THE LOST PARADISE
Heinz Dieter Bonnekamp
Das verlorene Paradies des Geheimrats Johann Noebels in Issum
Fast in der Mitte von Issum an der Weseler Straße stehen große herrschaftliche Villen. Eine davon wird im Volksmund die Noebelsvilla genannt. Direkt hinter dieser Villa versteckt sich ein kleiner Wald, das Noebelsbüschchen. Nur noch wenige Issumer wissen, dass diese Bezeichnungen auf einen ehemaligen Besitzer der Villa hinweisen, auf den Geheimen Rechnungsrat Johann Noebels, der dort seinen Lebensabend verbrachte. Damals war der oben erwähnte Wald noch ein ansehnlicher Park, der zur Villa gehörte und früher ein Teil des adeligen Hauses Amray war1. Eine Enkelin von Johann Noebels, Sigrid Noebels, erinnert sich noch an diesen Park, in dem sie mit den anderen Enkeln des Geheimrats häufig spielte. Für sie war es dort damals wie in einem Paradies.
Wer war dieser Geheime Rechnungsrat, der diesen Park so liebevoll angelegt und gepflegt hat, in dem sogar ein kleines Gartenhäuschen gestanden haben soll? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
Jedenfalls beschloss er zunächst einmal das Abitur anzustreben. Vielleicht hatte er damals schon die Absicht, die höhere Laufbahn als Postbeamter einzuschlagen. Da er u. a. wegen fehlender Fremdsprachenkenntnisse nicht auf ein Gymnasium wechseln konnte, blieb ihm nur die Möglichkeit, über eine höhere Realschule zum Abitur zu gelangen. Dazu besuchte er zunächst einmal ab Herbst 1867 eine Privatschule in Menzelen, die ihn auf die Oberstufe der höheren Realschule vorbereitete. Nach zwei Jahren, im Herbst 1869, war er so weit: Er wurde in die Realschule 1. Ordnung in Münster aufgenommen. Realschulen 1. Ordnung unterschieden sich von den anderen Realschulen (2. Ordnung) dadurch, dass auf ihnen auch Latein gelehrt wurde. Sie führten als höhere Bürgerschule zum Abitur und waren die Vorläufer der Realgymnasien6. Nach drei Jahren machte Johann Noebels dort im Herbst 1872 das Abitur.
Karriere bei der Post
Sofort nach dem Abitur trat er als Postélève in den höheren Postdienst ein. Nach dreijähriger Ausbildung in Moers und Oberhausen in verschiedenen Postämtern und bei der Bahnpost bestand er am 27. November 1875 die Postsekretärsprüfung und wurde zum Postpraktikanten ernannt. Damit hatte er Aussicht auf eine Stelle, musste aber so lange warten, bis eine solche Stelle frei wurde7. Er arbeitete inzwischen am Hauptpostamt in Düsseldorf. Seine Tätigkeit dort wurde unterbrochen, als er als Einjährig-Freiwilliger zum Wehrdienst eingezogen wurde. Er diente vom 1. Oktober 1876 bis zum 30. September 1877 beim Feldartillerieregiment Nr. 22 in Münster. Danach kehrte er wieder zu seiner Arbeit in Düsseldorf zurück
Da man wohl seine Fähigkeiten erkannt hatte, wurde er am 13. März 1878 in die Hauptstadt Berlin versetzt und durchlief dort verschiedene Ämter, u. a. das Haupt-Telegraphenamt. 1879 besuchte er die Telegraphenschule und wurde danach in die General-Telegraphendirektion versetzt. Dort bekam er endlich eine feste Stelle als Postsekretär. Damit hatte er eine gesicherte Stellung erreicht und konnte daran denken, eine Familie zu gründen. Am 3. Mai 1881 heiratete er in Alpen Helene Forthmann, die er wohl von früher schon kannte. Schon bald danach wurde er glücklicher Vater einer Tochter Maria. Am 5. Mai 1883 legte er die für die Einstellung in den höheren Postdienst erforderliche Staatsprüfung, die Postverwaltungsprüfung, ab. Kurz danach wurde seine zweite Tochter Clara in Saalhoff geboren. Am 1. Oktober wurde er zum Postinspektor ernannt und bekam eine Stelle in Aachen. Die Familie musste also nach Aachen umziehen. Dort wurden 1885 die Tochter Frieda und 1886 der Sohn Carl Noebels geboren.
Beruflich kam er nun schnell voran. Schon am 1. April 1888 wurde er zum Geheimen Expedierenden Sekretär ernannt und nach Berlin zurück versetzt. Auch die Familie zog wieder nach Berlin. 1889 übertrug ihm der Generalpostmeister Heinrich von Stephan, dem er jetzt direkt unterstellt war, die Schriftleitung der Zeitschrift ,"Archiv für Post und Telegraphie", in der er auch zahlreiche Artikel veröffentlichte. Diese Zeitschrift diente der "Ausbildung von Postbeamten, ihrer Identifikation mit dem Unternehmen und dem guten Ruf in der Öffentlichkeit"8.
