Das „Gasthaus zum Anker“ hat eine jahrhundertealte Tradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Mündlichen Überlieferungen zufolge wurde das Gasthaus bereits um 1650 als Postwechselstation erbaut. Eine erste schriftliche Erwähnung findet sich jedoch erst 1752 mit der Nennung des Ankerwirts Adam Gottschalk. Über Generationen blieb das Gasthaus in der Familie Gottschalk, bis es 1829 ohne Wirtshausschild an Friedrich Huber verkauft wurde, der das ebenfalls traditionsreiche Gasthaus „Zum Rebstock“ in Tiengen betrieb.
Bis ins 19. Jahrhundert – vor der Entwicklung des Eisenbahnnetzes und des Automobilbaus – waren Postwechselstationen nicht nur unentbehrlich für den Transport von Briefen, sondern vor allem auch für Waren und Reisende. Auf festgelegten Routen wurden alle 15 bis 30 Kilometer Poststationen errichtet, um die erschöpften Pferde auszutauschen. Die Stationen der Post dienten jedoch nicht nur dem Pferdewechsel, sondern fungierten meist zugleich als Wirtshäuser und Unterkünfte.
Postwechselstationen wie der „Anker“ dienten aber nicht nur der Versorgung von Mensch und Tier, sie waren auch Orte des Austauschs. Reisende aus verschiedenen Regionen und Schichten kamen hier zusammen, tauschten Neuigkeiten aus oder handelten Waren. In gewisser Weise waren diese Stationen frühe Knotenpunkte der Kommunikation und Verbreitung von Nachrichten.
Mit dem Wandel des Verkehrs und dem Aufkommen der Eisenbahnen verloren viele Poststationen im 19. Jahrhundert ihre ursprüngliche Bedeutung. Doch das „Gasthaus zum Anker“ blieb bestehen. Wie viele ähnliche Betriebe jener Zeit übernahm es mehr und mehr die Funktion eines traditionellen Gasthauses, das nicht nur Reisenden, sondern auch der lokalen Bevölkerung als Treffpunkt diente. Die Anbindung des Hauses an die Dorfgemeinschaft vertiefte sich, und der „Anker“ entwickelte sich zu einem wichtigen sozialen Zentrum, in dem Vereinsgründungen und kulturelle Ereignisse stattfanden. Am 27. Januar 1904 wurde im „Gasthaus zum Anker“ ein besonderes Ereignis gefeiert: Der deutsche Kaiser Wilhelm II. beging hier seinen Geburtstag, begleitet vom Musikverein Tiengen.
Im Laufe der Jahrzehnte wechselte das Gasthaus mehrfach den Besitzer, wobei es unter Johann Jenne (1859), Friedrich Frick (1898), Luise Frick, Frieda Semler (geb. Frick, ca. 1962), und Josef Semler (1965) sowie später unter den Eheleuten Jean-Claude und Maria-Theresia Fritz (1979) und schließlich Christa und Michael Julier (1990) kontinuierlich weitergeführt wurde. In dieser Zeit erlebte der „Anker“ mehrere Modernisierungen, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden.
Heute steht das „Gasthaus zum Anker“ vor einer großen Herausforderung. Das historische Gebäude ist in die Jahre gekommen und die alten Strukturen, die einst die stolze Grundlage eines Gasthauses und Treffpunkts bildeten, bedürfen umfangreicher Instandsetzungen, um ihre Funktion und ihren historischen Charme zu bewahren.
Die geplante Renovierung und Neuausrichtung des „Gasthauses zum Anker“ zielt darauf ab, das historische Erbe des Hauses zu bewahren und gleichzeitig moderne Nutzungskonzepte einzubringen. Mit dem Ausbau des Dachgeschosses zu einem Boardinghouse, dem Bau von Wohnungen und einer energetischen Sanierung soll das Haus wieder wirtschaftlich tragfähig werden. Der “Anker” bleibt ein Symbol der Vergangenheit und der Verbindungen, die über die Jahrhunderte in und um seine Mauern geknüpft wurden. Es steht für einen Ort der Zusammenkunft und des Austauschs – heute wie früher für Reisende und die Menschen der Region. Unser Ziel ist es nicht nur die bauliche Substanz als Erinnerung an vergangene Zeiten zu sichern, sondern die Maßnahmen tragen auch dazu bei, den historischen Gasthof als sozialen und kulturellen Ankerpunkt der Gemeinde zu erhalten. Langfristig sollen die neuen Nutzungskonzepte die laufenden Unterhaltskosten des Objekts decken und so seinen Fortbestand für kommende Generationen gewährleisten.