Geschichte

Die „Alte Kanzlei“ und ihr Glöckchen

Das Haus, in dem heute neben Wohnungen eine Weinstube und eine Galerie untergebracht ist, könnte von vielen Geschichtsabschnitten erzählen.

Die Altersbestimmung ist momentan bedingt abgrenzbar. Etwa 1477 wütete in Ebingen ein großer Stadtbrand. Es ist zu vermuten, dass die wohl 1382 gebaute Kapelle auch ein Opfer der Flammen wurde. Der Jahresstein mit der Zahl 1490 sagt mit ziemlicher Sicherheit, dass 1490 die heute existierende Kapellkirche gebaut wurde.

In diese Zeit könnte auch der Neubau der heutigen „Alten Kanzlei“ fallen. Unterlagen über Hofstattzinsen im Haupt-Staatsarchiv in Stuttgart aus dem Jahre 1561 enthalten folgende Aussage:

„Hans Beckhs Haus (vor Zeiten zwei Häuser gewesen) zwischen Unser Frauen Kapelle und Hermann Ramps Haus, stößt vorne auf die (all-)gemeine Gasse, hinten auf die Stadtmauer.“

Es ist naheliegend, die „vor Zeiten gewesenen zwei Häuser“ sind mit der alten Kapelle abgebrannt.

Somit kann der Neubau dieses Hauses vor 450 bis 500 Jahren stattgefunden haben. Eine Dendrochronologie (Altersbestimmung von Hölzern aufgrund der Jahresringe) wird eine genauere Altersbestimmung nachliefern.

Eines steht fest: Der Bauherr muss begütert gewesen sein. Davon zeugt heute noch das solide, eichene, alemannische Fachwerk.

Das Bauwerk wurde 3-schiffig je 13 Fuß (3,72 m) und vermutlich mit vier Jochfeldern je 15 Fuß (4,30 m) errichtet. Das Gebäude hätte dann die damals noch intakte Stadtmauer berührt (s.o.). Um das Jahr 1800 ist die Stadtbefestigung geschliefert worden. In diesem Zusammenhang wurde der hintere Gebäudeteil entfernt und in fränkischem Holzfachwerk wieder aufgebaut.

Durch Einbeziehen der restlichen Stadtmauer im Erdgeschoss konnte der Bau um etwa 1,5 Meter verlängert werden und erhielt damit seine heutigen Ausmaße.

Die Erstbenutzung bestand vermutlich in repräsentativen Aufgaben. Erst viel später, so zeigen es die baulichen Merkmale, wurde das Parterre landwirtschaftlichen Zwecken zugeführt.

Unendlich viele Umbauten, die genannte Erweiterung und nachträgliches Ausmauern des Holzfachwerkes schlugen dem einst stolzen Gebäude böse Wunden. Schwächungen und Gewichtsüberlastungen ließen das alternde Haus neigen. Die schönen Fachwerkfelder verschwanden hinter einem grauen Verputz.

Seit dem Jahr 1984 wurde, soweit möglich, alte Baustubstanz von unnötigen, später hinzugekommenen Bauteilen befreit. Die heutige Eigentümerin, Frau Leni Mattes-Fischer hat mit der Renovierung inen wichtigen Beitrag zur Stadtkernsanierung geleistet.

Bekannt ist, dass dieses Haus seit dem 17. Jahrhundert die Stadtschreiberei beherbergte. Ab 1820 war hier dann die Ratsschreiberei und gleichzeitig die Stadt Schultheißenkanzlei. Als vorletzter residierter Schultheis Hartmann bis 1909 und von da ab Spanagel bis zum Einzug ins heutige Rathaus 1913.

Äußeres Zeichen der Schultheißkanzlei war ein kleiner Glockenreiter. Das bescheidene Glöckchen mit der Jahreszahl 1815 und der Inschrift „SIMON S.S. IN ONSTM.“ Rief fast einhundert Jahre die Stadtväter zu den Sitzungen. Heute ist die nur 15 cm hohe Glocke in Privatbesitz.

Eine von der Stadt Albstadt gestiftete Glocke, 1874 in Lyon gegossen, ziert seit Sommer 1988 von neuem den Dachfirst der „Alten Kanzlei“.


Eugen Wissmann, freier Architekt