Herkunft

2. Herkunft der Zwangsarbeiter

2.1. Zwangsrekrutierung der Tschechen aus dem „Protektorat“

Die ersten ausländischen Arbeitskräfte ins nationalsozialistische Deutschland kamen aus der Tschechoslowakei. Nach der Zerschlagung[1] der „Resttschechei“ am 14.3.1939 und dem oktroyierten „Protektoratsvertrag“ wurden zuerst Arbeitskräfte mit dem Versprechen auf ordentliche Löhne, qualifizierte Arbeit, billige Unterbringung und Verpflegung sowie kostenlose Anreise[2] angeworben. Ab April 39 wurden die Arbeiter aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ zwangsrekrutiert. Nun durften die Tschechen  „nur noch in Gemeinschaftslagern untergebracht werden, die private Beherbergung wurde untersagt“ [3].

2.2. Einsatz der Polen

Ab Kriegsbeginn wurden polnische Kriegsgefangene als auch zivile Arbeitskräfte nach Deutschland deportiert. Der Poleneinsatz in der deutschen Landwirtschaft und Industrie sah Ulrich Herbert als „Modellversuch“[4]. Ab 16. November 1939 wies Göring die Arbeitsverwaltung an, „die Hereinnahme ziviler polnischer Arbeitskräfte, insbesondere polnische Mädchen in größtem Ausmaß zu betreiben. Ihr Einsatz und insbesondere Entlohnung müssen zu Bedingungen erfolgen, die den deutschen Betrieben leistungsfähige Arbeitskräfte billigst zur Verfügung stellen“[5].


2.3. Französische Kriegsgefangene und zivile Arbeitskräfte in der deutschen Industrie und Landwirtschaft

Im Herbst 1940 waren nach der Hereinnahme der französischen Kriegsgefangenen bereits mehr als 2 Millionen Ausländer in Deutschland beschäftigt, fast 10% aller im Reich beschäftigten Arbeitskräfte[6]. Französische Kriegsgefangene waren in Bobingen sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie im Einsatz[7].



2.4. Ideologische und rassistische Argumente gegen einen Arbeitseinsatz von „Russen“ in der Kriegswirtschaft

Der Russland-Feldzug ab dem 22.Juni 1941 war insofern ein spezifisch nationalsozialistischer Krieg, als die politischen Prinzipien der Kriegsführung von der nationalsozialistischen Rasse- und Lebensraum-Ideologie bestimmt waren[8]: Der Chef der Panzergruppe 4, Generaloberst Hoepner ordnete über die Kampfführung gegen die Rote Armee an:

Der Krieg gegen Russland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muss die Zertrümmerung des heutigen Russlands zum Ziele haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muss in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen, russisch-bolschewistischen Systems“.[9]


2.5. Über 3 Millionen russischer Kriegsgefangene verhungern in Lagern


Russische Kriegsgefangene im Lager: From Wikimedia Commons, the free media repository (Bundesarchiv Bild 146-1989-063-30A)

Sowjetische Kriegsgefangene aus dem Kessel von Bialystok
Foto Gerhard Gronefeld, Polen, Juli 1941

© Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr.: GG N 428/33

Im Online-Portal "LeMo - Lebendiges Museum Online" zur deutschen Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute findet sich dieses Foto mit folgendem erschütternden Begleittext:

"In deutsche Gefangenschaft zu geraten, bedeutete für mehr als die Hälfte der insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen den Tod. Die Wehrmachtsführung hatte kaum Vorkehrungen für die zu erwartenden Kriegsgefangenen getroffen. Ihr massenhaftes Sterben wurde von vornherein in Kauf genommen. Allein zwischen dem Herbst 1941 und dem Frühjahr 1942 starben rund zwei Millionen sowjetische Gefangene bei mangelhafter Ernährung, katastrophalen Unterkünften und fehlender medizinischer Betreuung an Hunger und Kälte. In deutscher Kriegsgefangenschaft kamen insgesamt rund 3,3 Millionen sowjetische Soldaten um."
Quelle: LeMO Objekt - Sowjetische Kriegsgefangene bei Bialystok, Juli 1941 (dhm.de) 

Infolge der ideologisch-rassistischen Wahnvorstellungen war an einen Arbeitseinsatz sowjetischer Gefangenen im Reich anfangs nicht gedacht. Das OKW plante deshalb auch keine ausreichende Verpflegung der russischen Gefangenen. Generalquartiermeister Eduard Wagner hatte im November 41 den Befehl erteilt: „Nicht arbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenlagern haben zu verhungern“[10].

In der Tat sind nach Recherchen des Historikers Christian Streit über 2 Millionen russische Kriegsgefangenen in den ersten 8 Monaten des Krieges gegen die Sowjetunion verhungert , verstarben an den unsäglichen hygienischen Verhältnissen oder an der Kälte: „Ein Interesse an der Erhaltung des Lebens dieser Gefangenen zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in der deutschen Wirtschaft bestand zu diesem Zeitpunkt nicht.“[11] Von den insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen des gesamten Krieges verstarben 3,3 Millionen [12].

