Bücherverbrennung Bonn – Bookburning Bonn

Bonner Markplatz 10. Mai 1933

10. Mai 2022

Hermynia Zur Mühlen


Hermynia Isabelle Maria Zur Mühlen, geborene Gräfin Hermine Isabelle Maria Folliot de Crenneville (* 12. Dezember 1883 in Wien, Österreich-Ungarn; † 20. März 1951 in Radlett, Grafschaft Hertfordshire, Großbritannien

„Wenn ich an die Auflagen denke, die ich noch vor zehn Jahren in Deutschland hatte! Heute sind meine Bücher verbrannt, und eigentlich freut es mich. Wie kommen die dort drüben dazu, etwas zu lesen, das ein anständiger Mensch geschrieben hat. Sie sollen sich an ihre eigenen Schriftsteller halten. An die Leute, die immer alles mitgemacht haben, die, wenn sie erklären, daß die Kunst unpolitisch sei, eigentlich meinen, man dürfe es sich mit keinem verderben. Man kann ja nie wissen. Pack.“

(Hermynia Zur Mühlen: Als der Fremde kam)

Fischer Verlag 1929


Eine gelungene englische Fassung aus dem Jahr 2010:

https://books.openbookpublishers.com/10.11647/obp.0010.pdf

89. Jahrestag der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 auf dem Bonner Marktplatz

60 Bronzebücher im Pflaster des Bonner Marktes fungieren als „Lese-Zeichen“ und sind Teile des Erinnerungsmals Bücherverbrennung. Am Jahrestag des 10. Mai 1933 wird eine ebenfalls in den Boden eingelassene Büchertruhe gehoben und aus den darin befindlichen Werken zitiert.

Bildrechte: Thomas Wolf: 
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Altes_Rathaus_Bonn.jpg




Die 60 Lesezeichen - Book Marks - auf dem Bonner Marktplatz.


Karl Marx: Das Kapital (1867)

André Gide: Kongo und Tschad (1932) (Le Retour du Tchad, 1928)

Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord (1922)

Heinrich Mann: Der Untertan (1918)

Theodor Wolff: Vollendete Tatsachen (1918)

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (1929)

Egon Erwin Kisch: Paradies Amerika (1930)

Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz (1929)

Gina Kaus: Morgen um Neun (1932)

August Bebel: Die Frau und der Sozialismus (1878)

Friedrich Wilhelm Foerster: Lebensführung (1922)

Emil Ludwig: Genie und Charakter (1924)

Max Brod: Rëubeni, Fürst der Juden (1925)

Lion Feuchtwanger: Erfolg (1931)

Jaroslav Hašek: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (1926)

Ernest Hemingway: In einem andern Land (1930)

Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! (1889)

Moses Hess: Rom und Jerusalem (1862)

Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals (1913)

Jack London: Die eiserne Ferse (1922) (The Iron Heel, 1908)

Carl von Ossietzky: Rechenschaft (1932)

Franz Jung: Die Eroberung der Maschine (1923)

Hermynia zur Mühlen: Ende und Anfang (1929)

Die Bücher, die für viele, die sie einmal gelesen hatten, nachher zu etwas Totem, Vergessenem geworden waren, werden nun in den Geistern und Herzen eine Auferstehung erleben und unsterblich sein. Aber ebenso unsterblich, ebenso unvergeßlich wird die Schande unseres Landes sein, in dem so etwas geschehen konnte.“

(Hermynia Zur Mühlen: Unsere Töchter, die Nazinen)


Irmgard Keun: Das Kunstseidene Mädchen (1932)

Salomo Friedlaender: Kant für Kinder (1924)

Theodor Heuss: Hitlers Weg (1932)

Franz Kafka: In der Strafkolonie (1914)

Anna Seghers: Auf dem Wege zur amerikanischen Botschaft (1930)

Walther Rathenau: Zur Kritik der Zeit (1912)

Erich Kästner: Pünktchen und Anton (1931)

Bruno Traven: Die weiße Rose (1929)

Joachim Ringelnatz: Kuttel Daddeldu (1923)

Werner Hegemann: Das steinerne Berlin (1930)

Albert Ehrenstein: Briefe an Gott (1922)

Klaus Mann: Der fromme Tanz (1926)

Stefan Zweig: Sternstunden der Menschheit (1927)

Joseph Roth: Das Spinnennetz (1923)

Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung (1920)

Arthur Schnitzler: Reigen (1903)

Franz Werfel: Der Abituriententag (1928)

Julius Schäffer: Die Zerstörung des Volksgedankens durch den Rassenwahn (1929)

Ernst Glaeser: Jahrgang 1902 (1928)

Ernst Toller: Hoppla wir leben! (1927)

Maria Leitner: Hotel Amerika (1930)

Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930)

Alfred Kerr: Die Harfe (1917)

Oskar Maria Graf: Wunderbare Menschen (1927)

Arthur Holitscher: Der Narrenbaedeker (1925)

Walter Mehring: Paris in Brand (1927)

Leo Hirsch: Die Dackellieder (1930)

Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude (1921)

Helene Stöcker: Geschlechtspsychologie und Krieg ((1925)

Armin T. Wegner: Brief an Hitler (April 1933)

Bertolt Brechts Hauspostille (1927)

Kurt Tucholsky: Sprache ist eine Waffe (1930)

Georg Bernhard: Wie finanzieren wir den Krieg? (1918)

Helen Keller: Wie ich Sozialistin wurde (1912)

Else Lasker-Schüler: Arthur Aronymus (1932)

Erich Mühsam: Judas (1921)

Alexander Moritz Frey: Die Pflasterkästen (1929)





Verschlussplatte der Büchertruhe vor dem Bonner Rathaus.

http://www.hoheisel-knitz.net/files/Bonn/Lesezeichen-Platte.pdf

Am 10. Mai 2013 wurde zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Bücherverbrennung ein Erinnerungsmal auf dem Bonner Marktplatz übergeben. Am 08. Juli 2010 hat der Rat der Stadt Bonn einstimmig den Beschluss gefasst Wolfgang H. Deuling bei der Verwirklichung eines Erinnerungsmales auf dem Bonner Marktplatz zu unterstützen.

In einem Auswahlverfahren nach 4 eingegangen Entwürfen für ein Erinnerungsmal entschied sich der Kulturausschuss der Stadt Bonn einstimmig für den Entwurf der Künstler Dr. Horst Hoheisel und Andreas Knitz:

http://www.hoheisel-knitz.net/index.php?option=com_content&task=view&id=71&Itemid=143


Der 10. Mai 1933 auf dem Bonner Marktplatz.

„Den vorausgehenden Professoren und Studenten, die auf der Freitreppe des Rathauses Aufstellung nahmen, folgten bei Marschmusik die meist uniformierten Mitglieder des Nationalsozialistischen Studentenbundes, der Studenten-SA und des „Stahlhelms“, die Korporationen mit ihren Fahnen, die Freistudenten und schließlich auch die Studentinnen, die dann im Halbkreis den vor dem Rathaus zuvor aufgerichteten Scheiterhaufen einschlossen.“

Ernst Glaeser, der das Verbrennen seiner eigenen Bücher miterlebte, schildert das sich ihm darbietende Geschehen:

„Auf dem Bonner Marktplatz war der Scheiterhaufen aus Büchern aufgerichtet, und im Schein von Fackeln umstanden Studenten, Professoren, uniformierte Hitlerjungen und SA-Leute diese Kultstätte nationalsozialistischen Geistes.

Zivilisten huschten hinter der Menge verlegen vorbei. Die Gesichter der Studenten kamen mir alle sehr bekannt vor. Schwarmgeister mit dem starren, neurotischen Blick mitten im unfertigen Knabengesicht, dazwischen Rabauken mit Stiernacken, engbrüstige Magister mit dem süffisanten Lächeln heimlicher Sadisten, dann wieder andere, den Blick verlegen auf den Boden gesenkt, wenn die Bücher ins Feuer flogen.“

https://bonnerblicke.wordpress.com/helmuth-heyer-10-mai-1933-ehrentag-der-freien-deutschen-literatur/

The-Red-Countess-2ed OAPEN.pdf;jsessionid=C126370C19F3F749351864BDF79D7ECE


Hommage an Hermynia Zur Mühlen.

mit freundlicher Genehmigung der Projektleitung von Transdisziplinäre Konstellationen in der österreichischen Literatur, Kunst und Kultur der Zwischenkriegszeit: www.litkult1920er.aau.at (Universität Klagenfurt)

https://litkult1920er.aau.at/portraets/zur-muehlen-hermynia/


Hermynia Zur Mühlen

Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) trat nach 1918 zunächst als Übersetzerin aus dem Russischen, in den 1920er Jahren verstärkt auch des Amerikanischen/Englischen, insbesondere von Upton Sinclair, in Erscheinung und widmete sich, im Umfeld der KPD-Literaturpolitik sehr früh auch dem Genre des proletarischen Kinderbuchs sowie des Märchens. Das vorliegende Modul zeichnet diese Werkbiographie an mehreren Schnittstellen von ästhetischer und politischer Arbeit nach. Es legt den Akzent zudem auf eine Werkgruppe, die bislang eher im Abseits gestanden war: auf die unter dem Pseudonym Lawrence H. Desberry zwischen 1922 in Zeitungen wie als eigenständige Bücher veröffentlichte Kriminalromane, die zugleich auch politische Analysen und Botschaften transportierten. Den Abschluss bilden die autobiographischen Romane zwischen 1929 und 1933, die zugleich ihren Ablöseprozess von der KPD und ihre Annäherung an das (sozialdemokratische) ‚Rote Wien‘ begleitet haben.

Von Jörg Thunecke | Juni 2018


Inhaltsverzeichnis

Ich möchte auch einmal eine Geschichte erzählen, die kein Märchen ist, sondern die lauterste Wahrheit; doch fürchte ich, ihr werdet sie nicht glauben. Es war einmal ein großes Reich, in dem lebten zwei Nationen, die eine hatte ein herrliches Dasein, alles Gute und Schöne dieser Erde gehörte ihr, sie konnte alle ihre Wünsche verwirklichen, und was das Seltsame dabei war: alle die köstlichen Speisen, die schönen Kleider, die prächtigen Häuser, die Reit- und Fahrpferde, die Automobile kosten diesen Leuten nichts – denn die andere Nation bezahlt sie. Wie reich muß aber erst die andere Nation sein, wenn sie all dies bezahlen kann? Wie gut muß es ihr gehen? Schaut euch die Dinge etwas genauer an. Die andere Nation lebt in elenden Kellerlöchern, in Dachkammern. in vollgepferchten Löchern. Sie sieht Fleisch nur aus der Ferne, auf ihren Tisch kommt kein Braten, ihre Frauen und Kinder gehen in Lumpen gehüllt, in ihr durchgeschuftetes, abgehetztes Leben kommt keine Freude. Und dennoch zahlt sie für alles, was die Glücklichen genießen. Ihr lacht mich aus; diese Erzählung sei ein dummes, unglaubliches Märchen. Hört weiter. Wenn im erstklassigen Hotel nach einem großen Festmahl der Gastgeber gelassen Millionen von Mark bezahlt, so bezahlt nicht er sie, sondern die Arbeiter, die in seiner Fabrik schuften, denen er, wo er kann, Löhne verkürzt und denen er den Achtstundentag rauben will, auf daß er noch besser leben könne. Was die Reichen dieser Erde genießen, bezahlt ihr, ihr, das Proletariat aller Länder, ihr Hungernden, die ihr im Sommer in der heißen Stadt keucht, die ihr im Winter halb erfriert. Wahrlich, ihr seid großmütig – oder gehört hier ein anderes, weniger höfliches Wort her? Ihr seht, diese Geschichte ist kein Märchen. Märchenhaft daran bloß ist eure Geduld, nur die Langmut, mit der ihr noch immer alles bezahlt. (Zur Mühlen: ‚Wer zahlt?‘)


1. Leben und Werk – ein Überblick

Hermine Isabella Gräfin Folliot de Crenneville-Poutet wurde 1883 in Wien als Kind wohlhabender, aristokratischer, am kaiserlichen Hof verkehrender Eltern geboren; 1951 verstarb sie nördlich von London, verarmt, vereinsamt und von Krankheit gezeichnet. Das war der dramatische soziale Abstieg der Schriftstellerin und Übersetzerin in etwas über 67 Jahren. Am 12. Dezember 2018 jährt sich ihr Geburtstag zum 135. Mal. (Thunecke [2001])

Als Tochter eines Diplomaten im Dienst der k.u.k. Monarchie wurde ihr eine standesgemäße Erziehung zuteil, inklusive Bildungsreisen durch drei Kontinente und dem damit verbundenen Erwerb verschiedener Fremdsprachen.1 Im Herbst 1907 lernte sie in Meran (Südtirol)2 den livländischen Großgrundbesitzer Victor von zur Mühlen (1879-1950) kennen, einen typischen Krautjunker, den sie im Juni 1908 heiratete und dessen russische Nationalität annahm, um anschließend zum Protestantismus überzutreten. Die Familie von zur Mühlen besaß in Eigstfer, Kirchspiel Pillistfer im Bezirk Dorpat – dem heutigen Tartu (Estland, damals Teil des Zarenreiches) –, in einer gottverlassenen Gegend, ein Gut, dessen Lebensstil der gebildeten und vielseitig interessierten Hermynia auf die Dauer unerträglich wurde. Nach zwei Fehlgeburten begann sie zu kränkeln und begab sich im Herbst 1913 zur Kur nach Davos in der Schweiz. Sie nutzte diese Gelegenheit, um sich nach sechsjähriger Ehe von ihrem Gemahl zu trennen und sich später auch von ihm scheiden zu lassen. Aus Protest gegen die anschließende Behandlung durch die livländische Verwandtschaft änderte sie außerdem ihren Namen und nannte sich von da an Hermynia Zur Mühlen.3

Im zweiten Jahr ihres sechsjährigen Kuraufenthalts in Davos (1913-18) lernte sie den aus Wien gebürtigen Juden Stefan Isidor Klein (1889-1960) kennen, der in Ungarn aufgewachsen war und seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen aus dem Ungarischen bestritt.4 1919 verließen sie gemeinsam Davos und ließen sich in Frankfurt a.M. nieder, wo sie bis 1933 lebten. Hier begann Zur Mühlens Karriere als Schriftstellerin und Übersetzerin, wobei ihre Schriften während dieses Zeitabschnitts in wachsendem Maße ihre damalige revolutionäre Einstellung widerspiegelten (sie trat 1919 der KPD bei, der sie bis Ende 1932 treu blieb).

Sie machte sich dabei insbesondere einen Namen als linksgerichtete Kinderbuchautorin – berühmt wurde der Band Was Peterchens Freunde erzählen (1921) – und tat sich außerdem mit Übersetzungen politischer Literatur, insbesondere vieler Romane des amerikanischen Erfolgsschriftstellers Upton Sinclair (1878-1968) im Malik Verlag, hervor. Als überzeugte Sozialistin verfolgte sie in ihren schriftstellerischen Arbeiten während der 1920er und frühen 1930er Jahren meist direkte politische Ziele, so etwa in Erzählungen wie Schupomann Karl Müller (1924). Auch setzte sie sich bereits früh – so etwa in Der Tempel (1922) – für Veränderungen in der gesellschaftlichen Stellung von Frauen ein.5 Die Wiener Jahre von 1933 bis 1938 – die Autorin und ihr Lebensgefährte verließen Deutschland bereits im März 1933 – standen ganz im Zeichen ihres rastlosen Einsatzes gegen den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten in Österreich. Deutlichstes Zeugnis dafür war ihr 1935 erschienener Roman Unsere Töchter, die Nazinen.

       Nach dem ‚Anschlussʽ Österreichs im März 1938 floh das Paar nach Piešťany, einem Kurort  in der Nähe von Bratislava / Preßburg (Mähren; heute Teil der Slowakei), wo es Mitte 1938 heiratete. Die Besetzung der Rest-Tschechoslowakei durch das Dritte Reich war dann Ende Mai 1939 Anlass zur erneuten Emigration. Diese Flucht führte letztendlich über fünf Länder nach England, wo das Paar am 19. Juni 1939 eintraf.  Hier wohnte es – abgesehen von einer kurzen Internierung im Spätsommer 1939 – in London und nahm lebhaft am kulturellen Leben des deutschsprachigen Exils in der britischen Hauptstadt teil. Nach Kriegsende, im Frühjahr 1948, bezog es dann eine Mietswohnung in Radlett (Hertfordshire), nördlich von London. Für Hermynia Zur Mühlen war das die letzte Station einer langen, von Flucht geprägten Irrfahrt: sie starb dort am 20. März 1951 und wurde auf dem örtlichen Friedhof beerdigt. Ihr Ehemann, Stefan Klein, verschied am 6. Oktober 1960 im nahegelegenen St. Albans. Der Nachlass der Autorin wurde offenbar als Müll entsorgt (Frakele, 373-83).

Trotz beachtlicher schriftstellerischer Leistungen während der 1920er und frühen 1930er Jahre, die u.a. geprägt waren durch ihre Auseinandersetzung mit der KPD, gelang Hermynia Zur Mühlen der eigentliche literarische Durchbruch erst während ihres fünfjährigen Aufenthalts in Wien zur Zeit des Ständestaates. Die Werke dieser Schaffensperiode zeichneten sich durch den Kampf gegen den deutschen Faschismus aus, der u.a. Ausdruck fand in einem Brief an den Stuttgarter Engelhorn Verlag vom 19. Oktober 1933. Dieses Schreiben, das am 26. Oktober in der Wiener Arbeiter-Zeitung Gegr. 1889, verboten 1934, illegal 1934-1938, 1938 verboten, neugegr. 1945, eingestellt 1991 Aus: Arbeiter-Zeitung, 12.... veröffentlicht wurde, hatte zur Folge, dass ihre zuletzt in Deutschland erschienenen Bücher – wie Ende und Anfang (1929) und Das Riesenrad (1932) – dort nicht länger vertrieben werden duften, Vorabdrucke in  deutschen Zeitungen und Zeitschriften eingestellt wurden und ihre sämtlichen bisherigen Schriften auf der ‚Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttumsʽ landeten (Altner [1997], 139-40).

