"Das größte Geheimnis der Templer" von Oliver Deberling

Rezension von Sigrid Hercksen, veröffentlicht im Rundbrief Nr. 27

Nachdem ich im letzten Rundbrief Günters Rezension über das Buch von Peter und Johannes Fiebag gelesen hatte, fiel mir ein, dass ich vor einigen Monaten auch ein Buch gelesen hatte, in dem die These vertreten wurden, dass der Gral eine Art Manna-Maschine gewesen sei. Da mir die Vorstellung des Grals als jüdisches, in der Kabbala beschriebenes Heiligtum sehr, sehr fern lag, verzichtete ich darauf, diese Erkenntnisse in unsere Runde zu tragen, aber nachdem Günter nun davon gesprochen hat, will ich auch noch meinen Senf dazu beitragen.

Den Inhalt des Buches kann man dem Klappentext entnehmen: Für Oliver Deberling hat alles begonnen mit der Lektüre des Buches „Der Heilige Gral und seine Erben“, in dem drei britische Autoren die Behauptung aufstellen, ein katholischer Pfarrer namens Bérengar Saunière habe in dem französischen Pyrenäendorf Rennes-le-Château Beweise dafür gefunden, dass Jesus Christus die Kreuzigung überlebte und mit Maria Magdalena eine Dynastie begründete, die bis heute fortbestehen soll. Diese heilige Dynastie sei, so die Briten, nichts anderes gewesen als der Heilige Gral der mittelalterlichen Sagenwelt. Diese seltsame Geschichte ließ Oliver Deberling nicht mehr los. Er musste herausfinden, wieviel Wahrheitsgehalt in den Thesen der drei Autoren steckte. Nach umfangreichen Nachforschungen und einer Kontaktaufnahme mit den Briten stellte er zu seiner Ernüchterung fest, dass deren Behauptungen nicht den einfachsten Überprüfungen standhalten konnten. Beweisstücke, wichtige Spuren und Hinweise wurden entweder nicht beachtet, falsch interpretiert oder nicht verstanden. Deberling beschloss, den Ereignissen in dem Pyrenäendorf systematisch auf den Grund zu gehen. Er recherchierte vor Ort und beschäftigte sich über zehn Jahre lang mit der Geschichte des Heiligen Grals und dem Verbleib der biblischen Bundeslade. Eine Bibliographie von über 200 Werken wurde von ihm sorgfältig durchgearbeitet, Handschriften, Gralserzählungen und sogar Grabinschriften wurden ausgewertet. Was er ans Licht bringt, ist hochspannend und geradezu sensationell ...

Soweit der Klappentext. Ich will nun alle Spekulationen Deberlings über Rennes-le-Château, den Genter Altar, die Templer, die Freimaurer, Oak Island, die Bundeslade und die Apokalypse hier unbeachtet lassen (wen das alles interessiert, der möge dieses Buch lesen!) und nur Günters Andeutungen, dass der Gral eine ominöse Manna-Maschine sei (laut J. und P. Fiebag), etwas ausführlicher darstellen, vielleicht in der Hoffnung, dass der eine oder andere Leser mir versichert, dass diese Interpretation des Grals als jüdisches Heiligtum völliger Unsinn sei ...

Leider muss ich aber zugeben, dass der Autor recht beeindruckende Belege für seine These vorführt, dass in alten jüdischen Schriften ein Gegenstand beschrieben wird, von dem sich alle Erscheinungsformen des Grals ableiteten, der alle dem Heiligtum zugeschriebenen Eigenschaften in sich vereinte. Deberling behauptet, dass der Sohar, das Hauptbuch der alten jüdischen Kabbala, die genaue Schilderung eines Objektes enthält, das offenkundig mit dem Gral des Mittelalters identisch war. In einigen Abschnitten des Sohar werde dieser Gegenstand als „Alter der Tage“ oder im Hebräischen als „Attik Jomim“ bezeichnet. Deberling schreibt: „Der ominöse Alte der Tage war nicht nur in der Lage, Speisen und Getränke auf genau die gleiche Weise wie der Heilige Gral bei Wolfram von Eschenbach bereitzustellen, die Übereinstimmungen gehen sogar so weit, dass einzelne Sprachbilder und ganze Passagen im Parsival und Sohar ähnlichen Quellen zu entstammen scheinen. Eine dieser alten Quellen war offenbar das von Wolfram erwähnte Buch des israelischen Gelehrten Hiram alias Flegetanis, das Kyot in Toledo gefunden hatte. Ausgerechnet das spanische Toledo gehörte zu den frühesten und bedeutendsten Hochburgen der kabbalistischen Bewegung. ...“

Deberling meint, Wolfram von Eschenbach habe das Sabbath-Ritual nicht nur mit ganz ähnlichen Worten wie die Kabbala beschrieben, sondern habe lediglich den ominösen „Alten der Tage“ durch den Begriff „Heiliger Gral“ ersetzt. Einige Zitate, die Deberling als Beleg wiedergibt, klingen durchaus überzeugend. Fazit von Deberling: “Diese merkwürdigen Übereinstimmungen sind ganz sicher kein Zufall. Robert de Boron und andere Grals-Autoren verwendeten bei ihren Schilderungen des Heiligtums uralte Quellen, die später christlich umgedeutet wurden. Eine dieser Urquellen war offenkundig die Beschreibung des Attik Jomim, das nichts anderes gewesen sein kann als das Vorbild des Grals. ... Es gibt keinen Zweifel mehr: Das Attik Jomim der jüdischen Mystik, der rätselhafte Alte der Tage war das Vorbild des Grals der mittelalterlichen Sagenwelt. Wolframs Angaben über jenes geheimnisvolle Buch des israelischen Gelehrten Flegetanis sind wahr und authentisch. Der Urtext der Gralssage entstammte uralten jüdischen Schilderungen eines geheimen Heiligtums.

