2008 - Im Tonstudio bei John Cremer

01.02.2008 - Der Name sagt den meisten sicher nichts. Aber man kennt Herbert Grönemeyer, Die Scorpions, Helge Schneider und vielleicht auch die Plattenfirma EMI. Dort arbeitete John viele Jahre im Bereich Recording und Mastering, d.h. er hat hinterm Mischpult gesessen wenn die Stars ihr Platten aufnahmen. In Fachkreisen ist John eine Legende. Durch den Sänger und Songwriter Jean-Luc Differdange, für den ich einige Titel seiner neuen CD arrangierte, lernte ich auch John kennen.

Es sind ja schon merkwürdige Zufälle, die dazu führen, das sich Wege von Menschen kreuzen. Und ich hab mal gehört, dass jeder über zwei bis drei Ecken den Papst persönlich kennt. Glaubt Ihr nicht? Hier der Beweis: ihr kennt mich, ich kenne unseren ehemaligen Pfarrer, und der kennt Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) persönlich, denn der hat ihn damals zum Priester ausgebildet. Krass, oder?

John Cremer, den Papst unter den Toningenieuren, lernte ich auch durch solche Connections kennen. Auf einen Flyer, den ich vor einigen Jahren mal als Werbung für meinen Keyboard- / Klavierunterricht in den umliegenden Dörfern verteilt hatte, meldete sich der deutsch-belgische Sänger und Songwriter Jean-Luc Differdange und bekundete Interesse an Klavierstunden. Als einige Zeit später eine neue CD-Produktion anstand, freute ich mich sehr, als ich gefragt wurde, ob ich nicht ein paar Lieder dafür arrangieren wolle. Na klar wollte ich!

Insgesamt sechs Stücke produzierte ich in meinem Heimstudio vor, und dann ging es zur Überspielung und Perfektionierung ins "Railroad-Tracks"-Studio nach Kerpen, wo besagte EMI-Legende seit 1999 mit einigen Mitstreitern im ehemaligen Bahnhofsgebäude ein Tonstudio eingerichtet hatte, das bei Freunden der Analogtechnik für feuchte Augen und Hosen sorgt. Das erste was einem auffällt wenn man reinkommt sind die vielen goldenen Schallplatten und CDs von bekannten Künstlern an den Wänden und wenn man das grade verdaut hat, betritt man den Raum, wo das ehemalige EMI-48-Kanal-SSL-Mischpult der G-Serie steht. Woooaaah! Beam me up, Scotti! Was für ein Raumschiff! Ich konnte mir nicht verkneifen nach dem Preis zu fragen. Das Pult hat Anfang der 90er Jahre knapp 1 Million Mark gekostet und ist heute noch immer rund 100.000 € wert!

Aber damit nicht genug: daneben stehen fette 24-Spur-Analog-Bandmaschinen, Mastering-Geräte der edelsten und teuersten Sorte, Türme von Abhörmonitoren und in einem Nebenraum sogar eine Schneidemaschine, auf der die Pressvorlagen für Vinyl-Schallplatten (ja, die gibt‘s noch) hergestellt werden können! Davon gibt es in ganz Deutschland nur noch eine Handvoll! Und im Flur stehen ganz nebenbei noch ein altes Fender-Rhodes und diverse Analog-Synthesizer rum...

Als ich meinen Mund wieder schließen konnte wuppte ich meinen Korg Oasys, auf dem sich die Vorproduktionen befanden, neben das Monster-Mischpult, um die Spuren parallel auf den Rechner zu überspielen. Hatte ich mir jedenfalls so gedacht. Es wurde dann doch ein bisschen komplizierter, weil mein lieber Oasys sich auf einmal weigerte, die Audio-Daten per digitalem SP/DIF auszuspucken. So mussten wir die Spuren Stück für Stück einzeln überspielen, was letztendlich auch gelang, aber ganz schön zeitaufwendig war. Tonmann Olaf Wollschläger machte aber einen guten Job und kurz nach Mitternacht waren wir fertig... (mit den Nerven...)

In den darauf folgenden Tagen machte sich John dann an den Mix der Titel.