Aus: Arbeiter-Zeitung, 26.10.1933, S. 5

Höhepunkt ihres Kampfes gegen den deutschen Faschismus war dabei das bereits erwähnte Werk Unsere Töchter, die Nazinen, einer der wenigen zeitgenössischen Berichte über Nazi-Deutschland in Romanform, worin ein relativ wahrheitsgetreues Bild über die dortigen Verhältnisse vermittelt ward.6 

Der Roman wurde aufgrund von Protesten des deutschen Gesandten in Wien, Franz von Papen, verboten und am 13, Februar 1936 beschlagnahmt. Streng genommen handelt es sich bei Unsere Töchter, die Nazinen jedoch nicht um einen Exilroman. Dazu zählen eigentlich erst jene Werke der Autorin, die sie während ihres einjährigen Aufenthaltes in der Tschechoslowakei und den sich daran anschließenden zwölf Jahren in England schrieb, insbesondere die beiden noch vorhandenen Teile einer ‚Österreich-Trilogieʽ (1935 /1943),7 welche dem berühmten Roman-Zyklus’ The Forsyte Saga (1906/21) des englischen Nobelpreisträgers John Galsworthy (1867-1933)8 – ab Mitte der 1920er Jahre auch auf Deutsch beim Wiener Zsolnay Verlag vorliegend – nachempfunden war.

Nach einer Reihe von Neuauflagen ihrer Werke während des ersten Jahrzehnts nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in der DDR, wurde es dann zunächst still um Hermynia Zur Mühlen, und erst seit den 1990er Jahren haben  Neuauflagen bzw. –veröffentlichungen – so etwa von Als der Fremde kam (1994), Ewiges Schattenspiel (1996), Fahrt ins Licht (1999), Unsere Töchter die Nazinen (2000), Vierzehn Nothelfer sowie Nebenglück (beide 2002) – dazu beigetragen, dass einige der bedeutenderen Werke der Autorin wieder im Buchhandel greifbar sind. Zudem hat Manfred Altner 1997 eine Biographie der streitbaren Autorin herausgebracht, und 2009 erschien eine erste Monographie über Teile des Werkes Hermynia Zur Mühlens von der englischen Kritikerin Ailsa Wallace. Ferner werden in absehbarer Zukunft die Ergebnissen eines Hermynia Zur Mühlen-Symposiums, das bereits 2008 in Wien stattfand,9 in einem Sammelband erscheinen.10

2. Übersetzungen

Hermynia Zur Mühlen begann ihre literarische Karriere als Übersetzerin: 1918 übertrug sie den Roman Иго войны des russischen Schriftstellers Leonid Andrejew (1871-1919) ins Deutsche (Das Joch des Krieges11), gefolgt  – während eines Zeitraumes von mehr als drei Jahrzehnten – von zahlreichen Werken in mehreren europäischen Sprachen, von Autoren wie Francis André (1897-1976), Claude Aveline (1901-92), Nathan Asch (1902-64), Alexander Bogdanoff (1873-1928), John Cournos (1881-1966), Floyd Dell (1887-1969), Max Eastman (1883-1969), Edna Ferber (1885-1968), John Galsworthy (1867-1933), Douglas Goldring (1887-1960), Henri Guilbeaux (1884-1938), Joseph Hergesheimer (1880-1954), Jerome K. Jerome (1859-1927), Harold Nicolson (1886-1968), Pierre Pascal (1890-1983), Ernest Poole (1880-1950), Ringuet (d.i. Philippe Panneton) (1895-1960), Kenneth Roberts (1885-1957), Desmond Shaw (1877-1960), Nevile Shute (1899-1960), Hugh Walpole (1884-1941), Israel Zangwil (1864-1926).12 Besondere Verdienste hat sich Zur Mühlen jedoch um Upton Sinclair (1878-1968) erworben,13 der durch ihre Übersetzung seiner Romane und Dramen „als der proletarische Schriftsteller Amerikas schlechthin und als Amerikas bekanntester Sozialist in Deutschland galt“. (Altner [1997], 75) Die Verbindung zwischen Upton Sinclair und dem Berliner Malik Verlag kam 1921 durch Zur Mühlens Übersetzung des Romans 100 Prozent zustande (s. Altner [1997], 70), nachdem sie bereits  früher zwei wichtige Werke des Amerikaners für andere Verlage übertragen hatte (König Kohle [1918] sowie Jimmie Higgins [1919]).14 Zur Mühlens Übersetzungsarbeiten für den Malik Verlag, dessen politisches Engagement an der Seite der KPD  ihrer damaligen ideologischen Überzeugung entsprach und wo ab 1921 auch etliche ihrer Kunstmärchen erschienen (s.u.), erstreckten sich von 1919 bis 1928 (vgl. Schulz). Während dieses Zeitraumes übertrug sie allein vierundzwanzig Titel Upton Sinclairs,15 war eigentlich seine Entdeckerin in der Weimarer Zeit und Initiatorin einer großangelegten Ausgabe seiner Gesammelten Werke auf Deutsch. Allerdings kam es im Zusammenhang mit der Übertragung von Sinclairs Roman Oil (Petroleum [1927]) zwischen der Übersetzerin einerseits und Autor / Verlag (in der Person Wieland Herzfeldes [1896-1988]) andererseits zu Reibereien,16 die dann im Zuge der Übertragung von Boston (1929)17 zum Zerwürfnis führten. Weder für Upton Sinclair noch Wieland Herzfelde waren die Umstände dieses Streits ein Ruhmesblatt, wie der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Übersetzerin und Autor entnommen werden kann. Für Zur Mühlen war es jedenfalls eine höchst schmerzliche Erfahrung, denn sie musste erkennen, dass nach der Umwandlung des Malik Verlages in eine Aktiengesellschaft (1925), in der Herzfelde lediglich Angestellter war, die finanzielle Abhängigkeit des Verlagsleiters Auswirkungen auf das Verlagsprogramm hatte.18 Upton Sinclair für seine Person erlag mutmaßlich den Einflüsterungen neidischer Kollegen,19 die das große Geschäft mit dem Werk des Amerikaners witterten. Das kaltschnäuziges Verhalten gegenüber seiner jahrelangen Fürsprecherin bewies mangelnde Größe (Brief vom 9. Dezember 1927),20 und einmal schrieb er ihr sogar: „where I had to decide between personal gratitude and the interest of the books, the books ought to come first.” (zitiert bei Rösler, 26)

3. Märchen

Abgesehen von Dutzenden von Übersetzungen während der 1920er Jahre hat Hermynia Zur Mühlen innerhalb eines Jahrzehnts (1921-1930) nicht weniger als 29 Kunstmärchen verfasst und sich damit ein zweites Standbein als Schriftstellerin geschaffen.21 Den Anfang machte eine Sammlung von sechs Märchen unter dem Titel Was Peterchens Freunde erzählen (1921),  die sie – mehr als fast alle ihre späteren Werke – berühmt machten (Lévêque, 55-56). Ihr Weg „von der nachschaffenden Übersetzerin zur freischaffenden Schriftstellerin“ (Altner [1997], 91) hatte sich allerdings bereits 1919 angedeutet, als sie für die Breslauer Zeitschrift Die Erde den Beitrag ‚Junge-Mädchen-Literaturʽ verfaßte, worin sie sich ereiferte: Reißt das Unkraut aus, das üppig aufwuchernd die zarten Seelenpflanze [d.h. junge Mädchen; JT] zu ersticken droht, gebt ihr Sonne und Luft und gesunde, veredelnde Nahrung; macht einen Menschen aus dem jungen Ding, das noch jedem Einfluß zugänglich ist. Dann könnt ihr auf Söhne hoffen, die den Helden der Backfischbücher verdrängen: auf freie, starke Menschen, Erbauer einer freien, brüderlichen Welt. (Zur Mühlen: ‚Junge-Mädchen-Literaturʽ, 474) und womit sie implizit andeutete, dass Kinder eine spezielle Rolle im Emanzipationsprozess einnehmen, da sie noch nicht von Ideologien und Vorurteilen korrumpiert worden sind.

Abb. 1: Was Peterchens Freunde erzählen, Cover

Zur Mühlens einschlägige schriftstellerische Tätigkeit nahm also ihren Anfang mit der Märchensammlung Was Peterchens Freunde erzählen – mit Illustrationen von George Grosz (1893-1959) –, 1921 im Malik-Verlag Durch den Erwerb einer Schülerzeitschrift gelang Wieland Herzfelde und seinem Bruder John Heartfield (d.i. Helmut Herzf... erschienen.22 Es folgten in den darauf folgenden Jahren Märchen (1922),23 Ali, der Teppichweber (1923),24 Das Schloß der Wahrheit (1924),25 Der Muezzin (1927), Die Söhne der Aischa (1927), Said der Träumer (1927), sowie Es war einmal … und es wird sein (1930).26 Nicht alle Märchen-Bände wurden beim Malik-Verlag veröffentlicht, sondern mehr als die Hälfte bei der mit der KPD affiliierten Vereinigung Internationaler Verlagsanstalten (VIVA) in Berlin. Als Illustratoren traten außer George Grosz Berühmtheiten wie John Heartfield (1891-1968), Karl Holtz (1899-1978) und Heinrich Vogeler (1872-1942) in Erscheinung, was diese Ausgaben zu Sammlerraritäten macht.

Märchen nahmen somit für Zur Mühlen zunehmend die Rolle „des Bewußtmachens der Lage und der Motivation zur Selbstbefreiung des Menschen“ (Altner [19979, 92) ein, und sie „handhabte das Märchen als Mittel der Wirklichkeitserkundung und Selbsterfahrung ihrer Leser“. Dabei ist „[e]in Anknüpfen an gattungsspezifische Merkmale des herkömmlichen Volksmärchens“ unverkennbar, und die Autorin verzichtet keineswegs „auf Elemente des phantastisch-wunderbaren Erzählens“, indem sie u.a. häufig Anthropomorphismen verwendete (Altner [1997], S. 95). Sie mag sich dabei insbesondere auch an den bahnbrechenden Schriften Edwin Hoernles (1883-1952) orientiert haben, der damals als der Bildungsexperte der KPD galt27 und sich mit Schriften wie Sozialistische Jugenderziehung und sozialistische Jugendbewegung (1919), Die Arbeit in den kommunistischen Kindergruppen (1923) und Die Grundfragen der proletarischen Erziehung (1929) hervorgetan hatte. Eine Passage aus der Arbeit in den kommunistischen Kindergruppen mag Zur Mühlen sich dabei anlässlich ihres eigenen Märchen-Schreibens besonders zu Herzen genommen haben:28 „Überhaupt müssen wir wieder lernen Geschichten zu erzählen, phantastische, kunstlose Geschichten, wie sie in der vorkapitalistischen Zeit in den Spinnstuben der Bauern und in den Handwerkerwohnungen gehört wurden“, schrieb Hoernle dort, um fortzufahren:

Hier spiegelt sich das Denken und Sinnen der Massen am einfachsten und deshalb am klarsten. Der Kapitalismus mit seiner Zerstörung der Familie und seiner Mechanisierung des arbeitenden Menschen hat diese alte ‚Volkskunstʽ des Märchenerzählens vernichtet. Das Proletariat wird die neuen Märchen, in denen sich sein Kampf, sein Leben, seine Ideale spiegeln in demselben Maße schaffen, als es wieder Zeit gewinnt, Mensch zu sein, und an Stelle der zerbrochenen alten neue Erziehungsgemeinschaften aufbaut. Es hat keinen Sinn, darüber zu klagen, daß wir keine passenden Märchen für unsere Kinder haben. Berufsdichter werden sie nicht schaffen, Märchen entstehen nicht am Schreibtisch. Das wirkliche Märchen entsteht unbewußt, kollektiv, im Laufe längerer Zeitabschnitte, und die Arbeit des Dichters besteht höchstens darin, den vorhandenen Stoff zu glätten und zu runden. Das neue proletarische und industrielle Märchen wird kommen, sobald das Proletariat eine Stätte geschaffen hat, in der wieder Märchen nicht vorgelesen, sondern erzählt, nicht nacherzählt, sondern im Erzählen gedichtet werden.29

Dementsprechend beherrschten Märchen – insbesondere in den frühen 1920er Jahren – die proletarische Jugendliteraturszene,30 und es lässt sich während dieses Zeitabschnitts eine „bewußte Politisierung“ der Kinderliteratur ausmachen.31

Inhaltlich zeichneten sich somit die in den frühen 1920er Jahre entstandenen Kunstmärchen Zur Mühlens zunächst durch sozialistische, jedoch meist ziemlich kindlich orientierte Themen aus (vgl. dazu Was Peterchens Freunde erzählen [1921], Märchen [1922] sowie Ali, der Teppichweber [1923]).32 Allerdings fand dann ab Mitte des Jahrzehnts – mit der Hinwendung der Autorin zum Kommunismus – thematisch ein Umschwung in ihrem Märchenwerk statt,33 der sich deutlich in Der Muezzin, Die Söhne des Aischa und Said der Träumer (alle 1927) sowie in ihrem letzten Märchen, Die rote Fahne Das Zeitschriftenmodul von Martin Erian finden Sie hier. Bereits im Mai 1918 erschien als Der Weckruf ein Organ der komm... (1930), abzeichnete. Denn diese letzten vier Märchen der Autorin richteten sich auch an Erwachsene und sind durch ihre betonte ‚Internationalitätʽ charakterisiert, gleichwohl sich eine derartige Entwicklung bereits in einigen der Märchen von Das Schloß der Wahrheit (1924) nachweisen läßt.34

4. Frühe Romane

Parallel zu ihren zahlreichen Übersetzungen und Kunstmärchen hat Hermynia Zur Mühlen während einer intensiven Schaffensperiode von etwas über einem Dutzend Jahren zudem vier Romane35 sowie zahlreiche Erzählungen36 verfasst, ferner – teils unter den Pseudonymen wie Lawrence H. Desberry und Traugott Lehmann – neun Kriminalromane.37

Quasi zeitgleich mit der Entstehung von Was Peterchens Freunde erzählen veröffentlichte Zur Mühlen 1922 den Roman Der Tempel, worin das Schicksal eines jüdischen Waisenknaben in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschildert wird und feministische Töne anklingen, die an den 1932/33 erschienenen Roman Marchese Assunto heiratet nicht für Geld! erinnern.

Bei diesem ersten Roman Zur Mühlens, erschienen 1922 bei der Vereinigung Internationaler Verlagsanstalten, handelte es sich um eine Art von Rahmenerzählung, deren Handlung sich von den Pogromen der frühen 1880er Jahre im zaristischen Russland bis zum Spartakus-Aufstand in Berlin im Januar 1919 spannt. Protagonist ist ein jüdischer Waisenknabe namens Moische, der in St. Petersburg von einer Edelhure namens Nadja Sklowski aus Mitleid nach dem Tod von dessen Großmutter aufgenommen und vier Jahre unterhalten wird, bis sie elendig an Tuberkulose stirbt. Als Bettler wird der siebenjährige Junge dann auf dem Newski-Prospekt, der Prachtstraße im Zentrum St. Petersburgs, von einer berühmten deutschen Sängerin aufgegriffen und ihrer Familie in einer ostpreußischen Kleinstadt an der Weichsel zur Pflege übergeben, während sie selbst sich auf Tournee in Amerika begibt (und wenig später stirbt). In dieser Familie eines patriotischen Gymnasiallehrers namens Wilhelm Selder, sowie seiner vier Kinder, Ilse, Friedrich, Gustav und Lene, wächst der siebenjährige Knabe nach inzwischen  zwei Namensänderungen (in Russland hieß er Ivan, in Deutschland Johannes), auf. Nach einem Handlungssprung entwickelt sich zwischen Johannes und Lene, der jüngsten Tochter des Hauses, sowie Anatol, dem Sohn eines jüdischen Buchhändlers, eine enge Freundschaft. Die drei schließen einen ‚Geheimbund‘ und lesen subversive Schriften.38 Sukzessive ziehen später Anatol und Johannes nach Berlin, und auch Lene brennt durch und schließt sich in Berlin einer Gruppe von Sozialisten an (Anatol, Johannes, Kerner, sowie zwei Russen, Savin und Boris Isralew39, Frau von Reuter, eine Engländerin, sowie Abraham Löw, ein Rabbiner), zu denen letztendlich auch der weltfremde Gelehrte Gustav Selder und die Italienerin Gioia von Stramwitz, nach ihrer Scheidung von einem ostpreußischen Grafen, stoßen.40 Die Gruppe glaubt illusorisch an das Weltproletariat, was u.a. in Forderungen Anatol Silberblatts Ausdruck findet und die ganze Reichweite von Zur Mühlens agitatorischer Position zu Beginn der 1920er erkennen lässt: „Seit Jahrzehnten“, so der Erzähler des Romans, „wurde Propaganda getrieben, wurden Versammlungen abgehalten, die Masse aufgeklärt“:

Und dennoch waren die Armen heute elender, die Entrechteten geknechteter denn je. In den Händen der Wenigen lag das Schicksal der Vielen; der Reichtum des Landes floß nicht, ein gesegneter Strom, durch die Schichten, sondern lastete als erdrückende Bürde auf darbenden, abgearbeiteten Leibern. Der in Jahrhunderten errungene Fortschritt war kaum zu bemerken. Ging dies derart weiter, so würden Generation um Generation geopfert, ehe das Reich der Gerechtigkeit kam. Was aber konnte an Stelle der Propaganda durch das Wort gesetzt werden? (Der Tempel, 71-72)

Denn selbst ‚Propaganda durch die Tat‘, wie sie in Russland von Sasonow und Kaljajew befürwortet wurde,41 war letztendlich vergeblich. Nur eine echte Revolution konnte da Abhilfe schaffen, wie Johannes anhand einer Gewitter-Metapher blitzartig klar stellte (Der Tempel, 72-73). Die Gruppenmitglieder waren ferner der Meinung, dass im Kriegsfall ein weltweiter Generalstreik des internationalen Proletariats, sowie die Verweigerung von Krediten, kriegerische Auseinandersetzungen verhindern würden. In der Folge wird dann von den Balkankriegen 1912/13 berichtet und geschildert, wie das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 auf Erzherzog Franz Ferdinand, den Thronfolger Österreich-Ungarns, zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte, wie der französischen Sozialistenführer, Jean Jaurès am 31. Juli 1914 ermordet wurde, wie Anatol Silberblatt – inzwischen mit Lene Selder verehelicht – anlässlich einer aufrührerischen Rede verhaftet und der Sozialistenführer Karl Liebknecht unter ähnlichen Umständen 1915 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Anschließend berichtet der Roman dann vom Ausbruch der russischen Revolution im Februar 1917, vom Ende der Herrschaft der Romanows, von die Entstehung einer russischen Räterepublik, vom Friedensvertrag von Brest-Litowsk Anfang März 1918,42 vom ‚Verrat‘ der November-Revolution durch die deutschen Mehrheitssozialisten,43 bis hin zum Spartakus-Aufstand im Januar 1919,44 bei dem Johannes, der Held des Romans, bei Straßenkämpfen ums Leben kommt, nicht ohne zuvor eine Vision vom Neubau des Tempels zu erleben, von dem ihm bereits seine russisch-jüdische Großmutter im ‚Prolog‘ des Romans erzählt hatte (Der Tempel, 151-52 bzw. 3-5.).

