27.05. - 30.05.2026
Ústí nad Labem
Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt… könnte man mit Herbert Grönemeyer einstimmen und dabei an Ústí nad Labem denken. Denn vieles, was im Lobgesang auf die westfälische Stadt Bochum erklingt, findet man auch an der Elbe, im tiefen Nordwesten Böhmens, unweit der Landesgrenze zu Sachsen.
Tatsächlich hat die böhmische Elbestadt den Ruf, keine Schönheit zu sein, weil von der Arbeit ganz grau. Desgleichen gilt, dass man sie im sozialistischen Brutalismus total verbaut hat. Der Bochumer Pulsschlag aus Stahl wird hier durch Chemie ersetzt, aber Koks, in der Doppeldeutigkeit, findet man hier allemal. Die von den kommunistischen Arbeiteringenieuren der 1950er Jahre als „brauner Koks“ bezeichnete minderwertige Kohle aus dem nordwestböhmischen Becken, das dicht an die Stadtgrenze reichte, war ein Fluch und Segen zugleich. Im Zeitalter des Dampfes konnte die durch die spätmittelalterlichen Hussiten- und späteren Religionskriege des 17. Jahrhunderts zerstörte und vergessene ehemals königliche Stadt zu einem bedeutendem Umschlag- und Verarbeitungsplatz für Kohle werden. Der Unternehmungsgeist des Frühkapitalismus und die wissbegierigen Bildungsbürger, aber auch historisch besessenen Spießbürger konnten mit ihrer Kohle nun davon träumen, das deutschsprachige Aussig zu einer Blume im Revier wieder hochzuholen. Die stolzen Neubürger waren sich des mittelalterlichen Erbes bewusst. Sie kehrten zur Gotik zurück, indem sie die inzwischen barockisierte Stadtkirche mit einem hohen neugotischen Turm auftakelten. Im Fieber der Elbe-Romantik pflegten sie auch die sich über dem Fluss am Stadtrand erhebende Ruine mit dem wesenseigenen Namen „Schreckenstein“. Doch immer mehr Schrecken verbreiteten der Rauch aus den Schloten, der Gestank aus den Chemiefabriken und der Staub aus den Baustellen sowohl der neuen Fabrik- und Wohnviertel wie auch der modernen Infrastruktur. Der vormals verschlafene Ort wurde dadurch zwar keine Weltstadt, aber immerhin der bedeutendste Flusshafen Cisleithaniens. Mit der Gründung des „Österreichischen Vereins für Chemie- und Hüttenproduktion“ im Jahr 1856 avancierte Aussig zur Chemiemetropole der Habsburger Monarchie. Die neue Stadtentwicklung verursachte viele ökologische Schäden. Die Moderne in Einklang mit den Resten der ruhmreichen Vergangenheit und vor allem der allgegenwärtigen Naturschönheit – dem bis in die Stadt hinein reichenden Böhmischen Mittelgebirge, dem nahen Erzgebirge und der etwas weiter entfernten Böhmischen Schweiz – zu bringen entpuppte sich als schwierig. Der Elbkessel wurde nicht zum Schmelztiegel, in dem ein modernes Paradies gebraut werden konnte. Trotzdem tanzte die mehrsprachige Stadtgesellschaft mit hohen Erwartungen in das 20. Jahrhundert hinein, um die Verheißung, ein Himmelbett [nicht nur] für Tauben zu vollenden.
In den giftigen 51 Jahren zwischen Oktober 1938 und November 1989 litt die Stadt unter gewaltigen und gewaltsamen chiliastischen Experimenten, das Paradies auf Erden politisch zu gestalten. Die verursachten Wundmale, nicht nur im Stadtbild, konnten in den letzten 35 Jahren kaum wettgemacht werden. Nicht ein Fußballverein wie in Bochum, aber gerade die Narben stiften ein neues spezifisches Heimatgefühl für die beinahe 100.000 Seelen zählende Metropole des Regierungskreises Ústí. Frei nach Grönemeyer kann auch hier die Lehre gezogen werden, wo das große Geld nicht sei, zählt das Herz.
Wenn Sie das Potential der Stadt erkunden oder sich selbst davon überzeugen möchten, ob der Vergleich von Ústí und Bochum tatsächlich stimmt, oder ihn doch in Zweifel ziehen wollen, und wenn Sie gespannt sind auf die architektonischen Ambivalenzen der Universitätsstadt und der Metropole des Regierungskreises und dabei etwas mehr über die Stadtgeschichte erfahren möchten, möchte ich Sie zu einem gemeinsamen, etwa 99-minütigen Stadtspaziergang im Vorfeld unserer Tagung hiermit einladen! Sie erhalten später noch die Möglichkeit, sich per Konferenzwebseite zur Teilnahme anzumelden.
Auf die Neugierigen freut sich Mirek Němec
Goethes ,letzte Liebe‘, noch 2008 in Martin Walsers Roman Ein liebender Mann heraufbeschworen, verbanden 84 Lebensjahre mit dem nordböhmischen Třebívlice (Trziblitz/Trieblitz/Triblitz), dem ersten Ziel unserer Reise. Ein kleines Museum im Gartenhaus ihres Schlosses, eine Skulptur namens „Handkuss“ – von Ulrikes Großneffen, Dieter von Levetzow, entworfen – sowie die Gruft der Familie Levetzow weisen sowohl auf die Beziehung zu Goethe hin als auch auf das Wirken der Baronin auf ihrem Gut in Třebívlice.
Auch der zweite Teil des Ausflugs hat einen Bezug zu Ulrike von Levetzow, denn auch im Regionalmuseum Most, das wir besuchen werden, gibt es eine Dauerausstellung zu Ulrike von Levetzow. Hier sind ihr Salon aus dem Schloss in Třebívlice wie ihr legendärer Schmuck aus böhmischem Granat zu sehen.
Doch Most hat noch mehr zu bieten. 1975 wurde hier die Dekanatskirche Maria Himmelfahrt, um dem Kohleabbau Platz zu machen, um 841 Meter versetzt, womit ein Guiness-Rekord erzielt wurde. Die Nachwendezeit der Stadt versinnbildlichen die Fernsehkomödie Most! von 2019 sowie der See Most (Jezero Most), der nach einem langjährigen Rekultivierungprozess 2020 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Der Ausflug beginnt am 30. Mai 2026 um 9 Uhr und endet um 15 Uhr in Ústí nad Labem. Für die Teilnehmer, die früher abfahren müssen, besteht die Möglichkeit, gegen 12 Uhr in Most einen Zug Richtung Prag zu nehmen. Genauere Angaben erhalten Sie vor der Tagung.
Zur Teilnahme an der Exkursion werden Sie später noch die Möglichkeit bekommen, sich per Konferenzwebseite anzumelden.