Kleiner Exkurs: Vinyl

Heute gilt ja selbst die CD als altmodisch und unpraktisch, die Musik existiert bei vielen nur noch als MP3-Datei auf einer Festplatte. Geräte wie der iPod von Apple sind natürlich praktisch, weil man je nach Größe der Festplatte gigantische Mengen Musik speichern und überall mit hinnehmen kann. Aber ich finde, da fehlt was. Für mich gehört eine Hülle mit Cover und Booklet einfach dazu. Zum einen will ich was zum anfassen haben, zum anderen kann man ja auch lesen, wer wann wo wie was gemacht hat, wie die Texte lauten, sieht Bilder der Musiker usw. Und mal ganz ehrlich: eine Schrankwand voller CDs ist doch beeindruckender als eine Festplatte, oder?

Früher habe ich mir zuweilen CDs von Freunden kopiert um ein paar Euro zu sparen. Das mache ich seit ein paar Jahren gar nicht mehr, weil ich das Original haben will. Eben wegen des Booklets. Ich bin sogar dazu übergegangen, meine alten Kopien (die übrigens nach 10-15 Jahren langsam unlesbar werden!) Stück für Stück durch Originale zu ersetzen. Bei Ebay bekommt man eine CD für 1-2 € plus Versand. Ich nehme also 40 € und bekomme locker 10 gebrauchte aber originale CDs. Mittlerweile sind es rund 600.

Doch nun zum eigentlichen Thema Vinyl. Wenn man schon mal ne Audienz beim Papst hat, muss man das ja auch ausnutzen. In dieser Beziehung bin ich ziemlich schmerzfrei. Ich bin mit CDs groß geworden, meine ersten vier bis fünf Tonträger waren aber noch Schallplatten aus Vinyl. Es war also eine Art Geschichtsstunde in Tonträgertechnik, die mich dazu brachte, mich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen und zu recherchieren.

Die wichtigsten Punkte in der Geschichte der Tonträgertechnik:

1806 schafft es der Engländer Thomas Young, die Schwingungen einer Stimmgabel aufzuzeichnen. Allerdings hatte er keine Möglichkeit, diese wiederzugeben. Auch in den darauf folgenden 70 Jahren konnte niemand dieses Problem lösen. 1877 entwarf der Franzose Charles Cros die Pläne für solch ein Abspielgerät, fand aber keine Geldgeber. Ohne Moos nix los, das galt schon damals. So waren es dann auch kapitalistische Interessen, die zum Durchbruch führten: ebenfalls 1977 machte sich Thomas Alva Edison (genau, der mit der Glühbirne) einen Anrufbeantworter (besser: einen Anrufaufzeichner) für Geschäftsleute zu entwickeln.

Er verband eine Membran mit einer Nadel, die auf einem mit Parafin bedeckten Papier Schallwellen aufzeichnete. Wenn man in den angeschlossenen Telefonlautsprecher hineinsprach, schlug die Nadel aus und hinterließ die Tonspur. Zog man das Papier dann nochmal unter der Nadel durch, konnte man die Aufzeichnung durch die so zum schwingen gebrachte Membran hören. Das Parafin-Papier wurde in der weiteren Entwicklung durch einen mit Stanniolpapier bedeckten Zylinder ersetzt, der mit einer Kurbel von Hand gedreht wurde. Noch im gleichen Jahr wurde der Phonograph entworfen.

Edison hatte den ersten Schritt gemacht, andere folgten. Emile Berliner sicherte sich 1888 das erste Patent für ein Grammophon. Er hatte den Zylinder durch Scheiben aus Hartgummi ersetzt, die zwar etwas schlechter klangen, in der Produktion jedoch erhebliche Vorteile boten. * In den 1890ern entdeckte Berliners US Grammophone Company das zur damaligen Zeit im Alltag gebräuchliche Schellack, ein Naturplastik, als geeigneteres Material für die Schallplatte. Des weiteren wurde die Masterdisc aus Wachs, und nicht mehr, wie bisher, aus Zink hergestellt. Das Resultat war eine verbesserte Tonqualität (wenn auch immer noch unter der des Zylinders), und die Massenproduktion kam ins Rollen: folglich hatte die Firma schon im Jahre 1894 1000 hand- oder motorbetriebene Grammophone und 25.000 Schallplatten verkauft.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konkurrierten drei Unternehmen und zwei Formate auf dem noch jungen Musikmarkt. Edisons National Phonograph Company und die Columbia Graphophone Company setzten auf die Zylindertechnik, während Berliner und der Erfinder des motorbetriebenen Grammophons, Elridge Johnson, im Jahre 1901 die Victor Talking Machine Company aus der Taufe hoben, die aus zwei Gründen bis heute bekannt ist: Enrico Caruso und ein Hund.