Ein Jahr später wurde er Mitglied im Elektronischen Verein, der von Werner von Siemens gegründet wurde und als Ziel die "Sammlung aller technisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich oder privat an Fragen und Problemen der Elektrotechnik Interessierten"9 hatte. Im Jahr darauf wurde er Schriftführer in diesem Verein. Offensichtlich hatte sich Johann Noebels mittlerweile zum Spezialisten im Bereich der sich damals schnell ausbreitenden Elektrotechnik entwickelt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ihn der Generalpostmeister 1890 zum Vorsteher des Telegraphenbetriebsbüros ernennt.
1894 sollte er sogar zum Postrat ernannt werden und eine leitende Stelle bei der Post in Braunschweig übernehmen. Dies lehnte er jedoch ab, da Braunschweig damals überwiegend protestantisch war und es dort keine Katholische Schule für seine Kinder gab. Seine Untergebenen waren über diese Entscheidung sehr erleichtert und schenkten ihm einen Globus. Er muss also bei ihnen sehr beliebt gewesen sein. Die Ablehnung, nach Braunschweig zu gehen, hat ihm aber offensichtlich nicht geschadet: Noch im gleichen Jahr wurde er zum kaiserlichen Rechnungsrat ernannt.
Eine seiner Aufgaben war es auch, zusammen mit zwei Kollegen, A. Schluckebier und O. Jentsch, neue Vorschriften für die Prüfung von Telegraphenbeamten sowie Postbeamten aufzustellen. Das Ergebnis dieser Arbeit fassten die drei in einem Buch zusammen. Im Jahr 1900 erschien zum ersten Mal das Handbuch zur Vorbereitung auf die Prüfung der Telegraphenbeamten, das mehrere Auflagen erlebte.
Diese drei Autoren arbeiteten dann als Team auch am "Handbuch der Elektrotechnik" mit, dessen 12. Band sie gemeinsam verfassten. Schließlich veröffentlichte er zwei Jahre vor seiner Pensionierung 1905 noch ein Buch mit dem Titel "Haustelegraphie und private Fernsprechanlagen. Mit besonderer Berücksichtigung des Anschlusses an das Reichsfernsprechnetz". Aufgrund dieser wissenschaftlichen Tätigkeit kann man ihn wohl zu den Pionieren der Einführung des Telefons in Deutschland zählen.
Nachdem er schon 1904 zum Geheimen Rechnungsrat befördert wurde, ernannte ihn der Generalpostmeister schließlich 1906 zum Leiter des Telegraphenbaubüros, das seinen Sitz in Berlin-Mitte in der Köpenicker Straße hatte. Dies führte er noch zwei Jahre lang bis zu seiner Pensionierung 1908.
Johann Noebels besuchte die Volksschule in Saalhoff, die er 1864 beendete. Da er offensichtlich ein guter Schüler war, beschlossen die Eltern, dass er eine Lehrerlaufbahn einschlagen sollte. Zur Vorbereitung auf das Lehrerseminar in Moers schickten sie ihn von Ostern 1864 bis Juni 1866 auf eine sogenannte Praeparandenschule, die die Jugendlichen auf die Aufnahmeprüfung für das Seminar, die sogenannte Aspirantenprüfung, vorbereitete. Diese bestand er am 23. Juni 1866. Da er aber erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres in das Seminar aufgenommen werden konnte5, arbeitete er in der Zwischenzeit als Hilfslehrer in Moers und Saalhoff. Dort machte er erste Unterrichtserfahrungen. Dabei kam er zu der Überzeugung, dass der Lehrerberuf ihn nicht ausfüllte. Er schrieb in einer persönlichen Notiz, dass es ... mir auf die Dauer nicht das rechte [schien], mein ganzes Leben in der Schulstube zu verbringen. War er unterfordert oder sah er keine Aufstiegsmöglichkeiten als Lehrer? Diese Frage muss offen bleiben.
Johann Tilmann Noebels wurde am 28. Oktober 1850 als Sohn der Eheleute Johann Theodor Noebels und Katharina geborene Sparla in Salhoff, heute ein Ortsteil von Kamp-Lintfort, geboren2. Die Eltern führten dort eine kleine Land- und Schenkwirtschaft (heute Eschweg 128, siehe Kartenausschnitt3).
Nach dem frühen Tod ihres Ehemanns hat die Mutter den Hof und die Gaststätte alleine weiter bewirtschaftet. Sie hat das Anwesen aber später verkauft, da keines der Kinder den Hof übernehmen wollte. So hatte sich z. B. der älteste Bruder von Johann Noebels in Issum auf dem Witteyer Hof4 niedergelassen und lebte mit seiner Familie dort.
"Geldrischer Heimatkalender 2012", Geldern 2011, p. 208-217, no ISBN, by the "Historischer Verein für Geldern und Umgegend e.V."