Die Kritik schenkte diesem Roman allerdings – trotz der ausgesprochen ideologischen Ausrichtung der Autorin – nur sehr wenig Beachtung: Wallace erwähnte ihn z.B. nur beiläufig (Wallace, S. 42), und Altner meinte pauschalisierend, das Werke mache deutlich, „daß Hermynias Antikriegshaltung sie zur Befürworterin der Revolution gemacht hat.“ (Altner [1997], 108)

Ferner erschien 1922 der Roman Licht, angesiedelt im oberschlesisches Kohlerevier, während eines Zeitraumes von fast einem halben Jahrhundert – von der Gründung des Kaiserreiches 1871 bis zu dessen Ende im November 1918 –, der die Lebensgeschichte von Andreas Merz verfolgt: von seiner Geburt unter Tage und seiner Arbeit im Stollen als Kind,45 über die Auswanderung seiner Mutter Lina Merz, über seine Existenz bei verschiedenen Zieheltern, seine Bekanntschaft mit Paul Löhr, einem sozialistischen Agitator, seine Freundschaft mit der Sozialistin Martha Tussek, einen ersten, fehlgeschlagenen Bergarbeiterstreik, seine Ehe mit Ruth Steinberg, einen zweiten, diesmal erfolgreichen Streik, den Ausbruch der Ersten Weltkriegs, die Einberufung seines ältesten Sohnes Ernst, dessen Fahnenflucht, Verhaftung und standrechtliche Erschießung, die Tötung eines mit der Staatsgewalt kollaborierenden Pfarrers, den anschließende Prozess und die lebenslängliche Zuchthausstrafe, bis letztendlich zur Befreiung aus dem Gefängnis durch die siegreiche Arbeiterschaft im Zuge der revolutionären Ereignisse gegen Ende 191846 und zu seiner Rückkehr ins Kohlerevier, dessen Grubenbesitzer inzwischen enteignet worden sind und wo am Schachteingang eine rote Fahne weht.

Durchgehend verwendet die Autorin in diesem – zumindest am Ende – utopisch anmutenden Werk gegensätzliche Metaphern von Dunkelheit und Licht,47 und es ist daher nur passend, dass der den Roman abschließende Satz lautet: „Ein alter Mann sah das Licht“ (Licht, 165). Zwar stimmt, dass es sich hier – wie Altner betont – um „eine erschütternde Anklage sozialen Leids“ handelt (Altner [1997],108). Es ist jedoch erheblich zu kurz gegriffen, dieses Werk einfach mit dem Begriff ‚Bergarbeitermilieuʽ (Altner) abzustempeln, was besonders deutlich anlässlich Merz’ Grübeleien während seiner langen Jahre in Einzelhaft wird, die ihn folgende Schlussfolgerung ziehen lassen:

Langsam, allmählich, nach Klarheit ringend, fand er die Antwort auf diese Fragen. Wir haben uns von den Reformern narren, uns mit Gnadenbrocken abspeisen lassen, die der kapitalistische Staat uns zuwarf. Haben gewähnt, der Kampf Gegründet im Okt. 1907, Wien bis H. 12/1933; ab H. 1/1934 vereinigt mit der Zs. Tribüne bis Mai 1938, Brünn/Brno; dan... des Geistes genüge, um die Welt zu erobern. Die anderen waren klüger, wußten stets, der Geist allein vermöge nichts zu erreichen, müsse durch Gewalt durchgesetzt werden. […] zwischen den beiden Welten, zwischen Proletariat und Bürgertum gibt es keine Versöhnung […]. Will der Arbeiter sein Recht erlangen, so muß er herrschen, muß, wenn es Not tut, die andern unterdrücken […]. Die Führer, die Partei, die von einem friedlichen Sieg sprachen, waren Toren oder Betrüger. Hatten jetzt, im Augenblick der Not, schmählich versagt. Eine neue Partei muß entstehen, die den letzten Rest bürgerlicher Vorurteile von sich wirft, die wahre Partei der Masse, die revolutionäre Partei. (Licht, 148)

Diese Passage macht deutlich, dass Zur Mühlen auch in Licht klassenkämpferisch agierte, was sich z.B. in Paul Löhrs Forderung: „Jede Partei, die bloß mit der Reform arbeitet, versinkt unfehlbar in der Bürgerlichkeit […]. Die Partei des Proletariats muß revolutionär sein, muß als höchstes Ziel die Herrschaft des Proletariats anstreben“ (Licht, 124), widerspiegelt. Hiermit wurde der in den 1890er Jahren von Eduard Bernstein verfochtene Revisionismus innerhalb des SPD von der Autorin klar verworfen.

5. Frühe Erzählungen

Abb. 2: Der Deutschvölkische, Cover

Laut Altner war Zur Mühlen in diesen frühen Romanen gezielt der Kindheitsthematik nachgegangen, da sie erkannt hatte, „daß sich die soziale Kritik am nachhaltigsten an Beispielen aus dem Leben der hilfs- und schutzbedürftigen Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft gestalten ließ.“ (Altner [1997], 109) Gegen Mitte des Jahrzehnts veröffentlichte Zur Mühlen deshalb außerdem vier Kurzgeschichten – Schupomann Karl MüllerDer Deutschvölkische, Kleine Leute und Lina – sowie unter dem Titel Der rote Heiland eine Sammlung von achtzehn Erzählungen. Die Erzählung Schupomann Karl Müller thematisiert den Wandel eines biederen Staatsdieners und Ordnungshüter zum Sympathisanten streikender Metallarbeiter, was der Autorin im Februar 1926 eine Anklage wegen Hochverrats beim Reichsgericht in Leipzig einbrachte, die allerdings niedergeschlagen werden konnte (vgl. Altner [1997], 114-15). Der Protagonist von Zur Mühlens Kurzgeschichte, Sohn eines Pedells am örtlichen Gymnasium, dessen Lebensführung vom Motto ‚Vor allem muß Ordnung sein‘ bestimmt worden war, zeichnete sich bereits frühzeitig durch Pedanterie aus und schätzt auch als proletarischer Arbeiter Ordnung über alles. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde er jedoch arbeitslos, musste hungern und verarmte völlig. Um sich und seine alte Mutter am Leben zu erhalten, nahm er schließlich eine Stelle bei der Schutzpolizei an und ward ab dem Zeitpunkt bei der Arbeiterschaft als sogenannter ‚Grüner‘ verschrien. Seine Mutter, eine alteingefleischte Sozialistin, versuchte ihn von der Falschheit seiner Handlung zu überzeugen; es gelang ihr jedoch erst, als man Karl Müller zwang, Anton Schröder, seinen alten Freund und Kollegen, der inzwischen der KPD beigetreten war, zu verhaften. Als er, völlig verstört, der Mutter seine Schandtat gestand, gab diese ihm zu verstehen: „ ‚Diese fremden Menschen haben dich gekauft, […] nicht nur deine Kraft, auch dein Gewissen‘,“ (Schupomann, 27) um dann aufgrund ihres Sohnes Einwands, die Kommunisten seien doch Ruhestörer und Verbrecher, fortzufahren:

Sie [d.h. die Kommunisten: JT] wollen, daß die Reichen nicht mehr die Armen kaufen und als Werkzeug gegen ihre eigenen Brüder verwenden können, sie wollen, daß jeder, der arbeitet, auch leben könne, sie wollen Arbeit für alle. (Schupomann, 28)

Als sich bei Karl Müller diese Einsicht durchsetzte, kam er sich wie ein Schuft vor, wollte sein übles Verhalten gegenüber den ehemaligen Kameraden wiedergutmachen; und als er erfuhr, dass diese von ihrem Arbeitgeber ausgesperrt worden waren und eine Demonstration stattfinden würde, setzte er diesen Entschluss in die Tat um. Am darauffolgenden Tag konnte er dann in der örtlichen Presse lesen:

Als der Zug am Dom vorbeikam, trat der Schupomann Karl M. aus der Reihe und schloß sich den Demonstranten an. Bei seiner Verhaftung zeigte sich, daß der ehrlose und pflichtvergessene Beamte seine Waffen den Demonstranten gegeben hatte.“ (Schupomann 30)

Auch in der Erzählung Der Deutschvölkische geht es um eine Wandlung: Wilhelm Meier, ein Spätheimkehrer aus englischer Gefangenschaft entwickelt sich nämlich während der ersten Nachkriegsjahre zunächst zum Antisemiten, Franzosen-, Sozialisten- und Kommunistenhasser, wird Mitglieder der ‚Deutschvölkischen Partei‘ und lässt sich von seinem Arbeitgeber, einem Herrn von Lübke – der ihn für einen „ehrlichen Idioten“ (Der Deutschvölkische, S. 21) hält –, als Spitzel gegen die Kommunisten anwerben. Im Laufe der Zeit vollzieht sich jedoch durch den intensiven Kontakt mit zwei KPD-Mitgliedern bei ihm eine Wandlung, und er kämpft sich zu der Einsicht durch:

Wenn diese Leute [die Deutschvölkischen; JT] ‚Deutschland‘ sagen, so meinen sie nicht mein Deutschland. Für sie bedeutet das Vaterland ein Land, wo sie sich ungehindert auf Kosten der anderen bereichern, wo sie die Herren sein, die Menschen ausbeuten und knechten können. Das sind keine Patrioten, Patrioten sind jene, die ihr Land frei und gerecht sehen wollen. Nicht die paar reichen Leute an der Spitze, nicht die paar dummen rohen Studenten sind Deutschland, die Masse ist es, das Proletariat.“ (Der Deutschvölkische, 36)

Meier wird anschließend Mitglied der KPD und hasste von nun an die Deutschvölkischen „ebenso glühend und leidenschaftlich, wie er früher Franzosen, Juden und Kommunisten gehaßt hatte“; denn ihm war deutlich geworden, dass diese die wahren Feinde waren: „alles ist ihnen Waffe im Kampf gegen das Proletariat […], und arme, leichtgläubige, vaterlandsliebende Narren […] [köderten sie] mit patriotischen Lügen und [machten sie] ihren gemeinen Zwecken dienstbar.“ (Der Deutschvölkische, 41) Als ihm klar wird, dass er unabsichtlich eine Geheimsitzung der Kommunisten verraten hat und die Deutschvölkischen einen bewaffneten Überfalls auf deren Versammlungsbüro planen, gelingt es ihm, diese im allerletzten Moment zu warnen, um dann allerdings von rechten Meuchelmördern erschossen zu werden. Es ist also nicht so – wie von Altner behauptet –, dass Meier erst im letzten Augenblick sein proletarisches Gewissen entdeckt und sich für die Arbeiterklasse opfert, sondern es handelt sich um ein Solidaritätsbekenntnis, das sich ganz allmählich entwickelt und in der Rettungsaktion seinen Höhepunkt erreicht (vgl. Altner [1997], 110-11).


Abb. 3: Kleine Leute, Cover

Die Erzählung Kleine Leute spielt dagegen 1922-23 in einem kleinbürgerlichen Berlin-Milieu: Martha Grammel, die Tochter eines sozialdemokratischen Flickschusters, heiratet den Schnittwarenhändler Josef Huber, der im Umfeld der katholischen Zentrumspartei beheimatet ist. Auf dem Höhepunkt der Inflationszeit droht dem Kaufmann der Existenzverlust, er verliert den Glauben an Gott und gibt seiner Frau zu verstehen: „ ‚Weißt Du, wir haben irgendwo Feind, mächtige Feinde‘ “, denn:

Anders kann es gar nicht sein. Aber wo sind sie? Wer sind sie? […] Nur den Betrügern geht es gut. Die ehrlichen Menschen können verrecken. Aber wer ist es, der uns ins Elend stößt? Sind wir denn ganz hilflos, ganz verloren? (Kleine Leute, 25)

Als das Kurzwarengeschäft Hubers knapp vor dem Bankrott steht, tritt seine Schwiegermutter der KPD bei, ja selbst Hubers Ehefrau Martha wird Kommunistin.48 Letztendlich lässt sich auch Josef Huber überreden, an einer KPD-Versammlung teilzunehmen, um einer russischen Bolschewistin zuzuhören, die ihn dermaßen beeindruckt, dass er selbst in der anschließenden Diskussion das Wort ergreift und –  man wird an spätere Desberry- und Lehmann-Romane erinnert (s.u.)  – eine bewegte Rede hält, im Rahmen derer er den Werktätigen zuruft:

Meine Herren Genossen. Ihr müßt mit uns kleinen Leuten Geduld haben. Wir wissen wenig von Politik und müssen viele eingetrichterte Lügen vergessen, eher wir die Wahrheit Bereits 1895 vom Kantor der sephardischen Gemeinde in Wien, Jakob Bauer, vor dem Hintergrund des anwachsenden Antisemiti... zu erkennen vermögen. Eines aber muß und wird jedem Menschen […] klar sein: jene Staatsgewalt, die unsere Kinder vor Hunger und Elend bewahrt, ist die richtige. Für sie muß man kämpfen, für sie alles opfern […]. (Kleine Leute, 42)

Mit anderen Worten – so das Fazit der Autorin –, nur der Schulterschluss mit dem Proletariat kann das Dasein des Kleinbürgertums ändern (vgl. Altner [1997], 111); und letztendlich ist dann auch die Solidarität der örtlichen Arbeiterschaft existenzrettend für Huber. Das aus bäuerlichem Milieu stammende jugendliche Dienstmädchen Lina, in der gleichnamigen Kurzgeschichte, sieht sich im Dienst verschiedener großstädtischer ‚Herrschaftenʽ im Laufe fast eines Jahrzehnts wiederholt Schikanen ausgesetzt, an denen sie schließlich – durch Selbstmord – zugrunde geht, nachdem ihr Bruder – für den sie sich geopfert hatte – als Soldat im Weltkrieg gefallen war.

Neben diesen vier ‚Propaganda-Erzählungenʽ49 ragt während dieses Zeitabschnitts insbesondere der Erzählband Der rote Heiland heraus,50 bei dem es sich um achtzehn Kurzgeschichten handelt, in denen Zur Mühlen Unterhaltung politisch zum Einsatz zu bringen suchte, oft jedoch der Agitation den Vorzug vor künstlerischen Ansprüchen gab.51 Diese Erzählungen waren also zumeist „[f]ür den Tag geschrieben“ und „gingen mehr von einem journalistischen als ästhetischen Funktionsverständnis aus“ (Altner [1997], 109), gleichwohl Gertrud Alexander, Chefredakteurin der (Berliner) Roten Fahne, wo etliche von Zur Mühlens Novellen erstveröffentlicht wurden, durchaus auf künstlerischer Qualität bestand.52 Diese Tatsache spiegelt sich ästhetisch auch darin wider, dass zumindest einige Erzählungen dieses Bändchens ein Drei-Phasen-Ablauf kennzeichnet – bzw. eine derartige Entwicklung im Ansatz deutlich wird –, im Rahmen dessen „[d]ie Zerstörung der ursprünglichen gesellschaftlichen Harmonie durch eine Klassengesellschaft mit Ausbeutungscharakter, die durch einen revolutionären Akt […] aufgehoben [wird] und so die ursprüngliche Gesellschaftsverfassung wieder neu begründet werden kann“. (Steffen, 42)

Abb. 4: Der rote Heiland, Cover

Der rote Heiland erschien 1924 in Leipzig.53 Allerdings wurden einige der darin enthaltenen Erzählungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Zeitschriften veröffentlicht, so etwa die Antikriegsgeschichte ‚Der fremde Gottʽ 1919 in der von Walther Rilla herausgegebenen Breslauer Zeitschrift Die Erde;54 etliche andere erschienen in der Roten Fahne, so etwa 1922 ‚Der Tod des Boris Ossipowitsch Luninʽ, ‚Der rote Heilandʽ‚ ‚Die schwarze Mauerʽ, ‚Der Aufsatzʽ sowie ‚Die Mangelʽ, ferner 1922 im Grazer Arbeiterwille ‚Der Garten des Grauensʽ sowie 1924 ‚Der Traumhändlerʽ; wieder andere erschienen kurz nach der Buchveröffentlichung in den von Arthur Wolf herausgegebenen Proletarischen Heimstunden (im selben Leipziger Verlag Die Wölfe, wo auch der Sammelband selbst erschienen war).