Caruso war der erste Superstar, der eine Schallplatte veröffentlichte, denn es stellte sich heraus, dass seine Stimme die perfekte Frequenz für die Aufnahmen hatte. Um die relativ kurze Spieldauer der herkömmlichen Schallplatte zu erhöhen, wurde das Format von ursprünglich 7" auf 10" und damit auf vier Minuten vergrößert. Die Platte war die erste, auf der der berühmte Hund Nipper, der den Klängen des Grammophons lauscht -- mit dem Zusatz "His Master's Voice" -- zu sehen war. Auf Caruso folgten weitere Opernsänger, und man kann sagen, dass mit diesen Ereignissen der Siegeszug der Schallplatte und der Niedergang des Zylinders begann. Trotz der schlechteren Tonqualität sorgten die Stars für Zuspruch beim breiten Publikum. Außerdem konnten sich die Käufer der Zylinderaufnahmen nicht auf die Kompatibilität mit ihren Abspielgeräten verlassen, da es keine einheitlichen Standardformate gab.

Darüber hinaus waren die Schallplatten leichter zu handhaben und zu lagern, und mit der Einführung der beidseitig bespielbaren Schallplatte 1904 konnte die Spieldauer verdoppelt werden. Als Elridge Johnson durch aufwändiges Design das Grammophon zu einem ansehnlichen Möbelstück entwickelte, erlitt die Zylinderindustrie einen Rückschlag. Was Pampers und Tempo im gegenwärtigen Sprachgebrauch sind (Markennamen, die stellvertretend für die Produkte mehrerer Anbieter stehen), das wurde der "Victor's" am Anfang des 20 Jahrhunderts: das Synonym für Plattenspieler.

1912 entschied Columbia, sich vollständig auf das Medium Schallplatte zu konzentrieren und stellte das Zylindergeschäft ein. Auch Edison gab nach und erkannte die Vorteile der Disc an. Doch seine 1913 auf den Markt gebrachte, technisch anspruchsvolle Diamond Disc konnte den Markt nicht erobern, da sie nicht von den gängigen Plattenspielern wiedergegeben werden konnte.

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges kam die Unterhaltungsindustrie zum Erliegen, doch der Plattenspieler bot die Möglichkeit, zur Zerstreuung nicht auf ein breites kulturelles Angebot angewiesen zu sein. Die Regierungen der Krieg führenden Nationen erkannten das Potential, mit patriotischen Liedern der eigenen Bevölkerung Kampfgeist einzuimpfen, und der tragbare Plattenspieler brachte diese Klänge bis in die europäischen Schützengräben.

Nach Kriegsende ging 1920 in den USA die erste kommerzielle Radiostation der Welt auf Sendung (KDKA). Die Folgen für die Musikindustrie waren einschneidend: angesichts schwindender Marktanteile durch die neue Konkurrenz -- wenngleich diese in stark eingeschränkter Qualität sendete -- gingen die Plattenfirmen dazu über, mit ihren Künstlern Exklusivverträge abzuschließen, in denen diese sich verpflichteten, nicht mit dem Radio zusammenzuarbeiten. Als die Sendeleistung der Radios weiter zunahm und die Verkaufszahlen der Plattenindustrie in den Keller gingen, musste diese wieder vorlegen. So wurden Lautsprecher entwickelt, und die Lautstärke am Grammophon ließ sich regulieren. Die 1925 entstandenen Bell Laboratories (hervorgegangen aus der Fusion von Western Electric und AT&T) waren die technologischen Wegbereiter für die ersten HiFi-Aufnahmen, die das Soundspektrum erheblich erhöhten, und bald brachte Victor die entsprechenden Geräte auf den Markt, die diese Innovation auch wiedergeben konnten.