Bereits die Autoren Johannes und Peter Fiebag vermuteten einen Zusammenhang zwischen dem Attik Jomim und dem Gral, doch erst jetzt, durch die erwähnten Textvergleiche, kann ein wissenschaftlich gültiger Beweis für diese Identität erbracht werden.“

Was aber war dieses Attik Jomim genau? Die Interpretationen moderner Kabbalisten reichen von einem schwer durchschaubaren Symbol über eine mystische Bezeichnung für das makrokosmisch göttliche Urwesen bis hin zu einer symbolischen Beschreibung uralter, fehlverstandener Technologie. Auch die beiden britischen Forscher George Sassoon und Rodney Dale glaubten an die Möglichkeit einer technischen Interpretation der alten Überlieferung und schafften es nach jahrelanger Kleinarbeit, eine Apparatur zu rekonstruieren, die in der Lage gewesen sein soll, durch Kondensierung der natürlichen Luftfeuchtigkeit Wasser zu destillieren, mit dem das biblische Manna erzeugt werden konnte, nämlich ein Nahrungsmittel auf der Basis von Algenkulturen.

„Die Beschreibungen des Attik Jomim in der Kabbala“, so Deberling, „erscheinen auf den ersten Blick unverständlich und teilweise sogar sinnlos. Wenn man allerdings voraussetzt, dass in der Antike die notwendigen Begriffe fehlten, um technische Einzelheiten zu schildern, ergeben die Texte einen klaren Sinn. Vor Jahrtausenden war man gezwungen, phantasievolle Umschreibungen aus der verständlichen Begriffs- und Umwelt zu benutzen. Komplizierte Rohrleitungssysteme wurden so zu Schnüren, Haaren und einem Bart, in dem eine Flüssigkeit floss. Eine 'Ätherhaut', die durchsichtig ist und eine Trennwand bildet, ist unschwer als Glasabdeckung zu identifizieren. ... Die Schilderungen bilden in ihrer Gesamtheit eine logische Beschreibung, die sich zu einer sinnvollen Rekonstruktion zusammenfassen lässt. ... Besser und genauer lässt sich eine Apparatur zur Wassergewinnung in Wüstengebieten nicht mehr beschreiben. Luftfeuchtigkeit kondensiert an einer Oberfläche, tropft herab, wird in einem Behälter gesammelt und fließt durch ein Rohrleitungssystem weiter nach unten. ... Die beiden britischen Forscher, die das Attik Jomim nach den Kabbala-Texten rekonstruierten, waren davon überzeugt, dass die beschriebenen Pflanzen nichts anderes gewesen sein konnten als essbare Algen der Gattung ‚Chlorella’, die in den mit Tau gefüllten Behältern des Heiligtums kultiviert wurden. Durch solche Algen – so schlussfolgerten die Briten – war es möglich, ein nährstoffreiches pflanzliches Nahrungsmittel herzustellen, dessen Stärkebestandteile, leicht gebrannt, zudem eine süße und brotartige Substanz ergaben. ... Ganz gleich, ob man die Algentheorie der beiden Forscher akzeptieren möchte oder nicht, Tatsache ist, dass das Attik Jomim nicht nur als Gegenstand beschrieben wird, der Tau in der Wüste sammelte, sondern auch eine Speise spendete, die als Manna umschrieben wurde, was immer damit auch gemeint war.“

Deberling behauptet an anderer Stelle, dass die verschiedenen Kartenmotive des Tarot eine Verbindung zur Symbolik der Grals-Legende zeigen. Die dem Gral entsprechende Kelch-Karte weise noch eine andere Besonderheit auf, sie stelle nämlich eindeutig den Versuch einer bildlichen Wiedergabe des Attik Jomim dar, wie es im jüdischen Sohar beschrieben wird.

Über die Herkunft des Grals, also die Frage, wer vor Jahrtausenden fähig war, eine solche Apparatur zu bauen, möge sich selber in dem Buch informieren, wer durch meine Erläuterungen neugierig geworden ist. Günter hat ja schon angedeutet, dass der Gral ein außerirdisches Gerät gewesen sei (nach Fiebag), was ja durchaus zu Wolfram von Eschenbachs Beschreibung des Grals vor 800 Jahren passt: „Den Gral ließ eine Schar auf Erden, die zurück zu den hohen Sternen flog, weil ihre Unschuld sie heimwärts zog...“