Statistical Literacy and COVID-19

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Studienergebnisse: Folgen statistischer Kompetenz für die Corona-Pandemie

Wie in wahrscheinlich keiner Krise zuvor ist der öffentliche Diskurs beeinflusst von Daten, Zahlen und Statistiken. Begriffe wie Inzidenzfälle, Sterblichkeitsraten, (exponentielle) Wachstumsraten, R-Faktoren haben die Debatte in den vergangenen Monaten geprägt und wurden als Motivation für politische Entscheidungen mit teilweise tiefen Einschnitten in bürgerliche Freiheiten genutzt.

Gleichzeitig hat die Pandemie deutlich gezeigt, wie wichtig statistische Kompetenz ist. Es zeichnet sich ab, dass diese Fähigkeit innerhalb der Bevölkerung sehr heterogen ist. Eine Konsequenz daraus ist, dass eine Vielzahl an nicht zulässigen Interpretationen von Kennzahlen und Statistiken in verschiedenen Gruppen der Bevölkerung existiert.

Um einen möglichen Zusammenhang zwischen statistischer Kompetenz und dem Verhalten während der Pandemie zu erfassen, haben wir (mit Mikael Paaso und Vesa Pursiainen) eine großangelegte Studie durchgeführt. Erste Ergebnisse sind in der Studie „The Role of Statistical Literacy in Risk Perceptions and Behavior During the COVID-19 Pandemic” festgehalten. Hierzu haben wir im Rahmen einer regelmäßig in den Niederlanden durchgeführten repräsentativen Umfrage mit etwa 4,000 Teilnehmern Daten dazu ausgewertet, wie die Befragten die Risiken bezüglich COVID-19 einschätzen und wie sie zu social distancing sowie zu der Krisenkommunikation der Regierung stehen. Dabei haben wir ein Maß zur statistischen Kompetenz, d.h. der Fähigkeit, Statistiken zu verstehen und mit ihnen zu argumentieren, basierend auf einem etablierten Test („Statistical Reasoning Assessment“) im Rahmen der Studie erhoben und dem Verhalten in der Pandemie gegenübergestellt.

Folgende Hauptergebnisse können wir festhalten:


1. Einhalten der Abstandsregeln

In der Regel hält sich die Mehrheit der Bevölkerung an die Einschränkungen. Dennoch gibt es Unterschiede innerhalb der Bevölkerung. Menschen mit einem besseren Verständnis von Statistik halten sich mehr an die Abstandsempfehlung und vermeiden es stärker, sich im öffentlichen Raum und vor allem an überfüllten Plätzen aufzuhalten als solche mit einem geringeren Statistikverständnis.

2. Impfbereitschaft gegen das Coronavirus

Die Umfrage enthält keine konkrete Frage zu einer etwaigen Impfbereitschaft gegen das Coronavirus. Jedoch haben wir Informationen zur Einstellung gegenüber einer Grippeimpfung aus dem Jahr 2009. Es fällt auf, dass Individuen mit einem besseren Statistikverständnis einer solchen Impfung gegenüber positiver eingestellt als die der anderen Gruppe. Wir können nur spekulieren, ob sich die Einstellung hinsichtlich einer Grippeimpfung auch auf andere Impfungen, sprich auch auf eine potenziell verfügbare Corona-Impfung, übertragen lässt. Aber wir finden dies nicht unplausibel. Impfgegner bedienen sich des Öfteren statistischen Trugschlüssen, was wiederum auch ein Indiz für eine geringere statistische Kompetenz ist.

Insgesamt haben Menschen mit einer höheren statistischen Kompetenz mehr Vertrauen in das Gesundheitssystem und in die Wissenschaft im Allgemeinen. Auch dies konnten wir in unserer Studie feststellen.

3. Nutzung der aktuellen Informationslage für Risikoeinschätzung

Die Risikobewertung von den Studienteilnehmern mit einem besseren Statistikverständnis ist sensitiver bezüglich neuer Informationen. So hat diese Gruppe beispielsweise zu Anfang der Pandemie das Risiko für sich und nahe Bekannte, selbst an Corona zu erkranken, am höchsten eingeschätzt. Bis Juni 2020 wurde das Risiko jedoch stetig niedriger bewertet. Dieser Verlauf verhält sich parallel zu den rückläufigen Fallzahlen in diesem Zeitraum. Des Weiteren sehen wir, dass neue Informationen zu regionalen Unterschieden in den aktuellen Fallzahlen zu stärkeren Anpassungen in der Risikobewertung bei den Teilnehmern mit einer höheren Statistikkompetenz geführt haben.

4. Bewusstsein für Risikogruppen

Statistisch besser versierte Menschen schätzen das Infektionsrisiko innerhalb der Bevölkerung differenzierter ein als solche mit einem geringeren Statistikverständnis. Zudem ist der erstgenannten Gruppe bewusster, dass ihr eigenes Verhalten Auswirkungen auf das Infektionsrisiko der Mitmenschen haben kann.

So schätzen Menschen mit einer höheren statischen Kompetenz die Wahrscheinlichkeit für einen gesunden 30-jährigen Menschen ohne Vorerkrankungen, an Corona zu sterben, deutlich geringer ein als weniger Statistik versierte Teilnehmer. Weiterhin signalisieren sie eine höhere Bereitschaft zur Selbstisolation, wenn sie hierdurch Risikogruppen wie zum Beispiel ältere Menschen besser schützen können.

5. Kommunikation nicht für alle zufriedenstellend

Über die COVID-19-Pandemie wurde und wird sehr viel von offizieller Stelle berichtet und informiert. Trotzdem fühlen sich insbesondere Menschen mit einem geringeren Statistikverständnis weniger ausreichend informiert und sind unzufriedener mit der Kommunikation der Regierung. Auch ist ihr Vertrauen in die Wissenschaft und in die Medien geringer.

Die Unzufriedenheit kann sich sowohl auf die Quantität der Informationen beziehen als auch auf die Art und Weise, wie die Sachlage dargestellt wird. So hat eine europaweite Auswertung der Informationen durch die Gesundheitsämter ergeben, dass viele dieser Texte (zu) schwierig sind. Dies könnte eventuell der Grund sein, weshalb die statistisch weniger versierte Gruppe die Kommunikation kritisiert. Eine zielgruppenspezifischere Kommunikation könnte gegebenenfalls diesem Problem positiv entgegenwirken.


Weitere Details

Weitere Details der Studie finden Sie in folgenden Artikeln:

  1. Studienergebnisse: Folgen statistischer Kompetenz für die Corona-Pandemie

  2. Diskussion und Empfehlungen

  3. Trugschlüsse in der Interpretation von Corona-Daten