Research Video

Video als Instrument der Künstlerischen Forschung. Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Zusammenarbeit

Einleitung

Zur Research Academy des Institute for Performing Arts and Film (IPF) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) werden internationale Künstler eingeladen, um künstlerische Praxis weiter zu entwickeln und künstlerische Forschung zu betreiben. Im Jahr 2018 stand die Research Academy unter dem Motto Perform, record, enrich, share. Opening up and publishing process in performance creation. Gemeinsam mit Studierenden der Fachrichtung Cast / Audiovisual Media der ZHdK widmeten sich die Teilnehmer der Research Academy dabei insbesondere den Einsatzmöglichkeiten von Video im Rahmen der künstlerischen Forschung. Ziel war es, Grenzen und Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit zu explorieren und die Anwendung des im Rahmen des Forschungsprojekts “Research Video” entwickelten Annotationstools zu erproben.

Im Rahmen des hier vorgestellten Projekts haben folgende Personen zusammen gearbeitet:

  • Scott de Lahunta, Leitung Research Academy
  • Suzan Tunca, Leitung Research Academy
  • Marisa Godoy, Organisatorin des Research Academy Colloquium
  • Gunter Lösel, Forschender am IPF
  • Martin Zimper, Fachrichtungsleitung Cast / Audiovisual Media
  • Eric Andreae, Modulleitung Cast / Audiovisual Media
  • Christian Holst, Researcher Cast / Audiovisual Media
  • Caroline Feder, Assistents Cast / Audiovisual Media
  • Leandro Russo, Assistents Cast / Audiovisual Media
  • Research Academy Teilnehmer
  • Cast-Studierende

Die Research Academy fand vom 20. bis 26. Oktober 2018 in den Räumen des Media Campus (Studios des Tanzhauses Zürich) und der ZHdK statt. Cast war am 20. Oktober sowie vom 23. bis 26. Oktober 2018 an der Research Academy beteiligt.

Trailer zur Research Academy 2018 «Perform. Record. Enrich. Share»

Methodischer Ansatz

Die Zusammenarbeit von Künstlern und Cast-Studierenden wurde forschend im Sinne der teilnehmenden Beobachtung begleitet. Zweck der Beobachtungen war es, Erfahrungen mit dem notwendig interdisziplinären Charakter des Einsatzes von Video im Rahmen der künstlerischen Forschung zu dokumentieren. Dieser Bericht stellt diese Erfahrungen aus der Perspektive von Cast dar. Diese Erfahrungen sollen einfließen in das Forschungsprojekt Research Video. Die teilnehmende Beobachtung erfolgte dabei offen und unstrukturiert im Feld (d.h. in einer natürlichen Beobachtungssituation) mit eher niedrigem Partizipationsgrad (vgl. Lamnek 2010: 508f.). Bei der Beobachtung kam zum einen Videoaufzeichnungen von Arbeitssituation zum Zuge, zum anderen Beobachtungen, die schriftliche notiert wurden. Beide Formen fließen in diesen Bericht ein.

Beobachtungen, Empfehlungen, Kritik

Generell zeigen sich zwei Arten, mit Video zu arbeiten in der künstlerischen Forschung:

  • Video dient einerseits als Medium zur Reflektion von künstlerischer Arbeit, zum Beispiel zur Dokumentation und Analyse von Proben oder Bühnenaufführungen. Hierbei soll die Kamera nur eine Beobachterrolle einnehmen und eigentlich nicht oder nur möglichst wenig in die Kunst eingreifen. Die Kunst soll vielmehr über das Zeitfenster der Performance hinaus verfügbar bleiben, um mehrfach und genauer auf Einzelheiten zu schauen, die andernfalls immer wiederholt werden müssen. Außerdem erlaubt es den aufführenden Künstlern eine Außensicht auf sich selbst, also eine Distanzierung von der eigenen künstlerischen Arbeit. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere das Annotationstool Research Video getestet. Das Tool wird gerade im Rahmen eines SNF-Forschungsprojekts vom IPF und Cast gemeinsam entwickelt. Es soll die qualitative Analyse von Videomaterial speziell im Kontext von künstlerischer Forschung ermöglichen.
  • Die zweite Möglichkeit ist es, Video als Medium für die künstlerische Arbeit zu nutzen. In diesem Fall wird Video wird als Teil und Medium der Kunstproduktion verstanden. Hier ist Video also nicht Beobachter eines künstlerischen Prozesses, sondern beeinflusst diesen aktiv mit. In diesem Fall geht es weniger um Distanzierung, sondern mehr darum, durch den kreativen Einsatz von Video, neue Perspektiven zu gewinnen.

