Berkeley, California The International House, View on the Golden Gate Bridge
Besuch in Berkeley
Er erzählt von Quine und Davidson - Davidson soll mal mit Quine nach Lateinamerika gereist sein - er muss damals noch ein Student gewesen sein. Und er erzählt noch mehr von lateinamerikanischen Erlebnissen - Prozessionen im strömenden Regen, vermischt von christlichen Einflüssen und Mayakultur.
Schwer, einen Philosophen wie Davidson an einem Institut zu ersetzen. Manches deutsche Institut wäre froh, wenn es nur einen der verbliebenen Philosophen hätte - Dreyfus, Sluga, Searle, Stroud, Ginsbourg ... Sluga, mit dem ich spreche, war in den letzten zehn Jahren dreimal Gastprofessor in Deutschland - in Hamburg hatte er die Ernst Cassirer-Professur inne, danach war er Gastprofessor in Freiburg und Frankfurt.
Er hatte gerade einen schweren Job - er hatte sich um das Germanistische Seminar gekümmert - die Studierenden verängstigt, da das Institut keine Einheit bildete - ein Pograbscher, den man endlich zum Sprachkurs degradieren konnte, da seine Lehrveranstaltungen nicht mehr besucht wurden. - Es sind wohl überall in der Welt die hilflos-hilfreichen Versuche einzelner, jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen, was manchmal mehr heißt als Bildung, Computer und Bibliotheken.
Er schaut, als habe er Geburtstag, als er mich sieht, trotzdem brauchen wir etwas Zeit, bis wir die letzten drei Jahre überbrücken können. Einmal lädt er mich zum Essen ein, einmal ich ihn zum Kaffee in einem der Cafés - vermutlich das schönste am Rande des einmaligen Campus.
Ein Vergleich mit Deutschland erübrigt sich. Während bei uns Hochhäuser, dreispurige Autostraßen, o.ä. das Studierendenleben prägen, gibt es hier kleine Wege, Bäume und Sträucher, nur für junge Menschen und Wissenschaftler gedacht. In einer Vorlesung zu Nietzsche strecken die Studierenden die Hände, um drei, vier Fragen zu stellen. Wir haben hier Leute nur mit besten Abschlüssen und sie sind sehr interessiert, erzählt mir Sluga auf dem Weg zum künstlerischen Mittagessen. Aber sie wissen vieles auch nicht, neulich fragten sie beim Philosophen Jacobi, ob von diesem die revolutionären Jakobiner kämen. Wir haben Spaß.
Vorlesung zu Nietzsche, Schopenhauer und Wagner. Vielleicht kann man ähnliches auch in Deutschland hören, nur dass er immer eine Spur besser ist. Er habe sich nicht besonders vorbereitet, meint er - also keinen besonderen Vortrag ausgearbeitet.
Philosophie und Kunst - Nietzsche entwirft eine Philosophie der Kunst, wie es eine Philosophie der Sprache, der Wissenschaft und der Mathematik gibt. Kunst ist ein Phänomen der Menschheit, wie Kultur, Religion, Wissenschaft oder Philosophie.
Die Wissenschaft kann uns erklären, wie wir geworden sind, aber warum sollte die Kunst ähnliches tun können? Nietzsches Antwort darauf ist, dass Kunst uns zeigt, wer wir sind und wie wir zu dieser Welt stehen. Was versteht Nietzsche unter Kunst. Er unterteilt sie in zwei große Teile - die apollonisische und die dionysische - während die erstere Form, Repräsentation, Produktion und Bewusstsein heißt, fällt auf die andere Kraft, Energie, Expression, Intuition und Unbewusstsein. Nietzsche zeigt uns ein breiteres Bild von Metaphysik.
Nietzsche wird in den historischen Rahmen der europäischen Kultur eingeordnet. Es ist die Zeit der Revolutionen. Die amerikanische Revolution, die französische Revolution, das Manifest von Marx und Engels kann man im Zusammenhang der Revolution der Kunst sehen, was Nietzsche fordert.
Schopenhauer - der Wille in uns beschreibt ein objektives psychologisches Phänomen - in unserem Mensch-Sein ist eine direkte Berührung mit der Wirklichkeit.
Frage aus dem Vorlesungsraum: in was für einer Beziehung Schopenhauer zu den Begriffen Apollon und Dionysos steht. Apollon sei ein Aspekt des dionysischen Kunstverständnisses, die Antwort.
Als weitere Gestalt wird Wagner genannt. Richard Wagner, der in dieser Musikwelt lebt und für den Musik die höchste Form der Kunst ist - wie die Tragödie die höchste Form der literarischen Kunst sei.
Die Vorlesung endet mit Fragen aus dem Vorlesungsraum von Seiten der Studierenden.
Mit Kunst wird er noch konkret, er gibt mir einen Aufsatz von sich - er besuchte persönlich das Metropolitain Museum of Modern Art in New York - Glitter and Dome: German Portraits from the 1920s - Glanz und Untergang - German Art in Search of the Self, die von November 2006 - Januar 2007 zu sehen war, und sein Booklet zu Kunst und Philosophie beinhaltet eine Beschreibung einzelner Bilder, hinzu kommt der geistesgeschichtlich-philosophische Kontext einerseits von Seiten der Kunst, andererseits im Zusammehang mit Nietzsche, Heidegger und vor allem Wittgenstein.