Altner hat zwar behauptet, die Novellensammlung Der rote Heiland setze sich auf nachexpressionistische Weise „mit den Greueln des Krieges“55 – gemeint ist der Erste Weltkrieg – auseinander. Das ist allerdings eine grobe Vereinfachung; denn von den achtzehn Erzählungen – ob alle auch wirklich ‚novellistischeʽ Kriterien aufweisen, sei dahingestellt – handeln nur fünf direkt vom Krieg oder kriegerischen Auswirkungen auf das Zivilleben, nämlich Die schwarze Mauer, Der Garten des Grauens, Der fremde Gott, Der Hochverräter und Geständnis (indirekt könnte man ferner noch Unter einer Brücke hinzurechnen). Die restlichen dreizehn Erzählungen klagen alle soziale Missstände ziviler Art an, wobei vier dieser Geschichten im zaristischen Russland spielen (Das Ungeheuer, Eine Dorfgeschichte, Der Tod des Boris Ossipowitsch Lunin und Der Fluß). Drei weitere befassen sich mit Heiland-Figuren (Die Berufung, Heilands Tod und die Titelgeschichte des Bandes, Der rote Heiland, worin sich Anklänge an das Kapitel ‚Der Großinquisitorʽ in Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow [1880/81] nachweisen lassen56). Altner kommentiert diese ‚Propaganda-Erzählungenʽ Zur Mühlens von Mitte der 1920er Jahre folgendermaßen:

Diese kleinen Geschichten, für den Tag geschrieben, zeigten die sozialen Klassen und ihre Vertreter nicht von einem abstrakten Klassenbegriff aus, sondern nach ihrem jeweiligen, konkreten, vom Menschen erlebbaren Handlungen und Verhaltensweisen. Hermynias Auffassung vom Menschen umschloß ein waches Mitgefühl für den alltäglichen Anspruch eines jeden Menschen auf Würde, Gerechtigkeit und Glück. Und dieses galt es zu verteidigen gegen Egoismus, Menschenverachtung und Arroganz. (Altner [1997], 113)

Hermynia Zur Mühlen sah sich damals in knapp zwei Dutzend ‚Propaganda-Erzählungenʽ mit zwei Hauptfragen proletarischer Kunst konfrontiert, denen sie sich stellte, nämlich: „welche Rolle das bürgerliche Erbe für eine proletarische und revolutionäre Literatur spiele und an welches Erbe genau die Arbeiterklasse anknüpfen könne; und wie ihre […] eigene Literatur aussehen müsse […].“ (Fähnders [1977],  59.) Beides waren zentrale Anliegen hinsichtlich der Konzeption sozialistischer Literatur, wobei – wie Katarzyna Šliwińska betonte – der Schriftstellerin die Funktion zufiel, Organisator ihrer Klasse zu sein, d.h. ihr „in der sozialistischen Aufbauphase eine Rolle zugewiesen [wurde], die nach den Vorstellungen der Initiatoren proletarischer Literaturbewegung in der Weimarer Republik auch die Funktion von Literatur unter den noch kapitalistischen Verhältnissen beschreiben sollte: die Konsolidierung des Klassenbewußtseins.“ (Šliwińska, 6.) Trotz gewisser Einschränkungen, insbesondere was die künstlerische Qualität anbelangt, ist  Zur Mühlen dieser Aufgabe durchaus gerecht geworden.

6. Kriminalromane

Vergleichsweise wenig kritisches Interesse wurden den Kriminalromanen der Schriftstellerin bisher zuteil,57 einerseits wohl aufgrund der Tatsache, dass sie sich bei den fünf Desberry-Werken hinter einem Pseudonym versteckte und es stets hieß: „aus dem amerikanischen Manuskript übertragen von Hermynia Zur Mühlen“,58 andererseits sicher auch, weil die Romane – sowohl im Original als auch in allen Nachdrucken – schwer zugängig sind und zu bibliophilen Raritäten zählen. Diese Tatsache wiederum hatte zur Folge, dass sich zahlreiche Fehl- und Vorurteile in die Diskussion eingeschlichen haben.

Abb. 5: Der blaue Strahl, Cover

Bei Der blaue Strahl (BS, 1922), Zur Mühlens erstem Krimi – 1924 auch im Linzer Tagblatt als Fortsetzungsoman veröffentlicht (später in der Wiener Zeitschrift Der Kuckuck unter dem Titel  Das Geheimnis der Cardiff-Werke neuabgedruckt) –, handelt es sich um einen utopischen Detektivroman, in welchem der irische Journalist Brian O’Keefe, Protagonist von vier der fünf Desberry-Werke eingeführt wird (vgl. dazu Humer 21-36.). Die Handlung spielt in London – spätere Krimis der Autorin spielen sowohl in den USA, der Karibik, Italien und Deutschland –, wobei es sich um den Doppelmord an einem gewissenlosen Millionär namens Henry Cardiff und einem korrupten Polizeikommissar namens Lock handelt, die beide auf mysteriöse Weise ums Leben kommen. Der Täter – wie sich schließlich herausstellt – ist der Laborleiter von Cardiffs Unternehmen, ein irischer Erfinder namens John Hay alias John McKennan, der sich aus patriotischen Gründen am ebenfalls aus Irland stammenden Firmenchef rächen wollte, weil dieser 1916, während des Osteraufstands (‚Easter Risingʽ) in Dublin, den Versuch militanter irischer Republikaner, die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien gewaltsam zu erzwingen, seine Mitstreiter verraten hatte.59 Gleichwohl es sich in letzter Instanz um die Aufklärung zweier Verbrechens mittels einer Todesstrahlen produzierenden Maschine handelt, liegt die Betonung– wie auch bei den meisten anderen Krimis Zur Mühlens – doch auf der politischen Botschaft, im vorliegenden Fall auf Zur Mühlens Befürwortung der Befreiung eines Landes von imperialistischen Unterdrückern und Ausbeutern, wie folgendem Zitat entnommen werden kann:

Es kamen für Irland die schwarzen Jahre. […] Das englische Volk, die Masse, weiß nicht, was sich dort ereignet hat. Die Irländer wurden wie wilde Tiere behandelt, die Grausamkeit unserer Unterdrücker kannte keine Grenzen. Die besten Männer, die edelsten Frauen fielen einer sinnlosen Tyrannei zum Opfer. Die Verzweiflung warf ihren schwarzen Mantel über die unselige Insel. […] Etliche von uns beschlossen, Dublin-Castle in die Luft zu sprengen. Das wäre Rache für einige unserer Besten gewesen und zugleich eine Warnung für die Henker. (BS, 188)

Aus Rache für den Verrat hatte Hay dann nachträglich die Todesmaschine entwickelt, nicht bloß zur Befreiung seines Landes, sondern aller Länder, musste dann jedoch feststellen – da Cardiff Hays Erfindung mitten im Ersten Weltkrieg der britischen Regierung angeboten hatte –, dass seine Wunderwaffe, die ja eigentlich zur Befreiung seines Heimatlandes Anwendung finden sollte, als Massenvernichtungswaffe (‚weapon of mass destructionʽ) auf dem europäischen Kriegsschauplatz Verwendung finden würde: „Die Macht“, so wurde ihm klar,

die der Menschheit hätte dienen sollen, würde nun für den Massenmord verwendet werden, die Wundermacht, die Gott in meine Händen gegeben hatte, sollte Unschuldige an der Front hinmetzeln. Meine ärgsten Ängste bewahrheiteten sich. Meine Hand, die die Menschheit befreien, die eine bessere Welt hätte aufbauen wollen, würde nun Millionen Menschen den Tod bringen, Trauer und Elend in die Heime schleudern. Ich mußte handeln. (BS, 197)

Hays letzte Handlung bestand dann darin, sich und die Maschine in die Luft zu sprengen und gleichzeitig alle Pläne zu vernichten.

In An den Ufern des Hudson (1925), Zur Mühlens zweitem Desberry-Krimi – als Fortsetzungsroman auch unter dem Titel Fememord in Newyork in der Wiener Zeitschrift Das kleine Blatt abgedruckt – wechselt der Ort der Handlung von Europa in die USA,60 wo später zwei weitere ihrer Krimi angesiedelt wurden (vgl. Humer, 36-46). Es handelt sich hierbei um eine Detektivgeschichte, die – was in der bisherigen Sekundärliteratur kaum Erwähnung gefunden hat (vgl. Wallace, 67-73) – Rassismus in den Vereinigten Staaten während der Nachkriegszeit Zielscheibe war: Henry Word,61 der Haupttäter und – ähnlich Henry Cardiff in Der blaue Strahl – Millionär, ist gleichzeitig Anführer (‚grand dragonʽ) des östlichen Bezirks (‚realmʽ) des Ku-Klux-Klan (KKK)62, eines rassistischen und gewalttätigen, vor allem in den Südstaaten der USA aktiven Geheimbundes. Der im Großraum New York angesiedelte KKK-Ableger hat es sich zum Ziel gemacht, Neger, Juden und Iren unschädlich zu machen; und zu diesem Zweck hat Dr. Brathford (‚hydraʽ) eine Klinik am Ufer des Oberlaufs des Hudson-Flusses eingerichtet, wo Angehörige der drei oben erwähnten Bevölkerungsgruppen mit Gesundheitsproblemen hingelockt und ermordet wurden. Im Zuge ihrer ‚Reinigungsaktionenʽ hat die KKK auch John Rawley, ein prominentes Mitglied des US-Kongresses beiseite gebracht (sowie dazu beigetragen, dass ein schwarzer Aktivist, Ben Towers, gelyncht wurde), was Rawley besten Freund, Harvey Word, Sohn des KKK-Führers, mit Unterstützung eines jüdischen Einwanderers, Samuel Katzenstein, veranlasst, den Mord aufzuklären, was letztendlich auch gelingt. Aufgrund der thematischen Ausrichtung dieses Krimis, d.h. seines betonten Antirassismus, reicht es deshalb nicht – wie Wallace meint (S. 72) –, lediglich die sozialrevolutionären Aspekte, die sicher auch vorhanden sind, zu betonen. Viel deutlicher wird nämlich die eigentliche Botschaft von An den Ufern des Hudson in Harvey Words Erkenntnis – angesichts der Anweisungen seines Vater an die KKK-Mitglieder bei einem geheimen Treffen des Bundes in dessen New Yorker Stadtvilla –, dass dort das Motto ‚Amerika den Amerikanernʽ gepredigt ward:63

Hier wurde das alte amerikanische Ideal, Freiheit Gleichheit, Gastfreundschaft für jene, die in der alten Heimat keinen Platz fanden, in den Kot getreten. […]‚Amerika den Amerikanernʽ, das bedeutete: das herrliche Land, das einst vor einem Jahrhundert den Weg zur Freiheit gewiesen, das im Sezessionskriege das Recht der Freiheit für die elendsten, unterdrücktesten Geschöpfe, für die Sklaven, erkämpft hatte, ausgeliefert den Trusts, den Großkrämern, den Industriebaronen, den Börsenbriganten. Wer ihnen in den Weg trat, ihre Pläne störte, wurde erbarmungslos weggefegt, einerlei – hierin waren diese Leute international – ob er Ausländer oder Amerikaner ist. Sie hatten ihre Heere, die amerikanische Legion – die für sie Bütteldienste verrichtet, Unliebsame beseitigt, verschleppt oder tötet. Und täglich strömten dem Ku-Klux-Klan neue Mitglieder zu,64 es fruchtete nichts, daß die vor der anwachsenden Macht erschreckte Regierung die Zugehörigkeit zu dieser Vereinigung mit schweren Strafen belegte, denn die Führer verfügen über alle Propagandamittel: Presse, Kirche, Schule, verfügten über ungezählte Millionen. (An den Ufern des Hudson, 155-56)

 Harvey wurde zudem klar, was das Motto ‚Amerika den Amerikanernʽ außerdem beinhaltete:

Die schlechtesten Elemente des Auslandes, die Ruhestörer, die in der eigenen Heimat nicht geduldet werden, überfluten die Vereinigten Staaten. Sie wühlen und hetzen, und unsere Arbeiter schenken ihnen Glauben, werden unzufrieden. Ihre gefährlichen Lehren verbreiten sich wie ein Präriefeuer, sie zerstören die Ordnung, sie gefährden den Besitz. Der irische katholische Pfaffe predigt von der Kanzel herab Götzendienst und Auflehnung, der Jude entheiligt durch seinen ätzenden Spott im Herzen des Volkes die höchsten Güter, kämpft gegen den Patriotismus. Die erhabene Aufgabe des Ku-Klux-Klan ist es, unser Land von Juden, Irländern, Katholiken und Negern zu säubern – und auch von inländischen Roten. (An den Ufern des Hudson,156)

Derartige Aussagen klingen unheimlich modern, und ihr Echo, eingedenk des zeitgenössischen Wiederaufblühens des weltweiten Nationalismus, insbesondere unter Donald Trump in den USA, zeigt, wie weitblickend Hermynia Zur Mühlen war, indem sie revolutionäre Maßnahmen zwecks gesellschaftlicher Änderungen befürwortete (vgl. Wallace, 72).

Abb. 6: EJUS, Cover

Abgesehen vom Romanende, das auf einer abgelegenen Inselgruppe in der Karibik spielt, sind die Vereinigten Staaten erneut Handlungsort von Zur Mühlens drittem Desberry-Krimi, EJUS (1925), der noch im selben Jahr wie  An den Ufern des Hudson erschien (vgl. Humer, 46-52 u. Wallace, 73-79). Hier werden die Protagonisten der beiden vorhergehenden Romane zusammengeführt, der irische Journalist und Hobbydetektiv Brian O’Keefe und der Psychoanalytiker Harvey Word. Gemeinsam versuchen sie das geheimnisvolle Verschwinden und gleichsam mysteriöse Wiederauftauchen von John Manninger, einem Erfinder wie John McKennan, zu ergründen, wobei Word ums Leben kommt. Manninger Sen., der Vater von Fred Manninger – seinerseits mit Harvey Word befreundet – war der Entwickler eines Verjüngungsmittels, für teures Geld erhältlich unter dem Markennamen ‚EJUSʽ (eine Abkürzung für ‚Ewige Jugend und Schönheitʽ), dessen chemische Formel, noch bevor es ohne Gesundheitsschäden hergestellt werden konnte, von dem kriminellen Haupttäter des Romans, Henry Bright, Ebenbild von Cardiff und Word, gestohlen und auf einer einsamen Insel in Massenproduktion fabrikmäßig produziert wurde, wodurch er – sowie seine Ehefrau Delia – ein enormen Vermögen aufhäufen konnte. Die Schattenseite dieses Reichtums war jedoch die hochgradig gesundheitsschädigende Herstellungsmethode des Verjüngungsmittels, aufgrund derer die zwangsweise auf eine abgelegene karibische Insel verfrachteten und dort versklavten Arbeiter innerhalb kurzer Zeit zu Zombies wurden. Auch John Manninger war von Bright auf diese Hölleninsel – daher der Titel der Neuauflage des Romans, Insel der Verdammnis – geschafft worden. Es gelang ihm jedoch – gleichwohl sein Gedächtnis unter der Einwirkung der bei der Produktion von ‚Ejusʽ freigesetzten giftigen Dämpfe bereits stark gelitten hatte – zu entkommen und wurde nach seiner Entdeckung in Central Park von O’Keefe und dessen amerikanischen Helfeshelfer Tommy Anderson, einem ehemaligen Taschendieb, nach North Dakota auf eine entlegene Farm zu seiner eigenen Sicherheit ‚entführtʽ. Damit teilt sich die Handlung des Romans vorübergehend in zwei Stränge. Denn auch dort, im Norden der USA, führen Bauern, allesamt Mitglieder der ‚Federated Farmers’ Labor Partyʽ, einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen Großgrundbesitzer und Wucherer. Stellvertretend für diesen Kampf ist Daisy Smith, die in Zur Mühlens Desberry-Krimis wiederum in einer Reihe kämpferischer Frauenfiguren steht: Winifred Cardiff (in Der blaue Strahl), Grace Mathers (in An den Ufern des Hudson) sowie Ethel Bright, Tochter des verbrecherischen Millionäre, sowie Mariposa, Widerstandskämpferin auf der Karibik-Insel, im vorliegenden Roman.65 O’Keefe, dem eigentlichen Protagonisten, gelingt es letztendlich, mit Hilfe von Tommy Anderson,66 die versklavten Inselarbeiter zu befreien, wobei Henry Bright und seine Aufseher ums Leben kommen. In der Nacht vor dem von O’Keefe organisierten Aufstand der Inselbewohner hält der Journalist in einem abgelegenen Steinbruch eine mitreißende, aufrührerische Rede, die das ganze Ausmaß von Zur Mühlens revolutionärer Zielrichtung in EJUS erkennen lässt:

Nicht Rache, Freunde, sondern Gerechtigkeit. Wir werden über die Mörder zu Gericht sitzen, ein Urteil fällen. Und dies ist erst der Beginn. […] Nicht nur dieses herrliche Stück Erde, das wie zur Lust und Freude der Menschen geschaffen wurde, ist durch die Habgier und die verbrecherische Selbstsucht eines Einzelnen in eine Hölleninsel verwandelt worden, nein, die ganze Welt in ihrer Schönheit und ihren Glücksmöglichkeiten für alle wurde durch das kapitalistische System und dessen Verfechter und Nutznießer zur Höllenwelt für die ausgebeuteten Massen. […] Aber der Morgenwind, der vom Osten weht, zerstreut allmähliche diese giftigen Dämpfe, tote Gehirne erwachen zum Leben, blicklose Augen lernen sehen, gekrümmte Rücken recken sich hoch, erschlaffte Hände greifen nach Waffen. Das Weltgericht naht. Früher lebten die Proletarier alle wie auf einer einsamen Insel, abgeschnitten voneinander, hilflos zur Ohnmacht verdammt, aber heute trägt das Schiff, von dessen Mast die rote Fahne weht, ihnen voneinander Botschaft zu, Botschaft von siegreichen Kämpfen, Botschaft auch von Niederlagen, die wieder gutgemacht werden müssen. Die proletarische Welt ist eins im Streben, im Ziel: sobald die Massen es wollen, werden sie die Feinde schlagen, werden, freilich, unter unsäglichen Mühen, aber zielsicher aus der Höllenwelt die freie, gerechte, schönheitsreiche Welt der Werktätigen schaffen!“ (EJUS, 163-64)

Ähnlich wie in etlichen ihrer späteren Märchen – so z.B. in Die Söhne des Aischa (1927) – hielt die Autorin somit also den gewalttätigen Aufstand der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker ausdrücklich für legitim (vgl. Wallace, 79). Und Wallace hatte in diesem Fall sicher Recht, als sie der Meinung Ausdruck verlieh, Zur Mühlen habe in diesem Krimi ihrer Leserschaft eine politische Lehre erteilen wollen (ebd., 78).