In der begleitenden Beobachtung der Research Academy wurden vier verschiedene Aspekte immer wieder zum Thema, die im folgenden dargestellt werden sollen. Im Prinzip ergeben sich alle Aspekte aus der Interdisziplinarität des Ansatzes und der zeitintensiven Kommunikation, die erforderlich ist, um das Potenzial dieses Ansatzes wirklich auszuschöpfen. Jeder einzelne der vier folgenden Aspekte beschreibt immer zugleich die Möglichkeiten und die Grenzen von Research Video. Es sind nicht einige Aspekte, die als Möglichkeiten identifiziert werden konnten und andere als Grenzen, sondern sie beinhalten immer beides.

Interdisziplinarität und Rollenverteilung

Der erste Aspekt betrifft die Interdisziplinarität bzw. die interdisziplinäre Rollenverteilung. Videonutzung in der künstlerischen Forschung ist notwendig eine interdisziplinäre Angelegenheit, weil unterschiedliche Ästhetiken aufeinandertreffen, weil Kunst auf eine bestimmte Technologie trifft und weil Menschen mit unterschiedlichen Arbeitsphilosophien und fachlichem Hintergrund miteinander arbeiten. Diesbezüglich Erfahrungen zu sammeln war ein bewusstes Anliegen der Research Academy und es war auch die Erwartungen, dass das nicht immer einfach sein würde. Die ersten anderthalb Tage des Workshops waren dadurch durch fortlaufende Rollenklärung in den Teams geprägt. Folgende Statements einiger Teilnehmer verdeutlichen dies:

O-Töne von Teilnehmenden der Research Academy zur Rollenklärung und interdisziplinären Zusammenarbeit.

Unter dem Strich wurde der Prozess positiv und die Zusammenarbeit als gelungen bewertet. Zugleich haben wir aber auch zwei Probleme beobachtet, die in den Statements mehr so zwischen den Zeilen anklingen:

  • Die Künstler hatten sich mit Ideen für die Research Academy beworben und diese Ideen den Cast-Studierenden am Beginn des gemeinsamen Workshops vorgestellt. Dadurch entstand in mehreren Gruppen eine implizite Dynamik, durch die Cast-Studenten quasi zu Dienstleistern wurden, die den Künstlern bei der technischen Umsetzung ihrer Ideen helfen sollten.
  • Die vorgestellten Ideen waren zwar teilweise inhaltlich recht ambitiös und teilweise schwer verständlich für Personen, die nicht im jeweiligen künstlerischen Diskurs zu Hause sind. In Hinblick auf den technischen Einsatz von Video waren sie dagegen oftmals konventionell gedacht.

Idealerweise sollte das Video-KnowHow, das die Cast-Studierenden eingebracht haben, bereits in die konzeptionelle Arbeit mit einfließen, so dass die Möglichkeiten des Mediums für die Idee und das Potenzial der interdisziplinären Zusammenarbeit voll ausgeschöpft werden können.

Klärung von Zielen und Forschungsfragen

Eine Frage, die während des Workshops immer wieder auftauchte, zumindest bei den Beteiligten von Cast, war: Was ist eigentlich künstlerische Forschung?

O-Töne von Teilnehmenden der Research Academy zur Frage, was künstlerische Forschung ist und auszeichnet.

Ausprobieren, praxisbezogen, Dialog, explizites Wissen aus der Kunst extrahieren - Die Statements zeigen, dass das Verständnis von künstlerischer Forschung sehr uneinheitlich ist. Der gemeinsame Workshop hat gezeigt, dass ein Learning oder understanding by working together gut funktionieren kann. Dennoch ist es hilfreich, ein gemeinsames und explizites Verständnis als Ausgangsbasis zu entwickeln. Das gilt übrigens nicht nur für ein generelles Forschungsverständnis, sondern auch für die konkreten Forschungsfragen der einzelnen Projekte.

Gerade angesichts der Interdisziplinarität des Projekts erscheint dies wichtig, da eben nicht bei allen Projektbeteiligten eine bestimmte Denk- und Fachkultur vorausgesetzt werden kann. Dieses Verständnis muss erst geschaffen werden und dafür erscheint eine Verbalisierung sinnvoll. Das Forschungsverständnis oder eine Forschungsfrage ist damit nicht in Stein gemeißelt und abschließend definiert. Es geht mehr darum, die Anliegen des anderen verstehen zu können. Die Offenheit für unerwartete Erkenntnisse und Ereignisse soll natürlich erhalten bleiben.