Bevor sich Radio- und Musikindustrie zerfleischten, erkannte man das Cross-Marketing-Potential, und Kombigeräte aus Radio und Plattenspieler beendeten den Konkurrenzkampf. 1928 kaufte die Radio Corporation of America (RCA) die Victor Talking Machine Company auf, und RCA Victor war geboren. Diese war es auch, die kurze Zeit später die Program Transcription Disc aus dem Plastikmaterial Vitrolac entwickelte, um diese für das Radio zu verwenden. Auch wenn die Kommerzialisierung dieses Formats nicht gelang, wurde sie das Hauptmedium für die Archivierung von Tönen, so beispielsweise in der Library of Congress.

Auch zwei andere Große der Unterhaltungsindustrie wollten neue Wege gehen: die Zusammenarbeit von Western Electric und Warner Brothers, die in der Vitaphone Company resultierte, erwies sich als sehr fruchtbar. Die Vereinheitlichung von Formaten war hier der Schlüssel zum Erfolg: eine 16"-Schallplatte, auf die die Tonaufnahmen des Films gepresst waren, hatte, abgespielt bei 33 1/3 Umdrehungen in der Minute (revolutions per minute, rpm), genau dieselbe Spieldauer wie eine 35mm Filmrolle. Gleichzeitig abgespielt, bescherten diese der Welt den ersten Tonfilm.

Vom Wirtschaftscrash 1929 wurde auch die Musikindustrie nicht verschont. Thomas Edisons Zylinder und Discs, die bis dahin einen Nischenmarkt besetzen konnten, verschwanden völlig. Schon wie in der Depression um die Jahrhundertwende war die Jukebox ein Fels in der Brandung. Ihre Zahl wuchs bis zum Jahre 1939 auf 300.000. In einer Zeit, in der Schallplatten und Abspielgeräte zu Luxusgütern geworden waren, war das Radio als Anbieter kostenloser Musik im nicht einholbaren Vorteil -- innerhalb der Plattenindustrie war wirtschaftliche Rentabilität nun wichtiger als die musikalische Qualität. Ähnlich wie den kleinen Farmern im mittleren Westen erging es auch den kleinen Labels: sie konnten alleine nicht mehr überleben und wurden geschluckt. Nur einige Große vermochten es, den langen Atem aufzubringen, der sie über die Runden brachte. Die Folge war eine Marktkonzentration unter den Big Six: Columbia, Victor, Decca, Capitol, MGM und Mercury wurden die Oligarchen der Musikindustrie.

Während des 2. Weltkrieges entwickelte die Regierung der USA das Konzept, Aufnahmen von Radiosendungen und Musikern an die Soldaten in aller Welt zu verschicken, die neben Musik auch wichtige Nachrichten aus der Heimat beinhalteten. Die V-Disc (V=Victory) war ein voller Erfolg, sowohl in der Rezeption an der Front als auch in ihrer Produktion in der Heimat. Viele Künstler der American Federation of Musicians, die sich zu dieser Zeit im Streik gegen die vier größten Plattenfirmen befanden, beteiligten sich zuhauf an den Aufnahmen, unter anderem auch, weil sie durch zur Schau gestellten Patriotismus ihre Popularität steigern konnten.

Der Krieg offenbarte die materiellen Defizite von Schellack. Das Material war sehr empfindlich, so dass die V-Discs häufig in Bruchstücken ihr Ziel erreichten. Des weiteren war die Spieldauer von bis zu zehn Minuten pro Seite immer noch sehr gering. Schließlich waren es der japanische Einmarsch in Südostasien und die dadurch erfolgte Kappung der Schellackzufuhr, die die Erfinder zu ihrem Glück zwangen, sich nach einer Alternative umzusuchen, die man dann im PVC fand. Im Juni 1948 verkündete CBS auf einer dramatischen Pressekonferenz in New York die Geburt der ersten Vinyl-Schallplatte: sie konnte bis zu 260 Rillen fassen (im Vergleich zu circa 80 Rillen bei der Schellackplatte), und hatte bei 12" eine Spieldauer von ca. 23 Minuten pro Seite. Ihr Name "Long Playing (LP) Microgroove" (groove, engl. für Rille) leitete sich davon ab, dass man ein altes Problem der Schellackplatte überwinden konnte: hatte man bei dieser mehr als 100 Rillen angelegt, ergab sich das Problem der "collapsing groove walls", das heißt die Zwischenwände waren nicht mehr belastbar genug und gaben nach, sodass schließlich aus zwei oder mehreren Rillen eine wurde. Gemeinsam mit einer neuen Magnetbandtechnik konnte die Tonqualität um ein vielfaches verbessert werden. Und Columbia nutzte die neue Technologie voll aus. Alle vorangegangenen Veröffentlichungen waren nun auch auf Vinyl erhältlich, und die neuen Abspielgeräte lagen in einer verhältnismäßig niedrigen Preisklasse.