Abenteuer in Florenz (1926),67 Zur Mühlens vierter Desberry-Krimi (vgl. Humer,  52-58), ist bei weitem der schwächste ihrer neun Detektivromane.68 Ein Großteil der Handlung ist  im faschistische Italien angesiedelt – lediglich der Anfang und das Ende spielen in England (Abenteuer in Florenz, Kpt. 1 & 2, 10-29 & Kpt. 15 & 16,154-89) –, aber das Lokalkolorit bleibt so diffus, dass es sich statt Florenz auch um irgendeine andere italienische Großstadt handeln könnte. Es geht in diesem Werk um den Mord an dem Arbeiterführer Antonio Termetta69 und die Rettung seiner Schwester Gulia, wobei die Aufklärungsarbeit einmal mehr von Brian O’Keefe alias Harry Brand und seinem Helfer Tommy Anderson alias James Cartwright geleistet wird. Aber auch eine neue weibliche Figur, die Schauspielerin Diana Desford – die im abschließend fünften Desberry-Krimi eine wesentliche Rolle spielen sollte – wird hier eingeführt. Ferner tritt Winifred Cardiff erneut in Erscheinung, die wesentlich dazu beiträgt, dass die Geiselnahme des in London ansässigen ausländischen Verbindungsmanns der italienischen Faschisten erfolgreich abläuft. Ihre und Dianas kämpferische Haltung erinnert somit einmal mehr an Frauen ähnlichen Kalibers in früherer Desberry-Krimis, wie etwa Grace Mathers und Daisy Smith. Hintergrund der Romanhandlung ist eine Strafaktion der florentinischen Faschisten gegen die dortige kommunistische Arbeiterschaft, organisiert vom örtlichen Faschistenboss, Cagli, mit Unterstützung eines Spitzels namens Roberto Dia. Gleichzeitig findet ein geheimer Kongress europäischer Faschisten statt, an dem auch ein deutscher Repräsentant, Graf von Seckingen, teilnimmt.70 Wie im Plot des fast zeitgleich entstandenen Krimis Die weiße Pest sind auch hier Vertreter der extremen Rechten Zielscheibe von Zur Mühlens Kritik, suchen diese nämlich die wenigen verbliebenen demokratischen Einrichtungen im faschistischen Italien – so etwa faire Gerichtsverfahren – zu untergraben. Und in dem Sinne verkündet die Autorin auch hier – wie in den vorhergehenden Desberry-Krimis – ihre revolutionäre Botschaft, wobei sie sich Maria Termetta als Sprachrohr bedient, die in ihrem Schlussplädoyer den faschistischen Gegnern u.a. folgende Worte entgegen schleuderte:

Nun bin ich auf zehn Jahre zur Ohnmacht verdammt, aber an meiner Stelle werden bessere Kämpfer treten, gezeugt und getragen von der Bewegung, die für den klassenbewußten Proletarier alles bedeutet, Hoffnung, Zukunft, Gewißheit. […] So nehme ich Abschied von euch, Genossen […]. Ihr werdet den Sieg erringen. ich weiß es bestimmt und hoffe selbst noch den Tag zu schauen, da über unserer Stadt und allen Städten der Welt die rote Fahne wehen wird, das Zeichen der Freiheit. Und auch von euch, meine Herren Richter und Geschworenen, nehme ich Abschied […]. Ich zürne euch nicht […]. Ihr seid die Spreu auf den Weg geweht, auf dem die Kämpfer für eine unsterbliche Sache dem Sieg entgegenschreiten. Euer der Tod und der Niedergang, unser das strahlende Morgenlicht des endgültigen Sieges!“ (Abenteuer in Florenz, 189)

Der die Desberry-Serie abschließende Krimi Hermynia Zur Mühlens, Im Schatten des elektrischen Stuhls (SES), erschien erst 1929, drei Jahre nach Abenteuer in Florenz (vgl. Humer, 58-65 u. Wallace, 91-96); denn die Autorin war während des Zeitabschnitte 1926-29 intensiv mit Übersetzungsarbeiten beschäftigt und übertrug u.a. vier Werke Upton Sinclairs (Präsident der USA [1927], Petroleum [1927], Singende Galgenvögel [1927] sowie Die goldne Kette [1928]), Romane, die zugleich auf ihre eigenen Erzählungen während dieser Jahre abfärbten.71 Der Krimi spielt nach Ende des Ersten Weltkrieges in Fullersville, einem Ort nahe Miami, OH,72 und handelt von einem Arbeitskampf zwischen dem Fabrikanten Calvin Fuller und seiner vom IWW organisierten Belegschaft,73 die der Enkel des Fabrikgründers nach allen Regeln der Kunst ausbeutet:

Alle Arbeiter, die irgendwie „verdächtig“ [d.h. Kommunisten; JT] waren, wurden kurzerhand auf die Straße geworfen. Löhne wurden herabgesetzt, der Elfstundentag wurde wieder eingeführt, wem es nicht paßt, der soll sich anderswo Arbeit suchen. (SES, 27)

Die eigentliche Detektivgeschichte beginnt allerdings erst gegen Mitte des Romans, als der jüngere Bruder des Fabrikbesitzers, Jack Fuller, der die Arbeiterschaft unterstützte, ermordet und ein Arbeiter, David Gorden, der Tat beschuldigt wird. Der nach Gordons Verurteilung organisierte Generalstreik der Arbeiterschaft, der einerseits sämtliche Fabriken in Fullersville stilllegt, andererseits von Fuller mit Aussperrung beantwortet wird, erinnert an Upton Sinclairs Roman King Coal (1914), den Zur Mühlen 1918 als ersten übersetzt und der einen berüchtigten Bergarbeiterstreik in Colorado zum Anlass hatte.74 Zwecks Aufklärung des Mordes und um Gordon vor der Exekution auf dem elektrischen Stuhl in Columbus, OH zu bewahren,75 versammelt Zur Mühlen quasi das gesamte Repertoire ihrer vorhergehenden vier Desberry-Krimis: Brian O’Keefe (Reporter beim ‚Stern der Freiheitʽ), Tommy Anderson (angeblich ein ‚Pinkertonʽ-Agent), Diana Desford (unter dem Decknamen Diana Langtrey scheinbare die Geliebte Calvin Fullers), deren Zusammenarbeit – sogar der für Fuller arbeitende Spitzel Michael Cardigan schließt sich ihnen an – es letztendlich gelingt, den wahren Täter, nämlich den Fabrikbesitzer Calvin Fuller selbst, zu überführen.76

Anlässlich des Prozesses gegen David Gordon zieht Zur Mühlen einmal mehr sämtliche Register ihrer klassenkämpferischen Anklage, wenn sie z.B. mit beißender Ironie ausführlich das Plädoyer des Staatsanwaltes wiedergibt und damit Erinnerungen an den Justizskandal um Sacco und Vanzetti wachrief, die wegen angeblicher Beteiligung an einem Raubmord, 1921 in einem umstrittenen Prozess schuldig gesprochen und im August 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, ein Fehlurteil, das Upton Sinclair in seinem Roman Boston (1928) thematisierte.77 Der Staatsanwalt, als Vertreter der korrupten örtlichen Justiz, appelliert folgendermaßen an den Patriotismus der Geschworenen:

Amerika ist das Land der Freiheit, das allen seinen Bürgern […] unbegrenzte Möglichkeiten bietet. […] Amerika ist das Land des Wohlstandes, des Fortschritts, das Land der Gerechtigkeit und der Gleichheit. Bei uns gibt es nicht, wie im verseuchten, sterbenden Europa, eine aristokratische Herrscherkaste, mit erblichen Rechten und Privilegien. Hier gilt nur der Mensch. Amerika ist die Mutter der Verfolgten. Mit fast unbedachter Großmut hat unser Land allen, die über das Meer kamen, die Arme geöffnet, ihnen Freiheit, Gleichheit und unbegrenzte Möglichkeiten geschenkt

um dann fortzufahren:

Aber was tun diese undankbaren Kinder einer gütigen Nährmutter? Sie wühlen im Dunkeln, sie verhetzen schlichte, vertrauensselige Menschen, sie wollen die Industrie lahmlegen, wollen in unserem Vaterland ein blutiges, mörderisches Chaos schaffen wie in Rußland. […] Dieser Mann, […] ein amerikanischer Staatsbürger […], hat es, von Irrlehren der Roten verführt, nicht verschmäht, sich dem Abschaum der Menschheit anzuschließen, dem unwissenden, bösartigen, ausländischen Gesindel, dem nichts heilig ist, nicht einmal Privatbesitz.“ (SES, 165-66)

Dem hält allerdings der Verteidiger des Angeklagten, Mike Rosenfeld, in seinem Schlussplädoyer entgegen:

Es stimmt, daß in Amerika wie in allen kapitalistischen Ländern Leben und Sicherheit unzähliger Kinder täglich, stündlich bedroht werden, aber nicht von uns Roten, sondern von dem mörderischen System. […] Und nun frage ich Sie, meine Herren Geschworenen, sind die Menschen, die diese Bedingungen ändern, die den Kindern der Armen ein menschenwürdiges Dasein erkämpfen wollen, wirklich Verbrecher oder verblendete Wahnsinnige? Kann man einem Manne, dessen ganzes Leben Rechtschaffenheit, Fleiß und Hingabe war, einen Mord zutrauen, nur weil er die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems erkannt hat und es ändern will?“ (SES, 169 u. 171)

Symptomatisch für Zur Mühlens entschiedene politische Einstellung gegen Ende der 1930er Jahre sind zudem David Gordens Äußerungen in der Todeszelle  seinem Anwalt gegenüber, denen gerade nicht entnommen werden kann – wie Wallace meinte –, dass sie bereits 1929 gegen offiziellen ideologischen Ansichten der KPD opponierte und eine weniger starre Einstellung gegenüber der SPD befürwortete (Im Schatten des elektrischen Stuhls, 169 u. 171): „Ich bin nicht allein in der Zelle“, teilt er Mike Rosenfeld mit:

wenn mein nächtlicher Kampf mit dem Grauen beginnt, bin ich nicht verlassen, Gestalten kommen, Hände strecken sich mir helfend entgegen. Ich sehe die Genossen, die in der ganzen Welt Opfer des Klassenkampfes geworden sind. Sie kommen aus ihren Gräbern im blutbefleckten weißen Ungarn, aus den Folterkammern Rumäniens, Bulgariens, aus den Kerkern der deutschen Republik. Schlichte, einfache Seelen, die nur eines kannten, die Befreiung des Proletariats. Und sie sprechen zu mir, sagen: ‚wir sind tot, aber das Volk lebt, und seine Sache ist unsterblichʽ. Die Gefangenen sagen: ‚wir leiden im Kerker, aber draußen in der Freiheit schmiedet das Weltproletariat die Waffe, die unsere Fesseln zerschlagen wird.ʽ Und Tote und Lebendige sprechen: ‚auch du gehörst zu uns, David Gordon. Sei unser würdigʽ.“ (SES, 209)

Typisch für Zur Mühlens klassenkämpferische Einstellung gegen Ende der 1920er Jahre ist ferner der Titel des den Krimi Im Schatten des elektrischen Stuhls abschließenden Kapitels: ‚Dem Morgen entgegenʽ, wo der Erzähler verkündet: „Der erste Sieg war errungen und wahrhaftig, es war kein kleiner Sieg! […] Freilich würde es noch harte, erbitterte Kämpfe geben; aber eine Masse, die einmal den Sieg errungen hat, weiß, daß sie wieder siegen kann, siegen wird.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 244) Und in die gleiche Kerbe – ähnlich Maria Termettas Rede in Abenteuer in Florenz, O’Keefes in EJUS und Dr. Birnbaums in Die weiße Pest – schlägt David Gordons Ansprache nach seiner triumphalen Freilassung,78 die der Erzähler folgendermaßen kommentiert:

Der Frühlingssturm fing die Stimmen auf und trug sie weiter. Sie schienen seine Kraft zu steigern. Ungestüm rüttelte er an dem Gefängnis, an den großen Banken und Geschäftshäusern von Fullersville, so daß ihre Fenster klirrten und ihre Mauern zu wanken begannen. Er trug den Schwur der Arbeiter auf seinen Flügeln durch das ganze Land, peitschte den Ozean auf, daß seine Wellen das Ufer überschwemmten, ein Sinnbild der gewaltigen, unaufhaltsamen Flut, die die alte Welt fortschwemmen wird. (SES, 251)

       Auf dem Höhepunkt seines Erfolges als Verfasser von fünf Kriminalromanen verabschiedete sich Lawrence H. Desberry nach sieben Jahren von seiner Leserschaft, welche über diese Entwicklung ziemlich bestürzt gewesen sein muss; denn im Frühjahr teilte Ludwig Foerster in Die neue Bücherschau (ebd., 284-85) mit, dass der Autor gestorben sei. Allerdings war Zur Mühlens Schaffen als Autorin von Kriminalromanen damit noch nicht beendet, sondern es folgten drei weitere Werke, deren Handlung jedoch ausschließlich im Deutschland der Weimarer Republik spielt, sowie ein letzter, der in Italien angesiedelt war.

Bei Die weiße Pest (WP, 1926), publiziert unter dem Pseudonym Traugott Lehmann,79 handelt es sich einen – im Vergleich zu den fünf Dresberry-Romanen – mehrsträngigen und wesentlichen komplexeren Politkrimi,80 dessen Handlung vom Ausland (England, USA, Italien) ins Inland (Berlin) verlagert wurde,81 allerdings wohl weniger, wie Wallace meinte, weil es Zur Mühlens deutschsprachiger Leserschaft schwer fiel, die Bedeutung der dortigen soziopolitischen Verhältnisse richtig einzuschätzen und auf inländische zu übertragen, sondern eher, um nach dem ‚Todeʽ Desberrys einen neuen Anfang zu machen.

Die Handlung spielt – nach dem Scheitern eines konterrevolutionären Umsturzversuches (vermutlich des Kapp-Putsches im März 1920)  – vor dem Hintergrund der sogenannten ‚Schwarzen Reichswehrʽ, einer illegalen, paramilitärischen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, einerseits den ‚inneren Feindʽ zu bekämpfen, andererseits Vorbereitungen für einen künftigen Krieg gegen äußere Feinde zu treffen (vgl. Sauer). In Zur Mühlens Roman-Version werden vom Berliner Zweig der ‚Schwarze Reichswehr‘ unter Führung von Oberleutnant Gustav von Sanden mit Hilfe einer Gruppe von Vollstreckern Fememorde verübt,82 wobei sich die Handlanger dieser Bewegung aus allen Gesellschaftskreisen zusammensetzen.83 Ferner arbeiten diese Berliner Extremisten eng zusammen mit der ungarischen Baronin Ilona von Szentiványi, einer Kontaktperson der Deutschvölkischen zum ‚Erwachenden Ungarn‘,84 eine Frau, die offenbar den Mördern des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger im August 1921 Fluchthilfe geleistet hatte (WP, 71).

Der Detektivteil des Romans handelt von der gewaltsamen Entführung Georg Dresdes, eines Bauern, der sich einst den Hakenkreuzlern angeschlossen hatte, sich jedoch, nachdem er sich von diesen gelöst hatte, angeblich Belastungsmaterial gegen die ‚Schwarze Reichswehr‘ versteckt hielt und – nach seinem Sinneswandel – auf mysteriöse Weise verschwunden war (WP, 117 u. 122). Die Nachforschungen werden geleitet von Dr. Birnbaum, einem kommunistischen, jüdischen Rechtsanwalt, dem es letztendlich, unter Mithilfe zahlreicher KPD-Mitglieder, gelingt, den Fall aufzuklären. Die Einzelheiten dieser Enthüllungsgeschichte sind ziemlich involviert und können hier aus Platzgründen nicht im Detail geschildert werden.85 Es sei jedoch erwähnt, dass – ähnlich wie in Abenteuer in Florenz – auch in diesem Krimi eine Geheimsitzung der Völkischen und der ‚Schwarzen Reichswehr‘ auf dem abgelegenen Schloss eines Grafen Rowentleh in Mecklenburg stattfindet,86 an der etliche prominente Politiker und Militärs teilnehmen und womit der Höhepunkt des Romans erreicht wird.

