Adler

Der Schotter gab unter dem Aufprall seiner Schuhsohlen sachte, zimperliche Knirschgeräusche von sich während sie blasse, trockene Wölkchen in der feuchten sommerlichen Morgenluft aufstaubten. Ihre angenehm erquickende Frische, zusammen mit dem heiteren Gesang der Amseln und Turteltauben und einem vorherig getrunkenen Kaffee verhalfen ihm langsam aber sicher zu erwachen.


Er erreichte das Ende des steilen Hanges und bog scharf nach links ab auf eine Straße welche auf beiden Seiten von hohen Zypressenreihen flankiert war. Diese schossen spitz in die Höhe, als glichen sie Reihen von fest gepflanzten Speeren. Unsicher voranmarschierend versuchte er sein Bestes nicht sein Gleichgewicht anhand der gefallenen und umherverstreuten Zypressenbälle zu verlieren. Doch bald erfreuten sich seine Füße an dem sanften Stück Gras welches sich am Rande eines desolaten Feldes befand. Die sich darauf befindenden gestützten Stengel evozierten die vorherig radiante Präsenz der anbetenden gelben Lächeln.


Der Pfad glitt voran durch das Unterholz, eine gefährlichen, durch Regenwassergüssen gemeißelte und kreuz und quer von Wurzelgewirr chaotisch durchbohrte, Rinne hinunter welche eine Art natürliche Treppe formte.


Nachdem er auf der anderen Seite eines aus tief hängenden Haselnussbüschen bestehenden Tunnels erschien, kam er beim hinaufflitzen eines kleinen Hanges an eine tote, hohle Eiche vorbei und erreichte darauf seinen ersten atemberaubenden Ausblick über die toskanische Landschaft. Das Flickwerk an Feldern war von Strauch- und Baumreihen vermarkt, einer aus einer Myriade von Stofffetzen, in jeder Gelb- und Grünschattierung vorstellbar gefärbten, zusammengenähten Wolldecke ähnelnd. Dort stand er nun für einen Moment, sich in der Morgensonne sonnend, welche endlich, mutigerweise von hinter den diesig blauen Apenninen, das Mugellotal umschreibend, zum Vorschein gekommen war.

Steig nur, Sonne,

Auf die Höhn!

Schauer wehn,

Und die Erde bebt vor Wonne.


Kühn nach oben

Greift aus Nacht

Waldespracht,

Noch von Träumen kühl durchwoben.


Und vom hohen

Felsaltar

Stürzt der Aar

Und versinkt in Morgenlohen.


Frischer Morgen!

Frisches Herz,

Himmelwärts!

Laß den Schlaf nun, laß die Sorgen!


(Adler von Joseph von Eichendorff)

Umherschauend war er verblüfft zu sehen inwiefern die Sonne ihre Schüchternheit überwinden konnte. Das Feld vor seinen Füßen war von der vergangenen Juli- und Augusthitze schwarz geschmort wurden.


Vorwärts, aufwärts und abwärts. Der Weg wog sich über Hügel und vorbei an gelegentlichen einsamen Häusern, Kirschbäumen und Weinreben. Schließlich, vom letzten Aussichtspunkt vor dem Abstieg in ihr Tal, sah er Vicchio auf ihrem künstlichen See herabgelassen.


Das Foto welches er von dem Motiv machte erinnerte ihn, irgendwie, an einem Tangram Puzzle. Die zwei Felder im Vordergrund bildeten zwei anliegende Dreiecke, die Fuge zwischen ihnen hingegen einen Graben aus welchem eine Weide wuchs. Eine diagonale Reihe von hohen Büschen trennte den Vordergrund vom Hintergrund, welcher aus dem flüchtigen dreieckigen Anblick des Sees, Vicchio, ihren zwei Türmen und die gelb strahlenden Wände der Häuser im intensiver werdenden Morgenlicht bestand. Der Nebelschleier und eine diaphane flauschige Wolke erhoben sich in die Höhe, an den imposanten dunkelgrünen und blauen Bergen vorbei, in Richtung Himmel.


Er steckte die Kamera zurück in seine Umhängetasche und trippelte den gefährlichen, aus bloßem getrocknetem Lehm bestehenden Hang hinab.