Dies war ein Erfolg gegen den Hauptkonkurrenten RCA, der jedoch mit der Einführung der 7" Single (ebenfalls auf Vinyl und mit der Microgroove-Technologie) schon einige Monate später nachziehen konnte. Dieses Format wurde zum Standard in den Jukeboxes, und der entsprechende, sehr günstige Player für den privaten Gebrauch konnte keine Platten einer anderen Größe abspielen. Das gegenseitige Ausstechen im Kampf um Marktanteile war in eine weitere Runde gegangen.

Mit der Einführung der 7" konkurrierten hauptsächlich drei verschiedene Abspielgeschwindigkeiten miteinander: 33 1/3 rpm (LP), 45 rpm (7" Single) und 78 rpm (Schellackplatten), wobei die Schellackplatte ihre erfolgreiche Zeit hinter sich hatte. Während Capitol das erste Label war, das bei seinen Veröffentlichungen alle drei Formate unterstützte, dauerte es bei RCA und Victor noch ein wenig länger. Vielleicht auch angesichts sinkender Verkaufszahlen in den Jahren 1948 bis 1950 lenkten beide ein: 1950 veröffentlichte RCA Platten in den Geschwindigkeiten 33 1/3 und 45 rpm, und ein Jahr später zog Columbia nach, und die Verkäufe zogen wieder an.

Die preisgünstige 7" gewährte auch einkommensschwächeren Schichten Zugang zum Tonträgermarkt, und die musikalische Revolution, die mit Rock'n'Roll-Größen ihren Anfang nahm, fand genau hier ihre Zielgruppe: Nachkriegsjugendliche, die für wenig Geld an einem für sie völlig neuen Lebensgefühl teilhaben konnten. Die Major-Labels RCA und Columbia hatten den neuen Trend zunächst verschlafen, und es dauerte bis Ende der 50er Jahre, bis sie es verstanden, diesen kommerziell auszubeuten.

Die Zeit der großen Innovationen im Schallplattengeschäft war noch nicht vorbei. Schon 1931 hatte der bei Bell angestellte Entwickler Alan Blumlein das Verfahren der Stereoaufnahme erschaffen, und obwohl sich dieses nun mit 1/4" Tapes auch verwerten ließ, scheute sich die Plattenindustrie davor, das Publikum mit einem neuen Format zu verschrecken. Schließlich gelang es, eine Rille mit zwei Audiokanälen zu bespielen, und 1957 wurde der Westrex-Standard eingeführt, der die Käufer vor vielen neuen, nicht miteinander kompatiblen Versionen der neuen Technologie bewahrte, sodass 1958 Stereo-LPs auf dem Markt eingeführt wurden.

Diese markt- und kundenfreundliche Vereinheitlichung war der 1952 gegründeten Recording Industrie Assosication of America (RIAA) zu verdanken, die bis heute die Interessen der kommerziellen Musikindustrie vertritt. Die sorgte für die Standardisierung der Tonfrequenzen, später für die aller Tonträgerformate. Am 16. Oktober 1963 legte die RIAA die umfassenden "Standards for Stereophonic Disc Records" fest, die de facto weltweit befolgt werden.

Die 1960er werden dann als das Goldene Zeitalter der Vinylplatte bezeichnet, denn hier vereinten sich ein standardisierter, ausgereifter Massenmarkt und innovative, publikumswirksame Interpreten und Bands. Es begann 1961, als die Beatles einen Vertrag bei EMI unterzeichneten. Sie waren bei Decca mit dem Hinweis, dass Gitarrenmusik nicht mehr in Mode sei (hahaha!) abgelehnt worden! Und es endete 1969 mit dem Woodstockfestival vor einer halben Million Menschen. Im Schatten dieser Ereignisse machte man sich in den frühen 70er Jahren bei Philips daran, ein neues Medium zu entwickeln, das ein Jahrzehnt später die Schallplatte als Tonträger ablösen sollte. Und obwohl die CD ihre Vorgängerin bald kommerziell in den Schatten stellen sollte, ist es mehr als zweifelhaft, dass auch sie noch Jahrzehnte nach ihrer Dynastie so viele Liebhaber auf der ganzen Welt haben wird.

