Ich war ein Wanderer

Ich war ein Wanderer, war einmal hier, einmal dort, es gab lange Zeit nichts Dauerndes, das mein Leben bestimmte, außer meinen Kindern. Ich war ein Schandfleck, nicht für meine Mutter, nicht für meinen Bruder, nicht für meinen zweiten Mann und für meine Kinder. Nicht für all die Frauen, die in derselben Situation waren oder sind. Aber offenbar ein Schandfleck für Menschen, die nach außen hin eine perfekte Ehe führen, und alleinerziehende Mütter grundsätzlich als sozial schwach, dumm oder leichtsinnig einstufen.




Zeitungsartikel über die Biografie im Zollern-Alb Kurier:

Immer wieder muss das Leben neu beginnen

Vera Bender

Literatur: „Ich war noch niemals in New York“ lautet der Titel des Buches, das die Ebingerin Heidrun Böhm aus authentische und berührende Biografie verfasst hat.

Das Werk handelt nicht von der Sehnsucht, sondern genau wie das Lied von Udo Jürgens vom Entrinnen aus einem erdrückenden Leben. „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei, einmal verrückt sein, und aus allen Zwängen fliehn.“ Heidrun Böhm hat ihr Leben aufgearbeitet. „Das hat gut getan, meint die Autorin, die gerne Kurzgeschichten schreibt, und dafür ausgezeichnet wurde: Zur Verleihung des „Theodor Greiner Literaturpreises war Heidrun Böhm in die Stadtbibliothek nach Reutlingen eingeladen worden. Sie freute sich auf die Preisverleihung, zu der sie mit Mutter und Freundin unterwegs war. Wie in Trance nahm sie die Glückwünsche zum ersten Preis entgegen-und dann fuhr die Freundin den Wagen aus Unachtsamkeit zu Schrott. So ist das Leben. „Das ist nun der erste Preis“, hatte die Literatin damals ernüchtert zu ihrer Mutter Elisabeth Zimmerer gesagt, die selbst Geschichten schrieb und die mit Tochter und Sohn in Albstadt die „Autorengruppe Zimmerer“ bildete. Auch der Bruder Berthold ist Teil der Autobiografie- bis hin zu seinem Schlaganfall und viel zu frühen Tod. Wieder würden Träume und Sehnsüchte jäh zerstört. Wieder musste Heidrun Böhm ihr Leben, und das ihrer Liebsten neu organisieren. Das 344 Seiten umfassende Werk beginnt quasi mit einer Hommage an die Mutter, „eine Frau, die niemals klagte.“ Sie meisterte ihr Leben nach der Scheidung als alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Zu einer Zeit, in der man mit geschiedenen Frauen hart ins Gericht ging. Vielleicht ließ sie ihrer Tochter Heidrun deshalb so viel Unterstützung zukommen, als diese sich ebenfalls von ihrem Mann trennte. „Ich wartete die ganze Nacht. An diesem Abend schwor ich mir, Schluss mit diesem Theaterspiel zu machen. Endgültig.“ Es war eine Silvesternacht, in der sie- wieder einmal vergeblich auf ihren Mann wartete, als die gebürtige Ebingerin den Entschluss zur Scheidung fasste und fortan mit ihren beiden Kindern alleine war. „Großgezogen habe ich sie ja auch schon vorher alleine“, bemerkt Heidrun Böhm nüchtern.

Überhaupt findet sich dieser nüchterne Stil immer wieder. Die 344 Seiten lesen sich in einem Aufwasch. Spannend und schonungslos ehrlich. Anfangs hatte sie in einer Bäckerei geputzt, um über die Runden zu kommen. Dann konnte sie endlich ihre Altenpflegehelferinnen –Ausbildung abschließen, und verdiente etwas mehr. „Trotzdem ging manches weiter wie zuvor. Der Vermieter beklagte sich über die Kinder, und neuerdings beklagten sich die Kinder auch über den Vermieter. Zeit ihres Lebens wollte Heidrun Böhm weder bewundert noch bedauert werden, weil sie als Alleinerziehende auf vieles verzichten musste. Sie möchte anderen Alleinerziehenden Mut machen. Gleichzeitig hat sie ein Buch verfasst, das sich gut liest, in dem sich die Ereignisse überschlagen. „Ich hätte es manchmal gerne langweiliger gehabt“, blickt Heidrun Böhm mit trockenem Humor auf ihr Schicksal zurück. Sie nimmt es an, und krempelt die Ärmel hoch.




Heidrun Böhm liest am Donnerstag 5. Juli 2018 aus ihrer Autobiografie in der Stadtbücherei Tailfingen.


Die Autorengruppe Zimmerer