Die Bilder: Otto Dix, An die Schönheit, Max Beckmann, Der junge Argentinier, Georg Grosz, Der Autor Max Hermann-Neisse, Christian Schad, Selbstportait.
Wer bist du und wer bin ich? Die Frage nach dem Ich ist ein Kennzeichen der geistesgeschichtlichen Strömung der Zeit und diese beschäftigte auch die Künstler der Neuen Sachlichkeit. Sie waren vom 1. Weltkrieg mit seinen sozialen, politischen und persönlichen Konsequenzen gezeichnet. Sie wurde alle verfemd, als die Nazis an die Macht kamen. Die meisten endeten in der Ausstellung der sog. "Entarteten Kunst" von 1937.
Sie waren politisch nicht sonderlich engagiert, nichteinmal Grosz, der politischste unter ihnen, Politik wurde durchaus als gefährliches Spiel betrachtet. Fragen nach dem Ich waren im Vordergrund. Wer lebt in mir, einer oben, einer in der Mitte und einer unten? Die Frage nach sich selber zeigt sich in den vielen Portaits und Selbstportraits.
Ist es besser, jemanden nicht zu kennen, wenn man ihn portraitiert - kommt so die internale Welt besser zum Vorschein oder zeigt sich dies in der gelungenen externalen Form? Gibt es verschiedene Ichs, so kommt ein Portrait nochmals in ein Spannungsverhältnis, oder mit Otto Dix gesprochen: man sieht heute anders aus, als man sich vorher noch gegeben hat.
Das Ich wurde nicht nur in der Kunst diskutiert, sondern auch in der Philosophie, so z.B. bei Heidegger und Wittgenstein. Diese Diskussion hat jedoch schon ihre Tradition seit Descartes - ich existiere - ich denke. Für Wittgenstein hat die Frage nach dem Ich eine theoretische und eine moralische Dimension. Es gibt nicht so etwas wie eine Seele, das (philosophische) Ich ist weder der Mensch,noch der Körper oder eine Seele, und wie für Beckmann ist auch für Wittgenstein die innere Welt etwas mysteriöses. Psychologische Gedanken äußern sich möglicherweise auch in Wittgensteins eigener Zerrissenheit - sein Genie, seine Sünden, sein Judentum, seine Homosexualität - was sich durch den ersten Weltkrieg ebenso verstärkte.
Sluga bleibt bei philosophischen Überlegungen nicht stehen, sondern interpretiert die Bilder genau und bringt wieder Wittgenstein mit hinein. So entsteht eine differenzierte Auseinandersetzung, sowohl mit der Kunst, als auch mit der Philosophie. Hierbei distanziert sich Sluga jedoch, dass Malen Philosophie sei oder ein Ausdruck von Philosophie.
Und Heidegger? Auch bei ihm ist das Ich nicht offensichtlich. Sluga stellt ihm die Kunst und diese Künstler als Gegenpart entgegen. In Betrachtung der Bilder hinterfragt man auch, ob die Existenz in Bezug auf den Tod wirklich und nicht nur eine fragwürdigen These dieses Mannes ist.
Sie werden Wittgenstein nicht gekannt haben, Nietzsche aber war den Malern oft ein Begriff und Beckmann kannte darüberhinaus auch Schopenhauer, Kant und Hegel. Künstler erfüllen immer auch den existentiellen Anspruch von Dasein und sie sind sicher auch Phänomenologen - viele Bilder enstanden durch Betrachtung von Wirklichkeit. Sluga geht noch ausführlicher auf einzelne Bilder ein, was ich hier überspringen möchte.
Der amerikanische Naturalismus - The concept of political, ist Slugas zweite Vorlesung, die ich höre.
Man muss politische Strukturen in größeren Zusammenhängen sehen - hierbei benutzt Sluga einen Ansatz, den man vielleicht mit back to the roots bezeichnen kann. Die Frage sei, wie man dies tut. Auch Tiere leben in Gesellschaften und diese Gesellschaften liegen uns z.T. schon wissenschaftlich untersucht vor. Wir leben in Gemeinschaften, diese aber sind von denen der Tiere verschieden. Konrad Lorenz, der Insektenforscher William Morton Wheeler werden genannt der Insekten und deren Gemeinschaften untersuchte. Sluga stellt Darwins These vom Überleben der Besten Wohlfahrtsinstituten entgegen. Nicht unüblich für Vorlesungen wird auch der Schlenker in die Vorgeschichte zu unseren Verwandten, den Affen gemacht. Macchiaveli und Hobbes werden als philosophischer Bezug genannt. Struggel for survival - Nietzsche klingt nochmals an mit seinem Willen zur Macht, was ich ganz im Bezug zum Verständnis von Kunst verstehe - einem existentialistischen Ansatz, der natürlich und nicht tödlich ist.
Bettina Müller
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