Und nun kommt John Cremer ins Spiel: "Railroad Tracks wurde 1999 gegründet, als die EMI in London beschloss, die Maarweg-Studios der Electrola in Köln zu schließen. Wir führen seitdem als Dienstleister für die EMI in Köln alle benötigten tontechnischen Arbeiten durch. Außerdem stehen unsere Möglichkeiten auch anderen Kunden zur Verfügung. Dazu zählen zum Beispiel: die Durchführung von Aufnahmen hier im Studio, aber auch Klassik-Aufnahmen mit transportabler Technik, Abmischen von vorgefertigten Produktionen inklusive Post-Production, Auditional Arrangements. Dann alle anderen tontechnischen Arbeiten wie Restauration von historischem Material (Bayreuther Festspiele von 1956 und 1958, diverse Schallplattenpreise, Marlene Dietrich zum 100. Geburtstag, EMI**, ...), Mastering von Fremdproduktionen, wahlweise analog oder digital oder eine Kombination von beiden. Zusammenstellen von Compilations inklusive Titelangleichungen, Titelkürzungen (Radio-Edits, Jingles, Internet-Soundfiles). Anfertigung von kleinen Promo-Auflagen (gebrannte CD-Rs) inklusive Erstellung von Grafiken. Abwicklung von Presseaufträgen für Vinyl, CD und DVD. Meine Tätigkeit ist im Wesentlichen das Überspielen von angelieferten Produktionen für Vinyl und die analoge Seite des Masterings."


Über den Unterschied zwischen digitalen und analogen Audiodaten:

"Der grundsätzliche Unterschied zwischen analogen und digitalen Audiodaten besteht darin, dass es keine analogen Dateien gibt. Analoge Musikaufzeichnungen sind entweder magnetische Träger (Bänder im 14-Zoll-Stereoformat oder Mehrspurbänder mit 8, 16 oder 24 Spuren) oder mechanische Träger (Vinyl, Schellack oder auch Nickelmütter). Beim Abspielen dieser Formate wird bei magnetischen Trägern die Aufzeichnung in Form von Sinuswellen über entsprechende Verstärker dem Lautsprecher zugeführt. Bei mechanischen Aufzeichnungen (Rillen entsprechen prinzipiell Sinuswellen) wandelt eine Abtastnadel diese "Gravur" dementsprechend wieder in elektrische Impulse um und führt diese dann wie bei magnetischen Aufzeichnungen dem Lautsprecher zu. Digitale Audiodaten sind entweder schon digital erzeugte Klänge (etwa Synthesizer) oder aber analoge Instrumente, die über Analog/Digital-Wandler in binäre Codes zerlegt und digital aufgezeichnet werden. Für den Laien: Bei analogen Aufzeichnungen bleibt eine Sinuswelle immer eine Sinuswelle. Bei digitalen Aufzeichnungen wird eine Sinuswelle in punktuelle Werte zerlegt und in Annäherung an eine Sinuswelle wiedergegeben (Interpolation)."


Über Mastering:

"Im Normalfall wird eine Produktion als CD-R-Audiodatei angeliefert, manchmal aber auch durch das inzwischen allgemein übliche organisatorische Chaos als Download ins Netz gestellt. Bei CD-Rs wird geprüft, wie die Pegelverhältnisse sind, ob die Abmischungen "Ideen" enthalten, die physikalisch für Vinyl nicht umzusetzen sind (Gegenphasen, extreme Zischlaute, Verzerrungen, überzogene Kompressionen). Dann erfolgt Rücksprache mit den Kunden oder Studios zwecks Diagnose und "Was kann man machen?". Bei Downloads ist oft unklar, welche Datei welcher Titel ist. Mit Übertragungsfehlern wie Clicks und Drop-outs ist immer zu rechnen, so dass die "eingesparte" Zeit sich oft als doppelter Zeit- und Materialaufwand herausstellt. Ist eine CD-R oder ein Download okay, wird die Produktion im Normalfall eins zu eins in die Kupferfolie geschnitten. Gegebenenfalls werden kleine Lautstärkekorrekturen und Gegenphasen-Limiter eingesetzt. Wir setzen beim Schneiden hochwertige Analog/Digital-Wandler über ein mit Neve-EQs bestücktes Mischpult und eine Neumann-DMM-SX84-Schneidanlage ein."


