an und für sich mag höchste Literatur sein, um so höher ist es einzuschätzen, wenn es der Film vermag, die große, ihr nicht familiäre Volksmasse in dieses Gebiet emporzuziehen. Dies wurde hier nur so ermöglicht, daß außergewöhnliche Vorgänge derart kinematographisch festgehalten wurden, daß sie auch dem wenig Belesenen begreiflich und verständlich erscheinen.
Dazu gehörten zwei Faktoren, nachdem Autor und Regisseur sich ihre Ziele gesteckt hatten: ein Unternehmen, das dem Vorhaben würdig gewachsen war und dessen Erfüllung mit allen Mitteln anstrebte und ein Darsteller des Homunculus, der ungeahnten, bisher ungekannten Aufgaben gewachsen war. Die Deutsche Bioscop-Gesellschaft hatte die Ambition, die Schöpfung ihres Reinert der Kinematographie zu übertragen. Das war mehr als die Herausgabe einer Filmserie, es war ein Kampf gegen das dem Film bisher begegneten Vorurteil, das Erstreben von Gleichberechtigung mit Kunst und Literatur. Daß sie technische Schwierigkeiten überwand, wie bisher noch nie, ist hierbei ihr nicht zu schmälerndes, wenn auch selbstverständliches Verdienst, daß sie in ihrem Fabrikationskomplex die verhinderten Auslandsreisen durch Ersatz mit Kunst und Geldopfer erstandener Hintergründe zu umgehen verstand, rangiert schon höher zu ihren Gunsten. Daß sie aber für die Personifikation des Homunculus Olaf Fönss heranholte, dafür gebührt ihr die Palme.
(...) Wie die Meisterwerke der Maler, Bildhauer und Tonhelden durch ihre Schöpfungen uns mitreißen, erheben, bilden und veredeln, so und nur so wirkt dieser Film, der eine siegreiche Waffe ward, alle Kinogegner mit einem Male niederzuschmettern. Das ist die Gestaltung, zu der der Film kommen sollte und kommen mußte; Homunculus zeigt die Kinematographie auf jener Höhe, die den Parnaß bildet, sie ist erklimmt und nun heißt es von der Kinematographie: Hier bin ich, und hier will ich mich behaupten!
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B.Z. am Mittag, zit. nach Lichtbild-Bühne, Nr. 34, 26.8.1916
Des Filmwerks "Homunculus" erster Teil. Verfasser Robert Reinert, Spielleitung Otto Rippert. Dieses Werk steht am Tore einer neuen Zeit der Lichtspielkunst; ja, es ist vielleicht erst nur eine Brücke zur künstlerischen Vertiefung des Film, aber voll eines starken bestimmten Willens, und wo dieser Wille anklopft, öffnet sich gewiß ein Weg. Die kritischen Maßstäbe, die bisher an kinematographische Erzeugnisse gelegt wurden, Maßstäbe, die nach der technischen Elle gingen, zerbrechen; ernsthafte Erwägungen der Theaterkritik setzen selbsttätig ein. Die Homunculus-Tragödie ist dem Lichtspiel dienstbar gemacht, die Psychologie hat nach hundert fehlgeschlagenen Anläufen die Leinwand erobert. Unzulänglichkeiten der Schauspielbühne werden Ereignis, Wagnisse Selbstverständlichkeiten; das Bild bezwingt das Wort, Gedanklichkeit hat eine neue Formulierung in der Auswertung von Situationen, Episch-Lyrisches hat dramatischen Akzent gefunden. Noch steht bloß eine Filmdämmerung vor einem Kunstmorgen, der im Zwielicht ohne die Gewähr für einen wahrhaften Sonnenaufgang kommt. Dichterischer Wille, Kraft und Regie haben gearbeitet, mit dem Verstand, noch ohne Herz. Doch schon kündigt der Rhythmus eines Herzschlages im Film sich an. Gigantische Spannungen, Handlungsreize von größter Intensität sind hier multipliziert. In der Riesenrolle des Homunculus erneuerte der dänische Schauspieler Olaf Fønss seine Bekanntschaft mit dem Berliner Publikum. Fønss ist ein Darsteller mit außerordentlichen Ausdrucksmitteln, dessen hinreißendes Temperament alle Klippen, die sich der logischen Durchführung seiner Rolle entgegenstellen, überwindet.
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3. Teil DIE LIEBESTRAGÖDIE DES HOMUNCULUS
Lichtbild-Bühne, Nr. 43, 28.10.1916
Das schwierigste an der "Homunculus"-Filmserie ist die Aufgabe, jeden Teil als Film für sich abgeschlossen zu gestalten, ohne an dem Gefüge des ganzen Cyclus' zu rütteln und zu gemahnen. Das ist das Verdienst Otto Ripperts neben seiner Regiemeisterschaft. Der dritte Homunculusfilm führt den Untertitel "Liebeskomödie des Homunculus" und bringt den künstlichen Menschen dazu, zum größten Feind der Menschheit zu werden. An der Lösung des Mutterschaftsproblems scheitert sein Gefühl für Anna. Er rächt sie an ihrem Verführer, den er zugrunde richtet, weil er sein Kind nicht anerkennen will, sie aber wirft sich dem Mittellosen an den Hals: sie hat ihn wieder, Luise verläßt Verlobten und Eltern aus Liebe zu Homunculus, doch als sie erfährt, er sei ein künstlicher Mensch, flieht sie instinktiv vor ihm. Die Allmacht der Liebe steht unter dem Szepter von Eros, dem Homunculus nicht Untertan zu sein vermag. Die gewaltige Dichtung Robert Reinerts ist vielleicht in diesem Teile am schwierigsten bildlich wiederzugeben; es gelang restlos, wobei Carl Hoffmanns Photographie zur herrlichen Illustration der Dichtung geworden. Daß Olaf Fönss die von ihm geistig und darstellerisch geschaffene Figur – denn der künstlich geborene Ortmann ist nur eine Figur – konsequent in der einzig möglichen Art wiedergibt, daß sein Famulus Rodin diesmal (nicht im Spiel Kühne's) im Hintergrunde bleibt, läßt die übrigen Mitwirkenden umso mehr hervortreten. Erna Thiele gibt das Leiden, das sich an Hilfe klammert, diese aber vergißt, sobald es wieder Liebe gibt, auch neben dem unübertrefflichen Olaf Fönss lebenswahr und herzergreifend, während die Tragik der Luise und der ihrigen (Ilse Lersen, Hedwig Wiese, Max Ruhbeck, v. Winterstein) erschüttert, aber der Tragik des Homunculus die Beschauer nur näher bringt, Naturszenerien sind diesmal in der Minorität, dafür gibt es umso herrlichere gestellte Hintergründe und Lichteffekte. Alles in allem, der dritte Teil ist auch in jeder künstlerischen Richtung die Fortsetzung des bisher Erschienenen, gesteigert in Handlung, Darstellung, Wiedergabe und daher auch in Wirkung. Die Première im Marmorhause war auch diesmal ein Ereignis voller Ehren für die Deutsche Bioskop-Gesellschaft und ihre Elite-Garde.
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