Sowjetische Kriegsgefangene hoben für ihre Unterkünfte Erdhügel mit den Händen aus. Millionen verstarben an den unhygienischen Verhältnissen, an Hunger und Kälte. Photo privat

Kriegsgefangenenlager Wietzendorf in der Lüneburger Heide. Photo privat.


Es bestand bis Juni 1941 ein ausdrückliches Verbot Hitlers, russische Gefangene im Reich zur Arbeit einzusetzen[13]. Hinzu kam, dass Generäle wie die Reichsleitung an einen schnellen „Endsieg“ glaubten[14].


2.6. Genehmigung des Arbeitseinsatzes von „Ostarbeitern“ ab 31.10.1941

Weil sich eine schnelle Beendigung des Krieges als Illusion erwies und der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft, im Bergbau, im Metall- und Bauwesen schnell beseitigt werden musste, erging am 31. Oktober 1941 von höchster Stelle die Weisung  für einen umfassenden Einsatz der „Russen“ in Deutschland[15]. Allerdings sollten die „Sowjets“ ausschließlich in großen Kolonnen unter schärfsten Sicherheitsbestimmungen arbeiten und weder mit der deutschen Bevölkerung in Berührung kommen noch mit qualifizierten Arbeiten beauftragt werden.

2.7. Totale Kriegswirtschaft unter Albert Speer setzt auf Zwangsarbeit

Albert Speer als Reichsminister für Bewaffnung und Munition (ab Mitte Februar 1942) und verantwortlichem Leiter der Kriegswirtschaft gelang die Umstellung der Rüstungsindustrie auf die totale Kriegswirtschaft. Trotz Beschädigung der Infrastruktur und Beeinträchtigung der Rohstoffversorgung konnte er die Rüstungsproduktion bis Mitte 1944 auf einen Höchststand steigern. Seine Organisation beruhte wesentlich auf dem Einsatz von zivilen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Häftlingen aus den KZ. Hierbei arbeitete er eng mit Heinrich Himmler und der SS zusammen[16]. Bereits am 21. März 1942 hatte Hitler den Gauleiter Thüringens, Fritz Sauckel, zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ ernannt[17]. Seine Aufgabe bestand darin, eine effizientere Herbeischaffung von Ausländern und Ausländerinnen zu bewirken.

2.8. Zwangsrekrutierung der zivilen Arbeitskräfte


Nach zumeist gescheiterten Versuchen der Anwerbung[18] etablierte die deutsche Arbeitsverwaltung in der Sowjetunion ein System der Zwangsrekrutierung ziviler Arbeitskräfte. Den Amtsträgern im besetzten Osteuropa oktroyierte man Gestellungskontingente auf, daneben führten Wehrmacht  und Waffen-SS Razzien durch und verhafteten Passanten auf offener Straße, auch Teilnehmer von Festen und Gottesdienst-besucher. Ein Bericht der deutschen Briefzensurstelle liest sich wie folgt: „Männer und Frauen einschließlich Jugendlicher vom 15. Lebensjahr ab (wurden) auf der Straße, von den Märkten und aus Dorffestlichkeiten herausgegriffen und fortgeschafft. Die Einwohner halten sich deshalb ängstlich verborgen und vermeiden jeden Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Zu der Anwendung der Prügelstrafe ist nach den vorliegenden Briefen seit etwa Anfang Oktober das Niederbrennen der Gehöfte bzw. ganzer Dörfer als Vergeltung für die Nichtbefolgung der an die Gemeinden ergangenen Aufforderungen zur Bereitstellung von Arbeitskräften getreten. Die Durchführung dieser letzten Maßnahme wird aus einer ganzen Riehe von Ortschaften gemeldet.“[19]

In Güterzügen wurden die deportierten Kinder, Frauen und Männer in Durchgangslager gebracht und von dort an ihre Einsatzorte und Betriebe verteilt[20].

2.9. Repression, Stigmatisierung und Kontrolle

Alle ausländischen Arbeitskräfte wurden durch einen rassistisch-bürokratischen Repressions- und Kontrollapparat aus Wehrmacht, Arbeitsamt, Werkschutz, Polizei und SS streng überwacht. Sie wurden in zugige Baracken oder in überfüllte Gaststätten und Festsäle eingepfercht. In den Lager- und Betriebskantinen wurden sie nur äußerst unzureichend verpflegt; ohne Lebensmittelmarken konnten sie von ihrem geringen Lohn nichts zu essen kaufen und litten ständig Hunger. Die wenigen verbleibenden Stunden Freizeit nutzten sie zunächst, um ihr Überleben zu sichern. Manche versuchten auf dem Schwarzmarkt Brot zu erstehen oder putzten – gegen ein Mittagessen – für eine deutsche Familie. Auch ärmere Deutsche konnten sich ein Dienstmädchen oder einen Bauarbeiter ins Haus holen – wortwörtlich für ein Butterbrot[21].

