Die Sandberg-Metapher (manchmal auch Sandberg-Modell oder Sandberg-Prinzip) ist eine von Prof. Dr. Jürgen Bolten , Professor für interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, entwickelte Visualisierung von Akteursfeldern bzw. „Kulturen“ (siehe auch Kulturbegriff ), aus dem Jahre 2012. Es stellt die dynamischen Prozesse dar, die dazu führen, dass Regeln innerhalb eines Akteursfeldes verfestigt werden. Darüber hinaus kann die Metapher als Übung in interkulturellen Trainingsszenarien eingesetzt werden, um den Teilnehmenden ein Verständnis von kulturellen Spezifika distributiv zu vermitteln.
Die Sandberg-Metapher verbildlicht den struktur-prozessualen Charakter von kulturellen Akteursfeldern[i]. Damit kann sie als Instrument in kulturspezifischen Trainings angewendet werden. Bei kulturspezifischen Trainings versucht man, kulturelle Akteursfelder zu beschreiben, wobei diese aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten werden können. Differenzieren lassen sich makro-, meso- und mikroperspektivische Perspektiven, wobei letztgenannte stärker an Akteursfelder „heranzoomen“ und einen entsprechend hohen Spezifizierungsgrad erreichen[ii]. Je stärker man an sie heranzoomt, desto differenzierter und vielfältiger konturieren sich ihre Beziehungsnetzwerke (lokale Kultur, Gruppenkultur, Paarkultur etc.). Je weiter man herauszoomt, desto undifferenzierter und homogener erscheinen die Akteursfelder (Organisationskultur, Ethnokultur, Nationalkultur etc.). Von der „richtigen“ oder „falschen“ Perspektiven kann man logischerweise nicht sprechen: Bolten argumentiert, in Anlehnung an Appadurai[1], dass jede Perspektive ihre Berechtigung hat und erst in ihrem Zusammenspiel die Vielschichtigkeit kultureller Akteursfelder erkennbar wird.[iii]
Eine solche integrierte Vorgehensweise des kontinuierlichen Heran- und Herauszoomens bei der Beschreibung von Kulturen ist hilfreich, um sowohl deren Struktur- als auch Prozesscharakter gerecht zu werden[iv]. Veranschaulichen lässt sich eine solche Perspektivenintegration durch die Metapher der Entstehung und des Aufbaus eines Sandbergs: Es gibt drei Ebenen im Sandberg. Je tiefer sich die Schicht im Sandberg befindet, desto sedimentierter und strukturhafter ist sie. Je höher sich die Schicht im Sandberg befindet, desto veränderbarer und prozesshafter ist sie.
Ganz oben im Sandberg ist die Kann-Ebene. Sie ist individuell verhandelbar und hoch prozessdynamisch, sie wird daher mit dem leicht verwehbaren Flugsand eines Sandberges visualisiert. Diese Ebene umfasst das, was für kleine Bereiche des Akteursfelds für kürzere Zeiträume interessant und "trendy" ist. Beispielsweise finden sich „junge“ Konventionen und kontextspezifische „ungeschriebene“ Übereinkünfte auf dieser Ebene. Es handelt sich bei diesen also keineswegs um festgeschriebene Regeln.
In der Mitte des Sandbergs liegt die Soll-Ebene, zu der Maximen, Leitlinien, allgemeingültige Verhaltensregeln usw. zählen. Sie sind relativ hoch verbindlich und langfristig gültig. Übertragen auf die Metapher des Sandbergs ist die Soll-Ebene stärker sedimentierter Sand als auf der Kann-Ebene, aber weniger verfestigt als auf der Muss-Ebene. Die Regeln innerhalb der Soll-Ebene können also verdichteter sein und somit strukturbildend im Akteursfeld wirken, müssen es aber nicht.
Am untersten liegt die Muss-Ebene, auf der sich nachhaltige Strukturbildungen befinden, die allgemeine Aussagen über die Beschaffenheit und Entwicklung der Regeln eines Akteursfelds ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise Normen, Gesetze und natürliche Umweltbedingungen. Sie basieren – in der Metapher des Sandbergs gesprochen – auf langfristigen Sedimentierungsprozessen und sind somit relativ veränderungsresistent. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass auch diese Ebene nicht unveränderlich ist.
Es ist zu beachten, dass die drei Ebenen miteinander verwoben und interdependent sind – sie sind entsprechend nicht scharf voneinander abzugrenzen. Eine Regelung kann sich mit der Zeit zwischen den drei Ebenen bewegen. Beispielsweise war in den 1930er-Jahren das Tempolimit in Deutschland auf Autobahnen mit 80 Stundenkilometern gesetzlich vorgeschrieben. Allmählich wurde das Tempolimit immer weiter erhöht, bis schließlich 1974 eine Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern eingeführt wurde. Es handelt sich nicht mehr um eine Regel auf der Muss-, sondern auf der Soll-Ebene.
Die Sandberg-Metapher wird auch als Modell bezeichnet. Ob sie aus einer wissenschaftlichen Perspektive Modellcharakter hat, ist zu diskutieren und ist abhängig davon, welche Kriterien für die Entwicklung eines Modells angelegt werden. Die Sandberg-Metapher stellt das Ergebnis eines einzelnen Forschers im Bereich der Interkulturalität dar und ist wenig bekannt und diskutiert. Die englische Version des im Jahre 2014 auf researchgate.net[1] veröffentlichten Artikels zur Sandberg-Metapher wird dort mit drei Zitationen angegeben.[i] Beispielsweise wird das Eisbergmodell[2], 1983 durch Edgar Schein[3] auf die Unternehmenskommunikation übertragen, vielfach rezipiert und ist entsprechend populär. TrainerInnen sollten sich darauf vorbereiten, mit Teilnehmenden konfrontiert zu werden, die eher klassische Modelle erwarten.
Die Sandberg-Metapher ist darauf angelegt, den komplexen und dynamischen Charakter der Regelbildung innerhalb einer Kultur zu visualisieren. Denkbar ist eine Darstellung, in der mehrere Sandberge interagieren und sich gegenseitig beeinflussen. Als Beispiel kann hier die Legalisierung von Marihuana in einigen europäischen Ländern angesehen werden. Die Idee (Marihuana ist legal in Land A) ist quasi als Sandkorn aus der Muss-Ebene auf die Kann-Ebene eines anderen Sandbergs geweht worden und könnte hier Fuß fassen und tiefer sinken. Die Sandberg-Metapher ermöglicht die Perspektive auf Akteursfelder als sich gegenseitig beeinflussende Entitäten. Vorstellungen von Normen, Regeln oder Ideen können so aus allen Ebenen eines Sandbergs auf die Kann-Ebene eines anderen geraten. Auf den vernetzten Charakter von Akteursfeldern weist Bolten beispielsweise in Bezug auf die Sandberg-Metapher hin, indem er argumentiert, dass Globalisierungsdynamiken eine Vorstellung von homogenen Akteursfeldern unglaubwürdig machen. Globalgeschichte zeigt, wie zwischen verschiedenen Akteursfeldern Ströme verlaufen sind, die dazu geführt haben, dass sehr viele Vernetzungen existieren.