       Wie bereits in etlichen Desberry-Krimis zeigt sich auch in diesem Roman zum Abschluss – anlässlich einer längeren, öffentlichen Ansprache Dr. Birnbaums – einmal mehr Zur Mühlens klassenkämpferische Einstellung, womit deutlich wird, dass es sich auch bei diesem Roman um mehr als nur ‚sozialistische Unterhaltungsliteraturʽ (Altner) handelt: „ ‚In früheren Jahrhunderten […]‘ “, so verkündete der Rechtsanwalt, „ ‚pflegten auf große Kriege Seuchen zu folgen, die verheerend im ganzen Land wüteten‘.“

Die schwarze Pest raffte damals Opfer um Opfer dahin. Auch auf den imperialistischen Weltkrieg folgte eine Seuche: die weiße Pest. Sie hat Ungarn und Spanien verheert, wütet in Polen und Italien und auf dem Balkan. Auch Deutschland blieb nicht von ihr verschont. […] Wißt ihr aber auch, was dieser Seuchenherd ist […]? Der Erreger der weißen Pest […] ist das kapitalistische System! Solange es besteht ist eine Gesundung des Landes unmöglich […]. Einzig und allein die Flamme der Tat, einzig und allein die Zerstörung des Seuchenherdes vermag die verhängnisvolle Krankheit aus der Welt zu schaffen. […] Ein Land in Europa ist seuchenfrei, ein Land in Europa befindet sich […] in voller Genesung. Dorthin blickt, wenn euch die Größe der Aufgabe erschreckt. [Z]ögert nicht zu lange, vereinigt euch, geht gemeinsam vor, kämpft, besiegt die weiße Pest!“ (WP, 192-95)

       Bei den drei letzten Kriminalromanen Hermynia Zur Mühlens, veröffentlichte unter ihrem eigenen Namen, handelt es sich nur in zwei Fällen – Schloß Bärenburg (1929) und Marchese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33) – um Erzählungen mit soziopolitischem Hintergrund, wohingegen man es bei Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kriminalroman (1933) mit einer reinen Detektivgeschichte zu tun hat, ohne jedwede politischen Inhalte.

Schloß Bärenburg (Humer, 80-82) schildert den Lebensweg eines deutschen Einwanderers, Jonathan B. Ziegner, in den USA, der es durch regelmäßige Börsenspekulationen auf Baisse an der New Yorker Wallstreet zum Multimillionär gebracht hatte und alles, was mit Bären zu tun hat, hochschätzt. An seinem Lebensabend kehrte er kurzfristig in die alte Heimat zurück und erwarb, unweit von Frankfurt a.M., ein abgelegenes Schloss namens ‚Bärenburgʽ, das er testamentarisch – unter gewissen Auflagen – seinen entfernten Erben vermachte. Nach seinem Tode eröffnete der Testamentsvollstrecker, Dr. Alfred Rosenfeld den versammelten sechs Nachfahren – später stößt noch ein Siebter hinzu – die Konditionen, unter denen diesen jeweils $4 Millionen zustehen würden. Kernpunkt dieser Auflagen besteht darin, dass die Neffen und Nichten – Franz Ziegner, Major a.D., und seine Frau Hildegard; Gustav Ziegner, ein Krämer aus Sachsen, und seine Frau Amalia;  John Ziegner, ein Amerikaner, und seine Frau Lou; Dr. Theobald Ziegner, ein Gelehrter; Frl. Daniela Ziegner; Lilian Stevenson, eine Engländerin; sowie Benno Ziegner, ein Großwildjäger aus Afrika – zusammen auf dem Schloss leben müssen und dieses erst verlassen dürfen, wenn entweder einer von ihnen stirbt oder freiwillig auszieht. Wie nicht anders zu erwarten führen diese Bedingungen relativ schnell zu allen möglichen Reibereien unter den Beteiligten, wobei einige der Bewohner aktiv versuchen, ihre Mitbewohner zum vorzeitigen Auszug zu bewegen. Ohne hier auf alle daraus resultierenden Komplikationen einzugehen, liegt die Betonung des Romans – seit John Ziegners Entdeckung, dass sein Frau Lou, trotz weißer Hautfarbe, negroider Abstammung ist – auf Rassenproblematik; denn es stellt sich heraus, dass Lous Mann ein Rassenfanatiker und Mitglied des Ku-Klux-Klan ist und sich in den Südstaaten einmal sogar an einem Lynchmord beteiligt hatte. Im Laufe der fortschreitenden Handlung wird John Ziegner dann ermordet, und es bleibt Benno und Lilian Ziegner vorbehalten, detektivisch den Schuldigen zu entlarven, wobei sich letztendlich herausstellt, dass Lou Ziegner die Täterin war, die ihren Mann im Affekt getötet hatte, als dieser drohte, ihr noch ungeborenes Kind umzubringen. Allerdings wird der Mord Dr. Theobald Ziegner, einem Hochstapler, angelastet, dem es jedoch gelingt, rechtzeitig zu entkommen. Das Schloss erbt schließlich die Krämerfamilie aus Chemnitz, womit auch der einzige politische Aspekt des Romans, die Fahnenfrage – Gustav Ziegner ist Republikaner und möchte eine schwarzrotgoldene Flagge hissen, was ihm vorher vom Monarchist Franz Ziegner verwehrt worden war – gelöst wird.

Mit Schloß Bärenburg, so der Gesamteindruck, gelang ein relativ spannender, gleichwohl etwas seichter Krimi, bei dem vorwiegend die Wiederherstellung des familiären Zusammenhalts wichtig ist (Humer, 82). Sein einziges ernsthaftes Thema ist darüber hinaus die Rassenfrage ist, um die dann die eigentliche Detektivgeschichte kreist.

Aus: Der Kuckuck, 9.10.1932, S. 10

Von ganz anderem Kaliber ist hingegen Marchese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33), ein zweisträngiges Werk, in dem Zur Mühlen einen modernen Frauenroman mit einem Politkrimi kombinierte (Humer, 82-84) und der in der Wiener sozialdemokratischen Zeitschrift Der Kuckuck erstmals zum Abdruck kam. Die Handlung spielt – nach kurzen einleitenden Episoden in Berlin, Paris und Palermo – 1931 auf einer winzigen Insel im Tyrrhenischen Meer namens Theonisi, d.h. Insel der Götter. Ein verarmter, sizilianischer Aristokrat, der Marchese Carmelo Assunto, heiratet Helene Rhoden, eine reiche deutsche Erbin, „hübsch, etwas unpersönlich, kalt, geschlechtslos, wie so viele junge Mädchen der Nachkriegsgeneration, schlank wie ein Knabe“ (Kpt. 1). Zeitgeschichtlicher Hintergrund ist der Konflikt zwischen dem faschistische Regime Mussolinis und einer 1929 gründeten antifaschistischen italienischen Widerstandsbewegung, der ‚Giustizia e Libertà‘, welcher sich auf Sizilien große Teile der Bevölkerung – u.a. auch die Aristokratie – angeschlossen hatten, so etwa ein Cousin des Marchese, der Conte Guido. Mussolini bekämpfte diese Bewegung bis es ihm gelang, sie in die Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen. Auf dem Höhepunkt der Romanhandlung schickt die sizilianische Regionalregierung per Flugzeug einen regimetreuen Leutnant auf die abgelegene Insel, um Belastungsmaterial gegen den Conte Guido habhaft zu werden, dem die Deportation auf die Pontinischen Inseln im Tyrrhenischen Meer drohte, wo sich damals das wichtigste Konzentrationslager des faschistischen Regimes für politische Gegner befand. Der Soldat kommt jedoch auf mysteriöse Weise ums Leben, weshalb sich der Roman ab Kapitel 10 mit der Aufklärung des angeblichen Verbrechens beschäftigt, woran vor allem Conte Benedetto, ein Onkel des Marchese, sowie eine Halbschwester Helenes, Nina Rhoden, beteiligt sind.

Parallel zu dieser Detektivgeschichte87 schildert die Autorin das Ehedrama zwischen Carmelo Assunto und Helene Rhoden; denn für letztere zählt lediglich Geld: sie hat sich im Grund ihren Mann, eine sarazenische Schönheit, gekauft, möchte  ihr gewohntes luxuriöses, Leben weiterführen und kann sich nur schwer den örtlichen Verhältnissen anpassen. Auch  zeichnet sie sich durch Naivität aus und zeigt anfänglich wenig Verständnis für die  politischen Verhältnisse im faschistischen Italien:

Es wurde geschrien und gelacht und getobt, die Zeitungen schrieben lange Artikel, die einander widersprachen, die Rechtsradikalen brachten Linksradikale um und umgekehrt – und schließlich blieb dann doch immer alles beim Alten, schließlich geschah dann doch immer das, was die Wirtschaftsführer wollten. Daheim war auch nie von Politik die Rede gewesen […]. Aber hier spielte diese dumme Politik ins tägliche Leben hinein; aus irgendeinem Grunde fand Helene das vulgär; vornehme Menschen kümmern sich doch nicht um so etwas. (Kpt. 7)

Ihre Einstellung ändert sich jedoch allmählich im Zuge der behördlichen Ermittlungen über Leutnant Carneros Tod und infolge der Verhaftung ihres Mannes sowie des Conte Guido:

Jetzt sitzen Menschen im Theater und lassen sich durch eine erdachte Tragödie erschüttern und wissen nicht, wie viele wahre, wirkliche Tragödien sich in dieser Stunde abspielen. Jetzt tanzen Menschen in hellerleuchteten Tanzdielen, eine barbarische Musik tönt grell durch den Raum, und die Menschen lachen. Jetzt grübeln Politiker über neue Schachzüge, neue Auswege. Jetzt sitzen Menschen in einer engen Stube, hungrig, verzweifelt und fragen: wovon werden wir leben? Jetzt stöhnen Kranke in ihren Betten und sehnen den Morgen und die Genesung herbei, und in Spitälern wird vor ein Bett ein Wandschirm gestellt, damit ein Mensch ohne Zuschauer sterben kann. Es war, als ob vor ihren Augen ein Schleier gerissen wäre, sie sah die Welt, sah das Grauen der Welt, das Toben der Welt, sah die Ferne und nicht die große Flügeltür, hinter der Carmelo verschwunden war. (Kpt. 11)

Und letztendlich ringt sich Helene zu der Erkenntnis durch:

Auch ich bin aus meiner Bahn geschleudert […]. Aus dem sicheren Alltagsleben, dem Einerlei des Reichtums. Es gibt Stunden, da das Geld keine Rettung bedeutet, keinen festen Halt.  Es gibt Stunden, da wir hilflos sind wie ein neugeborenes Tier, wir suchen nach einer Stütze, nach Hilfe, aber niemand kann sie uns geben, niemand – außer wir selbst. Wir müssen in uns die Kraft finden, sonst sind wir verloren. (Kpt. 11)

Das angebliche ‚Verbrechenʽ wird schließlich aufgeklärt: es handelte sich lediglich um einen Unglücksfall; die Terrasse hatte nämlich, so aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen, wie große Teile der Insel einen vulkanischen Untergrund – der Stromboli ist nicht weit entfernt –, und zu gewissen Tageszeiten stiegen giftige, tödliche Dämpfe aus der Erde hoch (Kpt. 17). Am Ende versöhnen sich die Eheleute, und der Roman mündet in ein Happy End (Kpt. 18).88 das allmähliche Zusammenfinden Carmelos und Elenas“.]

Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kriminalroman (1933) ist Hermynia Zur Mühlens letzter Detektivroman, entstanden, als sie Deutschland bereits verlassen hatte und in ihre österreichische Heimat zurückgekehrt war. Es handelt sich daher – ähnlich dem 1935 in Wien veröffentlichte Roman Unsere Töchter, die Nazinen – um kein Exildokument, wie des Öfteren behauptet,89 und es fehlen zudem jedwede politischen Aspekte.90

Ein Pfarrer aus einem abgelegenen Gebirgsdorf stattet seinem Neffen, dem Redakteur Erich Schap, einen alljährlichen Besuch in München ab. Als er mit dessen Radio spielt, hört er zufällig die Schlussworte einer Rede und glaubt die Stimme des Sprechers zu erkennen; denn vor geraumer Zeit hatte ein Mann im Beichtstuhl des Pfarrers den Mord an drei Personen angekündigt, um an deren Besitztum zu gelangen. Der Pfarrer setzt, durch den Radiovortrag an die Stimme erinnert, nunmehr sämtliche Hebel in Bewegung, um den potentiellen Mörder ausfindig zu machen und dessen geplanten Morde zu verhindern. Sein Neffe setzt ihn deshalb mit Hugo Brand in Verbindung, einen Hansdampf in allen Gassen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Sorgen möglichst vieler Mitmenschen zu lindern. Gemeinsam machen Brand und der Pfarrer sich sodann daran, ausfindig zu machen, wessen Stimme es gewesen sein könnte, die der Geistliche kürzlich erneut im Radio gehört hatte. Und nach Ausschluss anderer Verdächtiger konzentrieren sich die Ermittlungen des Hobbydetektivs Brand schließlich auf zwei Ärzte: den in Breslau ansässigen Dr. Mühlmann sowie den in München praktizierenden Dr. Scholz, beides hervorragende Mediziner aus ärmlichen Verhältnissen, die sich unter Einsatz des Vermögens ihrer jeweiligen Gattin zu anerkannten Koryphäen hocharbeiten konnten. Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu können, sei vermerkt, dass es Brand und dem Pfarrer gelingt, den Täter zu überführen und zwei weitere Morde zu verhindern, wobei von Interesse sein dürfte – da das Thema ‚fake newsʽ heutzutage in aller Munde ist –, dass Brand – unter Hinweis auf das damals relativ neue Massenmedium Radio – dem Wunsch Ausdruck verleiht, dieses seinerseits, statt für kriminelle, zukünftig für wohltätige Zwecke nutzen zu können: „ ‚Auch ich‘,“ meint er „ ‚möchte durch das Radio eine Botschaft senden, eine Botschaft an die ganze Welt: gebt nicht zu, daß Not und Elend die Menschen zu Verbrechern machen‘.“ (Die Jagd nach Welle X, 74)


7. Autobiografische Romane

Hatte sich Zur Mühlen 1929 also im letzten Desberry-Krimi, Im Schatten des elektrischen Stuhls, noch sehr klassenkämpferisch gezeigt, so machte sich während des Zeitabschnitts 1929 bis 1933 eine allmählich Entfremdung vom Kommunismus bemerkbar, und die Autorin verfasste in diesen drei Jahren lediglich ihre Autobiographie Ende und Anfang (1929) sowie zwei autobiographische Romane: Das Riesenrad (1932) und Reise durch ein Leben (1933).

Obwohl sich erste Zweifel am Kommunismus bereits in ihrem ‚Lebensbuchʽ91 abzuzeichnen begannen, die dann letztendlich 1932 zum Bruch mit der KPD und wahrscheinlich sogar zu ihrem Austritt aus dem BPRS Aus: Die Rote Fahne, 9.2.1930, S. 8 In der Frühphase der KPÖ nach 1918-19 formierte sich zunächst weniger um die ehem... führten, lag das Hauptaugenmerk in Ende und Anfang trotzdem noch auf Zur Mühlens Bekenntnis zum Sozialismus (Wallace, S. 138), eine Entwicklung, die, selbst nachdem sie dem Kommunismus den Rücken gekehrt hatte, nicht abriss und die gegen Mitte der 1930er Jahre im ‚Volksfrontʽ-Gedankens ihres Hauptwerk, Unsere Töchter, die Nazinen (1935), Ausdruck fand (Wallace, S. 95). Da Ailsa Wallace Ende und Anfang in ihrer Monographie ein ganzes Kapitel gewidmet hat (Wallace, 131-54; vgl. auch Altner [1997], 124-29), soll an dieser Stelle lediglich auf zwei autobiographische Romane Zur Mühlens aus den frühen 1930er Jahren eingegangen werden, und dabei speziell auf Reise durch ein Leben, weil sich hierin ihre Abwendung vom Kommunismus besonders gut nachvollziehen lässt.92

Dieser dreiteilige Roman schildert den Lebensweg einer Aristokratin, der Gräfin Erika von Rautenberg,93 von ihrer behüteten Jugend auf dem Anwesen der Großmutter in Österreich – ähnlich Hermynia Zur Mühlens Kindheit in Gmunden –, über die Ehe mit und Trennung von Dr. Georg Steinbach, einem bürgerlichen deutschen Rechtsanwalt aus Mainz, bis zu ihrer späteren Rückkehr. Dabei liegt die Betonung dieses fiktionalen, jedoch in vieler Hinsicht autobiographischen Berichts über eine junge Frau insbesondere auf zwei Aspekten: einerseits dem Anti-Kriegsthema, andererseits auf der Abkehr der Protagonistin vom Kommunismus.

       Der Erste Weltkrieg, den die Protagonistin teils in Vitznau am Vierwaldstädtersee in der neutralen Schweiz erlebte und der ihrem Cousin und einstigen Liebhaber, dem Grafen Nicki von Gaschin, den Heldentod bescherte, spielt in Reise durch ein Leben eine zentrale Rolle, indem darin die pazifistische Einstellung der Autorin ein Echo findet (RL, 295ff.). Die Handlung erstreckt sich von der Vorkriegszeit – teils präzise datiert –, während der Erika in der internationalen Presse die allgemeine Kriegshetzerei verfolgt, über die Kriegsjahre, die sie in Zürich verbrachte und die für sie auf ein einziges „gigantisch[s] Warum“ (RL, 310) hinausliefen, bis in die Nachkriegszeit. Die Problematik von Erikas Existenz am Ende dieses Zeitabschnitts thematisiert Zur Mühlen in zwei Gesprächen im Schlüsselkapitel ‚Die andere Weltʽ (RL, 319-28): einerseits mit Betty, einer ehemaligen Freundin der Protagonistin – vormals verehelicht mit einem ältlichen adeligen Gesandten und nun verwitwet –, andererseits mit einer russischen Kommunistin, Marsa Alexandrowna. Während Betty ihre einstige Bekannte in die gehobenen Gesellschaft zurückholen und zu diesem Zweck mit einem Grafen Gregopulos verkuppelt möchte, durchschaut die Russin die Lebensproblematik Erikas, deren ‚Halbheitʽ, und sagt ihr auf den Kopf zu: „ ‚Ich fürchte, […] Sie werden immer zwischen zwei Welten lebenʽ.“ (RL, 323) Es ist in dem Streitgespräch mit der Russin, dass sich Erikas Abkehr vom Kommunismus – und damit die damalige Haltung der Autorin – besonders deutlich nachvollziehen lässt. Denn während Erika weiterhin den Tod Nickis beklagt, betont die Kommunistin: „ ‚Wir haben keine Zeit, um [um] Einzelne zu trauern. Der Mensch, das Ich, ist nichts, die Sache, das Wir, ist allesʽ “ (RL, 324), um dann anschließend den – wie sie meint – fehlgeleiten Idealismus ihrer aristokratischen Bekannten zu verurteilen:

Ich weiß. Sie möchten hinter einer wehenden Fahne herlaufen und Ihr Leben aufs Spiel setzen. Sie täten es auch, davon bin ich überzeugt. Aber die tägliche [politische] Kleinarbeit, die ermüdet und langweilt, das ist nichts für Sie. Und gerade darauf kommt es an. (RL, 325)

Gerade damit bringt Mafsa Alexandrowna jedoch die ideologische Problematik Hermynia Zur Mühlens zu Beginn der 1930er Jahre auf den Punkt; denn fast alle ihre während der 1920er Jahre entstandenen Märchen, Erzählungen und Kriminalromane sind genau von diesem Idealismus durchtränkt, wohingegen die politische Praxis der KPD, vor allem während der Endzeit der Weimarer Republik, ihr nicht besonders behagt zu haben scheint. 