Über den Unterschiede im Mastering zwischen Vinyl und CD:

"CD-Mastering heißt für viele lediglich Maximizer plus Finalizer rein, Hauptsache laut und "habe fertig". Vinyl-Mastering heißt: was ist noch korrigierbar an Fehlern im Mix, die ein sauberes Abtasten der Rille oder eine saubere Pressung unmöglich machen. Das heißt Einsatz von De-Essern gegen überzogene Zischlaute im Gesang, sie würden sonst beim Abtasten zu starken Verzerrungen führen, bedingt durch das schlechte Übersprechen in den Höhen zwischen linkem und rechtem Kanal. Zu starke Gegenphasen führen zu einer übergroßen Schnitttiefe: es ist dann für alle Presswerke sehr schwierig, sauber zu pressen, weil kleine Lufteinschlüsse die Rillenflanken anrauhen und zu Rauschen und Klirren beim Abtasten führen. Vereinfacht kann man sagen: ein Mastering, das für Vinyl topp ist, klingt auch immer auf CD. Manche Dinge, die auf CD noch erträglich, aber auch nicht gut sind, sind für Vinyl unmöglich.


Über den Reiz von Vinyl:

"Der Reiz einer Schallplatte liegt für mich darin, dass man einfach mehr in der Hand hat, und in den viel besseren grafischen Möglichkeiten fürs Cover (Texte sind auch ohne Lupe zu lesen). Vor allen Dingen aber ist man nicht versucht, zwischen den Titeln hin- und her zu springen, sondern hört stattdessen mindestens eine Plattenseite durch und muss sich dadurch viel mehr mit der Musik auseinandersetzen."


Über die angebliche klangliche Überlegenheit von Vinyl:

"Die angebliche klangliche Überlegenheit von Vinyl rührt aus der Anfangszeit der CD, als die gesamte Branche ihren Back-Katalog auf die Schnelle mit teilweise unzulänglichen Analog/Digital-Wandlern, ohne die für die Vinylausgabe erfolgten klanglichen Korrekturen, auf CD umkopierte. Heutzutage besteht im Wesentlichen nur noch ein Unterschied bei komplett analog durchgeführten Produktionen, die aber fast niemand mehr bezahlen kann. Man muss also einen gesunden Kompromiss finden zwischen Finanzrahmen, digitaler und/oder analoger Klangerzeugung (Programmierung von allem und/oder echte Instrumente), digitaler und/oder analoger Abmischung. Bei einer unserer aktuellen Produktionen haben wir versucht, dies zu realisieren: Wo vermerkt, spielen echte Instrumente, aufgezeichnet wurde digital mit hoch auflösenden Wandlern; gemischt wurde teilweise rechnerintern inklusive ausgesuchten Plug-ins, dahinter jedoch mit analogem 48-Spur-SSL-Pult inklusive analoger Effekte wie De-Esser, Kompressoren, EQs etc.; gemastert wurde zuerst analog und kleinste Korrekturen anschließend digital. Das heißt für beide Formate wurde für die CD-Pressung und für den Vinylschnitt ein identisches Master verwendet. Solltet man Unterschiede oder Vor- und Nachteile des einen oder anderen Formates hören, sind diese anlage- (Einmessung) oder geschmacksbedingt.


Über die Zukunft von Vinyl:

"Wenn ich das wüsste! Unsere Hoffnung ist, dass uns Vinyl als Nischenmarkt, speziell für Sammler, noch lange erhalten bleibt. Im Wesentlichen wird es davon abhängen, ob die Nachfrage groß genug ist, eine durchgehende Produktionskette (Material und Maintenance für Schneidanlagen und Presswerke) zu darstellbaren Preisen aufrecht zu erhalten.