In einem perfiden System von Sklavenarbeit hielten Zwangsarbeiter die Wirtschaft und Rüstungsindustrie ihrer eigenen Unterdrücker am Laufen. Zwangsarbeit basierte auf „Unfreiheit und Willkür“. Es stigmatisierte die ArbeiterInnen aus dem Osten und setzte sie billigend Hunger, Krankheit und Gewalt oder dem Tod aus. Sie durften nicht einmal die Luftschutzräume, die sie gebaut hatten, bei Bombenalarm aufsuchen.

Für Hermann Göring waren die Zuständigkeitsbereiche klar: Die deutschen Facharbeiter gehören in die Rüstung. Schippen und Steineklopfen ist nicht ihre Aufgabe, dafür ist der Russe da. Schaffung eigener Kost für sie (Katzen, Pferde usw.). Kleidung, Unterbringung besser als zuhause, wo die Leute zum Teil in Erdhöhlen wohnen“[22]. Reinhard Heydrich vom Reichssicherheitshauptamt ergänzte: „Er habe Russen und Ukrainer  als  außerordentlich rückständiges Volk kennen gelernt. Deren Unterkünfte müssten daher einfach sein und mit Stacheldraht umgeben werden, ihre primitive Lebenshaltung gestatte eine geringe Entlohnung, als Verpflegung sei Kriegsgefangenenkost ausreichend. Es sei politisch unklug, ihnen auch nur kleine Freiheiten zu gewähren“[23].


Glücklicherweise wurden diese Ansichten nicht in allen Regionen buchstabengetreu umgesetzt. Je dringlicher  der Arbeitskräftebedarf wurde, desto eher gelangten die Verantwortlichen  zur  Einsicht, mittels Prämien und verbesserte Ernährung Arbeitsanreize zu schaffen.

Dennoch:  Zwangsarbeiter unterstanden nicht den ordentlichen Gerichten, sie wurden von den Staatpolizeileitstellen diszipliniert und notfalls abgeurteilt.

Bezahlung, Behandlung, Ausgangsbestimmungen, Arbeit, Verpflegung und Bedingungen im Lager richteten sich grundsätzlich  nach ideologisch-rassistischen Motiven. Polen, Ostarbeiter und russische Kriegsgefangene standen in der Gefangenenhierarchie am untersten Ende.

 

2.10. Zwangsarbeit  in Augsburg und Umgebung

 

Ankunft sowjetischer Zwangsarbeiter in Augsburg, (NS-Propagandaaufnahme)
QQ: W. Kucera, a.a.O. S. 36:

 

Im Nationalsozialismus mussten seit 1939 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges rund 8,4 Millionen zivile ausländische Zwangsarbeiter und 4,5 Millionen Kriegsgefangene und KZ Häftlinge Sklaven- und Zwangsarbeit in Konzentrations- und Arbeitslagern, anderen Haftstätten, in der Industrie und Landwirtschaft oder auch in der Verwaltung leisten.

In Augsburg arbeiteten im April 1943 8.022 Zwangsarbeiter, hiervon waren 31,1% aus der Sowjetunion, 16,5% aus Frankreich, 8.5% aus Italien, 6,4% Belgier und 24% aus sonstigen Ländern. Im Oktober 1944 waren bereits 11.655 ausländische Arbeitskräfte eingesetzt. Von der gesamten Arbeiterschaft waren 63,4% Deutsche, 32,7% ausländische Zivilarbeiter und 3,9% Kriegsgefangene. Allein bei der MAN arbeiteten 3160 Bulgaren, Flamen, Franzosen, Griechen, Italiener, Kroaten, Letten, Litauer, Niederländer, Polen, „Protektoratsangehörige“, Russen, Serben, Slowenen, Spanier, Ukrainer, Wallonen u.a., darunter fast 1000 sowjetische Kriegsgefangene[24]. Im Landkreis Schwabmünchen alleine sind 2910 Russen und Ukrainer nachweisbar[25].


Im kleinen Ort Bobingen kamen über 1000 Zwangsarbeiter aus ganz Europa zum Einsatz, vornehmlich bei den IG Farben in der Kunstseide und der Dynamit AG, aber auch bei der Bahnmeisterei Bobingen und bei den ortsansässigen Bauern[26]. Ganz ähnlich gestaltete sich die Lage in Meitingen, wo bei der Firma Siemens-Plania und in Gersthofen bei den Firmen der IG Farbwerke und Transehe, der Schuhfabrik Schraml, der Leuchtmunitionsfabrik Sauer, aber auch beim Holz- und Sägewerk Hery die überwiegende Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt waren[27]. Die meisten von ihnen waren russische Kriegsgefangene[28].