1993 - Musik-Leistungskurs und Abitur

Nichts gegen meinen Musik-LK, aber nicht mal die Hälfte konnte Noten lesen! Meist wurden klassische Werke analysiert, das konnten auch die "Loser". Trotzdem hab ich viel gelernt über Ursprung und Geschichte der Musik. Besonders spannend war der Unterrichtsstoff "Zeitgenössische Musik". Ein herzliches Dankeschön an meinen Lehrer Heinz Boden!

Ja, liebe Freunde der Pisa-Studie, Lernstandserhebung und des Deutsch-Mathe-Standard-08/15-Abiturs, damals konnte man ein Fach wie Musik noch als Leistungskurs wählen. Dies taten sogar überraschend viele, wenn auch aus größtenteils niederen Beweggründen: die Gefahr hier mit einer schlechten Note "durchzurasseln" war wesentlich geringer als in anderen Fächern. So lässt sich auch erklären, dass die Hälfte in diesem Kurs nicht mal richtig Noten lesen konnte, geschweige denn ein Instrument gespielt hat.

Ich schreibe diesen Text im Jahr 2008, also satte 16 Jahre nachdem die letzte Stunde dieses Kurses stattfand. Ich gebe unumwunden zu, dass ich 95% der Dinge, die ich für das Abitur gelernt habe (und zwar in allen Fächern), schon nach kurzer Zeit wieder vergessen hatte. Damals hieß es schon verdreht "Man lernt nicht für die Schule, sondern für's Leben." Von wegen! Im Leben brauche ich heute von diesen Dingen so gut wie NICHTS. Es trifft wohl eher zu, dass man in der Schule "das Lernen lernt", denn in der heutigen Arbeitswelt ist man ganz schnell auf dem Abstellgleis, wenn man nicht auf dem Laufenden bleibt. "Wer nicht mit der ZEIT geht, GEHT mit der Zeit." Da ist was dran.

Die meisten meiner Schulunterlagen habe ich vor ein paar Jahren vernichtet. Lediglich die Abitur-Fächer und die Klausuren hab ich noch aufbewahrt. Und als ich nun noch einmal die Musik-LK-Mappe aufschlug, war das wie ein Zeitsprung zurück ins Jahr 1992, als ich mit meinen Kursgenossen in der ersten Reihe hockte und Heinz Boden uns die Musikgeschichte näher brachte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Text noch mal verwende, aber da ich im Moment Ferien und daher Zeit habe, dachte ich mir: stell ihn doch ins Internet! Dann haben vielleicht auch andere etwas davon!

Im nachfolgenden also der Text meiner Abiturvorbereitung, der in Papierform 20 Seiten umfasst. Damals konnte ich ihn komplett auswendig aufsagen. Sollte irgendjemand mit dem Gedanken spielen (und die Möglichkeit haben) Musik als Leistungskurs zu belegen: hier ist der Oberstufen-Unterrichtsstoff zum Thema "Zeitgenössische Musik"!


Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts sind wie in allen sozialen und wissenschaftlichen Bereichen auch in allen Kunstformen viele Veränderungen und Entwicklungen geschehen, die es nötig machen, sich Zeit zu nehmen um dies alles zu verstehen und zu vermeiden, den Kontakt mit den essentiellen Ideen unserer Zeit zu verlieren. (Anm.: Wow! Was für ein hehres Ziel, welch edle kulturelle Gesinnung! Ganz schön geschwollen, mein Schreibstil damals...)

Der Kurs "Zeitgenössische Musik" befasst sich mit den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, besonders mit denen, die durch ihre Wahl von fortschrittlichen Kompositionstechniken einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Musik hatten. Der Komponist ist ein Spiegel seiner Zeit und alle radikalen Veränderungen unseres Zusammenlebens sind wieder zu finden in den dadurch entstandenen neuen Methoden und Ausdrucksmöglichkeiten der Mentalität jeder Zeit. Das gilt nicht nur für die Komponisten, sondern auch für Maler, Dichter, Philosophen und Psychologen. Analysiert werden bedeutende Arbeiten in verschiedenen Stilen wie z.B. Spätromantik, Atonalität, Polytonalität, Neo-Klassizismus, Dodekafonie (12-Ton-Musik), elektronische Musik und Minimal Music.


Übersicht der Stilistiken und ihrer wichtigsten Komponisten:

  • Klassik 20. Jahrhundert: Mahler, Debussy, Bartok, Schönberg, Berg, Webern, Stravinsky, Varése
  • - Darmstädter Schule: Boulez, Stockhausen, Nono, Maderna
  • - Serielle Musik in Amerika: Babbitt, Carter
  • - Aleatorik und Zufall: Cage, Feldman, Graphische Partituren
  • - Polnische Schule: Penderecki, Lutoslawski, Gorecki
  • - Post-Serielle Musik: Donatoni, Ferneyhough, Birtwistle, Xenakis
  • - Ungarische Musik: Ligeti, Kurtag
  • - Zitate und alternative Kultur: Berio, Zimmermann, Torke, Martland
  • - Minimal Music und neue Einfachheit: Young, Riley, Reich, Adams, Glass
  • - Russland und Pluralismus: Schnittke, Goebaidoelina, Oestvolskajy
  • - Neue Spieltechniken: Cage, Berio, Xenakis
  • - Italienische Musik: Scelsi Sciarrino
  • - Niederländische Musik: van Baaren, Schat, Andriessen, de Leeuw, de Vries, Ketting, Loevendie
  • Elektronische Musik: Varése, Stockhausen, Boulez, Berio


Jetzt mal ehrlich: wie viele davon kennt ihr? Wer auf mehr als 10 kommt: herzlichen Glückwunsch! Ihr zählt zur Kulturelite Deutschlands! Die meisten kennen doch nur Dieter Bohlen, der in seinem Leben zwar nur ein einziges Lied mit drei Akkorden komponiert hat, das aber schon über 350 mal...

Damals Anfang der 90er Jahre gab es ja noch kein Internet im heutigen Sinne. Statt jeden damals behandelten Komponisten hier wie damals groß und breit im Detail vorzustellen, verweise ich einfach auf Google und Wikipedia... :-)

Begonnen haben wir mit Igor Stravinsky, Edgar Varése, Harrison Birtwistle und Michael Torke. Nachdem wir das halbwegs verdaut hatten, gings weiter mit Atonalität und 12-Ton-Musik, deren Ursprung wir im Im-und Expressionismus ausmachten. Es folgten Claude Debussy, Gustav Mahler und natürlich Arnold Schönberg, der nicht nur uns den Weg von freier Atonalität zur Dodekafonie bereitete, sondern auch seinen Schülern Alban Berg und Anton Webern. Ein anderer bedeutender Komponist war Olivier Messiaen, zu dessen Schülern Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono zählten. Auch die "Polnische Schule" und Krzysztof Penderecki blieben uns nicht vorenthalten. Großes Interesse hatte ich schon damals an Elektronischer Musik, die von Komponisten wie Stockhausen, Berio und Ligeti geschaffen wurde. Weniger anfangen konnte ich mit der Minimal Music wie sie Steve Reich oder Terry Riley schufen.