September 19, 2023

Deutsch-chinesische Wissenschaftskooperation: Nicht die Politik, sondern die Wissenschaft selber muss genauer hinsehen 

Wie können wir unserer Werte und Interessen mit der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China vereinbaren? 

Von Sabrina Habich-Sobiegalla und H. Christoph Steinhardt 

Im Kontext des Scheiterns der auf Austausch und Ausgleich bemühten deutschen Russlandpolitik und der zunehmenden geopolitischen Spannungen mit China, gerät auch die deutsch-chinesische Wissenschaftszusammenarbeit unter Rechtfertigungsdruck. Universitäten und Forschungsinstituten werden Naivität im Umgang mit chinesischen Wissenschaftseinrichtungen und finanzielle Abhängigkeiten unterstellt. Chinawissenschaftler:innen, so heißt es, arbeiteten lediglich an „unkritischen“ Themen und bezögen nicht ausreichend politisch Stellung. Gewarnt wird zudem davor, dass mit deutscher Hilfe militärisch oder repressiv nutzbares Wissen in China aufgebaut oder strategisch bedeutsames Wissen aus Deutschland abfließen könnte. 

Signifikante finanzielle Abhängigkeiten von chinesischen Quellen sind mit den derzeit verfügbaren Daten nicht nachweisbar. Allerdings sind Informationen lückenhaft und die Transparenz über ausländische Zuwendungen an öffentlich finanzierte Universitäten ist ungenügend. Die Anwürfe an die China-Wissenschaften wurden mehrfach ausführlich behandelt. Schon ein kurzer Blick auf entsprechende Forschungsprofile und Publikationslisten widerlegt, dass die deutschen Chinawissenschaften sich durch regierungsfreundliche Forschung auszeichnen. Kooperationen mit China in anderen Disziplinen sind weder umfassend erforscht, noch können potentielle Risiken einfach vom Tisch gewischt werden. Die zentrale Frage ist: Können einzelne Institutionen sicherstellen, dass ihre Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern nicht mit grundlegenden Werten oder geostrategischen Interessen des Landes kollidiert? Besitzen sie überhaupt das notwendige Wissen, um dies zu entscheiden? Wenn die Antwort auf diese Fragen nicht klar "ja" lautet, was sollte dann getan werden? 

Eine „Lösung“ könnte sein, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China weitgehend einzustellen. Unbenommen davon, dass so etwas unter Bedingungen der Wissenschaftsfreiheit nicht zentralisiert entschieden werden könnte, halten wir diese Option für verheerend. Deutschland braucht dringend Informationen über seinen wichtigsten Handelspartner und die zweite Supermacht neben den USA. Das mangelnde Wissen über Entwicklungen in China ist schon jetzt ein strategisches Risiko an sich. Wissenschaftliche Kooperation kann zudem wichtige Kommunikationsbrücken erhalten, auch wenn die Zusammenarbeit in anderen Bereichen schwieriger wird. 

Ein alternativer Vorschlag ist die die Einrichtung eine China-Arbeitsgruppe auf Regierungsebene, welche sich mit der Prüfung von wissenschaftlichen Kooperationen beschäftigen soll. Dagegen sprechen zwei Dinge: Erstens garantiert ein derartiges Gremium keine gesteigerte Expertise im Umgang mit deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperationen. Die fehlende Chinakompetenz in der deutschen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wurde schon an vielerlei Stellen bemängelt. Zweitens, und noch wichtiger, kann die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit nur gewährleistet werden, wenn die Politik nicht in unmittelbare Entscheidungen der Forschung und Lehre hineinregiert. Demokratische Werte können schlecht mit der Aushöhlung der demokratischen Grundordnung verteidigt werden. 

Die Regeln und der Rahmen für eine Zusammenarbeit durch gemeinsame Forschungsprojekte sowie durch Studierenden- und Wissenschaftler:innenaustausch sollten deshalb von der Wissenschaftsgemeinschaft selber aufgestellt und geprüft werden. Die Freie Universität Berlin hat zum Beispiel 2021 einen China-Beirat gegründet, in welchem Chinaexpert:innen und andere Wissenschaftler:innen der Universität die Zusammenarbeit mit chinesischen Institutionen begleiten. Diese Vorgehensweise ist für andere deutsche Hochschulen jedoch nur schwer nachahmbar. Vielen deutschen Forschungseinrichtungen, die in sozial- oder technikwissenschaftlichen Bereichen mit chinesischen Instituten kooperieren, fehlt dafür schlicht die China-Expertise.  

Wie es nicht gehen sollte, zeigt die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Sie beendete jüngst die Zusammenarbeit mit dem China Scholarship Council (CSC), da vertragliche Verpflichtungen CSC-Studierenden zu Loyalität gegenüber dem Staat zwingen und ihre akademische Freiheit beschränken würden. Damit verkennt die FAU, dass diese Konditionen auch ohne Vertragsbindung für alle chinesischen Studierenden bestehen—und übrigens auch für alle anderen Studierenden aus Autokratien. Anstatt ihre Kooperationen auf den Prüfstand zu stellen und Risiken zu identifizieren, nimmt die FAU eine kosten- und zeitsparende Abkürzung und stellt damit alle CSC-Stipendiat:innen unter Generalverdacht. Gleichzeitig stärkt sie das nationalistische Narrativ, dass der Westen die Niederhaltung Chinas betreibe und Menschenrechte lediglich hohle Phrasen seien. Dies ist sicher nicht der richtige Weg, um „die Resilienz […] unserer Wissenschaft [zu] stärken und dabei die Offenheit unseres Systems zu bewahren,“ wie es die China-Strategie der Bundesregierung vorsieht.  

Offensichtlich sind einzelne Institutionen mit diesem Problem schnell überfordert. Wir sprechen uns deshalb für die Einrichtung eines deutschlandweiten, wissenschaftlichen Beratungsgremiums aus, welches mit China-, Technik- und Wissenschaftler:innen anderer Fachbereiche besetzt ist und deutsche Wissenschaftseinrichtungen in ihren Kooperationen mit chinesischen Institutionen berät. Die Ausgestaltung eines solchen Beratungsprozesses wäre alles andere als trivial. Schon jetzt ist der Arbeitsaufwand für ethische Prüfungsprozesse und andere administrative Verpflichtungen für Forscher:innen erheblich. Auch kann unserer Ansicht nach eine solche Beratung nur auf Freiwilligkeit beruhen. Dennoch kann ein solches Gremium Druck entfalten, sich dessen Expertise zu bedienen, um nicht bei etwaigen Folgeproblemen öffentlicher Kritik ausgesetzt zu sein. Wir glauben, dass damit die Chance besteht, die Wissenschaftsfreiheit, die Wahrung unserer Werte und Interessen und die wissenschaftliche Kooperation mit China miteinander in Einklang zu bringen.