Den Bericht über Zur Mühlens Werke zwischen Ende des 1. Weltkrieges und dem Ende der Weimarer Republik abschließend soll jetzt noch kurz auf ihren anderen autobiographischen Roman, Das Riesenrad, eingegangen werden, der ein Jahr vor Reise durch ein Leben erschienen war. Bei diesem Werk Zur Mühlens – noch in Deutschland publiziert, aber dann verboten – handelt sich um eine Art von Bildungsroman, in dessen Zentrum die Komtesse Marie-Madeleine von Finkenfeld steht, einem kränkelnden, aristokratischen Backfisch, die – ähnlich der Autorin selber – nach dem Tode ihrer Großmutter bei zwei Tanten auf einem Gut in Österreich aufgewachsen war. Die Handlung dürfte um Mitte der 1920er spielen, auf jeden Fall nach Mitte 1924, da an einer Stelle der im Juni dieses Jahres von Faschisten ermordete italienische Sozialistenführer Giacomo Matteotti Erwähnung findet, womit die Diktatur Mussolinis eingeläutet wurde.94 Madeleines Vater, Graf Josef von Finkenfeld, k.u.k. Diplomat im Ruhestand, reist mit seiner Tochter nach Cannes, wo er und seine entfremdete Ehefrau wegen des angeschlagenen Gesundheitszustandes ihrer Tochter den Winter und das Frühjahr verbringen. Während eines halben Jahres an der französischen Riviera lernt das weltfremde, in einer Klosterschule aufgewachsene vierzehnjährige Mädchen das ‚Leben‘ in all seinen Schattierungen kennen und wird allmählich auch vertraut mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, denen ihr Vater folgendermaßen Ausdruck verlieh: „ ‚Die Aristokraten sterben aus, aber sie sterben nicht; sie leben als Bürger weiter‘.“ (RR, 33) Generell spiegelt dieser Roman – dessen Plot im Vergleich zu fast allen vorangegangenen Werken Zur Mühlens bei weitem nicht so agitatorisch wirkt95  – das Auf und Ab des Lebens wider, welches in Tante Tutzis Metapher vom ‚Riesenrad‘ seinen Niederschlag findet:

[…] das Leben ist ein bißchen wie das Riesenrad [im Wiener Prater; JT]. Einmal ist man oben und kann der ganzen Welt auf den Kopf spucken, dann dreht sich das Rad, und man ist wieder unten, und alle treten auf einem herum. (RR, 70)

Insgesamt hatte Wallace hinsichtlich dieser beiden autobiographischen Werke Zur Mühlens somit sicher recht, als sie betonte, dass diese relativ wenig gemeinsam haben mit früheren sozialkritischen Romanen wie etwa Licht (1922) – ein Werk, das übrigens von der Kritikerin in ihrer Abhandlung nicht berücksichtigt wurde:

Although both novels portray critically a society in transformation and the waning importance of the aristocracy they are not driven by a call for revolution and the dictatorship of the proletariat. (Wallace, 119-20)

8. Schlussbemerkung

Es handelt sich hierbei also – wie bereits oben erwähnt – um ein deutliches Zeichen der wandelnden politischen Einstellung der Autorin zu Beginn der 1930er Jahre. Bis zu diesem Zeitpunkt traf auf Hermynia Zur Mühlen allerdings zweifelsohne genau das zu, was sie bereits 1919 an dem belgischen Maler Franz Masereel (1889-1972) gelobt hatte: dass dieser nämlich zu jenen Künstlern gehöre, „denen Kunst gleichbedeutend mit sozialer Verpflichtung ist“. (Zur Mühlen: ‚Franz Maseereel‘, 351) Und in diesem Sinn sei abschließend – leicht gekürzt – ihre Kurzgeschichte ‚Die Treppe‘ zitiert, da dort genau diese Einstellung Widerhall findet:

Wir sind die Treppen, verbinden das Oben und Unten, das Hohe und Tiefe. Viele Füße treten auf uns, viele Schritte fallen auf uns nieder, leichte und schwere, frische und müde. Zarte Schuhe huschen über uns, schwere, abgenützte Stiefel stapfen auf unseren Steinen. […] Wenn die Schatten fallen, kehren die Schritte zurück. Auf den weichen Teppichen leicht und beschwingt, auf den Steinen schleppend, erschöpft. Die Stufen, auf denen Teppiche liegen, führen in schöne Räume, wo herrlich gedeckte Tische harren, dort rasten die Reichen – vom Nichtstun. Die Steinstufen führen in kalte, enge Stuben, dort harrt der Arbeitsmüden neue Arbeit, kärgliches Essen, und in der Ecke lauert die Sorge. Wir sind die Treppen, verbinden das Oben und Unten, das Hohe und Tiefe. Einmal kommt der Tag, da der arbeitsmüde Fuß auf den Teppichen stehen bleibt, da der Arbeitserschöpfte, rastfordernd in die schönen Gemächer dringt; da der Hunger sich an den gedeckten Tisch setzt. Einmal kommt der Tag, da ein neuer Simson, dessen Hand aus Millionen Händen, dessen Kraft aus Millionen Kräften besteht, die Säulen des Baus niederreißt, das Oben in Unten, das Hoch in Tief verwandelt. Dann werden beschwingte Füße der Freien über uns schreiten, dem Glück entgegen. (Zur Mühlen: ‚Das Lied der Treppen‘, 1)


Literaturverzeichnis

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  1. Hermynia Zur Mühlens Großmutter mütterlicherseits (†1900) stammte aus englischen Adelskreisen und ver­mit­telte ihrer Enkelin Englisch als Muttersprachlerin.

  2. Hier entstanden die ersten beiden Kurzgeschichten Hermynia Zur Mühlens, die jeweils in der Meraner Zeitung veröffentlicht wurden (vgl. Hermance Duval: ‚Ein Märchenʽ, bzw. dies.: ‚Marokkoʽ).

  3. Aus diesem Grund schrieb sie das Wort ‚zurʽ in Zukunft mit einem großen Anfangsbuchstaben.

  4. Vgl. dazu Stefan Kleins Übersetzungen, so etwa von Szucsich: Silvanus – Siebzehn Märchen aus dem Un­­ga­ri­schen sowie Illés: Rote Märchen Sechs Märchen aus dem Unga­ri­schen; s. auch Schlossers Online-Eintrag: ‚Stefan I. Kleinʽ; s. ferner ‚Stefan Isidor Klein: Bib­lio­graphie sei­ner Übersetzungenʽ, in Altner (1997), S. 247-50, so­wie Reitz: ‚Verzeichnis der Übersetzungen Stefan Isidor Kleinsʽ, S. 122.

  5. Vgl. hierzu u.a. die Rolle von Lene Selder in Der Tempel sowie auch die von Helene Rhoden und ihrer Halb­schwe­ster Nina in Zur Mühlens Roman Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld.

  6. Vorabdruck in der saarländischen Zeitung Deutsche Freiheit vom 20.6.1934 bis zum 16.8.1934.

  7. Der die Trilogie abschließende dritte Roman dessen angeblicher Titel Because We Are Patchwork lautete ist verschollen (vgl. dazu das Kapitel ‚Flickwerkʽ, in Reise durch ein Leben, S. 347-50)

  8. Nobelpreis 1932.

  9. Symposium: ‚Roter Adel und Hochverrat. Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) und ihr Kampf um eine ge­sell­schaftsverändernde Literaturʽ, Wien, November 2008; vgl. dazu auch Blumesberger (Hg.): Handbuch der öster­reichi­schen Kinder- und Jugendbuchautorinnen Bd. 2, S. 1320-29.

  10. Vgl. Blumesberger / Thunecke (Hg.): Die rote Gräfin: Beiträge zu Leben und Werk Hermynia Zur Mühlens in der Zwi­­­schen­kriegszeit.

  11. Zürich: Rascher 1918.

  12. Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Altner (1997), S. 221-24.

  13. Vgl. dazu Rösler: A Labor of Love. Übersetzung im Spannungsfeld von Politik und Ästhetik, insbes. das Kapitel ‚ „Com­mon work for a common cause“: Zusammenarbeit und Zerwürfnis‘ (S. 19-28).

  14. König Kohle (Zürich: Internationaler Verlag 1918) bzw. Jimmie Higgins (Potsdam: Kiepenheuer 1919).

  15. Laut Schulz (S. 50-74) übersetzte Zur Mühlen folgende Werke Upton Sinclairs: König Kohle (1918), Jim­my Higgins (1919), 100% (1921), Prinz Hagen (1921), Das Buch des Körpers (1922), Das Buch des Lebens (3 Tl; 1922), Der Liebe Pilgerfahrt (1922), Das Haus der Wunder (1922), Man nennt mich Zimmermann (1922), Skla­verei (1923), Der Parademarsch (1924), Der Fassadenkletterer (1924), Der Sumpf (1924), Samuel der Su­chen­de (1924), Der Industriebaron (1925), Der Rekrut (1925), Die Hölle (1925), Die Metropole (1925), Die Wechs­ler (1925), Nach der Sintflut (1925), Petroleum (1927), Prä­si­dent der U.S.A. (1927), Singende Gal­gen­vögel (1927), Die Goldne Kette (1928). Insgesamt publizierte der Malik Ver­lag zwischen 1921 und 1938 32 Ti­tel von Upton Sinclair.

  16. Hermynia Zur Mühlens letzte Übersetzung beim Malik Verlag war Upton Sinclairs Werk Mam­mon­art, dt. Die Goldne Kette (1928).

  17. Boston wurde letztendlich von Paul Baudisch (1899-1977) übersetzt.

  18. Laut Rösler (S. 21) war von ‚ideologischem Ausverkauft‘ die Rede.

  19. Man beschuldigte Hermynia Zur Mühlen u.a., Upton Sinclairs Werke ungenau und fehlerhaft übersetzt zu ha­ben.

  20. Vgl. dazu Grünzweig / Schulz (Hg.), S.68-69; s. ferner das Kapitel ‚Malikʽ in Altner (1997), S.70-90, dort insbes. S. 76-90.

  21. Vgl. dazu das Kapitel ‚Märchenʽ bei Altner (1997), S. 91-107; das Kapitel ‚Die Maerchenbuchautorin Hermy­nia Zur Muehlenʽ in Matt, S. 43-56; Plat­zer, insbes. Kapitel. V, S. 31-85; Steffen, S. 36-37 u. S. 40-42, so­wie das Ka­pitel ‚Happily Ever After …?ʽ in Wallace, S. 28-52.

  22. Gossman (in seiner Einleitung zu ‚The Red Countess‘, hier S. 62) meinte, dass für Hermynia Zur Mühlen Märchen-Veröffentlichungen „were (…) both a source of much needed income and a contribution to a cause (…).

  23. Zur Mühlens: Märchen, darin vier Mär­chen: ‚Der Rosenstockʽ, ‚Der Spatzʽ, ‚Der kleine graue Hundʽ u. ‚Wa­rum?ʽ; vgl. dazu auch das Kurzmärchen ‚Die Mauer‘, in: Die Rote Fahne (Wien), Jg. 5, Nr. 831 (27.1.1922), S. 2.

  24. Zur Mühlens: Ali, der Teppichweber, darin fünf Märchen: ‚Ali, der Tep­pich­weberʽ, ‚Der Störenfriedʽ, ‚Der Knechtʽ, ‚Die Brilleʽ u. ‚Aschenbrödelʽ.

  25. Zur Mühlens: Das Schloß der Wahrheit, darin zehn Märchen: ‚Der Zaunʽ, ‚Die Affen und die Peitscheʽ, ‚Das Schloß der Wahrheitʽ, ‚Die Bundesgenossinʽ, ‚Der Drosch­ken­gaulʽ, ‚Die Wundermauerʽ, ‚Der Besenʽ, ‚Nacht­ge­sichtʽ, ‚Die drei Freundeʽ u. ‚Die Brückeʽ.

  26. Zur Mühlens: Es war einmal … und es wird sein, darin ledig­lich ein neues Märchen: ‚Die rote Fahneʽ; in Die Schmiede der Zukunft wur­den lediglich bereits früher publizierte Märchen Zur Mühlens erneut abgedruckt.

  27. Laut Dolle-Weinkauff, S. 117 war Edwin Hoernle Mit­­glied des Reichsbildungsausschusses der KPD.

  28. Altner (1988, S. 18) schrieb dazu: „Ein wesentlicher Teil der massenpolitischen Arbeit der KPD bestand darin, die Jugend zu gewinnen und politisch aufzuklären. Die Kinder- und Jugendliteratur war ein wichtiges Mittel dazu.“

  29. Abgedruckt in Teil 2 (Die Arbeit in den kommunistischen Kindergruppen) des Sammelbandes der Arbeiten Edwin Hoernles (Grundfragen proletarischer Erziehung, S. 167-254, hier S. 223); Altner (1988, S.10) meinte da­zu: „Die Jugend für die Re­volution zu begeistern, erkannte er (Hoernle; JT) als historische Aufgabe, die den gesell­schaftlichen Fortschritt ver­bürgt.“

  30. Laut Dolle-Weinkauff (S. 113) erschienen allein bis 1925 an die zwanzig Märchenbände ver­schie­de­ner Autor­Innen.

  31. Ebd., S. 112; vgl. dazu auch das ‚Nachwort‘ in Die rote Fahne. Revolutionäre Märchen (S. 45), wo es u.a. heißt, Zur Mühlen habe in ihren Märchen versucht, „wesentliche Widersprüche der ka­pi­t­ali­stischen Gesellschaft sinnlich – und durch die Märchensituation verfremdet – darzustellen.“

  32. Vgl. dazu Thunecke: ‚ „Charming stories, full of fantasy and humor, yet with the firm undertone of pro­letarian life running through them“.ʽ, S. 73-97.

  33. Vgl. dazu Glattauer (S. 275-76): „Allen Mär­chen Zur Mühlens ist die Aussage gemeinsam, dass die Reichen die Macht, aber nicht das Recht haben. Man soll sie nicht als Autorität anerkennen und ihnen den Gehorsam ver­wie­gern. Das ist mit Gefahren und Schmerzen für den Einzelnen verbunden, aber Solidarität wird zum Ziel führen.“

  34. Das Schloß der Wahrheit, hier ins­bes.: ‚Der Zaunʽ, ‚Die Affen und die Peitscheʽ, ‚Das Schloß der Wahheitʽ, ‚Die Wundermauer‘ u. ‚Die Brü­ckeʽ.

  35. Der Tempel (1922), Licht (1922), Das Riesenrad (1932), Reise durch ein Leben (1933).

  36. Vier Erzählungen: Schupomann Karl Müller (1924), Der Deutsch­völkische (1924), Kleine Leute (1925) und Lina. Erzählung aus dem Leben eines Dienstmädchens (1926) sowie den Erählband Der rote Heiland (1924).

  37. Desberry: Der blaue Strahl (1922), An den Ufern des Hudson (1925), EJUS (1925), Abenteuer in Florenz (1926), Im Scha­t­ten des elektrischen Stuhls (1929); Lehmann: Die weiße Pest (1926); Zur Mühlen: Schloß Bärenburg (1929), Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33), Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kriminalroman (1933).

  38. Sie lasen u.a. Das unterirdische Russland. Revolutionäre Porträts und Skizzen aus der Wirk­lichkeit (1884) von Sergei Michailowitsch Krawtschinski (1851–1895), besser bekannt unter dem Kampf­namen Stepniak (‚Steppen­sohn‘), ein russischer Revolutionär, bekannt geworden durch die Ermordung des za­ri­stischen Polizeichefs von St. Petersburg 1878 (vgl. Der Tempel, S. 50).

  39. Letzter war vier Jahre in der Schlüsselburg (russisch ‚Shlisselburg‘) inhaftiert gewesen, einem notorischen zari­sti­schen Ge­fängnis auf einer Newa-Insel, östlich von St. Petersburg (vgl. ebd., S. 90).

  40. Die Lebensgeschichte Gioia von Stramwitz’ hat stark autobiographische Züge und erinnert an Hermynia Zur Mühlens eigene Ehe mit und Trennung von dem baltischen Baron Victor von zur Mühlen.

  41. Sergei Dmitrijewitsch Sasonow (1860–1927) war ein russischer Diplomat und Außenminister; Iwan Plato­no­witsch Kaljajew (1877-1905) war ein russischer Dichter, Terrorist und Mitglied der Sozialrevolutionäre. Er ver­üb­te 1905 ein Attentat auf den Großfürsten Sergei Alexandrowitsch Romanow und wurde dafür hingerichtet (vgl. Der Tempel, S. 72).

  42. Lenin und Trotzki finden hier Erwähnung (vgl. Der Tempel, ­S. 143).

  43. Einmal mehr ist Anatol Silberblatt Zur Mühlens Sprachrohr für die politischen Verhältnis zu Beginn der Weimarer Republik, indem er seinen Mitgenossen vorhält: „Ihr vergeßt immer wieder, wer heute die Macht an sich gerissen hat. Unbedeutende, verbürgerte Leute, die sich zum erstenmal groß und wichtig vorkommen. Die wer­den an der Macht festhalten, (…) werden mit der Bourgeoisie paktieren, mit dem Militär, alles tun, um an der Spitze zu bleiben.“ (Der Tempel, S. 140)

  44. Wenige Tage nach der Niederschlagung des Januaraufstands verhafteten Frei­korps­soldaten am 15. Ja­nuar 1919 die Führer des Spartakabundes, Karl Liebknecht (1871-1919) und Rosa Luxemburg (1871-1919) in Ber­lin und ermordeten sie.