Video-Kenntnisse auch bei Künstlern nötig

Während es für die Cast-Studierenden darum ging, zu verstehen, was künstlerische Forschung eigentlich ist und was sie will, ist auf Seiten der forschenden Künstler wiederum wichtig, Video als ästhetisches Medium und seine Funktionsweise als Technologie zu verstehen, wenn es als Forschungsinstrument oder sogar als zentraler Baustein einer Forschungsmethodologie verwendet werden soll. Videos geben kein neutrales Abbild der Wirklichkeit, sie verknappen, verkürzen, verzerren möglicherweise sogar. Je nach Forschungszweck und Forschungsfrage eignen sich unterschiedliche Formate daher unterschiedlich gut. Um das an einem ganz einfachen Beispiel zu verdeutlichen: Im Rahmen des Workshops wurde eine Point-of view-Raumexploration realisiert, bei der zuerst die Idee war, mit einer 360-Kamera zu arbeiten. Am Schluss erwies sich aber eine Gopro als das besser geeignete Instrument, weil der Blick gelenkt wird und dies der Forschungsfrage viel mehr entsprach.

Auszug aus einer Raumexploration mit GoPro-Kamera. Die Probanden erhielten über Kopfhörer jeweils die gleichen Anweisungen. In der Zusammenstellung sieht man, wie sie jeweils die Anweisungen umgesetzt haben.

Hier gilt es also, einen Katalog und eine Kritik zu entwickeln, welche unterschiedlichen Methoden Video bereitstellt und für welche Fragestellungen welche Herangehensweise funktionieren. Das Beherrschen des Handwerkzeugs und die Reflektion von dessen Möglichkeiten und Grenzen ist Voraussetzung für jede Forschung. Dies gilt freilich auch für Video im Rahmen von künstlerischer Forschung. Auch hier erscheint uns also eine weitere Explizierung und Präzisierung sinnvoll.

Die beiden letztgenannten Aspekte - die Notwendigkeit einerseits die Möglichkeiten und Grenzen von Video beurteilen zu können und andererseits ein Verständnis für künstlerische Fragestellung zu entwickeln - weisen auf wichtige Fragen: Wie kann ein besseres Verständnis für das Fachgebiet des jeweils anderen hergestellt werden? Wie können disziplinäre Grenzen in interdisziplinären Projekten überbrückt werden? Können diese Fragen nicht beantwortet werden (was in den Projekten der Research Academy nicht der Fall war), würde sich daraus ein hohes Frustrationspotenzial ergeben.

Zwei Teilnehmerinnen über die Herausforderung, unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen aufeinander abzustimmen.

Experimentierfreude

Von den Künstlern wurde wiederholt geäußert, dass Video zu gewissem Pragmatismus oder einer Resultatorientierung zwingen würde.

Man müsse sich überlegen was und wie man etwas macht und hat dann gute Möglichkeiten, es zu beurteilen, zu ändern und noch einmal neu zu machen. Aber mit jedem Take hat man quasi etwas Fertiges, was man nicht mehr ändern kann, sondern nur noch einmal neu und anders machen kann. Das Annotationstool, das im Rahmen des Research Video-Forschungsprojekts entwickelt wird, ist für einen qualitativen Forschungsansatz ausgelegt, bei dem Video einfach als Datenmaterial angesehen und analysiert wird. Diese Beobachtungen zum Thema Pragmatismus erscheinen daher insofern interessant, als sie ein Fenster zu einem eher experimentellen Forschungsansatz zu öffnen scheinen.

Fazit

Im Zentrum der Research Academy standen die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von und die praktische Arbeit mit Video als Medium künstlerischer Forschung. Methodologische Fragen und Themen wurden bewusst ausgeklammert. Dabei zeigte sich einerseits, dass Video viele neue, aufschlussreiche Möglichkeiten der Wissensgenerierung bietet, gerade weil im künstlerischen Kontext die sprachliche Darstellung an ihre Grenzen stößt. Andererseits zeigte sich auch, dass die Standards für die Arbeit mit Video in der künstlerischen Forschung erst im Entstehen begriffen sind und es darum geht, spezifisch und präziser zu werden

  • in der Kommunikation, um das Potenzial der interdisziplinären Zusammenarbeit besser ausschöpfen zu können,
  • im Wissen um die technischen und ästhetischen Möglichkeiten von Video und Videodreh, also des Forschungsinstruments und der Forschungsmethode,
  • in der Entwicklung von Forschungsfragen und einer geeigneten Terminologie
  • und in der Weiterentwicklung von methodischen Ansätzen in der künstlerischen Forschung.

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich somit viele interessante Themen für nachfolgende Research Academys und das weitere Research-Video-Forschungsprojekt.

Literatur/Quellen

Lamnek, S. (2010). Qualitative Sozialforschung. 5., überarbeitete Auflage.