  45. Vgl. dazu Rühl, insbes. das Kpt. ‚Die Barbarei der Kinderarbeitʽ (S. 270-95).

  46. Die siegreichen Arbeiten ziehen ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, / Brüder, zum Lichte emporʽ singend zum Ge­­­­­­­fängnis, wobei es sich um die deutsche Nachdichtung des russischen Arbeiterliedes ‚Смело, товарищи, в ногу!ʽ (‚Tapfer, Genossen, im Gleichschrittʽ) handelt, das 1895/96 von Leonid Petrowitsch Radin im Moskauer Ta­ganka-Gefängnis gedichtet wurde. (vgl. Licht, S. 160) Allerdings handelt es sich hierbei um einen Ana­chro­nis­mus, da die deutsche Version des politischen Liedes ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheitʽ, eines der be­kann­­testen Lie­­­der der Arbeiterbewegung, erst 1920 von dem Dirigenten Hermann Scherchen, in Anlehnung an das russi­sche Re­volutionslied, komponiert wurde.

  47. Vgl. dazu auch die Licht- und Dunkel-Metaphorik in Zur Mühlens Hörspiel Der Scheiterhaufen (s. Kreuzer, S. 324).

  48. Interessanterweise zeichnet sich auch in dieser frühen Erzählung bereits eine ausgeprägte feministische Ten­denz ab; denn nicht die Männer sind hier die treibenden klassenkämpferischen Kräfte, sondern zudem drei Frau­en: Mar­tha Huber, ihre Schwiegermutter, Frau Grammel, sowie ihre Freundin Trude.

  49. Altner (1997), S. 109; s. dazu auch Steffen, S. 36-37 u. S. 40-42, sowie Zur Mühlens eigenen Kommentar in ‚Selbst­bio­gra­phieʽ, S. 184f.

  50. Vgl. dazu Thunecke: ‚Die rote Gräfin klagt an: Anmerkungen zu Texten aus Hermynia Zur Mühlens Sammel­band Der rote Heiland (1924), Vortrag im Rahmen eines Symposiums ‚Roter Adel und Hochverrat. Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) und ihr Kampf um eine gesellschaftsverändernde Literaturʽ in Wien im November 2008 (s. Anm. 9).

  51. Vgl. dazu auch Zur Mühlens Kurzgeschichte ‚Die Räterepublik im Himmel‘, worin der Heilige Vater zwar das Programm und die Taktik des Heilands billigt, ihn jedoch für einen schlechten Organisator hält und deshalb Petrus’ Empfehlung akzeptiert, kürzlich ermordete Münch­ner Revolutionäre zu verwenden, um im Himmel eine Räte­republik zu errichten; s. dazu ferner Zur Mühlen: ‚Tod dem Bourgeois!‘, wo es abschließend heißt: „Darum: Tod und Vernichtung dem Bourgeois! Vor allem aber dem Bourgeois in uns selbst, dem gefähr­lichsten Helfeshelfer des anderen!“

  52. Fähnders / Karrenbrock schreiben dazu in ‚Proletarisch-re­vo­lu­tionäre Literatur und Ar­beiterdichtungʽ (S. 26): „Vor allem die einflußreiche Feuil­le­ton­redakteurin des KPD-Zentral­or­gans ‚Rote Fahneʽ Gertraud Alexander (1882-1967) sprach sich für das fortschrittliche Erbe aus. In der Kunst­lumpen-Auseinandersetzung warf sie den Kriti­kern des Erbes ‚Vandalismusʽ vor, und in ihren lite­raturkritischen Arbeiten empfahl sie, hier durchaus in der Tradition von Franz Mehring stehend, die Aneig­nung der deutschen Klassik (…).“; s. dazu auch den Kommentar in Fähnders / Rector (Hg.): L­i­te­ratur im Klassenkampf (S. 224): „1920-1924 maßgebliche Redakteurin des Feuil­letons der ‚Rote Fahneʽ, das seit Mitte 1920 regelmäßig erschien.“ Gertrud Alexander selbst schrieb in einem Beitrag der Roten Fahne im Jahre 1920 zum Thema ‚proletarisches Theaterʽ (was man auf andere literarische Be­­reiche ver­all­ge­meinern kann): „Der Name Theater aber verpflichtet zur Kunst, zu künstlerischer Leistung! (…) Kunst (ist) ei­ne zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für plattestes Propagandamachwerk herge­ben dürfte.“ (abge­druckt bei Fähnders / Rector, S. 208).

  53. Zur Mühlen: Der rote Heiland (Leipzig: Die Wölfe, 1924); das Thema vom ‚roten Heilandʽ wird in Zur Mühlens Romans Licht (S. 118) vorweggenommen (s. dazu Der rote Heiland. Novellen von Her­my­nia Zur Mühlen).

  54. Vgl. dazu Die Erde 1 (1.7.1919), 13, S. 406-09.

  55. Altner (1997), S. 108; vgl. dazu neuerdings auch Wallace (S. 20-21), wo Der rote Heiland allerdings nicht spe­zifisch behandelt wird und le­dig­lich in der Biblio­gra­phie (S. 273) Er­­wähnung findet; das gilt übrigens auch von Zipes’ Einleitung in dem von ihm heraus­ge­geben Band Fairy Tales and Fables from Weimar Days, wo der obige Sam­melband leider ausgespart wurde.

  56. Dostojewskis Formulierung des Theodizee-Problems in der berühmten ‚Legende vom Großinquisi­torʽ in Die Brü­der Kara­ma­sow (1880) darf als eine der tiefgründigsten Auseinandersetzungen mit dieser Frage in der Li­te­ra­tur­ge­schich­­­­te gelten.

  57. Vgl. Humer: Hermynia Zur Mühlen: Die Kriminalromane; zum Genre s. Wal­laces Behauptung (S. 58-62), Des­berry sei dem Gros der europäischen De­tek­tivschriftsteller über­le­gen ge­wesen; s. ferner das relativ kurze Kapitel in Altners Biographie (S. 117-25).

  58. Außer den fünf Desberry-Krimis veröffentlichte Zur Mühlen unter diesem Pseudonym auch zumindest eine Kurzgeschichte, in der mit beißender Ironie die Prüderie einer amerikanischen Stadt in New England unter die Lu­­­pe genommen wird (vgl. dazu Lawrence H. Desberry: ‚Das Mysterium des Zensor‘, S. 6).

  59. In völliger Verkennung der genauen historischen Umstände behauptet Wallace: „With her va­gue un­der­stand­ing of Ireland as a country oppressed by England Zur Mühlen incorporates a critique of Eng­lish co­lo­nialism si­mi­lar to that which would later underpin her oriental Märchen.“ (S. 66)

  60. Wallaces Behauptung (S. 67), dass Zur Mühlens erster Krimi, Der blaue Strahl, ein großer Pub­li­kums­erfolg war, ist rezeptionsgeschichtlich nicht belegt und angesichts der Rarität dieses – und anderer – Des­ber­ry-Krimis auch nicht nachvollziehbar!

  61. Laut Humer (S. 45) repräsentiert Henry Words das kapitalistische Amerika, und an einigen Stellen des Romans entsteht der Eindruck, als seien die USA ein totalitärer Staat (vgl. dazu ein Jahrzehnt später den Roman von Sinclair Lewis: It Can’t Happen Here (1935) sowie Betz / Thunecke: ‚Sinclair Le­wis’s Cau­tio­nary Tale It Can’t Happen Here (1935). Against the Socio-Political Background in Germany and the USA in the 1930sʽ.

  62. Im Linzer Tagblatt erschien ab dem 11.9.1923 auch der Fortsetzungsroman Ku-Klux-Klan: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tab&datum=19230911&seite=7&zoom=33

  63. Vgl. dazu neuerdings Churchwell: Behold, America: A History of America First and the American Dream.

  64. Laut Churchwell „(t)he Klan had an active presence in New York City and Long Island by 1927“ (S. 15), und anlässlich einer Memorial Day Parade im Stadtteil Queens Ende Mai 1927 wurde Fred Trump, Donald Trumps Va­ter, verhaftet (S. 309-10, Anm. 12).

  65. Eine ähnliche Frauenfigure gab es bereits in Der Tempel (1922) in der Person Lene Selders, und andere folg­ten in Aben­teuer in Florenz (1926) und in Im Schatten des elektrischen Stuhls (1929); Scheriau hat ei­ni­ge solcher Frauenfiguren in Die Entwicklung der Frauenbilder im Werk der Schriftstellerin Her­mynia Zur Müh­len untersucht (dort in dem Kpt. ‚Der Aktionsradius von Frauen in den Anfangswerken‘ (S. 52-63) u.a. drei Frauen im Roman Licht (1922), eine in der Erzählung Der Deutsch­völkische (1924) sowie etliche weitere in den Desberry-Krimis u. in Die weiße Pest).

  66. Laut Humer (S. 52) steht EJUS am Übergang zu einer Art von Detektivroman, worin die engen Gren­zen des Genre ge­sprengt wurden und sich die Protagonisten aufs internationale Parkett wagten.

  67. Lawrence H. Desberry: Abenteuer in Florenz (Berlin: Agis 1926), als Fortsetzungsroman wieder abgedruckt in: Die rote Fahne (Wien), Jg. 10, Nr. 1-56, 1.1.1927-18.3.1927.

  68. Vgl. Wallace, S. 87-90; laut Humer (S. 53) handelt es sich bei Abenteuer in Florenz über weite Strecken um einen Spionageroman.

  69. Später wurde auch sein Bruder, Francesco Termetta, der die Führung der örtlichen Arbeiterschaft von seinem Bruder über­­­nommen hatte, ermordet.

  70. Anlässlich der Beratungen der faschistischen Repräsentanten verschiedener Ländern werden die Stoß­rich­tun­gen des internationalen Faschismus deutlich: nämlich Antikommunismus, Antisemitismus, Militärputsch, Dikta­tur sowie Restauration der Monarchie in einigen Staaten (vgl. Abenteuer in Florenz, S. 137-38).

  71. Vgl. dazu Wallace: „Of Zur Mühlen’s work Im Schatten des elektrischen Stuhls (1929) bears the most evi­dence of Sinclair’s influence.“ (S. 91) Hierfür spricht auch, daß der amerikanische Autor an einer Stelle des Romans namentlich erwähnt wird: „Die ‚gute Gesellschaftʽ von Fullersville hatte den Ehrgeiz, es Boston (…) gleich­­zutun und ein ‚Kulturzentrumʽ zu gründen. Aber worin bestand eigentlich diese Kultur? Die reichen Leute der Stadt kauften Gemälde berühmter moderner Maler, von denen sie nichts verstanden und die sie insgeheim für ab­scheu­lich hielten; sie schwärmten für Hergesheimer und Mencken, hatten deren Bücher in ihren Salons, re­deten viel von reiner Kunst und bekamen Tobsuchtsanfälle, wenn Upton Sinclairs Name erwähnt wurde.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 123)

  72. Der Roman spielt nicht in Miami, FL, wie Wallace behauptet, sondern in Miami im US-Staat Ohio.

  73. Die Gewerkschaft ‚Industrial Workers of the Worldʽ (IWW) wurde auf einem Kongress am 27. Juni 1905 in Chi­cago von Delegierten verschiedener Einzelgewerk­schaften, So­zia­listen, Anarchisten und militanten Arbeiter­führern gegründet, in Anwesenheit so bekannter Aktivisten wie Mary Harris ‚Motherʽ Jones und William Dud­ley ‚Big Billʽ Haywood. (vgl. dazu Dubofsky: We Shall Be All A History of the Industrial Workers of the World).

  74. Beim sogenannten ‚Colorado Coalfield Warʽ handelt es sich um einen Streik der Bergarbeiter im US-Bun­des­staat Colorado zwischen 1913 und 1914, dem tödlichsten Streik in der Geschichte der USA, der in dem so­ge­nann­ten ‚Lud­low Massacreʽ endete (vgl. dazu Andrews: Killing for Coal: America’s Deadliest La­bor).

  75. Upton Sinclair: Boston (1928), deutsche Übersetzung von Paul Baudisch (Berlin: Malik 1929).

  76. Vgl. dazu Im Schatten des elektrischen Stuhls, Kpt. 16: ‚Der Kampf um David Gordons Lebenʽ (S. 190-204).

  77. Deutsche Übersetzung: Boston. Die Geschichte von Sacco und Vancetti (Berlin: Malik 1929), allerdings nicht in der Übertragung Zur Mühlens.

  78. Darin heißt es u.a.: „Ihr habt gelernt, worauf es ankommt Aber glaubt nicht, daß nicht weitere, vielleicht noch erbittertere Kämpfe bevorstehen. Auch in diesen Kämpfen werdet ihr die gleichen Waffen verwenden müs­­sen: So­li­darität, unerschütterliche Entschlossenheit.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 250)

  79. Traugott Lehmann: Die weiße Pest (1926), scheinbar zuerst ab Mai 1926 als Fortsetzungs­ro­man abgedruckt in der Hamburger Volkszeitung; Zitate aus der von Alt­ner herausgegebenen Neuauf­lage Die weiße Pest (1987).

  80. Vgl. dazu Humer (S. 72-78) sowie Wallace (S. 79-87).

  81. Vgl. dazu auch den Untertitel: Ein Roman aus Deutschlands Gegenwart.

  82. Vgl. dazu die spektakulären Enthüllung in ‚Die Vaterländischen Verbändeʽ, S. 257, sowie die Aussage des Auftragsmörders Hermann Klappner nach seiner Verhaftung (Die weiße Pest, S. 191); Zur Mühlen selber be­zeichnete Die weiße Pest als einen ‚Anti-Femeromanʽ (‚Eine Bio-Bibliographieʽ, S. 184f.).

  83. Bulle ist Abgeordneter einer Rechtspartei, Friedrich Fehlbosch Kleinbürger, Franz Bosching und der Chauf­feur Kra­­mowsky sind Arbeiter.

  84. Das ‚Erwachende Ungarn‘ (ungar. Ébredő Magyarok Egyesülete) war eine rassistische, antisemitische, rechts­radi­ka­le Vereinigung, gegründet im November 1918 von Gyula Gömbös (1886-1936).

  85. Vgl. dazu insbesondere den öffentlichen Skandal anlässlich der Flucht Dresdes aus einer Nervenheilanstalt, wo er, gegen seinen Willen, von Vertretern der ‚Schwarze Reichswehr‘ gefangen gehalten worden war (Die weiße Pest, S. 135-36.), so­wie seine politische Ansichten im Unterschlupf einer alten Genossin im Norden Berlin nach der Be­freiung (ebd., S. 146-48).

  86. Ebd., S. 168f.; unter den Teilnehmern dieser Geheimsitzung der ‚Schwarze Reichswehr‘ befanden sich inter­es­­­san­terweise zwei baltische Barone: Baron Wolff u. Herr von Manteuffel!

  87. Humer (S. 83) meinte, Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! sei „ein Detektivroman ohne ein Kri­­­mi­nal­roman zu sein.“

  88. Laut Humer (S. 83) ist „(d)as eigentliche Thema (des Roman

  89. Aus diesem Grunde ist der Abdruck in Vierzehn Nothelfer, ein Band mit dem Untertitel Romane aus dem Exil, nur schwer nachvollziehbar; und auch Altners Kapitelüberschrift ‚Als Emi­grantin in der Heimatʽ in seiner Bio­graphie (1997, S. 130) klingt paradox; jedoch selbst Wallace (S. 158) bestand noch darauf, „that Au­­stria was a country of exile for Zur Mühlen.“

  90. Vietor-Engländers Hinweis (vgl. ‚Vorwortʽ, S. 9-18, dort S. 12), dass Zur Mühle in diesem Krimi Sei­­­ten­hiebe auf die Nazis ausgeteilt habe (vgl. Die Jagd nach Welle X, S. 111), ist völlig irreführend! Dies gilt auch für Humers Behauptung, Zur Mühlen verfolge in Die Jagd nach Welle X einen „antinationalsozialistischen Kurs“ (S. 84).

  91. So der Untertitel von Ende und Anfang.

  92. Hammel (S. 193-94) hat diesen wichtigen Aspekt völlig ignoriert.

  93. Ein Namen, den die Autorin ein Jahr später auch als Pseudonym verwendete (vgl. dazu Franziska Maria Rau­ten­berg: Das harmlose Thema Erzählung in: Deutsche Freiheit (Saar­brücken 1933).

  94. Das Riesenrad, S. 86 (anlässlich eines Besuches bei Professor Maffei in Genua).

  95. Laut Wallace (S. 118) „the novel’s subdued Socialist commitment facilitated (its) publication after the Se­cond World War“.


Quelle:

https://litkult1920er.aau.at/portraets/zur-muehlen-hermynia/


„Ihre letzte Ruhestätte ist kaum zu entdecken. Kein Stein erinnert an sie, da ist nichts als eine kleine, anonyme Rasenfläche. Sie befindet sich im katholischen Teil des Radlett Churchyard. Unter Nummer 301 taucht im Kirchenregister eine gewisse >Hermynia Kleinova< auf. Nicht der geringste Hinweis darauf, dass sich hinter Frau Kleinova die am 20. März 1951 verstorbene österreichische Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen verbirgt.“

Ulrich Weinzierl: Genossin Gräfin. Die kommunistische Katholikin Hermynia Zur Mühlen, S. 615, in: Hermynia Zur Mühlen, Werke, Band 4, Paul Zsolnay Verlag, 2019

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Bonn, 89. Jahrestag der Bonner Bücherverbrennung


Wolfgang H. Deuling